Erfahrungen und Einsichten zum Aufbau einer IT-Infrastruktur für das Lernen und Lehren in der Universitätsallianz „Unite!“

Erfahrungen und Einsichten zum Aufbau einer IT-Infrastruktur für das Lernen und Lehren in der Universitätsallianz „Unite!“

18.11.24

Die Universitätsallianz Unite! fördert seit 2019 die Mobilität der Studierenden durch die Entwicklung verschiedener IT-Plattformen. Eine umfassende Bestandsaufnahme von Martin Ebner und Sandra Schön (beide TU Graz) bietet spannende Einblicke in die aktuellen Herausforderungen zum Aufbau einer gemeinsamen IT-Infrastruktur für das Lernen und Lehren – und nennt dabei auch fallübergreifende Einsichten und Lösungen.

Zur Universitätsallianz Unite! und dem Arbeitspaket „Digitaler Campus“

Mehr als 60 Universitätsallianzen existieren derzeit in der Europäischen Union, und ihnen allen ist das Ziel gemein, die Mobilität der Studierenden zu fördern sowie gemeinsame Lehr- und Forschungsaktivitäten zu intensivieren. Eine dieser Allianzen ist Unite!, welcher folgende Hochschulen angehören: die Technische Universität Darmstadt (Deutschland, Leitung), die Aalto-Universität (Finnland), das KTH Royal Institute of Technology (Schweden), das Politecnico di Torino (Italien), die Universidade de Lisboa (Portugal), die Universitat Politècnica de Catalunya (Spanien), das Grenoble INP – Institut Polytechnique de Grenoble (Frankreich), die Technische Universität Graz (Österreich) und die Politechnika Wrocławska (Polen).

Die Technische Universität Graz (TU Graz) hat im November 2022 die Leitung des Arbeitspakets „Digitaler Campus“ im Rahmen der zweiten Erasmus+-Förderung für Allianzen (11/22–10/26) übernommen. In diesem Zusammenhang möchten wir über die bisherigen Entwicklungen, Ergebnisse und Erfahrungen berichten.

Die Unite!-Allianz wurde 2019 mit sieben Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen. Bereits in der ersten Erasmus+-Förderperiode wurden wesentliche IT-Plattformen geschaffen und in Betrieb genommen, darunter ein Cloudsystem für den internen Datenaustausch, eine Website sowie eine Basis-Installation des Lernmanagementsystems Moodle. Seit Anfang 2023 haben alle Angehörigen der neun Partneruniversitäten dank EduGAIN ohne zusätzliche Registrierung Zugang zu den gemeinsamen Kursangeboten über das „föderierte“ Lernmanagementsystem Moodle mit dem Namen „Metacampus“.

Wie erhält man einen Überblick über die IT-Infrastruktur zum Lernen und Lehren innerhalb einer Allianz?

Im Arbeitsplan war vorgesehen, angesichts auch der beiden neuen Partner, eine umfassende Bestandsaufnahme der IT-Infrastruktur durchzuführen. Im Rahmen einer Anforderungsanalyse sollten die vorhandenen IT-Infrastrukturen für das Lernen und Lehren der Allianz und aller Partner detailliert dargestellt werden, einschließlich des Fortschritts bei der Implementierung der European Student Card.

Für diese Analyse waren 15 Monate angesetzt, in denen verschiedene Methoden und Vorgehensweisen kombiniert wurden. Ein entscheidender Punkt war dabei, Visualisierungen und detaillierte Beschreibungen von allen Partnern zu erhalten, um bei zukünftigen Entwicklungen schnell Rückschlüsse auf Besonderheiten der einzelnen Partner oder mögliche Problemfelder bzw. zusätzliche Herausforderungen ziehen zu können. Dies erwies sich als besonders wichtig, da es praktisch keine Hochschule gibt, an der eine einzige Person umfassend Auskunft über die gesamte IT-Infrastruktur geben kann. Für viele der Partner war dieses Vorhaben auch ein erster Versuch, die eigene Infrastruktur systematisch zu dokumentieren.

Abbildung 1: Cover des Reports - Ebner, M. et al. (2024): Aligning IT infrastructures for digital learning amongst the European university alliance Unite! - The Unite! digital campus framework and requirements (1.0). Unite! Community 2 Digital Campus, Graz University of Technology. https://doi.org/10.3217/36yen-0wy21

Die Anforderungsanalyse wurde im Januar 2024 veröffentlicht (siehe Abbildung 1). Wir stützten uns dabei teilweise auf bereits vorhandene Veröffentlichungen zu den IT-Infrastrukturen anderer Allianzen, die uns als hilfreich erschienen (z.B. Lagoudakis et al., 2023), und hoffen, dass unsere Arbeit ebenfalls nützlich sein wird – etwa für Beiträge wie den von Berger, Galati & Witteler (2023).

Wie wir methodisch zu den vereinheitlichten visuellen Darstellungen gelangt sind, wurde auf der EUNIS-Tagung 2024 vorgestellt (Ebner et al., 2024b). Der Prozess beinhaltete Interviews mit allen Partneruniversitäten, gefolgt von der Vorstellung und Diskussion erster Entwürfe in mehreren Iterationen. In diesen Durchgängen wurden Rückmeldungen eingearbeitet, bis eine Darstellungsweise gefunden wurde, die für alle Partneruniversitäten passend war.

Eine besondere Herausforderung bestand darin, dass es keine vordefinierten Fragestellungen für die Darstellungen gab (z.B. „Welcher Partner verfügt über ein OER-Repository?“ oder „Wie erfolgt die Authentifizierung?“). Stattdessen mussten wir eine generische und zugleich flexible Darstellung entwickeln, die den vielfältigen IT-Infrastrukturen und potenzielle Nutzung der Darstellungen gerecht wird.

Im Folgenden wird die IT-Infrastruktur für das Lernen und Lehren an der TU Graz vorgestellt. Im vollständigen Bericht finden sich entsprechende Beschreibungen der Systeme sowie eine Sichtweise der Studierenden auf die Systeme für jede Partnerhochschule (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Die digitale Infrastruktur für das Lernen und Lehren der TU Graz auf einem Blick. Anmerkung: Turm-Symbol kennzeichnet Angebote, die selbst gehostet werden, das Symbol “€” steht für Angebote die “non-premise” und kostenpflichtig betrieben werden. Quelle: Ebner et al., 2024a, Abbildung 17, S. 73.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der IT-Infrastruktur für das Lernen und Lehren

Obwohl der Weg zu diesen Übersichten und Beschreibungen aufwändig war, wird er als erfolgreich bewertet: Viele Partnerhochschulen haben zum ersten Mal als hilfreich wahrgenommene detaillierte Beschreibungen ihrer IT-Infrastruktur angefertigt, wobei mehrere Personen und Arbeitsgruppen eingebunden werden mussten. Und der Austausch über die Darstellungen und die gemeinsame Diskussion haben dazu beigetragen, ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, wo tatsächlich Gemeinsamkeiten und Besonderheiten liegen: Es wurde so deutlich, dass es Partnerhochschulen gibt, die keine zentrale IT-Infrastruktur für das Lernen und Lehren haben, während andere eine klare Open-Source-Ausrichtung verfolgen. Einige Partner befinden sich in Ländern mit nationalen Studierendenverzeichnissen, während andere Institutionen bevorzugt Software und Services nach Bedarf extern einkaufen, anstatt alles selbst zu hosten. Zwar wurden nicht immer alle Details vollständig erfasst, aber es ist nun wesentlich einfacher, auch tabellarische Übersichten zu erstellen, wie etwa eine Übersicht zu den in der Allianz verwendeten Lernmanagementsystemen (siehe Tabelle 1).

Main LMS Open-Source Secondary LMS LTI interface MOOC platform EduGAIN
TU Graz Moodle YES YES Moodle YES
ULisboa Fenix Platform YES Moodle,
Open edX
NO
(Moodle: YES)
Open edX YES
UPC Moodle YES YES YES
PoliTO DIDATTICA YES Moodle YES Open edX YES
UGA-INP Moodle YES Chamilo YES YES
TUDa Moodle YES YES YES
Wroclaw Tech Moodle YES YES YES
KTH Canvas NO YES Open edX YES
Aalto Moodle YES YES Moodle YES

Tabelle 1: Lernmanagementsysteme im Einsatz bei den Universitätspartnern der Hochschulallianz „Unite!“. Quelle: Ebner et al., 2024, Tabelle 16, S. 100.

Veränderungen und die Einführung einer technischen Kommission

2023 hat auch noch eine weitere Plattform Einzug in die Darstellung der Allianz-eigenen Plattformen eingezogen: Der Allianz Unite! wurde eine weitere Plattform (genannt Agora, aufbauend auf dem Business-Management-System Odoo) zur Nutzung angeboten, da einige der Partnerhochschulen im EU-Projekt aUPaEU Projektpartner sind. Die Möglichkeiten des Werkzeugs werden derzeit vorrangig als Contentmanagementsystem eingesetzt. 

Um diese und weitere Anforderungen und Entwicklungen im Blick und Entscheidungsraum aller Partner zu halten, wurden Mitte 2023 ein Prozess und eine sog. „Technische Kommission“ eingeführt. Inzwischen werden alle Anfragen zentral aufgenommen, bei allen jenen Fragen, die nicht durch den Support direkt gelöst werden können bzw. einen technischen größeren Eingriff benötigen, werden diese Frage durch ein eigens geschaffenes Gremium, der sog. „Technischen Kommission“, diskutiert und gemeinschaftlich konsensual entschieden. Als Entscheidungsspielraum sieht das Gremium mit Vertretern aller Partnerhochschulen v.a. die technische (und finanzielle) Machbarkeit und reicht Entscheidungen, die auch weitere Auswirkungen haben, an das Allianzmanagement weiter. Eine solche Anfrage ist beispielsweise die Zulassung von externen Benutzer:innen im föderierten Lernmanagementsystem.

Anforderungen aus Perspektive des Arbeitspakets “Digital Campus”

Das Ziel des hier vorgestellten Reports war es, Anforderungen („Requirements“) zu formulieren, um die weitere Arbeit der Gruppe zu strukturieren und zu unterstützen. Dabei stellte sich heraus, dass es sich im Wesentlichen um typische IT-Anforderungen handelt, die definiert wurden (Ebner et al., S. 109 ff):

  • Interoperabilität zwischen den digitalen Infrastrukturen der Hochschulpartner und europäischen Standards: Es geht hier nicht nur um technische Standards. Die Praxis zeigt, dass das Verständnis und die Nutzung in fast allen Aspekten zwischen den Partnerhochschulen variieren.
  • Umsetzung von Entscheidungen zur IT-Infrastruktur: Es müssen Prozesse und Strukturen geschaffen werden, die Entscheidungen erleichtern. Ein Beispiel hierfür ist die Technische Kommission, aber auch die Prozesse für strategische Entscheidungen, die technische Fragestellungen betreffen.
  • Strategische Unterstützung für die effektive Nutzung bestehender IT-Systeme, insbesondere des Metacampus: Es bedarf zusätzlicher Anreize für Lehrende, ihre Angebote über Unite! zur Verfügung zu stellen und den Metacampus aktiv zu nutzen.
  • Klärung zukünftiger (Lern-)Szenarien, Mobilität und anderer Themen für die IT-Infrastrukturentwicklung: Die Allianz steht vor der Herausforderung, aus einer Vielzahl von Möglichkeiten und Szenarien Prioritäten zu setzen.
  • Budgetüberlegungen für die Entwicklung und Wartung föderierter Systeme: Es ist eigentlich unvorstellbar, dass eine so komplexe IT-Infrastruktur wie eine föderiert betriebene IT auf Projektförderungen oder In-kind-Leistungen angewiesen ist. Dies stellt eine große Herausforderung dar, neben den eigentlichen Aufgaben der Beteiligten.

Diese Anforderungen bieten eine Grundlage, um die Arbeit der Gruppe zielgerichtet fortzusetzen und die technologische Infrastruktur der Allianz nachhaltig zu gestalten.

Weiterentwicklungen: Pilotierung von LTI, Implementierung der European Student Card und Support

Durch die Nutzung von EduGAIN ist der Zugang zum föderierten Lernmanagementsystem für Angehörige der Unite!-Allianz denkbar einfach, da sie lediglich ihre bestehenden Anmeldedaten verwenden müssen. Für Lernangebote, die ausschließlich an Unite!-Angehörige gerichtet sind, sollte der Metacampus daher die bevorzugte Wahl sein, zumal auch die Vergabe von Open Badges unterstützt wird. Allerdings zeigt sich, dass viele Lehrende, die ihre Kursmaterialien bereits auf eigenen Systemen verwalten, ungern auf ein anderes System wechseln. Eine doppelte Speicherung der Materialien (Kopien) stellt ebenfalls keine praktikable Lösung dar.

Seit 2024 wird in Pilotprojekten die Verknüpfung von Lernmanagementsystemen mithilfe von LTI (Learning Tools Interoperability) erprobt. Erste Erfahrungen aus Unite!-Lehrveranstaltungen waren dabei durchweg positiv (Schön et al., 2024b). LTI-Verbindungen können dabei in beide Richtungen funktionieren, sodass der Metacampus sowohl als Tool Provider als auch als Tool Consumer agieren kann.

Die Partnerhochschulen nutzen zudem ihre bisherigen Erfahrungen, um die European Student Card zu implementieren. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Supportstrukturen für die Nutzung des Metacampus nicht nur zentral zu organisieren, sondern diese auch mit den Hochschulpartnern weiterzuentwickeln (Schön et al., 2024).

Empfehlung: Keine voreiligen Annahmen treffen – systematisch Unterschiede und Gemeinsamkeiten erarbeiten

An den Dingen, die wir in Unite! arbeiten, sitzen auch Kolleginnen und Kollegen in mehr als 60 weiteren Universitätsallianzen. Und gerne wüssten wir, wie es ihnen so geht und hätten auch Zeit und Muße für den Austausch!  Eine Erkenntnis, die wir in den letzten zwei Jahren gewonnen haben: Bei allen Fragestellungen müssen wir mittlerweile stets davon ausgehen, dass trotz vermeintlicher Standards oder europäischer Vorgaben (wie z. B. beim Datenschutz) jede Partnerhochschule eigene Interpretationen und Umsetzungen hat – und das betrifft nicht nur technischen Fragen. Daher haben wir uns angewöhnt, zunächst systematisch Bestandsaufnahmen zu machen: Wie handhabt jede Hochschule das? (Und oft beginnt es damit: Was genau meint ihr damit?) Auch wenn dieser Prozess manchmal mühsam ist: Er hält so manche Überraschung – und Erkenntnisse über die eigenen Besonderheiten bereit.

Referenzen

  • Berger, F., Galati, N., & Witteler, S. (2023). Making interoperability work: Challenges and solutions for an interoperable higher education system. Hochschulforum Digitalisierung, Report No. 72, September 2023. https://hochschulforumdigitalisierung.de/sites/default/files/dateienHFD_report_no.72_Making_interoperability_work.pdf
  • Ebner, M., Schön, S., Alcober, J., Bertonasco, R., Bonani, F., Cruz, L., Espadas, C., Filgueira Xavier, V., Franco, M., Gasplmayr, K., Giralt, J., Hoppe, C., Koschutnig-Ebner, M., Langevin, E., Laurent, R., Leitner, P., Martikainen, J., Matias, J., Muchitsch, M., Oller, M., Pereira, A. B., Petersson, J., Santiano, G., Schmidt, A., da Silva, F. M., Steitz, K., Taraghi, B., Torchiano, M., Villas, S., & Würz, A. (2024a). Aligning IT infrastructures for digital learning amongst the European university alliance Unite! – The Unite! digital campus framework and requirements (1.0). Unite! Community 2 Digital Campus, Graz University of Technology. https://doi.org/10.3217/36yen-0wy21
  • Ebner, M., Schön, S., Alcober, J., Bertonasco, R., Gasplmayr, K., Herczak-Ciara, A., Hoppe, C., Langevin, E., Laurent, R., Leitner, P., Martikainen, J., Petersson, J., Reignier-Tayar, N., da Silva, F. M., Steitz, K., Taraghi, B., & Würz, A. (2024b). Examining IT infrastructures for learning and teaching in the European university alliance Unite! EUNIS Proceedings 2024. In print.
  • Lagoudakis, M. G., Gkizeli, M., Fotiou, A., Fragkedaki, D., & Kollnig, S. (2022). Teaching and research in the digital world. BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte, 167(10), 489–494.
  • Schön, S., Ebner, M., Edelsbrunner, S., Gasplmayr, K., Hohla-Sejkora, K., Leitner, P., & Taraghi, B. (2024a). Federated virtual learning management in a European university alliance: General challenges and first experiences using LTI to connect LMS in Unite!. In T. Bastiaens (Ed.), Proceedings of EdMedia + Innovate Learning (pp. 132–145). Association for the Advancement of Computing in Education (AACE). https://www.learntechlib.org/primary/p/224514/
  • Schön, S., Gasplmayr, K., Ebner, M., Alcober, J., Hoppe, C., Koschutnig-Ebner, M., da Silva, F. M., & Taraghi, B. (2024b). The development of “teaching management patterns” from the perspective of IT infrastructure as a tool for consulting and further development in a European university alliance. In T. Bastiaens (Ed.), Proceedings of EdMedia + Innovate Learning (pp. 146–155). Association for the Advancement of Computing in Education (AACE). https://www.learntechlib.org/primary/p/224515/

Autor:innen

Martin Ebner, Priv.-Doz. Dr., Leiter der Abteilung Lehr- und Lerntechnologien an der Technischen Universität Graz und Leiter der nationalen MOOC-Plattform iMooX.at der österreichischen Hochschulen. Arbeitsschwerpunkte in der Forschung: Bildungsinformatik, KI in der Hochschullehre, MOOCs, Open Educational Resources und Digitale Grundbildung.

Sandra Schön (@sandra_schoen) forscht an der Technischen Universität Graz am Institute of Interactive Systems and Data Science und ist ehrenamtlich in Projekten des gemeinnützigen Bildungsvereins BIMS e.V. aktiv.

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