Zum ersten Mal Online-Lehren dank Corona? Soft Facts und Hacks für den schnellen, aber bedachten Einstieg
Zum ersten Mal Online-Lehren dank Corona? Soft Facts und Hacks für den schnellen, aber bedachten Einstieg
19.03.20Die Erweiterung der akademischen Präsenz-Lehrangebote in den Online-Bereich nimmt durch die aktuellen Einschnitte aufgrund des Coronavirus an Fahrt auf. Auch wenn die Entwicklung noch nicht voll absehbar ist – fest steht, dass die Motivation und auch der Druck für Lehrende steigt, sich mit dem Thema Online-Lehre zu beschäftigen. Während einige Lehrende gut vorbereitet sind, da sie sowieso einen Teil ihrer Lehre online gestalten, fangen andere erst jetzt an und sind durch die Umstände gezwungen, schnell Inhalte umzuwandeln und zugänglich zu machen.
Klar ist, dass die aktuelle Situation ein Einstieg in das Thema Online-Lehre sein kann – aber auch nur der Einstieg. Es gilt eine Gratwanderung zwischen schneller Reaktion und Qualität zu meistern: Einerseits muss rasch gehandelt werden, andererseits darf das komplexe Thema nicht überstürzt angegangen werden.
Für Lehrende, die jetzt reagieren möchten oder müssen und sich bisher noch wenig mit dem Thema Online-Lehre beschäftigten, haben wir einige grundlegende Tipps zusammengestellt. Nicht nur weil die Auswirkungen der Pandemie wahrscheinlich noch einige Zeit anhalten werden, ist es wichtig, dass nach den ersten Gehversuchen in der Online-Lehre weitere Schritte folgen.
Tipp 1: Raus aus dem Einzelkämpfer*innen-Dasein
Zunächst gilt es, sich als Dozent*in klar zu machen, dass man nicht alleine ist. Auch wenn Lehre in der Hand der Lehrenden liegt und dies auch so bleiben wird, heißt das nicht, dass man keine Unterstützung annehmen kann. Das Angebot möglicher Hilfestellungen ist groß. In jeder Hochschule gibt es Lehr-Supportstrukturen, also Menschen, die sich tagtäglich mit der Unterstützung von Lehrenden beschäftigen – sei es in Medien- oder Hochschuldidaktik-Zentren, E-Learning-Teams oder auch in Bibliotheken. Auch neue Berufsfelder, wie z.B. Instructional Designer oder Digital Learning Designer, können ‘angezapft’ und um Hilfe gebeten werden. Aktuell wird natürlich in all diesen Stellen auf Hochtouren gearbeitet. Die verfügbaren Supportstrukturen reichen nicht immer aus. Hier muss man ggf. akzeptieren, dass man sich dieses Semester nur das Nötigste an Unterstützung holen kann und seine Veranstaltungen dann von Semester zu Semester gemeinsam verbessert.
Das Corona-Thema kann auch Anlass sein, um mit den Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen. In den meisten Fachbereichen oder Hochschulen gibt es eine Gruppe von ‘Vorreiter*innen’, die über einen großen Erfahrungsschatz verfügen und meist bereit sind, ihr Wissen zu teilen. Auch hochschulübergreifend kann das eigene Netzwerk genutzt werden. Vielleicht finden sich ja sogar Kolleg*innen, die bereit sind Veranstaltungen oder Elemente von Veranstaltungen (Stichwort: OERs, MOOCs) zusammenzulegen oder auch ihre Erfahrungen offen zu legen. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, sich für ein Team-Teaching-Modell zu öffnen, um sich gegenseitig bei den (ersten) Gehversuchen in der Online-Lehre zu unterstützen.
Mitwirkung kann man auch aus dem Teilnehmer*innenkreis selbst erwarten. Häufig gibt es unter den Studierenden technikaffine Menschen oder Studierende höherer Semester, die ins Boot geholt werden können. Zudem bietet Online-Lehre – genau wie die Präsenzlehre – Möglichkeiten für eine Art Rollentausch: Studierende können z.B. mit an Online-Formaten arbeiten, digitale Inhalte für jüngere Semester gestalten oder gemeinsam mit den Lehrenden digitale Lehr-Lern-Szenarien weiterentwickeln.
Nicht zuletzt kann man zurückgreifen auf einen mittlerweile immensen Angebotsmix im Internet, wie z.B. unserer Seite des Hochschulforum Digitalisierung, Angeboten wie e-teaching.org oder auch Blogs von Lehr-Lern-Zentren an Hochschulen. Konkret möchten wir hier auf unsere Sonderseite zum Corona-Thema verweisen und auf die Möglichkeiten der Vernetzung via unserer Austauschplattform Mattermost aufmerksam machen.
Tipp 2: Unsicherheiten akzeptieren und realistische Erwartungen an sich selbst setzen
Gerade wer sich bisher wenig mit Online-Lehre beschäftigt hat, empfindet den plötzlichen Zwang wie einen Sprung ins kalte Wasser. Der Switch von Präsenzlehre hin zur komplett digitalen Lehre ist häufig ein großer Eingriff in die bisherigen Praktiken – und wirft teils jahrelange Lehrerfahrungen über Bord. Hier gilt es, sich klarzumachen, dass Unsicherheiten völlig normal sind und Studierende dafür sicher Verständnis haben. Auch die Akzeptanz für die aktuell unübersichtliche und sich schnell wandelnde Lage ist bei Studierenden vorhanden. Wichtig ist dabei jedoch, dass man seine Überlegungen, Herausforderungen oder auch Unsicherheiten (z.B. sein Unbehagen gegenüber Elementen der Online-Lehre) transparent macht.
Für fundierte, gut durchdachte Online-Kurse braucht es Zeit. Und die gibt es gerade nicht. Die Erwartungshaltung muss also heruntergeschraubt und es muss anerkannt werden, dass die Ansätze teilweise nur auf der “So-gut-es-geht”-Ebene bleiben. Frustrationen – sowohl auf Seite der Lehrenden als auch unter den Studierenden – müssen von Vorneherein einkalkuliert werden. Das Stichwort lautet auch hierbei: Kommunikation; denn mangelhafte Kommunikation ist eine der größten Frustrationsfallen, aber auch eine, die relativ leicht verbessert werden kann.
Es gilt die Komplexität der Online-Lehre anzuerkennen und dies den Studierenden zu vermitteln. Man muss sich klarmachen: Eine unter derart außergewöhnlichen Bedingungen und mit Hochdruck installierte Online-Lehre kann gar nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen. Viel wichtiger ist es dann, sich die Learnings – evtl. sogar gemeinsam mit den Studierenden – zu notieren und es von Woche zu Woche und Semester zu Semester besser zu machen.
Eine große Veränderung von Lehrgewohnheiten bietet auch eine wertvolle Gelegenheit, sich mit der eigenen Rolle und Persönlichkeit als Lehrende*r auseinanderzusetzen und sich Fragen zu stellen, wie:
- Was sind meine Stärken?
- Was ist mir wichtig in der Lehre (z.B. Fokus auf Wissensvermittlung, Interaktion, Erfahrbarkeit, Soft Skills oder…)?
- Welche Persönlichkeitsanteile spielen in der eigenen Lehre eine Rolle (bin ich z.B. eher extrovertiert oder introvertiert)?
Wer sich solchen Fragen ehrlich stellt, kann darauf seine Lehre aufbauen – auch und gerade im Online-Bereich. Wer beispielsweise eher introvertiert ist, sollte möglicherweise eher Audio- oder Text- statt Videoformate bevorzugen. Wer wenig spontan ist, sollte sich auf asynchrone Lehrformate konzentrieren. Wem Interaktion unter den Studierenden am Herzen liegt, der sollte viel Raum für Gruppenarbeiten, Forendiskussionen oder Chats einplanen. Denn es entsteht eine viel größere Sicherheit, Authentizität und Verbindung zu den Studierenden, wenn der oder die Lehrende im Rahmen seiner oder ihrer eigenen Persönlichkeit agiert und sich nicht verstellt.
Tipp 3: Die Lerninhalte und Lernziele nach wie vor in den Vordergrund rücken
Es müssen nicht direkt alle bisherigen Lehr-Konzepte über Bord geworfen werden. Im ersten Schritt gilt es, zu überlegen, welche Lehr-Elemente niedrigschwellig online gespiegelt werden können. Hierzu könnten z.B. Inputs und Vorlesungsformate gehören, die entweder im Audio- oder Videoformat aufgenommen und online zur Verfügung gestellt werden. Selbstlernphasen können relativ einfach online angeleitet werden.
Es wird schnell klar, dass man die gewohnte Lehre nicht eins zu eins in den Online-Bereich übertragen kann und neue Konzepte her müssen. Als Lehrende*r sollte man sich hierbei nicht mit den didaktischen und technischen Anforderungen überladen, denn der Fokus sollte weiterhin auf der eigenen inhaltlichen Kompetenz liegen. Die Inhaltsfrage steht weiterhin vor dem Format. Hier gilt es anzusetzen und sich zu fragen: Was sind die wichtigsten Fertigkeiten, Kompetenzen und Wissenselemente, um die sich der Kurs drehen soll?
Hilfreiche Fragen sind dabei auch: Was habe ich in der Präsenzlehre warum gemacht? Welche Ziele hatte ich mit welchen Lehr-Elementen? Es gilt, sich diese Ziele klar zu machen, immer wieder in den Blick zu nehmen und diese transparent zu machen. Damit hat man eine gute Grundlage für die Online-Lehre und dann kann die aktuelle Situation auch eine Chance sein, um sich seine Lerninhalte und Lernziele bewusst zu machen und diese möglicherweise zu überdenken.
Tipp 4: Sich in die Studierenden hinein versetzen und einen starken Fokus auf Kommunikation legen
Für die Online-Lehre gilt generell stärker als in der Präsenzlehre, dass Studierende häufig isoliert vor ihrem Rechner sitzen und deutlich weniger sozial interagieren, als in einem Hörsaal oder Seminarraum. Insbesondere in Corona-Zeiten verstärkt sich diese Situation und hinzu kommt, dass die Lage der Studierenden möglicherweise auch durch Unsicherheiten oder Isolation durch Quarantäne geprägt ist. Zwei Dinge müssen daher in den Vordergrund gestellt werden:
(1) Die Zusammenarbeit der Studierenden sollte gestärkt werden
Um Online-Kommunikation der Studierenden untereinander zu initiieren hilft es, mit einfachen Dingen zu starten. Dies können beispielsweise Forendiskussionen im Lernmanagement-System sein, die man verpflichtend machen kann, oder auch der gezielte und moderierte Aufbau von Chat-Gruppen. Gleichzeitig sollte man die eigenen Kommunikationswege der Studierenden akzeptieren und ggf. aktiv einplanen (z.B. WhatsApp-Gruppen). Sofern man mit Video-Konferenzsystemen, wie z.B. Adobe Connect, arbeitet, kann man gezielt auch einen parallelen “Raum” für Studierende (mit Moderationsrechten) einrichten. Eine weitere Möglichkeit ist es, Tandems oder Kleingruppen unter den Studierenden zu bilden und hier den intensiven Austausch untereinander zu forcieren.
(2) Als Lehrende*r muss man viel Raum für klare Kommunikation, Feedback und eine verstärkte Erreichbarkeit einplanen
Um Studierenden etwas mehr Sicherheit zu vermitteln und Commitment zu fördern, ist eine klare Kommunikation und regelmäßige Erreichbarkeit sinnvoll. Vielleicht hat man ja sogar die Möglichkeit dafür Tutor*innen oder Studierende aus höheren Semestern einzusetzen.
Gerade zu Beginn sollte auch Wert auf organisatorische Fragen gelegt werden: Sind alle Anweisungen und Materialien auffindbar? Sind die Aufgaben gut beschrieben und gut zugänglich? Gibt es Fristen, die an zentraler Stelle stehen müssen? Wie gebe ich Feedback? Es sollte so klar wie möglich und ggf. an mehreren Orten erklärt werden, was die Teilnehmer*innen in den nächsten Wochen von dem Kurs erwarten können und wie genau die Lernziele aussehen. Die Studierenden sind außerdem dankbar, wenn erläutert wird, wofür sie selbst verantwortlich sind, welche Prioritäten es gibt und welche Möglichkeiten, mit den Lehrenden in Kontakt zu treten (Chat, Messaging-App, E-Mail, Videoanruf, Telefonsprechzeiten, offene Telefonkonferenz-Zeiten…).
Die Kommunikationswege müssen in beide Richtungen sichergestellt werden. Lehrende und Studierende sollten sich gegenseitig regelmäßig Feedback geben – dies gilt in der Online-Lehre stärker als in der Präsenzlehre und sowohl für organisatorische als auch inhaltliche Themen. Eine Sicherstellung, dass alle Teilnehmer*innen im gleichen Boot sitzen, wirkt gruppendynamisch enorm und hilft vor allem auch benachteiligten Studierenden oder Teilnehmenden, die technische Hürden überwinden müssen. Die Kommunikationskanäle sollten zudem vielseitig sein, denn Video- oder Audio-Kommunikation fördert z.B. stärker das Commitment als reine Text-Kommunikation. Aber auch gut moderierte Chats, bei Bedarf mit Untergruppen, können funktionieren.
Bei der Planung eines Kurses sollte, wie in der klassischen Präsenz-Hochschullehre, den Selbstlernphasen viel Raum gegeben werden. In solchen Phasen steht das Wiederholen, Reflektieren oder auch das reine Aneignen von Inhalten im Vordergrund. Die selbstorganisierten Lernphasen müssen online in der Regel allerdings intensiver begleitet werden.
Tipp 5: Niedrigschwellige Tools nutzen für schnellere Erfolgserlebnisse
Statt komplexen, neuen, innovativen Tools sollte man für den schnellen Start besser Tools wählen, die schon im eigenen Fachbereich genutzt werden oder von vielen anderen Kolleg*innen, z.B. die Angebote des Deutschen Forschungsnetzes (DFN), die an (fast) jeder deutschen Hochschule nutzbar sind. Hier sind insbesondere Adobe Connect und Pexip zu nennen, die auch für Sprechstunden genutzt werden können. In unserer Toolsammlung kann man sich aber auch für weitere digitale Hilfsmittel inspirieren lassen.
Niedrigschwellig sind meist auch die grundlegenden, asynchronen Möglichkeiten in den jeweiligen Lernmanagement-Systemen. So hilft es beispielsweise Foren als gemeinsame Kommunikationskanäle (sowohl für inhaltliche als auch organisatorische Fragen) zu etablieren, auch damit nicht alle Anfragen von Studierenden einzeln beantwortet werden müssen. Asynchrone Prüfungsformate können z.B. E-Portfolios sein, die in jedem Lernmanagement-System Standard sind.
Gerade diese Asynchronität entlastet Lehrende und Studierende von dem Gefühl, dass online jetzt imitiert werden müsste, was sonst vor Ort in der Hochschule passiert. Tatsächlich bietet gerade die fallweise Auswahl von synchronen und asynchronen Kommunikationskanälen den größten Mehrwert. Eine Face-to-Face-Interaktion lässt sich selbst mit den besten Tools nicht 1:1 ersetzen. Inhaltliche Lernziele lassen sich aber sehr wohl auch anders erreichen, als durch die Emulation der analogen Lehr-Lernsituation. Probieren Sie es aus!