(Digital) Wellbeing im Fokus: Was deutsche Hochschulen von der University of British Columbia lernen können
(Digital) Wellbeing im Fokus: Was deutsche Hochschulen von der University of British Columbia lernen können
05.05.25
Die Förderung von Wellbeing an Hochschulen ist längst kein Randthema mehr. Sie bildet vielmehr die Basis für erfolgreiche (digitale) Lehr- und Lernumgebungen und wird international zunehmend strategisch verankert. Hochschulen wie die University of British Columbia (UBC) in Kanada haben dies schon früh erkannt und das Thema Wellbeing tief in ihre Hochschulstrategie integriert. Für diesen Blogartikel gibt Mandy MacRae, Wellbeing Engagement Strategist an der UBC, spannende Einblicke in die Geschichte und Bedeutung der Wellbeing-Initiative und schildert, wie Herausforderungen und Erfolge den Weg der UBC zu einer gesundheitsfördernden Hochschule geprägt haben.
Digitale Technologien sind aus dem Hochschulalltag nicht mehr wegzudenken. Sie beeinflussen, wie Wissen vermittelt, organisiert und konsumiert wird. Virtuelle Lernplattformen und hybride Formate schaffen Flexibilität, erleichtern die Zusammenarbeit über Standorte hinweg und ermöglichen neue Formen der Interaktion. Gleichzeitig bringen sie aber auch Herausforderungen mit sich, wie etwa die ständige Nutzung digitaler Tools, das Gefühl, nicht „abschalten” zu können, oder auch das Fehlen spontaner sozialer Kontakte. Hochschulen stehen vor der Aufgabe, digitale Technologien so einzusetzen, dass produktives Arbeiten und Lernen möglich ist, ohne das Wellbeing aller Hochschulangehörigen zu beeinträchtigen. Für den Think Tank Well-Being und Mental Health im digitalen Zeitalter an Hochschulen habe ich gemeinsam mit Tina Basner und Lea Hildermeier ein Diskussionspapier erarbeitet, in dem wir Handlungsempfehlungen für strategische Entscheider:innen an deutschen Hochschulen formuliert haben.

Diskussionspapier Nr. 36: Wellbeing & Mental Health im digitalen Zeitalter: Warum Hochschulen jetzt handeln müssen
Während unserer Recherche stießen wir auf die University of British Columbia (UBC) – eine kanadische Hochschule, die zeigt, wie gezielte Wellbeing-Strategien sowohl individuelle Bedürfnisse von Studierenden und Mitarbeitenden als auch eine nachhaltige Hochschulentwicklung fördern können.
In einem Interview mit Mandy MacRae, Wellbeing Engagement Strategist im Office of Wellbeing Strategy an der University of British Columbia, erhielten wir spannende Einblicke in die Anfänge und Entwicklung des Wellbeing-Ansatzes an der Hochschule. Das Office of Wellbeing Strategy bildet das strategische Rückgrat zur Weiterentwicklung des Wellbeing Strategic Frameworks an der UBC. Es sorgt für eine einheitliche Ausrichtung, Koordination, Moderation und Evaluation innerhalb des Netzwerks, das die verschiedenen Teams bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung des Wellbeing unter UBC Wellbeing unterstützt.
Obwohl UBC Wellbeing im Jahr 2024 sein zehnjähriges Bestehen feierte, geht die Grundlage dieser Initiative auf das langjährige Engagement zahlreicher Einzelpersonen und Teams innerhalb der Universität zurück. Bereits 1929 eröffnete die UBC die Student Health Services und setzte damit ein frühes Zeichen für ihr Engagement im Bereich Wellbeing – sowohl durch konkrete Angebote als auch durch strategische Maßnahmen. Wellbeing ist also, international betrachtet, kein „Modethema“. Im Laufe der Jahrzehnte weitete die Universität ihren Fokus über die reine Gesundheitsversorgung hinaus aus und erkannte die Bedeutung eines ganzheitlichen, systemischen Ansatzes. In den 1990er-Jahren wurde das UBC Health Promotion Program ins Leben gerufen, und in den 2000er-Jahren verstärkte die Universität ihr Engagement für das Wellbeing am Arbeitsplatz durch die Einrichtung eines spezialisierten HR-Teams zur Unterstützung der Mitarbeitendengesundheit. Diese kontinuierliche Entwicklung mündete schließlich 2014 in die Gründung von UBC Wellbeing – einer universitätsweiten, kollaborativen Initiative, die das Thema Gesundheit und Wellbeing fest in der Hochschulkultur und im Campusleben verankert.
Ein entscheidender Moment war das Jahr 2015, als die UBC Okanagan die International Health Promoting Universities Conference ausrichtete. Aus dieser Konferenz entstand die Okanagan Charta, eine internationale Vereinbarung für gesundheitsfördernde Hochschulen. Sie wurde von Hochschulvertreter:innen aus 45 Ländern erarbeitet und verfolgt das Ziel, Gesundheit und Wohlbefinden als zentrale Bestandteile an Hochschulen weltweit zu verankern. Die Charta definiert Gesundheit umfassend und geht weit über die bloße Abwesenheit von Krankheit hinaus. Körperliches, geistiges und soziales Wellbeing gelten als unverzichtbare Voraussetzung für eine funktionierende Lern- und Arbeitsumgebung. Ziel ist es, Hochschulen zu Orten zu machen, an denen alle Studierenden und Mitarbeitenden gesund und ganzheitlich unterstützt werden.
Die Okanagan Charter fordert Hochschulen weltweit auf, Wellbeing nicht nur als „Nice-to-have“, sondern als Kernprinzip ihrer Strategie zu sehen. Es geht darum, eine Umgebung zu schaffen, in der Studierende und Mitarbeitende physisch, mental und sozial unterstützt werden – ein Ansatz, der nicht mehr bloß Zusatzangebot, sondern fest in der „DNA“ der Hochschulkultur verankert sein soll. Mit der Verabschiedung der Charta 2016 machte die UBC einen entscheidenden Schritt und implementierte Wellbeing als strategisches Grundprinzip auf allen Ebenen – von den Curriculumsentwicklung über die Verwaltung bis hin zur Campusgestaltung. Diese Verpflichtungen wurden im Wellbeing Strategic Framework der UBC festgehalten und später im Strategic Plan: Shaping UBC’s Next Century weiter verankert.
Inzwischen haben Studierende, Lehrende und Mitarbeitende an der UBC große Fortschritte dabei gemacht, Wellbeing als festen Bestandteil der Universitätskultur zu integrieren. UBC Wellbeing ist keine Initiative einer einzelnen Einheit oder Abteilung, sondern ein gemeinschaftliches Vorhaben, bei dem alle dazu beitragen, die Universität zu einem besseren Ort zum Leben, Arbeiten, Lernen und Begegnen zu machen. Die Strategie stützt sich auf ein starkes Netzwerk von Partner:innen, darunter ein Führungsteam auf Leitungsebene, ein beratendes Gremium, ein strategisches Support-Team sowie verschiedene Ausschüsse und Communities of Practice aus unterschiedlichen Bereichen – von Kunst und Kultur über Stadtplanung und Nachhaltigkeit bis hin zur Gesundheitsförderung. Diese Zusammenarbeit bündelt Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen und bringt regelmäßig vielfältige Perspektiven und Impulse ein, um das Wellbeing auf dem Campus nachhaltig zu fördern.
Der Wellbeing-Ansatz der UBC: Ein ganzheitliches Konzept
Mit ihrem Wellbeing Strategic Framework verfolgt die University of British Columbia einen konsequent ganzheitlichen Ansatz, der Gesundheit und Wellbeing als feste Bestandteile der Universitätskultur versteht. Das Ziel: Bedingungen zu schaffen, in denen Studierende, Mitarbeitende und die gesamte Gemeinschaft in einem gesunden, unterstützenden Umfeld lernen, arbeiten und leben können – physisch und digital. Das Framework wurde evidenzbasiert und in enger Abstimmung mit der UBC-Community entwickelt und umfasst sechs zentrale Handlungsbereiche, die alle Facetten des Campuslebens abdecken: psychische Gesundheit, Ernährung, soziale Vernetzung, (Lern-)Räume, Bewegung und Leadership. Jeder Bereich soll das Wellbeing der gesamten Hochschulgemeinschaft fördern und wird durch messbare Ziele und eine regelmäßige Evaluationen begleitet, um Fortschritte und Handlungsbedarfe aufzuzeigen.

Ein besonderer Fokus liegt auf der Förderung der psychischen Gesundheit, insbesondere durch „Mental Health Literacy“, also das Wissen und Verständnis zur Einschätzung und Förderung der eigenen mentalen Gesundheit und der anderer. Anfang 2023 führte die UBC daher ein Mental Health Literacy Training für Führungskräfte ein. Insgesamt 2.011 Mitarbeitende nahmen 2023/24 an dem 45-minütigen digitalen Training teil – ein starkes Zeichen dafür, wie wichtig es ist, Hochschulmitarbeitende für Wellbeing-Themen zu sensibilisieren und gezielte, digitale Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Ein zentrales Element des Wellbeing-Ansatzes der UBC ist zudem die Nutzung von Datenevidenz, um zielgerichtete und fundierte Entscheidungen zu treffen. Eigene Erhebungen und externe Datenquellen wie der Canada-wide Campus Wellbeing Survey (CCWS) bieten wertvolle Einblicke in das Wellbeing der Hochschulgemeinschaft. Diese Datengrundlage macht Fortschritte im Wellbeing-Bereich messbar und zeigt neue Bedarfe auf. In Deutschland liefern vergleichbare Projekte wie zum Beispiel der Bielefelder Fragebogen wichtige Gesundheitsdaten, deren Potenzial ebenfalls stärker auf strategischer Ebene genutzt werden sollte, um nachhaltige Entscheidungen zu unterstützen.
Lessons in Wellbeing: Von der Idee zur gelebten Campus-Kultur
Der Wellbeing-Ansatz der University of British Columbia zeigt eindrucksvoll, wie sich aus einer ersten Idee eine umfassende Campus-Kultur des Wellbeings entwickeln kann. Ein entscheidender Teil dieses Erfolgs liegt in den kleinen, gezielten Schritten, die alle Ebenen der Hochschule einbinden. Indem die UBC kontinuierlich auf die Bedürfnisse ihrer Hochschulgemeinschaft eingeht und das Thema konkret erfahrbar macht, hat sie es geschafft, eine breite Beteiligung und Unterstützung – oder „Buy-in“ – auf allen Ebenen zu gewinnen. Diese Strategie motiviert Studierende und Mitarbeitende, sich aktiv einzubringen und selbst zu Wellbeing-Botschafter:innen zu werden. Denn Wellbeing lässt sich nicht einfach “verordnen”.
Die Nutzung digitaler Tools spielt eine zentrale Rolle, um Wellbeing auf dem Campus zu fördern und „Technostress“ – also Stress, der durch die Nutzung digitaler Technologien entstehen kann – präventiv entgegenzuwirken. Die UBC bietet verschiedene Programme an, darunter Online-Selbstlernkurse für Studierende, virtuelle Schulungen im Workplace Learning Ecosystem für Mitarbeitende sowie Peer-to-Peer-Angebote, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Universitätsgemeinschaft gerecht zu werden. Diese digitalen Ressourcen sind weit mehr als eine Notfalllösung – sie schaffen langfristig Zugänge zur Unterstützung und tragen dazu bei, Wellbeing kontinuierlich zu fördern.
Eine wichtige Säule des Erfolgs ist auch die Rolle der „Wellbeing Champions“: engagierte Persönlichkeiten, die das Thema aktiv über den gesamten Campus verbreiten. Diese Champions, ob in Führungsrollen oder als engagierte Netzwerkmitglieder, setzen wertvolle Impulse und bringen das Thema durch ihre Unterstützung in die Breite. MacRae betont ebenfalls, dass die Unterstützung der Hochschulleitung von Anfang an ein entscheidender Faktor war, um Wellbeing tief in der Kultur der UBC zu verankern.
Zusammenfassend lässt sich der Ansatz der University of British Columbia am besten so beschreiben: Nicht die Pläne und eine umfassende Vision allein, sondern die greifbare Umsetzung und das gemeinsame Engagement der gesamten Gemeinschaft machen den Unterschied. Kleine Schritte – auf den ersten Blick unscheinbar, aber stetig in die Hochschule hinein wirkend – haben eine Kultur des Wellbeings geschaffen, die sich durch alle Ebenen des Campus zieht und das Miteinander prägt. Oder, wie Mandy MacRae es im Interview so treffend ausdrückte: „Plant the seed and see what happens!”
Autorin

Theresa Sommer ist seit 2024 Projektmanagerin für das Hochschulforum Digitalisierung beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung. Hier engagiert sie sich insbesondere für die Themen Gesundheitsförderung, Wellbeing und digitale Nachhaltigkeit an Hochschulen. Vor ihrer Tätigkeit beim HFD war Theresa Sommer als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bielefeld und der TU Clausthal tätig. Dort beschäftigte sie sich insbesondere mit den Themen politische Kommunikation, Politikfeldanalyse und der Rolle von Wissenschaft in politischen Prozessen, vor allem in Krisenzeiten und in der internationalen Umweltpolitik. Zuvor absolvierte sie ihr Soziologiestudium an der Universität Bielefeld.