Digitalisierung gemeinsam gestalten: Data Literacy Education

Digitalisierung gemeinsam gestalten: Data Literacy Education

12.12.21

in Space

Der HFD-Sammelband „Digitalisierung in Studium und Lehre gemeinsam gestalten“ ist thematisch in fünf Teile gegliedert. Der vierte Teil adressiert Schlüsselkompetenzen und die Vermittlung von (digitalen) Kompetenzen. In ihrem Beitrag „Data Literacy Education für Studierende aller Fächer. Kompetenzziele, curriculare Integration und didaktische Ausgestaltung interdisziplinärer Lehr-Lern-Angebote“ wollen Matthias Bandtel, Leonie Kauz und Natalia Weißker Impulse und Handlungsempfehlungen zu Data Literacy Education für Studierende aller Fächer geben. Die Autor:innen diskutieren Herangehensweisen an die Definition von Lernzielen, Möglichkeiten der curricularen Integration und eine geeignete didaktische Ausgestaltung von Lehr-Lern-Settings. Abschließend wird das Mannheimer Modell Data Literacy Education (modal) als Beispiel einer möglichen Umsetzungsstrategie vorgestellt.in Space

Hochschulen haben den Anspruch, ihre Studierenden auf die Zukunft vorzubereiten. Im Zeitalter der Digitalisierung bedeutet das auch die Vermittlung eines kompetenten Umgangs mit Daten. Data Literacy ist, so Bandtel, Kauz und Weißker, eine “zentrale Voraussetzung für die aktive Teilhabe und verantwortliche Mitgestaltung der digitalen Transformation”. Es braucht also eine verstärkte Förderung dieser Datenkompetenz – und da der Einfluss der Digitalisierung in fast allen Bereichen unseres Lebens spürbar ist, gilt dies nicht (mehr) nur für spezifische Studiengänge, sondern für Studierende aller Fächer. Unternehmen melden eine steigende Nachfrage nach Arbeitnehmer:innen mit grundlegenden Datenkompetenzen und auch Hochschulen erkennen zunehmend die Notwendigkeit, digitale Schlüsselkompetenzen in die Curricula aller Fächer zu integrieren. Das fordern auch die Studierenden selbst, stellen Bandtel, Kauz und Weißker fest, und nicht zuletzt messe auch die Politik digitalen Kompetenzen einen zentralen Stellenwert bei. Es herrsche also große Einigkeit bei den Zielen – in der Umsetzung stehe man aber noch am Anfang. 

Was ist Data Literacy?

Für die Entwicklung ihrer Konzepte stützen sich Bandtel, Kauz und Weißker unter anderem auf die Arbeiten der kanadischen Forscher:innengruppe um Chantel Ridsdale. Der sichere Umgang mit Daten erfordere ein Zusammenspiel verschiedener Kompetenzen. Ridsdale et al. beschreiben Data Literacy als „the ability to collect, manage, evaluate, and apply data, in a critical manner“. In ihrer “zum Standardwerk avancierten Metastudie” von 2015 entwickeln die Forscher:innen ein Kompetenzraster, das auf oberster Ebene die Felder Conceptual Framework, Data Collection, Data Management, Data Evaluation und Data Application umfasst. Diesen werden insgesamt 64 Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse zugeordnet, die wiederum auf drei unterschiedlichen Niveaustufen (Conceptual Competencies, Core Competencies und Advanced Competencies) verortet sind. Diese Systematik, so Bandtel, Kauz und Weißker, bot die Grundlage für zahlreiche Folgestudien, darunter auch die Arbeit von Katharina Schüller und Kolleginnen. Diese verstehen Data Literacy als „Cluster aller effizienten Verhaltensweisen und Einstellungen für die effektive Erfüllung sämtlicher Prozessschritte zur Wertschöpfung beziehungsweise Entscheidungsfindung aus Daten“. Der von Schüller et al. erarbeitete Kompetenzrahmen umfasst insgesamt 18 Kompetenzen, die sechs Kompetenzfeldern zugeordnet werden:

  • (A) Datenkultur etablieren
  • (B) Daten bereitstellen
  • (C) Daten auswerten
  • (D) Datenprodukte interpretieren
  • (E) Daten interpretieren
  • (F) und Handeln ableiten

Es wird zwischen produktiven Prozessschritten (A bis C) und rezeptiven Prozessschritten (D bis F) unterschieden. Erstere kommen „bei der Überführung von Daten zu Datenprodukten zum Einsatz“, letztere dienen der „Dekodierung von Datenprodukten und der Rekonstruktion zugrunde liegender Daten“. Diese Vorarbeiten haben, so die Autor:innen, „wesentliche Grundlagen für die curriculare und didaktische Umsetzung von Lehr-Lern-Angeboten zur Entwicklung von Datenkompetenzen geschaffen“ aus denen sich konkrete Lernziele sowie die Ausgestaltung spezifischer Lehr-Lern-Settings ableiten lassen.

Data Literacy auf dem Lehrplan

Bandtel, Kauz und Weißker führen an, dass laut Risdale die größte Hürde in der Förderung von Data Literacy die bereits vollen Curricula der Hochschulen sind. Ein möglicher Lösungsweg besteht hier, so die Autor:innen, in der Integration von Datenkompetenzen in bereits bestehende über- und außerfachliche Lehr-Lern-Angebote. Für die fachliche Ausgestaltung gelten hier die folgenden “Gelingensbedingungen”:

  • Transparenz der Lernziele
  • Anwendungsorientiertes Lernen in Workshops und Laboren
  • Modularisiertes Lernen
  • Projektbasiertes Lernen
  • Lernen mit echten Daten

Besonders gewinnbringend, so Bandtel, Kauz und Weißker, lassen sich diese Bedingungen in interdisziplinären Lehr-Lern-Settings umsetzen. Diese transdisziplinäre Zusammenarbeit biete sowohl Mehrwerte für die Berufsvorbereitung als auch für die institutionelle Verankerung von Data Literacy Education. Nicht zuletzt würden auch die Studierenden fordern, Interdisziplinarität in der Gestaltung von Lehr-Lern-Angeboten im Kontext der Digitalisierung stärker mitzudenken, so die Autor:innen.

In der Hochschuldidaktik gilt interdisziplinäre Zusammenarbeit längst als essenzieller Faktor für Innovation und Erfolg in Wissenschaft und Wirtschaft. […] Interdisziplinarität und interdisziplinäre Kompetenzen werden in der vernetzten Welt als Schlüssel für die erfolgreiche Bewältigung der neuen und andersartigen beruflichen Anforderungen angesehen. Mit beiden Begriffen ist eine bestimmte Erwartungshaltung assoziiert: Sie gelten sowohl als gesellschaftliche Erfolgsfaktoren als auch als solche Einzelner, insbesondere wenn Kompetenzen mit Interdisziplinarität verbunden sind.

Voraussetzungen und Vorteile des interdisziplinären Lernens

Ganz allgemein, so Bandtel, Kauz und Weißker, können interdisziplinäre Kompetenzen als „Querschnitt kontextdeterminierter überfachlicher Kompetenzen“ verstanden werden. Durch Transfer ermöglichen interdisziplinäre Kompetenzen erfolgreiche „Handlungserfahrungen im Sinne von Schlüsselkompetenzen“, die Handlungsfähigkeit in neuen und komplexen Situationen bedeuten. Die Kompetenzentwicklung vollzieht sich dabei im Handeln und ist gleichzeitig auch Voraussetzung für und das Ergebnis von selbstorganisiertem Lernen. Dieses setzt die Fähigkeit zur Selbstorganisation voraus. Die Lernenden verfügen also über jene Reflexions- und Handlungsfähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, ihren eigenen Lernprozess zu gestalten und zu verantworten. Diese „Erschließungswerkzeuge” bestehen, so die Autor:innen, insbesondere in Methoden und Techniken, den Umgang mit sich selbst, anderen und Lerngegenständen zu reflektieren und zu moderieren.

Wenn sich Studierende aus Technik, Informatik, Sozialwesen, Wirtschaft und Design gemeinsam mit komplexen Problemstellungen auseinandersetzen, bringen sie ihre unterschiedlichen fachlichen Perspektiven ein und lernen mit- und voneinander. Dabei erfahren sie anwendungsorientiert, dass für einen planvollen, kritischen und verantwortlichen Umgang mit Daten technische, rechtliche, ökonomische, soziale und ethische Aspekte zusammengedacht werden müssen.

Fallstudie: Das Mannheimer Modell Data Literacy Education (modal)

Als mögliche Umsetzung dieser theoretischen Vorüberlegungen stellen Bandtel, Kauz und Weißker die Fallstudie des Mannheimer Modells Data Literacy Education (modal) vor. Dieses wird an der Universität Mannheim seit 2018 umgesetzt, Im Rahmen des Modells gibt es Lehr-Lern-Angebote für 5200 Studierende in neun Fakultäten, in 23 unterschiedlichen BA-Studiengängen. Die Herausforderung und Chance bestehe darin, technisch-ingenieurwissenschaftliche, soziale und gestalterische Studiengänge gleichermaßen miteinzubeziehen, so die Autor:innen.

Basierend auf den Arbeiten von Ridsdale und Schüller gibt es im Mannheimer Modell spezifische Lernziele, die fünf Kompetenzfeldern zugeordnet werden können:

  • Daten in Beruf und Gesellschaft
  • Daten sammeln
  • Daten formen
  • Daten lesen 
  • Daten leiten Handeln

Es wird außerdem auf drei Niveaustufen unterschieden:

  • die erste Stufe unimodal1 richtet sich an Studienanfänger:innen aller Fächer
  • die zweite Stufe bildet das interdisziplinäre Datenprojekt bimodal2, teilnehmen können Studierende aller Bachelorstudiengänge im Grundstudium
  • die dritte Stufe trimodal3 richtet sich an Studierende im Hauptstudium
  • über die Begleitsäule multimodaln werden unter anderem Kooperationen mit hochschulexternen Praxispartner:innen, der Transfer von Projektergebnissen sowie Evaluation und Wirksamkeitsforschung organisiert

Folgendermaßen ist modal ins Curriculum integriert: Das interdisziplinäre Datenprojekt bimodal2 wird für Studierende im Grundstudium in allen 23 Bachelorstudiengängen im Rahmen von Wahlpflichtbereichen als Studienleistung anerkannt und mit zwei bis vier ECTS-Punkten kreditiert. Die Lehr-Lern-Angebote auf den beiden anderen Stufen sind in einigen Studiengängen anrechenbar. Zusätzlich wird die Teilnahme an allen Formaten zertifiziert.

„Im Fokus stehen die Ermöglichung selbstorganisierten Lernens, ein hoher Anwendungsbezug und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit„, so Bandtel, Kauz und Weißker. Erreicht wird diese Zielsetzung im zweiten Modul durch die sieben Bausteine:

  • Lernen in heterogenen Kleingruppen
  • Projektförmiges Lernen
  • offene Themenstellung, echte Daten
  • Peer-Learning
  • Flipped Classroom
  • Workshops und Reallabore
  • und virtual Reality in der Lehre

Ergebnisse der Fallstudie modal

Gerade in der Erprobungsphase, so Bandtel, Kauz und Weißker, sei eine engmaschige Evaluation wichtig. „Besonders gewinnbringend“ seien die regelmäßigen Feedbackrunden mit Tutor:innen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen wird außerdem regelmäßig in Self-Assessments der Teilnehmer:innen gemessen. Die Erhebung erfolgt jeweils zu Beginn und Ende des Semesters über einen Online-Fragebogen. Dieser fragt zum einen Persönlichkeitsmerkmale ab, die im Kontext der Entwicklung von Future Skills interessant sind, weil sie Rückschlüsse auf Motivation, Selbstorganisationsfähigkeit und Teamwork zulassen, so Bandtel, Kauz und Weißker. Zum anderen werden mit dem Kompetenzraster von Eichhorn und Tillmann (2018) digitale Kompetenzen aller Teilnehmer:innen auf sechs Subdimensionen erfasst.

Bandtel, Kauz und Weißker stellen einige Befunde aus der Befragung im Wintersemster 2019/2020 vor. Dabei erwiesen sich die Persönlichkeitsmerkmale der Studierenden als recht stabil. Deren Selbsteinschätzung lasse jedoch darauf schließen, dass das freiwillige Lehr-Lern-Angebot insbesondere die Studierende anzieht, die bereits im Vorfeld von sich erwarten, gut mit Schwierigkeiten und Hindernissen umgehen zu können: „Für die Weiterentwicklung der Lehr-Lern-Angebote leitet sich daraus die Herausforderung ab, das Format dergestalt anzupassen, dass auch Studierende angesprochen werden, die von der Förderung ‚klassischer Schlüsselkompetenzen‘ im Kontext der Future Skills besonders profitieren würden“, so die Autor:innen.

Die Auswertung des interdisziplinären Datenprojekts am Ende des Wintersemsesters zeigte außerdem, dass die Teilnehmer:innen sich im Umgang mit Suchinstrumenten, Suchstrategien, Literaturverwaltung, Wissensmanagement, Urheberrecht und Datenschutz im Mittel als kompetenter empfanden als zu Beginn. Auch im Bereich „Digital kommunizieren und kooperieren“ zeigte sich eine “deutlich positive Veränderung”, geben Bandtel, Kauz und Weißker an. Die Studierenden hätten “größere Sicherheit” in den Bereichen Onlinecommunitys, Web 2.0, Social Media, Open Source, Open Access und Lernplattformen erlangt. Auch auf der Subskala „Digitale Wissenschaft“, die den niedrigsten Eingangswert aufwies, zeigte sich ein “leichter Aufwärtstrend”.

Doch die Ausgangsbefragung zeigt auf allen gemessenen Dimensionen “noch erhebliche Entwicklungspotenziale der digitalen Kompetenzen”, so die Autor:innen. Es lasse sich “unmittelbar der Bedarf ableiten, entsprechende Lehr-Lern-Angebote nicht nur einmalig und punktuell, sondern mit steigendem Anspruchsniveau wiederholt im Studienverlauf zu platzieren.” Zum anderen, schlussfolgern Bandtel, Kauz und Weißker, müsse es bei künftigen Weiterentwicklungen der Lehr-Lern-Programme darum gehen, Data Literacy noch tiefer in die Curricula aller Fächer zu integrieren. Zwar seien die Befunde aufgrund der geringen Fallzahlen (45 Studierende nahmen an der Auswertung teil) nicht repräsentativ, aber sie deuteten darauf hin, dass Studierende einen “ausgeprägten Bedarf bei der Entwicklung digitaler Kompetenzen wahrnehmen, der durch bestehende curriculare Lehr-Lern-Angebote nicht gedeckt wird. […] Schon jetzt […] zeichnet sich ab, dass das Engagement zur Förderung von Data Literacy für Studierende aller Fächer weiter intensiviert werden muss”, schlussfolgern die Autor:innen.

Data Literacy: eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts

Die Studienergebnisse deuten laut Bandtel, Kauz und Weißker daraufhin, dass “niedrigschwellige interdisziplinäre Lehr-Lern-Angebote zu einer positiven Entwicklung von Datenkompetenzen Studierender aller Fächer beitragen können”. Sie meinen:

Mehr denn je stehen Hochschulen in der Verantwortung, Studierenden aller Fächer den planvollen, verantwortlichen und kritischen Umgang mit Daten zu ermöglichen, um sie bestmöglich auf die mündige Teilhabe und aktive Mitgestaltung der digitalen Gesellschaft vorzubereiten.

Wichtig seien ein konsekutiver Aufbau entsprechender Programme mit steigendem Anspruchsniveau sowie der Einsatz innovativer Didaktiken. Zu beachten bleibe, dass extracurriculare Angebote vor allem diejenigen Studierenden anspreche, die bereits für die Relevanz von Datenkompetenzen sensibilisiert sind. Die Herausforderung liege also in der nachhaltigen Integration geeigneter Lehr-Lern-Angebote in die Curricula aller Fächer. Die “begriffliche Offenheit” von Data Literacy sei dabei eine Chance: Einerseits könne das Konzept an den sich wandelnden Bedarf von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft angepasst werden, andererseits eröffne die integrative Definition vielfältige Anknüpfungspunkte an Lehr-Lern-Veranstaltungen, die an Hochschulen bereits angeboten werden – Maßnahmen zur Entwicklung von Datenkompetenzen könnten übergangsweise also relativ niedrigschwellig in bestehende Studiengänge eingebunden werden, so die Autor:innen. Besonders geeignet, Studierenden die Entwicklung von Future Skills zu ermöglichen, seien Ansätze, die interdisziplinäre Grundlagen und fachliche Spezialisierung miteinander kombinieren. Abschließend rufen Bandtel, Kauz und Weißker noch einmal zur Zusammenarbeit auf:

Um Data Literacy Education für Studierende aller Fächer curricular zu integrieren […], ist der fach- und standortübergreifende Erfahrungsaustausch unter Lehrenden und Lernenden von hohem Wert. Denn gerade bei Fragen der institutionellen Verankerung und didaktischen Ausgestaltung von Data Literacy Education liegt der Schlüssel im gemeinsamen mit- und voneinander Lernen.

Den Sammelbandbeitrag von Matthias Bandtel, Leonie Kauz und Natalia Weißker „Data Literacy Education für Studierende aller Fächer. Kompetenzziele, curriculare Integration und didaktische Ausgestaltung interdisziplinärer Lehr-Lern-Angebote“ können Sie hier lesen und herunterladen. Zum Dowload des gesamten HFD-Sammelbands geht es hier.

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