Frauen und Digitalisierung – eine Liebe auf den zweiten Blick?
Frauen und Digitalisierung – eine Liebe auf den zweiten Blick?
15.01.20Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeit und Leben sind genderabhängig. Nicht nur deswegen müssen Frauen stärker in die Forschung und Gestaltung der Digitalisierung involviert sein, um an Entscheidungprozessen gleichermaßen zu partizipieren und die digitale Transformation mitzugestalten. Im Gastbeitrag schreibt Prof. Dr. Swetlana Franken, Professorin für BWL und Leiterin der Denkfabrik Digitalisierte Arbeitswelt von der FH Bielefeld über die Forschungsergebnisse ihrer aktuellen Studie Gender 4.0.
Chancen und Risiken der digitalen Transformation – Die Digital Gender Gap überwinden
In einer von Männern geprägten Welt der IT- und Ingenieurdisziplinen bilden Frauen eine Minderheit. Damit bleibt die Gestaltung der Digitalisierung eine Männerdomäne. Das liegt sowohl an der immer noch zu geringen Zahl der Absolventinnen der MINT-Studiengänge als auch an dem Mangel von Frauen in Führungspositionen in Industrie-4.0-Branchen. Laut dem Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums 2019 sind beispielsweise nur knapp ein Viertel der Beschäftigten im KI-Sektor Frauen, in Deutschland sogar nur 16 Prozent. Und in Entscheidungspositionen, wo über die Strategien der Digitalisierung und konkrete Anwendungen entschieden wird, sind Frauen noch seltener vertreten.
Warum ist es wichtig, dass Frauen über die Gestaltung der digitalisierten Arbeitswelt mitentscheiden? Weil die Wahrnehmung der Technik und ihrer Folgen, die Vorgehensweisen bei der Problemlösung sowie die Auswirkungen der digitalen Technologie auf die Arbeit und das Leben genderabhängig sind.
Die Meinungen darüber, ob Männer oder Frauen eher von der Digitalisierung profitieren oder darunter leiden werden, sind geteilt und widersprüchlich, da kaum Forschungserkenntnisse dazu vorliegen. Werden durch die Automatisierung und Algorithmierung eher Männer- oder Frauenberufe gefährdet? Wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Flexibilisierung verbessert oder aufgrund ständiger Erreichbarkeit eher verschlechtert? Welches Geschlecht hat größere Bedarfe beim Erlernen der digitalen Kompetenz, die demnächst in allen Berufen erforderlich sein wird?
Frauen und Digitalisierung
Egal, wie diese Fragen beantwortet werden, es ist wichtig, dass Frauen in die Forschung und Gestaltung der Digitalisierung stärker involviert sind, um an den Entscheidungen zu partizipieren. Die digitalisierte Arbeitswelt ist eine Gestaltungsangelegenheit, und die Auswirkungen auf den Menschen sind von der praktischen Umsetzung abhängig, nicht von der Technik allein.
Wird die Digitalisierung die MINT-Berufe für Frauen attraktiver machen, weil die Flexibilisierung der Arbeitswelt Vorteile für weibliche Beschäftigte bringen kann? Werden agile Strukturen und Methoden Frauenkarrieren begünstigen, da die Führung überwiegend als geteilte Teamführung, Sinnvermittlung und Beziehungsarbeit verstanden wird? Diese Entwicklung wird von vielen Forschenden vorhergesagt, bedarf jedoch bestimmter Voraussetzungen: Frauen brauchen eine positive Einstellung und Motivation gegenüber digitalen Technologien sowie eine erforderliche digitale Kompetenz, um diese Technik zu nutzen.
Diese Aspekte wurden in dem Forschungsprojekt der Denkfabrik Digitalisierte Arbeitswelt der FH Bielefeld „Gender und Digitalisierung: Untersuchung genderspezifischer Einstellungen von Young Professionals in Bezug auf Digitalisierung und Industrie 4.0“ (2017-2018) untersucht.
Gender 4.0 – Technikaffinität und digitale Kompetenz
In einer Onlinebefragung von 400 Young Professionals aus Deutschland (überwiegend aus NRW) wurde festgestellt, dass junge Frauen der digitalen Technik genauso offen gegenüberstehen, wie die gleichaltrigen Männer. Die Bereitschaft, Technologien zu nutzen, und die positive Erwartung hinsichtlich der Vorteile durch die Digitalisierung, sind bei weiblichen Young Professionals stark ausgeprägt. Allerdings weisen junge Frauen Nachholbedarf bei der digitalen Kompetenz auf – sie haben weniger Interesse an der Funktionsweise der Technik und können seltener als Männer Apps programmieren. Dafür nutzen Frauen digitale Technologie intensiver als Männer – junge Frauen kommunizieren häufiger und setzen digitale Medien fürs Lernen ein. Ein überraschendes Ergebnis der Studie sind die immer noch bestehenden Vorurteile hinsichtlich der digitalen Kompetenzen von Frauen, die von Männern geäußert wurden. Während die jungen Frauen ihre Kompetenzen für Digitalisierung als ungefähr gleich wie bei jungen Männern bewerten, sind die Männer bei der Einschätzung von Frauenkompetenzen wesentlich skeptischer. Offensichtlich sind die Geschlechterstereotype immer noch lebendig.
In den weiteren Forschungsprojekten der Denkfabrik zu den Genderthemen (2018 – 2019) wurden die digitalen und Führungskompetenzen von Young Professionals detaillierter untersucht und mit den Anforderungen seitens der Unternehmen verglichen. Interessanterweise schneiden hierbei Frauen sogar besser ab als Männer. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass für die digitalisierte Arbeitswelt nicht nur digitale Kompetenzen im engen Sinn, sondern darüber hinaus soziale und Teamkompetenz, Innovations- und Lernfähigkeit sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich sind, und bei diesen Eigenschaften haben Frauen oft Vorteile gegenüber den Männern.
Die an den Forschungsprojekten der Denkfabrik beteiligten Unternehmen berichten über positive Erfahrungen mit geschlechtergemischten Projektteams und Entscheidungsgremien, die zu mehr Motivation und Kreativität beitragen und ausgewogene Entscheidungen treffen. Viele Unternehmen suchen für die Gestaltung der digitalen Transformation gezielt nach Frauen, da sie dadurch eine Verbesserung der Unternehmenskultur und der Zusammenarbeit erwarten. Diese Entwicklungen stimmen optimistisch und lassen hoffen, dass die jungen Frauen demnächst die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung für sich zugute machen werden.
Weitere Infos zu den Projekten der Denkfabrik finden Sie hier.