Abschlussbericht der MIT Open Education Policy Initiative – Bessere Bildung durch Digitalisierung?
Abschlussbericht der MIT Open Education Policy Initiative – Bessere Bildung durch Digitalisierung?
13.04.16Nicht nur im Hochschulforum Digitalisierung, auch in vielen anderen Institutionen weltweit wird diskutiert, welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Zukunft der Bildung haben wird. Das Online Education Policy Institute (OEPI) des MIT hat sich zwei Jahre lang mit dieser Frage beschäftigt und die Ergebnisse dieses Prozesses in einem Abschlussbericht veröffentlicht. Obwohl sich das OEPI mit der Situation in den USA beschäftigt hat, hält der Bericht viele Interessante Erkenntnisse bereit, die auch für die Diskussion in Deutschland relevant sind und hier zusammenfassend wiedergegeben werden sollen.
Die Potentiale der Digitalisierung sind für die Autoren vielfältig: Das Eingehen auf individuelle Lernbedürfnisse, die Möglichkeit zur geographisch unabhängigen Kollaboration, Blended Learning und Learning Analytics könnten die Wissensvermittlung in vielen Bereichen verbessern. Wie die Potentiale neuer Technologien am Besten genutzt werden können sei aber teils ungewiss und eine der drängendsten Fragen für die Bildungsforschung. Die Digitalisierung stelle dabei allerdings auch neue Ansprüche an die Bildungforschung selbst.
Bildungsforschung als transdisziplinäres Forschungsfeld
Die Autoren stellen fest, dass sich die Bildungsforschung lange Zeit darauf konzentriert habe, wie die direkte Wissensvermittlung in Klassenzimmern und Vorlesungssälen verbessert werden kann. In den letzten Jahren habe sich allerdings die Erkenntnis durchgesetzt, dass erfolgreiche Bildungskonzepte heute auch Faktoren einbeziehen müssen, die über dieses Verständnis hinausgehen. Neue Forschungsergebnisse in der Psychologie und in den Neurowissenschaften hätten dabei geholfen zu verstehen, wie Menschen wirklich lernen. Dabei würde zunehmend klar, dass Inhalte und Materialien zwar eine wichtige Grundlage liefern, es für ein tiefgreifendes Verständnis aber viel mehr braucht. Inzwischen herrsche auch weitgehend Konsens darüber, dass Bildung nur zum Teil in traditionellen Institutionen stattfindet, während die Bildung und die Fähigkeiten die auf alternativen Wegen oder im informellen Bereich erlangt wird noch mehr an Bedeutung zunimmt. Die Digitalisierung biete hier das Potential, diese Prozesse durch neue Formen der Wissensvermittlung zu unterstützen und zu befördern.
Die Frage wie die Bildung in Zukunft aussehen wird berühre dabei Fragen, die weit über die technische und organisatorische Aspekte hinausgehen. Wie das Bildungssystem aufgebaut ist habe einen fundamentalen Einfluss auf die Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft. Die Digitalisierung biete zwar die Chance den Zugang zu höherer Bildung zu erleichtern, um dieses Potential wirklich zu nutzen, müssten die sozialen Effekte der technologischen Veränderung allerdings immer mitgedacht werden. Dazu solle die Rolle der Sozialwissenschaften in der Bildungsforschung gestärkt werden. Die Autoren bemerken, dass die Bildungsforschung oft nur einen geringen Einfluss auf die Realität der Lehre in den Bildungseinrichtungen habe. Die Digitalisierung biete hier die Chance auf vergleichbar einfachem Wege neue Bildungskonzepte zu implementieren und zu evaluieren.
Handlungsempfehlungen: Raus aus dem Elfenbeinturm – rein in die Praxis
Die OEPI spricht vier zentrale Empfehlungen aus:
Empfehlung 1: Verbesserte Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Bildungsforschung
Die Online Education Policy Initiative konstatiert, dass Bildungswissenschaftler ihre disziplinären Silos auch heute noch nur selten verlassen würden, um die einzelnen Fäden zusammenführen und integrierte Konzepte für die Zukunft der Bildung zu entwickeln. Nicht nur fachlich, auch gesellschaftlich würde eine gemeinschaftliche Anstrengung nötig sein um die Potentiale der Digitalisierung zu realisieren. Bildungsforscher sollten ihre Arbeit – wenn möglich – in konkrete Handlungsempfehlungen übersetzen; die Politik sei gefordert ein regulatorisches Umfeld schaffen, das Raum für die Erprobung neuer Konzepte lässt; Stiftungen sollten neue, experimentelle Bildungskonzepte fördern; andere zivilgesellschaftliche Organisationen mit unterschiedlichem Organisationsgrad müssten an der Diskussion beteiligt werden um Forschungsergebnisse und Reformprozesse kritisch zu diskutieren und zu legitimieren.
Empfehlung 2: Die Nutzung von digitalen Elementen in der Lehre fördern
Die Ergebnisse der Bildungsforschung in der Praxis umzusetzen stelle die Lehrenden häufig vor große Herausforderungen. Obwohl die Autoren des Berichtes interdisziplinäre Forschung als besonders wichtig ansehen, erkennen sie auch an, dass insbesondere diese Ergebnisse in der Praxis nur schwer umzusetzen sind, da sie teilweise ein grundlegendes Umdenken in der Lehre erfordern. Dies liege zum einen an starren gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen, zum anderen auch an den individuellen Lehransätzen. Die Autoren sehen also die Schaffung von einem rechtlichen Umfeld, dass an die Anforderungen der modernen Online-Lehre angepasst ist und die Unterstützung der Lehrenden bei der Auswahl und der Nutzung der geeigneten digitalen Tools als wichtige Grundlagen für eine erfolgreiche digitale Lehre.
Empfehlung 3: Unterstützung von „Learning Engineers“, die Lehrende dabei unterstützen, digitale Bildungsangebote zu entwickeln
Da E-Learning ganz neue Ansprüche an die Lehrenden stellt, plädieren die Autoren dafür, das Berufsfeld des „Learning Engineers“ zu unterstützen. Auf der Grundlage solider Kenntnisse im Bereich der Bildungstechnologien sollen Learning Engineers Lehrende ermutigen und dabei unterstützen integrierte, digitale Lernkonzepte zu entwickeln und als Brückenbauer zwischen den relevanten Akteuren dienen.
Empfehlung 4: Vernetzung der relevanten Akteure um die Organisationsentwicklung zu fördern
Die Autoren beschreiben Hochschulen als komplexe Institutionen, die auf einem System von relativ starren, ineinandergreifenden technischen, ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren beruhen. Dieses System stelle eine Hürde dar, welche die Einführung von digitalen Lehrmethoden erschwere. Um bestehende Strukturen zu verändern, sollten sich Akteure in Thinking Communities zusammenschließen, die gemeinsam daran arbeiten, die Hürden in den einzelnen Bereichen zu überwinden. Innerhalb der Institutionen werden Change Agents benötigt, die sich um das konkrete Design, die Entwicklung und die Implementierung von digitalen Lernangeboten an den einzelnen Bildungseinrichtungen kümmern und es schaffen andere Akteure in dem Prozess mitzunehmen. Die Change Agents würden allerdings als Einzelkämpfer keinen Erfolg haben, sondern benötigen Gleichgesinnte in verschiedenen Bereichen und Hierachiestufen der Hochschulen.
Fazit: Technik für Menschen – nicht andersherum
Was in dem Report einmal mehr klar wird, ist dass die Digitalisierung ein komplexes und vielschichtiges Thema ist, das fundamentale Fragen über die Zukunft des gesamten Bildungssystems aufwirft. Und: Die Diskussion über technische Innovationen allein greift zu kurz. Die Grundlage für eine erfolgreiche Lehre werden auch weiterhin engagierte Lehrende sein, die dabei unterstützt werden müssen die Potentiale der Digitalisierung für die eigene Lehre optimal zu nutzen und zu adaptieren.