„Transformation ist kein Sprint, sondern ein Marathon“ – Interview mit Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou

„Transformation ist kein Sprint, sondern ein Marathon“ – Interview mit Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou

20.02.25

New Work an Hochschulen bedeutet mehr als flexible Arbeitszeitmodelle: Es steht für einen umfassenden Kulturwandel. Im Interview mit Anne Prill (Projektmanagerin im HFD für das CHE) spricht Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou (akademische Direktorin an der Folkwang Universität der Künste und Organisationsberaterin) über die Verknüpfung von Digitalisierung, Diversität und Partizipation als Erfolgsfaktoren für New Work und erklärt, wie Hochschulen diesen Wandel gemeinsam gestalten können. Ein Plädoyer für Mut, neue Führungskonzepte und die Kraft des Wandels – hin zu mehr Chancengerechtigkeit und Innovation.

Anne Prill: Frau Spelsberg-Papazoglou, Sie forschen und lehren zu den Themen digitale und soziale Transformation. Was fasziniert Sie daran und was sind Ihre bisherigen Forschungserkenntnisse?

 

Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou: Die Digitalisierung prägt zunehmend alle Lebensbereiche, inklusive der Hochschulen. Sie ermöglicht zum einen flexibleres, ortsunabhängiges Lehren und Lernen wie beispielsweise in Form von Blended Learning und E-Learning, zum anderen werden über offene Bildungsressourcen Lehr- und Lernmaterialien frei zur Verfügung gestellt und damit der Zugang breiter gestaltet. Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz oder von Augmented Reality bieten neue Gestaltungsmöglichkeiten für Lehren und Lernen. Mit diesen technologischen Entwicklungen geht nicht nur ein digitaler Wandel, sondern auch ein sozialer Wandel einher.

Es ist heute nicht nur nicht mehr zwingend notwendig, in einem Hörsaal zu sitzen, um einer Lehrveranstaltung beizuwohnen oder Prüfungen abzulegen; es braucht vielmehr auch andere Konzepte als „Frontalunterricht“ und neue Antworten auf die Frage, wie Leistungen bewertet werden können. Der Ruf nach einer „neuen Lernkultur“, insbesondere durch ChatGPT, ist lauter geworden. Digitaler und sozialer Wandel stehen somit in enger inhaltlicher Beziehung zueinander, mehr noch gehören sie für mich untrennbar zusammen und haben das unglaubliche Potenzial, eine „neue Lehrkultur“ auf den Weg zu bringen, die Lehren und Lernen inklusiver, chancengerechter gestaltet, denn im sogenannten New Learning stehen die Lernenden im Mittelpunkt und damit verbunden ihre Fähigkeiten und Bedarfe.

Das Hagener Manifest[1] zu New Learning erläutert anhand von zwölf Thesen, wie die Digitalisierung das Lernen von Grund auf verändert hat – und weiter verändern wird. Diese Thesen klingen irgendwie neu, erinnern jedoch auch zugleich an den Appell, den sogenannten „shift from teaching to learning“ von Robert Barr und John Tagg.[2] So ist nicht der Aufruf, eine „neue Lehrkultur“ auf den Weg zu bringen, neu. Vielmehr besteht die Chance, mit dem digitalen Wandel, verstanden als umfassenden organisationalen Veränderungsprozess, zentrale Dimensionen für den Wandel in den Blick zu nehmen wie erstens die Bereitschaft zur Veränderung, zweitens das erforderliche Wissen dazu und drittens die Möglichkeit/Ressourcen zur Veränderung. Und damit verbunden kann eine zentrale Voraussetzung für die systematische Gestaltung digitaler Lehre, für eine „neue Lernkultur“ geschaffen werden: Veränderungsbereitschaft bei den Akteur*innen.

Veränderungsbereitschaft oder Veränderungsfähigkeit ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Kompetenzen für die Zukunft – individuell oder organisationsbezogen und bedeutet ein dauerhaftes Lernen. Hochschulspezifische Reifegradmodelle oder Reifechecks könnten dabei helfen, diese Transformationsaufgabe zu bewältigen, da die Einteilung in verschiedene Reifegrade oder Stufen eine Roadmap bietet und dabei hilft, Entwicklungsziele zu definieren und zu erreichen. Gemeinsam mit Christian Ganseuer habe ich zum Beispiel den „Diversity Check“ für den Stifterverband entwickelt, der Hochschulen die Möglichkeit gibt, anhand strukturierter Fragen zu verschiedenen Handlungsfeldern des Diversitätsmanagements den Diversity-Reifegrad ihrer Institution einzuschätzen.[3] Aktuell gehe ich der Frage nach, wie mit Hilfe eines digitalen Reifegradmodells Hochschulen darin unterstützt werden können, den digitalen und sozialen Wandel erfolgreich in Studium, Lehre und Forschung und natürlich auch in der Hochschulverwaltung umzusetzen. Denn: Die Digitalisierung verändert auch grundlegend die Arbeit und damit verbunden die Arbeitskultur im Wissenschaftssystem und in der Hochschulverwaltung.

Die Zusammenarbeit ist neu zu strukturieren, Führung ist neu zu denken und neue Technologien sind zu erlernen. Vorangetrieben durch das E-Government-Gesetz oder das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs sollen Administrationsprozesse innerhalb der Hochschulverwaltung und/oder des Studienbetriebs Nutzer*innen-orientiert vereinfacht werden. Mit dem digitalen Wandel in der Verwaltung geht ein sozialer Wandel einher, den Begriffe wie New Work, Smart Work, Arbeit 4.0, Zukunft der Arbeit oder moderne Arbeitswelten in den Blick nehmen und dabei den Menschen, hier die Mitarbeiter*innen und damit verbunden das Generationenmiteinander, in den Mittelpunkt stellen. 

Mich fasziniert es, Veränderungsprozesse initiieren und begleiten zu können, sodass gemeinsam eine Kraft entsteht, die Neues hervorbringt. Und damit verbunden ist es mir ein Anliegen, Fragen und/oder Probleme aus der Praxis theoriegeleitet zu bearbeiten und innovative wie auch nützliche Lösungsstrategien für die Praxis zu generieren, wie beispielsweise Reifegradmodelle. Zugleich wird die Praxis durch theoriegeleitete Rückbesinnung besser verstanden.

Welches Potenzial sehen Sie in der New-Work-Entwicklung und warum ist das Thema für Hochschulen genauso relevant wie für bspw. Unternehmen?

 

Charakteristisch für New Work sind ja unter anderem demokratische und flexible Strukturen sowie flache Hierarchien. Innerhalb dieser neuen Strukturen ist dann eine hohe Selbstorganisation der Mitarbeitenden möglich, d. h. Entscheidungen werden dort getroffen, wo die meisten Informationen und Kompetenzen liegen. Damit verbunden entstehen neue Formen der geteilten Führung und Zusammenarbeit, die dazu beitragen, Hierarchien zu reduzieren und eine wertschätzende Arbeitsatmosphäre zwischen allen Beteiligten zu fördern. Wichtig ist, dass die strukturelle, „äußere“ Transformation Hand in Hand geht mit der „inneren“ Transformation, d .h. Menschen brauchen auch die Kompetenzen, um mit den neuen Freiräumen umzugehen. Weiter zeichnet sich New Work – angelehnt an die Studie „New Work – Best Practices und Zukunftsmodelle“ des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO – auch durch eine zunehmende Relevanz der Wertebasierung von und Sinnstiftung durch Arbeit und Partizipation aus. Da New Work und New Learning auch Kulturfragen in den Mittelpunkt rücken und Wertorientierungen innerhalb des Wissenschaftssystems wie Open Science, Citizen Science zunehmend eine Rolle spielen, ist die stärkere theoretische Befassung mit der sogenannten wertebasierten Governance vielversprechend.[4]

„New Work geht nur mit Beteiligung, ist gleichberechtigt und inklusiv und ist somit mit einem umfassenden Transformationsprozess verbunden.“
Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou

Mit dem Begriff der wertebasierten Governance wird nicht nur die Berücksichtigung gesellschaftlicher Werte in der Handlungskoordination in Organisationen thematisiert und dabei innerorganisatorische Instrumente und organisationsübergreifende Wechselwirkungen betrachtet. Auch betont der Begriff, dass Hochschulen als Organisationen selbst für die Verbreitung bestimmter Werthaltungen durch ihren Bildungsauftrag eine wichtige Funktion einnehmen. Somit beschreibt New Work ein Zielbild, dessen konkrete Ausgestaltung für Hochschulen und Unternehmen einen tiefgreifenden Wandel ihrer Organisationskultur, also ihrer Werte und Prinzipien des Miteinanders, bedeutet, denn: New Work geht nur mit Beteiligung, ist gleichberechtigt und inklusiv und ist somit mit einem umfassenden Transformationsprozess verbunden.

Vor dem Hintergrund ist es deswegen auch so wichtig, dass wir New Work mit New Learning zusammen denken, denn: New Work bedeutet nicht nur Flexibilität für unterschiedliche Lebensphasen, Remote Work und Work-Life-Blending, sondern auch Antworten zu finden auf die Frage, die der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann bereits vor fast 40 Jahren und ins Zentrum von New Work gestellt hat: „Was willst du wirklich, wirklich?“.  Und New Learning erinnert an den Appell, Lernende und ihre Fähigkeiten und Bedarfe in den Mittelpunkt zu stellen und damit einher geht ein Lernen, das von Lernenden als sinnhaft erlebt wird. Als sinnhaft kann wiederum erfahren werden, was in Handlungsvollzüge eingebettet ist. Das pragmatistische Lernverständnis nach John Dewey, das ein reflexives und erfahrungsorientiertes Lernen in den Mittelpunkt stellt, bietet eine Grundlage zur Analyse und Konstruktion von innovativen Digitalisierungsszenarien.[5] Wenn New Work und New Learning in einem umfassenden Transformationsprozess zusammen gedacht werden, dann kann der Ursprungsgedanke des New-Work-Konzepts realisiert werden – an Hochschulen wie auch in Unternehmen. 

Autorin:

Sie sehen Diversity und Digitalisierung als wichtige Umsetzungskriterien und Erfolgsfaktoren für New Work im Hochschulkontext. Wie passen New Work, Diversity und Digitalisierung zusammen?

 

Leitbilder für neue Arbeitskonzepte und -kulturen stellen den Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen, Stärken und Fähigkeiten in den Mittelpunkt und werfen auch grundsätzliche Fragen der Führungskultur auf. Zugleich kann ein agiles und werteorientiertes Arbeitsumfeld Diversität fördern und verstärken, wenn es gelingt, eine Kultur des Vertrauens zu fördern, in der sich alle Mitarbeiter*innen gehört, wertgeschätzt und ermächtigt fühlen. Diversität ist für mich in erster Linie ein Kulturthema, das bedeutet, Vorstellungen von Normalität und Machtverhältnissen kritisch zu reflektieren, Routinen, Abläufe und starre Identitätskategorien zu hinterfragen. New Work braucht Werte und Prinzipien des Miteinanders und geht nur mit Beteiligung. Und vielfältige Teams – bezogen auf demografische Merkmale wie auch auf unterschiedliche Fähigkeiten und Werte – bringen verschiedene Sichtweisen und Kompetenzen ein, entwickeln dadurch oft innovative Ideen und Lösungsansätze für Probleme und Herausforderungen und unterstützen damit den Wandel, die Transformation.

Um die Diversität zu fördern, um vielfältige Sichtweisen und Talente für die Hochschule zu gewinnen, ist es zugleich erforderlich, Diskriminierungen abzubauen, neue Beteiligungsformate zu entwickeln, eine lebensphasenorientierte Personalentwicklung zu fördern und vieles mehr. Somit fördert New Work nicht nur Diversität und Inklusion, mehr noch: New Work und Diversität fordern und fördern einander. Je stärker eine Organisation fördert, was ihre Mitarbeiter*innen zur Potentialentfaltung und zum sinnstiftenden Arbeiten braucht, desto stärker entwickeln sich New Work-Kulturen, in denen auch Ausschlussmechanismen und Machtverhältnisse (Stichwort Enthierarchisierung) bewusst gemacht, Fragen der Beteiligung wie auch zur sozialen Nachhaltigkeit – wie sie auch in den Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung) der Vereinten Nationen verankert sind – adressiert werden können. Folglich ist Diversity (Management) ein zentraler Aspekt bei der Gestaltung von New-Work-Konzepten. New Work und Diversity (Management) wirken synergetisch und können nur gemeinsam ihr maximales Potential entfalten. Die Verzahnung von New Work und Diversity (Management) unterstützt Hochschulen darin, ihrem gesellschaftlichen Auftrag – der Herstellung von Bildungs- und Chancengerechtigkeit – gerecht zu werden.      

Zugleich befindet sich New Work in einem kontinuierlichen Wandlungsprozess. Angesichts der rasanten Entwicklung der Technik und des gesellschaftlichen Wandels übt die Digitalisierung einen großen Einfluss auf die Verbreitung von New Work und digitaler Arbeit in Hochschulen aus. Dabei gewinnen auch Nachhaltigkeitsthemen an Relevanz. So wird mit Blick auf Dienstleistungen und Technik die Frage in den Mittelpunkt gerückt, wie digitale Infrastrukturen und Anwendungen nachhaltiger oder wie in Forschung und Lehre die Themenbereiche Digitalisierung und Nachhaltigkeit stärker verzahnt werden können. Zur Beantwortung der Frage „Wie arbeiten wir morgen?“ sind die Schlagworte „digitalisierte Nachhaltigkeit“ oder „nachhaltige Digitalisierung“ in aller Munde. 

Deswegen sollten für eine ganzheitliche Umsetzung von New-Work-Konzepten aus meiner Sicht New Work, Diversity und Digitalisierung zusammen gedacht werden, um Synergien zu heben, Ressourcen zu sparen sowie effektiv und effizient zu agieren. Es ist essentiell, New Work nicht nur partiell zu denken oder in Säulen anzugehen, sondern als holistische Transformation zu verstehen, die in Verbindung mit Diversity (Management) und Digitalisierung steht. Pilotprojekte in einem bestimmten Themenfeld können den Anfang machen, für eine nachhaltige Implementierung braucht es meiner Meinung nach jedoch ein synergetisches Zusammenspiel.

„Aktuell fehlt vielerorts jedoch ein Zusammendenken der Strategiethemen New Work, Diversity und Digitalisierung in der Hochschulentwicklung und das synergetische Zusammenspiel der Transformationen wird damit weitestgehend nicht ausgeschöpft.“
Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou

Aktuell fehlt vielerorts jedoch ein Zusammendenken der Strategiethemen New Work, Diversity und Digitalisierung in der Hochschulentwicklung und das synergetische Zusammenspiel der Transformationen wird damit weitestgehend nicht ausgeschöpft. Mögliche Ursachen dafür sind vor allem die Verortung der Transformationen in (vermeintlich) unterschiedlichen Kompetenz- bzw. Leistungsbereichen. Welche Rolle New Work an Hochschulen spielt, werden die Ergebnisse der explorativen Studie „New Work an Hochschulen- zwischen neuen Arbeitszeitregelungen und gelebter Arbeitskultur“[6] des Hochschulforum Digitalisierung und HIS-HE zeigen. Aktuell werden Konzepte zu New Work vor allem im Personalmanagement diskutiert und pilothaft wie beispielsweise an der Universität Duisburg-Essen im Projekt „Zukunft der Arbeit@Arbeitswelt Büro“[7] werden neue Ideen und Konzepte zur Arbeitsplatzgestaltung durch das Gebäudemanagement entwickelt und erprobt; New Work ist somit eher in Einrichtungen bzw. Serviceeinheiten innerhalb der Hochschulverwaltung verortet und strategisch bei der/dem Kanzler*in angesiedelt. Diversity (Management) ist als Querschnittsthema oftmals innerhalb der Hochschulleitung einer/einem zuständigen Prorektor*in oder Vizepräsident*in zugeordnet und/oder in zentralen Einrichtungen bzw. Serviceeinheiten beheimatet.

Das Spektrum der Verortung, die damit verbundene Verantwortung und das Aufgabenportfolio im Themenfeld Digitalisierung/digitale Transformation ist auch sehr unterschiedlich. So legt das Arbeitspapier „Akteure des digitalen Kulturwandels an der Schnittstelle von Lehre und Verwaltung“ des Hochschulforum Digitalisierung offen, welche Schwerpunktsetzung und Durchsetzungskraft mit den Funktionen Prorektor*in oder Vizepräsident*in für Digitalisierung, Chief Information Officers und Chief Digital Officers einhergehen. Und nicht zuletzt ist die strategierelevante Organisationseinheit IT organisatorisch noch weitgehend getrennt von den Kompetenz- und Leistungsbereichen Digitalisierung/digitale Transformation.

Die Ergebnisse des Arbeitspapiers „Akteure des digitalen Kulturwandels an der Schnittstelle von Lehre und Verwaltung“[8] zeigen jedoch, dass die Bedeutung der Kooperation und Koordination des Querschnittsthema Digitalisierung innerhalb der Hochschule in allen Kernbereichen zunimmt und dass die organisatorische Zusammenfassung aller zentralen IT-, Medien- und Digitalisierungsaktivitäten von Vorteil ist. Kurz gefasst arbeiten und denken wir an Hochschulen aktuell noch weitgehend in Säulen. Das führt wiederum zu Strategiebildungsprozessen, die sich eher durch hierarchische und weniger durch partizipative Strukturen auszeichnen.

Wie setzen Sie selbst diese Kriterien in Ihrer Arbeit/ Ihrer Rolle und Ihrer Hochschule um?

 

Wie andernorts waren auch an der Folkwang Universität der Künste noch vor einem Jahr unterschiedliche Kompetenzbereiche für die digitale Transformation in Studium, Lehre, Forschung und Verwaltung zuständig. Um effektiver und effizienter zu agieren, unterstützt die Stabsstelle „Digitalität und Transfer“ nun nach einer erfolgreichen internen Re-Organisation den digitalen Wandel in allen Kernbereichen, denn die digitale Transformation betrifft Strukturen und Prozesse mit Auswirkungen auf die Bereiche Studium und Lehre sowie Verwaltung. Vor dem Hintergrund dieses ganzheitlichen Verständnisses verfolgen wir in der Umsetzung ein inkrementelles Vorgehen und zur Bündelung von Ressourcen und frühzeitigen Einbindung zentraler Akteur*innen werden Digitalisierungsvorhaben hochschulweit koordiniert.

Elementar ist für die Stabsstellenarbeit, den digitalen Wandel und Diskurs aktiv mitzugestalten und dabei zwei Perspektiven in den Blick zu nehmen, deren Zusammenspiel wichtig ist, um den digitalen Wandel voranzutreiben: Die Perspektive der Lehrenden auf Lehre und Studium und die der Führungskräfte in der Verwaltung auf Strukturen und Prozesse. Für beide Bereiche bzw. für das Zusammenspiel beider Perspektiven ist Partizipation von entscheidender Bedeutung.

Partizipation im New-Work-Change-Prozess macht Transformation im Sinne von mehr Gestaltungsfreiheit und Zusammenarbeit über alle Hierarchien im Prozess erfahrbar und ermöglicht die Diskurse zu „New Learning“ und „New Work“ zusammenzubringen und damit verbunden ein gemeinsames Verständnis über Motive, Anreize und den angestrebten Nutzen zu entwickeln. Teilhabe und Mitwirkung aller Akteur*innen innerhalb der Hochschule in neuen Formaten in horizontalen Strukturen zu unterstützen, ist zugleich sehr ressourcenintensiv. Auch wollen wir die Mitsprache von Studierenden erhöhen, um sie stärker aktiv in Entscheidungen einzubinden. Dazu sind neue Formate der Partizipation erforderlich – Student-Digital-Officer-Konzepte bieten aus meiner Sicht sehr vielversprechende Ansätze.

„(A)ngesichts der knappen Ressourcen (brauchen wir) anschlussfähige Lösungen, denn Transformation ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“
Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou

Kurzum – um die digitale Transformation und damit verbundene Diskurse zu New Work und New Learning zu befördern wie auch Fragen zur sozialen und intergenerationellen Gerechtigkeit zu beantworten, begibt man sich in einen Kaninchenbau und stellt fest, was man alles verbessern kann. Zugleich wird deutlich, dass wir angesichts der knappen Ressourcen anschlussfähige Lösungen brauchen, denn Transformation ist kein Sprint, sondern ein Marathon.

Nebenberuflich begleite ich als Geschäftsführerin von di:versiert GmbH Hochschulen und Unternehmen in der partizipativen Gestaltung ihrer Strategie – und Transformationsprozesse. Dabei mache ich die Beobachtung, dass Unternehmen verstärkt die Twin-Transformation, d.h. das synergetische Zusammenspiel der digitalen Transformation und der Nachhaltigkeitstransformation – angehen und Digitalisierung als einen Hebel verstehen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen wie auch um sich als attraktiver Arbeitgeber am Arbeitsmarkt zu positionieren. Hochschulen hingegen messen der Verzahnung der Themenkomplexe „Digitalisierung“ und „Nachhaltigkeit“ eher verhalten eine strategische Bedeutung bei – vereinzelt, wie beispielsweise an der Universität Hamburg, wird die Twin-Transformation verfolgt.

Vielmehr werden an Hochschulen, die Entwicklungsinstrumente wie beispielsweise die Peer-to-Peer-Verbundberatung des Hochschulforums Digitalisierung, das Audit Vielfalt gestalten oder Transfer-Audit des Stifterverbands in Anspruch genommen haben und sogenannte Learnings aus bereits durchgeführten Transformationsprozessen ziehen, die Strategiethemen New Work, Diversity und Digitalisierung in der Hochschulentwicklung und das synergetische Zusammenspiel der Transformationen verstärkt zusammengedacht. Ole Wintermann und Cornelia Daheim bezeichnen das synergetische Zusammenspiel von New Work, Digitalisierung und Nachhaltigkeit als Triple-Transformation. Wenn wir in Zukunft Diversity, New Work,  Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammendenken, könnten wir von einer Fourfold-Transformation profitieren. Um mit der damit verbundenen Komplexität umgehen zu können, erarbeitet di:versiert wissenschaftsorientiert ein Fourfold-Modell aus.

Sie sind selbst als Leitung der Stabsstelle „Digitalität & Transfer“ an der Folkwang Universität der Künste in einer Führungsfunktion: Welches Führungsverständnis wird sich Ihrer Meinung nach durch New Work an Hochschulen entwickeln?

 

Ja, New Work bedeutet auch New Leadership. Wie auch New Learning auf eine offene Lernkultur setzt, braucht New Work eine offene Arbeitskultur. Und eine offene Arbeitskultur braucht Vertrauen und Empathie versus hierarchische Führungsstile. Aus meiner Sicht ist die Hauptaufgabe der Führungskräfte, Gelingensbedingungen zu schaffen, welche die Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter*innen fördert und ihre Stärken stärkt. Durch New Work werden Führungskräfte sich zukünftig mehr als „Enabler“ verstehen; so wie auch durch New Learning ein neues Rollenverständnis der Lehrenden entsteht – vom „sage on the stage“ zum „guide by the side“. Von zentraler Bedeutung sind zur Realisierung von New Leadership auch neue Strukturen, d.h. auch die Auflösung von starren (Abteilungs-)Silos, um Kooperation,  Agilität und Flexibilität zu ermöglichen.

Gibt es noch Beispiele aus der Hochschulpraxis, die Sie besonders beeindrucken und warum?

 

In Hochschulen, die ich in ihren Transformationsprozessen begleiten durfte und darf, beeindrucken mich immer wieder Maßnahmen, die mutig und verspielt sind und damit Vertrauen schaffen. Zum Beispiel ein Rollentausch, um nicht nur die Reflexion über alte und neue Rollen theoretisch anzuregen, sondern um pilothaft Veränderungen erfahrbar zu machen und gemeinsam New Leadership und New Work in Roll-in-Prozessen zu entwickeln. Beeindruckt bin ich auch darüber, wie an der UTN konsequent New Learning vorangetrieben wird. Statt den klassischen Hörsälen gibt es interaktive Konferenzräume und Klausuren sind radikal gestrichen worden. Die Gründungsvizepräsidentin für Studium, Lehre und Internationales Isa Jahnke ist hier die treibende Kraft und stellt mit ihrem Lehr- und Lernkonzept die Lernenden konsequent in den Mittelpunkt. Dieses Konzept ist aus meiner Sicht eine wirkliche Innovation. Ich lerne viel bei der Begleitung der Pionierarbeit der UTN, über die Erfolgsfaktoren und Risiken, die mit dieser mutigen Innovation verbunden sind.

Auch ein kritischer Blick darf sein: Welche Kehrseiten bringt die New-Work-Entwicklung auch mit sich?

 

New Work ist das bestimmende Zukunftskonzept der Arbeitswelt und der Wunsch danach ist da; doch oft gehen Wunsch und Realität auseinander, da New Work nicht wirklich gelebt oder auf Remote-Work reduziert wird. Auch ist es, wie schon erwähnt, wichtig, dass die strukturelle, „äußere“ Transformation Hand in Hand geht mit der „inneren“ Transformation. Je freier und flexibler die Organisation wird, desto weniger Strukturen wird es geben. Dies erhöht einerseits den Grad an Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung für Beschäftigte; zugleich müssen Menschen, die Orientierung aus Strukturen beziehen, diese dann aus sich selbst heraus entwickeln. Und wir wissen, dass die Stärkung des Selbstwirksamkeitskonzepts[9] hoch anspruchsvoll ist und niedrige Selbstwirksamkeitsüberzeugungen das eigene Selbstwertgefühl bedrohen und mit Gefühlen wie Kontrollverlust und Resignation einhergehen. Auch zeigen Forschungsergebnisse, dass Selbstwirksamkeit nicht nur ein individuelles Konstrukt ist, sondern auch als Gruppen-Selbstwirksamkeit[10] Ziel- und Handlungsprozesse eines Kollektivs steuert und New Work zeichnet sich unter anderem durch Kooperation und Kollaboration aus.

„Die Realisierung von New Work ist also hoch anspruchsvoll. Da New Work zugleich zum Buzzword geworden ist, besteht die Gefahr, dass ein „New Work Washing“, analog zum Green- oder Social Washing betrieben wird und dann die Frustration groß ist.“
Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou

Die Realisierung von New Work ist also hoch anspruchsvoll. Da New Work zugleich zum Buzzword geworden ist, besteht die Gefahr, dass ein „New Work Washing“, analog zum Green- oder Social Washing betrieben wird und dann die Frustration groß ist. Dies bestätigt auch eine Längsschnittstudie über New Work & Culture der Universität St. Gallen.[11] Wenn New Work auf hybrides Arbeiten reduziert wird, kann menschliche Isolation und Verlust der emotionalen Bindung zur Organisation die Folge sein. Dies ist für mich nicht die Kehrseite von New Work, sondern einem „New Work Washing“ geschuldet. Diese Unternehmen werden in der Studie als „modern überforderte Unternehmen“ bezeichnet. Den entscheidenden Unterschied zwischen den „erfolgreichen Pionieren“ und den „modern überforderten Unternehmen“ macht in der Studie eine „New Culture“ und der zentrale Erfolgsfaktor auf dem Weg zu einer „New Culture“ ist Vertrauen.

Eine letzte Frage mit Blick auf die Zukunft: Welche Entwicklungen im Kontext von „New Work“ wünschen Sie sich für die Hochschulen?

 

Ich wünsche mir, dass Hochschulleitungen verstärkt mit mutigen Taten inspirieren, als Vorbild vorangehen und ein hohes Maß an Partizipation ermöglichen. Nur so kann es gelingen, ein Warum zu transportieren und Vertrauen zu schaffen. Kulturwandel heißt auch, Grundprinzipien hierarchischer Organisationen zu verändern und dies wird ohne die Hochschulleitung nicht gelingen. Ein stärkerer hochschulübergreifender Austausch zu Best Practices von New Work wie auch die Beförderung einer Fehlerkultur mit Hilfe von sogenannten FuckUp Nights oder Lemon Dinner ist aus meiner Sicht auch sehr wünschenswert. Denn es braucht Mut, Dinge zu verändern und auch den Mut, damit zu scheitern. Und „saure Zitronen“ begegnen uns im Hochschulalltag in Form von Widerständen ja häufig in Transformationsprozessen. Darüber zu sprechen wäre ein großer Schritt auf dem Weg zur „New Culture“. Mit den Worten von Anais Nin: „[New Work] schrumpft oder dehnt sich aus im Verhältnis zu dem Mut den man hat.“

 

Der Artikel ist Beitrag #3 der Blogreihe „New Work an Hochschulen“. Weitere spannende Artikel finden Sie im Dossier.

Fußnoten

[1] https://newlearning.fernuni-hagen.de/das-hagener-manifest/

[2] Vgl. Robert Barr, John Tagg (1955): From teaching to learning – A new paradigm for undergraduate education. Change, 27 (6), 13-25.

[3] https://www.stifterverband.org/diversity-check

[4] Vgl. Monika Jungbauer-Gans, Anja Gottburgsen, Bernd Kleimann (2023):  Wertebasierte Governance in Hochschule und Wissenschaft, in: Beiträge zur Hochschulforschung,  45. Jahrgang.

[5] Vgl. Uwe Elsholz und Rüdiger Wild (2020):  Digital Dewey – Der Pragmatismus als Begründungsfolie pädagogischer Innovationen der Digitalisierung, in: Reinhard Bauer, Jörg Hafer, Sandra Hofhues, Mandy Schiefner-Rohs, Anne Thillosen, Benno Volk, Klaus Wannemacher (Hrsg.): Vom E-Learning zur Digitalisierung. Mythen, Realitäten, Perspektiven, Waxmann.

[6] https://his-he.de/projekte/new-work-zukunft-der-arbeit-hochschulen-zwischen-neuen-arbeitszeitregelungen-und-gelebter-arbeitskultur/

[7] Arbeitspapier „Akteure des digitalen Kulturwandels an der Schnittstelle von Lehre und Verwaltung. Zur Rolle von Vizepräsident:innen für Digitalisierung, Chief Information Officers und Chief Digital Officers an Hochschulen“ des Hochschulforum Digitalisierung: CIO-Studie 2023.

[9] Vgl. Albert Bandura (1997): Self-Efficacy. The Exercise of Control. New York.

[10] Vgl. Ralf Schwarzer und Matthias Jerusalem (2002): Das Konzept der Selbstwirksamkeit, in:  Matthias Jerusalem, Dieter Hopf (Hrsg.): Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. Weinheim.

[11] Vgl. Heike Bruch, Christina Block, Jessica Färber (2016): Arbeitswelt im Umbruch – Von den erfolgreichen Pionieren lernen. Trendstudie 2016.

Interviewpartnerin:

Dr. Karoline Spelsberg-Papazoglou, akademische Direktorin an der Folkwang Universität der Künste, forscht zu Chancengerechtigkeit im Bildungssystem und begleitet seit über zehn Jahren Organisationen in partizipativen Veränderungsprozessen – mit Fokus auf Diversität und Intersektionalität.

Anne Prill ist seit 2017 Projektmanagerin für das Hochschulforum Digitalisierung beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung. In dieser Funktion bewegt sie vor allem das Themengebiet „zukunftsorientierte Lernraumentwicklung“. Dazu veröffentlicht sie Arbeitspapiere sowie Artikel und hält Keynotes auf verschiedenen Veranstaltungen.

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