Virtuelle Notfallbehandlung in Prüfungsszenarien
Virtuelle Notfallbehandlung in Prüfungsszenarien
29.01.24Bei einem medizinischen Notfall kann es um Leben oder Tod gehen, daher muss schnell gehandelt werden. Bereits im Studium erlernen angehende Ärztinnen und Ärzte die nötigen Kompetenzen, um in solchen Stresssituationen richtig zu handeln. Oft mangelt es aber an praktischer Erfahrung und Übungsmöglichkeiten. Virtual Reality kann Medizinstudierende dabei unterstützen, das Vorgehen in solchen Notfallsituationen zu erlernen. In einer kleinen Blogreihe zeigen wir daher Praxisbeispiele wie VR-Technik in Lehr- und Prüfungsformate integriert werden kann. Hier zeigen wir, wie STEP-VR an der Universität Würzburg seit Kurzem in Prüfungen im Rahmen der speziellen OSCE-Prüfung zum Einsatz kommt.
Controller in die Hand, Brille aufsetzen und schon befindet man sich in der Notaufnahme – „STEP-VR“ nennt sich das Programm, bei dem Medizinstudierende mittels virtueller Realität in eine Simulation einer medizinischen Notfallsituation versetzt werden. Entwickelt wurde es im Rahmen einer Zusammenarbeit des Instituts für medizinische Lehre und Ausbildungsforschung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und dem Münchner Unternehmen ThreeDee GmbH, welches auf 3D-Visualisierung spezialisiert ist. Schon seit drei Jahren kommt das Trainingsprogramm an der Universität Würzburg in der medizinischen Lehre zum Einsatz. Damit ist die JMU Würzburg Vorreiter, was die Verwendung von Virtual Reality im humanmedizinischen Studium betrifft. Im Sommersemester 2023 folgte nun die nächste Innovation: Nach einer Weiterentwicklung des Programms wird STEP-VR nicht mehr bloß als Übungsprogramm in Seminaren, sondern auch in der OSCE-Prüfung am Ende des klinischen Studiums genutzt.
In den letzten Jahren ist das Thema Digitalisierung in allen Lebensbereichen immer relevanter geworden. Auch im Hochschulkontext wurde die Forderung nach Anpassung der Lehre an die neuesten digitalen Entwicklungen immer größer. Mit dem Einsatz von STEP-VR nicht nur in Lehrveranstaltungen, sondern jetzt auch in Prüfungen, ist die JMU Würzburg eine der weltweit ersten Universitäten, die beispielhaft vorausgeht.
Realitätsnähe, Ressourcenersparnis, Lernerfolge
Eine erste, im Mai 2023 veröffentlichte Studie zur Nutzung des VR-Trainingsprogramms innerhalb der Lehrveranstaltungen konnte zeigen, dass die Notfallsimulation via VR bei den Studierenden auf hohe Akzeptanz stößt und zu einem hohen subjektiven Lernerfolg sowie einem Motivationszuwachs führte. Durchgeführt wurde die Studie von Dr. med. Tobias Mühling, Leiter der Arbeitsgruppe „Virtual Reality-Simulation im Medizinstudium“ am Institut für Medizinische Lehre und Ausbildungsforschung des Universitätsklinikums Würzburg, gemeinsam mit der Leiterin des Instituts, Prof. Dr. Sarah König und der Doktorandin Isabelle Späth. Die Vorteile des VR-basierten Lehrformats lägen darin, das kontextbezogene Fachwissen und die praktischen Kompetenzen der Studierenden zu verbessern, ohne personelle und materielle Ressourcen der Kliniken zusätzlich zu belasten. Die ersten verzeichneten Erfolge der neuen, digitalen Lehrmethode ebneten den Weg für den nächsten Schritt. Mithilfe von Fördermitteln im Rahmen der Förderung „Freiraum 2022“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre wurde das Programm STEP-VR weiterentwickelt, sodass es als Prüfungsformat innerhalb der OSCE-Prüfung (Objective Structured Clinical Examination) eingesetzt werden kann. Mit dem Einsatz des Programms als Prüfungsformat wird es möglich sein, die Leistungen der Studierenden zu messen und dadurch zu ermitteln, inwiefern die Nutzung der VR-Notfallsimulation zu einem tatsächlichen, objektiven Lernerfolg bei den Studierenden führt.
STEP-VR als Prüfungsformat und seine Vorteile
Die OSCE-Prüfung ist ein standardisiertes klinisch-praktisches Prüfungsformat, welches in der medizinischen Ausbildung verwendet wird, um die Fähigkeiten und Kompetenzen angehender Ärzte und Ärztinnen in einem simulierten klinischen Umfeld zu beurteilen. Diese durchlaufen dabei wie in einem Parcours verschiedene Stationen mit unterschiedlichen Notfallszenarien. Üblicherweise werden für die Simulation von Notfallpatient:innen Schauspieler:innen oder Modelle verwendet. Eine der Stationen in diesem Prüfungsparcours beinhaltet nun ein virtuelles Szenario aus STEP-VR. Ob Blutabnahme, Abhören der Atemgeräusche mit dem Stethoskop, Infusion legen oder Laboruntersuchungen – im virtuellen „Zwilling“ sind alle Untersuchungen und therapeutische Maßnahmen aus der echten Notaufnahme vorhanden. Genau darin sieht Tobias Mühling ausschlaggebende Vorteile des VR-Prüfungsformats. Es ermöglicht die Simulation von komplexeren Notfallszenarien und die Durchführung von Behandlungen, die mit und an gesunden Schauspieler:innen nicht möglich wären. Zudem ist die Erkennung von Symptomen bei virtuellen Patient:innen für die Prüflinge vorteilhafter, da es nicht darauf ankommt, wie gut ein echter Mensch diese vortäuscht. Für jeden Prüfling gelten so die gleichen Bedingungen. Damit werden eine Standardisierung und Vergleichbarkeit der Prüfungsaufgaben und ihrer Bearbeitung erreicht. Auch für Prüfende bietet das VR-Prüfungsprogramm Erleichterungen für den Aufwand. Das Programm beinhaltet eine Steuerungsoberfläche mit dem der Schwierigkeitsgrad des Szenarios an den Vorwissensstand angepasst werden kann. Die Prüfenden müssen auch zukünftig nicht mehr Checklisten führen, um die erbrachte Leistung zu dokumentieren und bewerten zu können: Das Programm erkennt korrekt erbrachte Leistungen von selbst und hakt sie ab, die Prüfenden müssen nur noch abschließend gegenkontrollieren.
Grenzen der virtuellen Notfallsimulation
Das Programm ist vor allem für solche Szenarien geeignet, bei denen es darauf ankommt, klinische Entscheidungen zur Diagnose und Stabilisierungsmaßnahmen zu treffen. An seine Grenzen stößt STEP-VR insbesondere dann, wenn Anamnese und Kommunikation im Fokus der Aufgabe stehen, denn eine Kommunikation mit den virtuellen Notfallpatient:innen ist bisher nicht möglich. Ein weiterer kleiner Nachteil ist, dass es bei der Anwendung von VR-Anwendungen zu sogenannter Simulation Sickness (Simulationsschwindel) kommen kann. Dies war in der Pilotstudie von STEP-VR jedoch äußerst selten der Fall gewesen und habe zu keinem Abbruch von Lern- oder Prüfungsszenarien geführt.
Den anderen einen Schritt voraus
Die ersten 136 Medizinstudierenden der Julius-Maximilians-Universität Würzburg durchliefen im vergangenen Sommersemester erstmals das virtuelle Notfallszenario an einer der Stationen der OSCE-Prüfung. Eine Evaluation der Studierenden zeigte, dass sie mit der Benutzung, Funktionalität und inhaltlichen Relevanz des Formats zufrieden sind. Zukünftig soll STEP-VR auch an weiteren Stationen zum Einsatz kommen. Die Daten des ersten Durchlaufs der virtuellen Prüfung wurden nun ausgewertet. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Implementierung einer VR-basierten Prüfungsstation in die eng getaktete curriculare OSCE-Prüfung gut integrierbar ist. Die Bedienung wurde von den Studierenden als sehr intuitiv wahrgenommen. Darüber hinaus stimmten sie zu, dass die Szenarien sehr praxisrelevant waren und realitätsnah umgesetzt waren. Die Leistungsdaten weisen im direkten Vergleich der VR-basierten zur analogen Station keine systematische Verzerrung auf – d.h. die Prüflinge waren in beiden Modalitäten etwa gleich gut. Insgesamt ist diese Studie also für Prof. Dr. Sarah König ein sehr positives Signal, dass bahnbrechende Pionierarbeit vollbracht wird.
Quellen
Stiftung Innovation in der Hochschullehre (2022). Entwicklung einer Virtual Reality-basierten OSCE-Prüfungsumgebung für notfallmedizinische Fallszenarien, [online] VR-OSCE – Stiftung Innovation in der Hochschullehre (stiftung-hochschullehre.de), [abgerufen 31.10.2023]
Universität Würzburg (2023). Arbeitsgruppe „Virtual Reality-Simulation im Medizinstudium“, [online] Arbeitsgruppe „Virtual Reality-Simulation im Medizinstudium“ – Institut für Medizinische Lehre und Ausbildungsforschung (uni-wuerzburg.de), [abgerufen 31.10.2023]
Universität Würzburg (2023). Besser vorbereitet für den Notfall, [online] Universitätsklinikum Würzburg: Besser vorbereitet für den Notfall (ukw.de), [abgerufen 31.10.2023]
Universität Würzburg (2023). Eine virtuelle Patientin, [online] Universitätsklinikum Würzburg: Eine virtuelle Patientin (ukw.de), [abgerufen 31.10.2023]