Von “Think Tank Cities” bis “Managing the Arts” — Reflexion über drei Jahre MOOC-Erfahrungen an der Leuphana Universität

Von “Think Tank Cities” bis “Managing the Arts” — Reflexion über drei Jahre MOOC-Erfahrungen an der Leuphana Universität

08.09.15

Vor allem wissenschaftliche Neugier stand im Herbstsemester 2012 Pate für den MOOC-Piloten an der Leuphana Universität: Kann im ländlichen Norddeutschland funktionieren, was von kanadischen Bildungsforschern erprobt und von einer kalifornischen Prestigeuniversität eben erst salonfähig gemacht worden war? Wird es genügend Interessenten geben für unseren interdisziplinären Onlinekurs zum Thema Stadtentwicklung? Oder registrieren sich womöglich sogar mehr Teilnehmer für den von Daniel Libeskind moderierten MOOC Think Tank Cities, als unsere hauseigene Lernplattform verkraften und unser Mentorenteam betreuen kann? Erste Erkenntnis, noch bevor es losging: Digitale Lehrveranstaltungen ohne Zugangs- oder Zulassungsvoraussetzungen weltweit anzubieten erfordert Experimentierfreude und Improvisationsvermögen.

Natürlich lief dann nicht alles glatt in den nächsten Monaten – unübersehbar jedoch war der Mehrwert dieses innovativen Kursformats: Zwölf Wochen lang gestalteten 3.000 Studierende aus über 100 Ländern in Arbeitsgruppen à fünf – mit spürbarem Enthusiasmus ein intensives akademisches Lernerlebnis. Beeindruckend sind natürlich zuerst diese Größenordnungen: 380 Teilnehmer qualifizierten sich erfolgreich für ein Abschlusszertifikat mit ECTS-äquivalenten Credits. Tatsächlich umwerfend waren aber die Inhalte: Die Qualität der studentischen Abschlusspräsentationen und die Vielfalt der Ideen für nachhaltige Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert entstanden unabhängig von Leistungskontrollen und Notendruck. Das Engagement speiste sich aus Begeisterung und Ernsthaftigkeit, Leidenschaft und Kooperation.

Zweite Erkenntnis: So viel Freude kann universitäres Lernen machen, lässt man Forscher, Fachexperten und Studierende (im weitesten Sinne) einen interdisziplinären Themenkomplex praxisnah bearbeiten. Nicht um richtige oder falsche Antworten in einem Multiple-Choice Examen wird dann gerungen, sondern um das Entwickeln kohärenter Positionen und das Erarbeiten kreativer Lösungen. Hohe Transparenz, konstruktives Peer-Feedback und individuelles Mentoring sind dafür die Erfolgsfaktoren. Ausschlaggebend für die konsequente Unterstützung top-down war neben dem Interesse der Dozierenden vor allem die bottom-up Nachfrage der Präsenzstudierenden auf dem Campus nach solchen digitalen Kursangeboten. Innerhalb von MOOC partizipieren sie an einer internationalen Lerngemeinschaft mit höherer Diversität als deutsche Universitäten sie in der Regel bieten können – virtuell zwar, doch deshalb nicht weniger aktiv.

Dritte Erkenntnis: Offene Online-Kurse, neben MOOC beispielsweise auch das Format Global Classroom, fördern durch problemgetriebene Aufgabenstellungen die “virtuelle Mobilität” von Studierenden über methodische, sprachliche, kulturelle, weltanschauliche und generationale Grenzen hinweg. Damit erhöhen sie – vor allem für eine kleine Universitäten jenseits der Metropolen – nicht nur die Internationalisierung auf dem Campus, sondern kostengünstig und authentisch gleichzeitig auch die weltweite Sichtbarkeit von Lehrangebot und Studienprogrammen. Offene Onlinekurse sind ja keine Einbahnstraße: Durch digitale Fernlehre gelangt nicht nur die Lehre vom Hörsaal in die Welt hinaus; es gelangt auch die Welt ganz unmittelbar in den Hörsaal hinein.

Aus diesem ersten Experiment erwuchs in den vergangenen drei Jahren an der Leuphana ein eigenes Gefäß, die Digital School. Dort sind zielgruppen- und fakultätsübergreifend alle digitalen Lehraktivitäten der Universität gebündelt, um wissenschaftliche Begleitforschung und strategische Entwicklung gezielt voranzutreiben. Interne Lehrkräfte und externe Kooperationspartner können hier auf ein modulares Dienstleistungs- und Kompetenzportfolio aus einer Hand zugreifen, angefangen von der Beratung für Kurscurriculum und Medienproduktion bis hin zu Plattformkonfigurationen und Ergebnisauswertung. 

Exemplarisch für diese strategische Entwicklung steht unser jüngstes MOOC-Experiment: Managing the Arts, ein Angebot zur Weiterbildung für Kulturmanager weltweit, entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Vier Videofallstudien aus Berlin, Budapest, Lagos und Bangkok ermöglichten 17.000 MOOC-Teilnehmern im Sommer 2015 die Auseinandersetzung mit dem komplexen Berufsalltag und strategischen Dilemmata in einem authentischen Kulturbetrieb. Das eigens für dem Kurs produzierte Videomaterial kann jedoch auch einzeln und gänzlich unabhängig vom MOOC-Format eingesetzt werden: in der Präsenzlehre, in Weiterbildungsseminaren, oder für das Selbststudium. Denn geerdet war unsere Neugier während der dreijährigen MOOC-Erprobungsphase stets durch eine gehörige Portion Trendskepsis.

Auf lange Sicht muss Digitalisierung in der Lehre von den zu vermittelnden Inhalten ausgehen und sich an den zu erwerbenden Kompetenzen ausrichten. Das Experimentieren mit  digitaler Pädagogik in MOOC und anderswo ist kein Selbstzweck, sondern muss sich resultatorientiert messen lassen an konkret definierten Lernzielen. Dabei leitet uns eine einfache Frage: Wo können wir Digitalisierung in der Lehre sinnvoll einsetzen – nicht alternativ sondern ergänzend zu Präsenzlehre? Digitale Didaktik – ob in MOOC oder anderen Online-Formaten – kann echte Lernfortschritte generieren, vermag systemische Defizite der Präsenzlehre auszugleichen, und steigert für individuelle Lerner Motivation, Partizipation und langfristiges Einprägen. Mit dieser pragmatischen Grundhaltung haben wir wenig ergiebige Grabenkämpfe zwischen Pionieren und Skeptikern bislang ebenso vermeiden können wie die Abhängigkeit von technologischen Eintagsfliegen. 

 

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