Lernraumentwickler:innen: eine besondere Rolle für die Transformations- und Prozessbegleitung

Lernraumentwickler:innen: eine besondere Rolle für die Transformations- und Prozessbegleitung

03.09.24

Zukunftsfähige Lernräume an einer Hochschule zu entwickeln, ist herausfordernd, aber spannend zugleich. Viele Stakeholder, viele Ideen und komplexe Entscheidungsprozesse. Dafür brauchen Hochschulen ein neues Rollenbild: Lernraumentwickler:innen! Doch wie lässt sich der Auftrag, den Campus nachhaltig und innovativ zu gestalten, überhaupt in dieses Rollenbild übersetzen? Dem geht dieser Beitrag nach und widmet sich den Aufgaben und Kompetenzen künftiger Lernraumentwickler:innen. Basierend auf den Praxiserfahrungen der Lernraumexpert:innen Prof. Dr. Katja Ninnemann (HTW Berlin), Prof. Christine Gläser (HAW Hamburg), Ina Thiesies-Cremer und Brian Liebig  (beide Hochschule Ruhr West ) entstand ein vielseitiges Aufgaben- und Kompetenzportfolio, das wir als Stellenausschreibungweiter ausgearbeitet haben. Es bietet Hochschulen eine Orientierung für die externe Stellenausschreibung, die interne Stellenentwicklung und hinsichtlich der Voraussetzungen, die seitens der Hochschule als Arbeitgeberin wichtig sind. 

Im komplexen und volatilen Umfeld der zukunftsorientierten Lernraumgestaltung nehmen Lernraumentwickler:innen  – oder auch ganze Lernraum-Teams – eine besondere Rolle ein. Als Prozessbegleiter:innen vernetzen sie die verschiedenen Beteiligten, moderieren die dabei notwendigen Aushandlungsprozesse zwischen den Stakeholdergruppen, bündeln wichtige Informationen und unterstützen die Nutzer:innen, Anforderungen zu identifizieren und Lösungen zu finden. Aber nicht nur das ist eine anspruchsvolle Aufgabe: Sie nehmen auch übergeordnete Herausforderungen in Bezug auf Innovationen und Nachhaltigkeit in den Blick und integrieren diese in Lernraumgestaltungsprozesse und -maßnahmen.

Im Manifest „Hybrid environments for universities. A shared commitment to campus innovation and sustainability” (vgl. Ninnemann et al. 2020:7) fassen internationale und interdisziplinäre Expert:innen zentrale Herausforderungen aus Forschung und Praxis zusammen. Diese Thesen können (zukünftige) Lernraumentwickler:innen auch als “Selbstauftrag” nutzen, um sich ihrer Rolle und Wirkungsbereiche noch bewusster zu werden (Anm. der Autorin: der Originaltext des Manifests ist in englischer Sprache erschienen und wurde für die Verwendung in dieser Publikation mit der KI DeepL nach bestem Wissen und Gewissen übersetzt und interpretiert):

„Nachhaltigkeit hat sich für Hochschulen zu einer Notwendigkeit entwickelt.”
Katja Ninnemann et al.

„Um zu gewährleisten, dass unsere Hochschulen lebendig und zukunftsfähig bleiben, müssen wir uns alle zu begrenzten und geteilten Ressourcen bekennen. Das bedeutet, dass wir lernen müssen, mit weniger mehr zu erreichen. Wir müssen synergetische Lösungen finden und Ansätze, diese zu messen und auszuwerten.  Ziel ist die Schaffung einer nachhaltigen Zukunft für die Hochschulen durch die Beseitigung von Hürden für Veränderungen, die auf vielen Ebenen bestehen:

  1. Wir müssen räumliche Barrieren überwinden und den Campus als eine hybride Umgebung verstehen lernen.
  2. Wir müssen traditionelle Macht- und Entscheidungsstrukturen durch einen ganzheitlichen Ansatz für das Campus-Management ersetzen.
  3. Wir müssen ein Gefühl der Dringlichkeit schaffen, um die Begrenztheit von Ressourcen greifbar zu machen.
  4. Wir müssen uns selbst sowie interne und externe Stakeholder als für unsere eigenen und fremden Bedürfnisse und Anforderungen verantwortlich begreifen.
  5. Wir müssen Prozesse der Mitverantwortung im Rahmen begrenzter und geteilter Ressourcen etablieren.
  6. Wir müssen innovative und nachhaltige Lösungen für hybride (Lern)Umgebungen an Hochschulen skalieren.”
„Es ist wichtig zu verstehen und zu vermitteln, dass materielle und technische Artefakte, Orte und Symbole, wie Hörsäle, Fakultätsgebäude und Universitätsgelände, das Ergebnis unser aller Tätigkeiten sind als Führungskräfte, Mitwirkende und Praktiker:innen an Universitäten, aber auch in der Gesellschaft.”
Katja Ninnemann et al.

Ein ausgedehnter Wirkungsbereich …

Lernraumentwickler:innen haben langfristig nicht nur die Aufgabe, einzelne Lernraumprojekte zu koordinieren und voranzutreiben. Es geht um eine ganzheitliche bauliche Entwicklungsplanung, die sich an der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik orientiert und dabei auch die strategischen Ziele der individuellen Hochschule einbezieht. Dafür ist es wichtig, als Hochschule die eigene bauliche Infrastruktur als entscheidende strategische Ressource für die digitale Transformation anzuerkennen (vgl. Wissenschaftsrat, 2022). Mit dieser Haltung können Lernraumentwickler:innen immer mehr in eine Rolle der Veränderungs- und Transformationsbegleitung hineingehen. Deshalb sollten sie auch organisatorisch bzw. strukturell an die relevanten Entscheider:innen an der Hochschule angebunden sein. 

… und ein neues Rollenbild

Die Abbildung hebt die vernetzten Aufgaben- und Kompetenzfelder des Stellenprofils als Lernraumentwickler:in hervor: Recherchearbeit und Lernraumforschung, Kommunikation, Motivation und Haltung, Konzeptionelle Gestaltungs- und Entwicklungsarbeit, Prozessbegleitung, Partizipation und Involvement.
Aufgabenbereiche von Lernraumentwickler:innen

Doch wie kann so ein neues Rollenbild für Lernraumentwickler:innen aussehen? Welche Aufgaben und Kompetenzen umfasst ihr Portfolio, um den Campus nachhaltig und innovativ zu entwickeln? Wie sähe eine Stellenausschreibung für eine Lernräumentwicklerin heute aus? Dieser Idee gingen die Lernraumexpertinnen Prof. Dr. Katja Ninnemann (HTW Berlin), Prof. Christine Gläser (HAW Hamburg) und Ina Thiesies-Cremer (Hochschule Ruhr West) im Rahmen des Workshops „Zukunftsfähige Lernräume konzipieren – Wie steige ich als Lernraumentwickler:in ein?” zum University:Future Festival 2024 nach. Gemeinsam mit den Teilnehmenden erarbeiteten sie in einem kollaborativen Prozess eine Übersicht, die die vielseitigen Aufgaben und Kompetenzen bündelt.

Als beispielhafte „Stellenausschreibung” weiter ausgearbeitet, bietet sie Hochschulen eine Orientierung für eine externe Stellenausschreibung oder eine interne Stellenentwicklung und eine Idee, welche Voraussetzungen seitens der Hochschule als Arbeitgeberin dafür wichtig sind:

Stellentitel: Lernraumentwickler:in (m/w/d) an einer Hochschule

Kurzbeschreibung der Hochschule

Unsere Hochschule steht für Innovation, Interdisziplinarität und Exzellenz in Lehre und Forschung. Wir sind bestrebt, die besten Lernumgebungen für unsere Studierenden zu schaffen und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Zur Verstärkung unseres Teams suchen wir ab sofort eine engagierte Lernraumentwickler:in (m/w/d), die kreative und strategische Prozesse zusammenführen kann.

Aufgabenbereiche

  • Pioniergeist: Sie bringen Begeisterungsfähigkeit, Neugier und Kreativität mit, um neue Ideen in die Lernraumgestaltung einzubringen. Ihre “Hands-on”-Mentalität ermöglicht es Ihnen, Projekte pragmatisch und lösungsorientiert voranzutreiben.​

  • Anforderungsmanagement: Sie überführen erhobene Nutzerbedarfe in räumliche und technische Anforderungen, wobei Sie Inklusion und Barrierefreiheit stets mitdenken. Dabei ist ein Verständnis von (Innen-)Architektur, Design sowie räumliches Denken und Vorstellungsvermögen essentiell.
  • Experimentierfreude: Sie setzen Pilotprojekte um und bringen Flexibilität in Bezug auf Zukunftsszenarien mit. Ihre Offenheit für Kritik und Verbesserungsvorschläge ermöglicht es Ihnen, Räume auch nach ihrer Inbetriebnahme weiter zu optimieren.​

  • Partizipative Gestaltung: Sie konzipieren und führen partizipative Formate zur Erhebung der Bedarfe der Nutzer:innen (Studierende, Lehrende, Forschende) durch. Dabei integrieren Sie deren Wünsche und Anforderungen in die Lernraumgestaltung und fördern inklusives und partizipatives Denken.
  • Forschung und Best Practices: Sie greifen auf Erkenntnisse der Lernraumforschung zurück und berücksichtigen Vorbilder anderer (europäischer) Hochschulen sowie Best/Proved-Practice-Beispiele​.

  • Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit: Sie arbeiten intensiv mit internen und externen Stakeholdern zusammen, um Kompromisse zu finden und Lösungen zu vermitteln. Dies schließt die Fähigkeit ein, zwischen didaktisch optimalen Lernraumkonzepten und den realistischen Ressourcenbedingungen zu balancieren.
  • Netzwerkarbeit: Sie verbinden sich aktiv mit Peers in der Lernraum-Community, um Best Practices auszutauschen und kontinuierlich aktuelle Entwicklungen in der Lernraumgestaltung zu integrieren.​

  • Schnittstellenfunktion: Sie koordinieren hochschulweit und abteilungsübergreifend von der Auftragsklärung über die Definition von Projektzielen bis hin zu Gestaltungsprozessen und Umsetzung. Dies erfordert eine systemische Sichtweise, die vernetztes, interdisziplinäres Denken und den Einbezug verschiedener Perspektiven erlaubt.
  • Innovations- und Veränderungsprozesse: Sie begleiten kontinuierlich Innovations- und Veränderungsprozesse und bringen dabei ein vielfältiges Portfolio an Methoden und Formaten für die Prozessgestaltung ein​.

Ihr Profil

  • abgeschlossenes Hochschulstudium in einem relevanten Fachgebiet (z.B. im Bereich Architektur/Kunst & Gestaltung, Bildungswissenschaften, Bildungsmanagement, Psychologie, Innovationsmanagement, Organisationsentwicklung, Bibliotheks- und Informationsmanagement) 
  • mehrjährige Berufserfahrung im Bereich Lernraumgestaltung, Hochschulentwicklung oder verwandten Bereichen
  • ausgeprägte Kommunikations- und Moderationsfähigkeiten
  • Erfahrung in der Durchführung partizipativer Projekte und Prozesse
  • Kenntnisse aktueller Trends, Technologien und Praktiken in Lehre und Studium 
  • hohes Maß an Eigeninitiative, Verantwortungsbewusstsein und Teamfähigkeit

Was wir als Hochschule bieten

  • eine (optimalerweise) dauerhafte verantwortungsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit in einem spannenden und dynamischen Umfeld sowie mit einer offenen und innovativen Hochschulleitung
  • eine bereits gegründete hochschulweite Lernraum-AG 
  • die Möglichkeit, die Zukunft der Lernumgebung an unserer Hochschule aktiv mit Studierenden und Kolleg:innen aller Statusgruppen sowie Organisations- und Serviceeinheiten zu gestalten
  • vielfältige Kontakte mit nationalen und internationalen Hochschulen, Institutionen und Praxispartner:innen zur Vernetzung und zum Wissensaustausch 
  • flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten
  • Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten
  • ein zuverlässiges und unterstützendes Team

 

Insbesondere das Aufgaben- und Kompetenzportfolio für diese Stellenausschreibung basiert auf den Handlungsempfehlungen und Erkenntnissen aus dem Kapitel „Lernraumentwickler:innen: eine besondere Rolle für die Transformations- und Prozessbegleitung” im HFD-Arbeitspapier Nr. 80Zukunftsorientierte Lernraumentwicklung – Handlungsempfehlungen für die Begleitung partizipativer Prozesse in der Konzeptionsphase” (Anne Prill, 2024), das im Rahmen des HFD Innovation Hub für den Themenschwerpunkt „zukunftsfähige Lernräume” publiziert wurde. Das Hochschulforum Digitalisierung vernetzte dafür vier Lernraumprojekte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der Hochschule Ruhr West, der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Während der zweijährigen Laufzeit von September 2021 bis September 2023 erarbeiteten und reflektierten die Lernraumexpert:innen im Rahmen co-kreativer Workshops ihre Arbeitsprozesse. Im Fokus standen dabei vor allem partizipative Prozesse in der Konzeptionsphase („Phase Null”) innovativer Lernräume.

Foto © Uschi Schmidt

Anne Prill ist seit 2017 Projektmanagerin für das Hochschulforum Digitalisierung beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung. In dieser Funktion bewegt sie vor allem das Themengebiet „zukunftsorientierte Lernraumentwicklung“. Dazu veröffentlicht sie Arbeitspapiere sowie Artikel und hält Keynotes auf verschiedenen Veranstaltungen.

Foto © henning:photographie

Brian Liebig studierte Erziehungswissenschaften und Soziologie an der Universität Osnabrück sowie Interkulturelle Kommunikation und Bildung und Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Universität zu Köln. Nach seinem Abschluss arbeitete er im non-formalen Bildungsbereich beim Deutschen Roten Kreuz. Seit 2022 ist er als Projektkoordinator im Lernraum-Projekt COMPLETE der Hochschule Ruhr West tätig.

Foto © henning:photographie

Ina Thiesies-Cremer studierte und lehrte Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 2020 ist sie an der Hochschule Ruhr West im Bereich E-Learning als Mediendidaktikerin tätig und unterstützt Lehrende bei der Entwicklung und Umsetzung digitaler Lehr-Lern-Angebote. Sie begleitet das Lernraum-Projekt COMPLETE seit der Antragstellung sowohl inhaltlich als auch organisatorisch.

Foto © Christine Gläser

Christine Gläser ist seit 2008 Professorin für Informationsdienstleistungen, elektronisches Publizieren, Metadaten und Datenstrukturierung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Sie bearbeitet die Lernraumthematik im Rahmen ihrer Professur und leitet das Projekt Hybride Lernräume. 

Foto © Katja Ninnemann

Katja Ninnemann ist seit 2020 Professorin für Digitalisierung und Workspace Management an der HTW Berlin. Als Expertin für Gestaltungspraktiken und Gestaltungsprozesse hybrider Lern- und Arbeitsumgebungen führt sie räumliche, soziale und organisationale Aspekte bei der (Re)Organisation von Onlife Spaces in Forschung, Lehre und Praxis zusammen.

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