Drei Szenarien zur Zukunft des Urheberrechts in der Hochschullehre
Drei Szenarien zur Zukunft des Urheberrechts in der Hochschullehre
10.03.21Vor drei Jahren trat das Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG) in Kraft. Achim Förster, Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, zeigt in seinem Gastbeitrag, welche Änderungen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Hochschullehre noch im Jahr 2021 erfahren werden und wagt einen Blick ins Jahr 2023.
1. Wie alles begann: Vom Showdown 2016 zum UrhWissG
Zum Jahresende 2016 eskalierte ein Konflikt über die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke auf elektronischen Lernplattformen. Zahlreiche Hochschulen forderten ihre Lehrenden auf, urheberrechtlich geschützte Werke (beispielsweise Lehrbuchauszüge oder Fachaufsätze) aus den E-Learning-Umgebungen zu entfernen. Manche Institutionen kündigten gar an, die Kursumgebungen aus Urheberrechtsgründen präventiv offline zu setzen, und viele Studierende sicherten als Reaktion alle verfügbaren Unterlagen vorsichtshalber auf ihren heimischen Rechnern. Mitten in einem laufenden Semester drohte der Medieneinsatz in der Hochschullehre in die Zeit vor der Digitalisierung zurückzufallen, was bei den Lehrenden wie auch bei den Studierenden auf viel Unmut, wenn nicht gar auf vollkommenes Unverständnis stieß.
Was war geschehen? Die damaligen Rahmenbedingungen für den Einsatz urheberrechtlich geschützter Werke in der Hochschullehre waren in einer, anders lässt es sich kaum sagen, weitgehend praxisuntauglichen Vorschrift geregelt. Der damalige § 52a UrhG erlaubte zwar die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke auf elektronischen Lernplattformen, sah dafür aber eine Reihe von unklar formulierten und in der Praxis kaum umsetzbaren Voraussetzungen sowie eine in ihrer Abrechnung nicht näher umschriebene „angemessene Vergütung“ für die Urheberinnen und Urheber vor. Die Auslegung der in vielen Punkten unklaren Vorschrift führte bei den Nutzenden zu Rechtsunsicherheit, die Abrechnung der angemessenen Vergütung mit der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) sogar zu einem handfesten Konflikt: Während die VG Wort – aus ihrer Sicht durchaus verständlich – eine Einzelabrechnung der genutzten Werke verlangte, bestanden die Hochschulen aus ebenso nachvollziehbaren Gründen auf die Beibehaltung der in der Vergangenheit üblichen Pauschalvergütung. Als schließlich bei den Verhandlungen zwischen der Kultusministerkonferenz und der VG Wort im Oktober 2016 zunächst eine Einigung zu Gunsten einer Einzelabrechnung erzielt wurde, verweigerten praktisch alle Hochschulen den Beitritt zu dem neuen Rahmenvertrag und ließen die Situation eskalieren. Erst kurz vor Weihnachten 2016 entspannte sich die Lage wieder, nachdem die Kultusministerkonferenz und die VG Wort eine Verlängerung der Pauschalvergütung vereinbart hatten.
Diese für alle Beteiligten unbefriedigende Situation nahm der Gesetzgeber im Jahr darauf zum Anlass für eine umfassende Reform der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen im Bildungsbereich und schuf das Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG). Seit dem 1.3.2018 richtet sich die Nutzung urheberrechtlich geschützten Materials in der Lehre daher nicht mehr nach dem ungeliebten § 52a UrhG, sondern nach dem neu geschaffenen § 60a UrhG, der – jedenfalls dem Grunde nach – deutlich besser gelungen ist als sein Vorläufer. Vor allem die gesetzliche Fixierung fester Prozentsätze für die Mediennutzung (nach § 60a Abs. 1 UrhG als Grundregel bis zu 15% eines veröffentlichten Werkes) und die Erweiterung der Nutzungshandlungen (zulässig ist nicht mehr nur die Verwendung im Rahmen einer elektronischen Lernplattform, sondern auch sonstige Formen der öffentlichen Wiedergabe sowie Vervielfältigungen) haben die Rechtssicherheit für Bildungseinrichtungen deutlich erhöht. Gleiches gilt für die im Gesetz nunmehr ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit, die Vergütung für die Urheberinnen und Urheber auch auf Grundlage eines Pauschalbetrages abzurechnen (§ 60h Abs. 3 UrhG).
2. Gute Nachrichten für 2021: Detailverbesserungen durch die EU-Urheberrechtsreform
Die geltenden Rahmenbedingungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in der Hochschullehre werden sich im Jahr 2021 erneut ändern, wenn auch nur im Detail. Der deutsche Gesetzgeber unterliegt bei der Ausgestaltung des nationalen Rechts zahlreichen Vorgaben durch die Europäische Union und muss aktuell bis zum 7.6.2021 die EU-Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt umsetzen. Hierfür hat die Bundesregierung vor kurzem einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet, der in den folgenden Wochen und Monaten Grundlage für das Gesetzgebungsverfahren sein soll.
Der öffentliche Diskurs über die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie dreht sich primär um die auch unter dem Stichwort “Upload-Filter” geführte Frage nach der Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern wie etwa Youtube oder Facebook. Daneben enthält die Richtlinie aber auch Mindestvorgaben zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Forschung und Lehre, die ebenfalls von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen. Die deutsche Regelung in den §§ 60a ff. UrhG erfüllt die europäischen Voraussetzungen bereits weitgehend und geht in einigen Punkten (was europarechtlich zulässig ist) zu Gunsten der Bildungseinrichtungen sogar über den in der Richtlinie vorgesehenen Mindeststandard hinaus. So sind insbesondere nach aktueller Rechtslage nicht nur digitale Nutzungshandlungen (etwa Bereitstellung von urheberrechtlich geschützten Werken über elektronische Lernplattformen oder Nutzung auf elektronischen Tafeln oder anderen Digitalgeräten), sondern auch analoge Verwertungen (etwa Herstellung von körperlichen Vervielfältigungsstücken) erfasst.
Nur in einigen Detailfragen bleibt die aktuelle deutsche Rechtslage hinter den europäischen Vorgaben zurück und muss daher bis zum 7.6.2021 zwingend angepasst werden. Am wichtigsten für den Bereich der Hochschullehre dürfte sein, dass bei grenzüberschreitenden Lernplattformen, die innerhalb der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) betrieben werden, in Zukunft eine deutliche Vereinfachung erfolgt. Zukünftig sollen sich die Rahmenbedingungen für die Nutzung von Lehrmaterialien (nur) nach dem Recht des Staates richten, in dem die Bildungseinrichtung ihren Sitz hat. Für deutsche Hochschulen richtet sich damit der Zugriff auf ihre Lehrmaterialien auch dann nach deutschem Recht, wenn Studierende aus anderen EU/EWR-Staaten eingeschrieben sind und vom Ausland aus auf die Materialien zugreifen. Für die grenzüberschreitende Lehre sind dies durchaus gute Nachrichten!
3. Schlechte Nachrichten für 2023? Ein Verfallsdatum und drei Szenarien
Bei aller Freude über die seit 2018 geltenden Regelungen und über die anstehenden Detailverbesserungen durch die EU-Urheberrechtsrichtlinie sollte nicht vergessen werden, dass die §§ 60a ff. UrhG mit einer “Sunset Provision”, also einer Art Verfallsdatum, versehen sind (§ 142 Abs. 2 UrhG). Ab dem 1.3.2023 sind die Urheberrechtsschranken für Forschung und Lehre nicht mehr anzuwenden. Diesen Automatismus kann nur der Gesetzgeber abwenden, indem er die Geltungsdauer der Vorschriften verlängert. Die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in der Hochschullehre steuert damit aktuell auf eine unsichere Zukunft zu, deren Ausgestaltung ganz wesentlich von den politischen Entscheidungsträger*innen und der spätestens für 2022 vorgesehenen Evaluierung der bestehenden Regelungen (§ 142 Abs. 1 UrhG) abhängen wird. Der Ausgang dieses Prozesses ist aus heutiger Sicht kaum vorherzusagen. Grob lassen sich jedoch für die Situation ab März 2023 die folgenden drei Szenarien skizzieren und bewerten:
Szenario 1 – “Teilentfristung” und europarechtliche Minimallösung
Als kleinste denkbare Lösung ist vorstellbar, dass die Schranken für Forschung und Lehre in Zukunft wieder zurückgestutzt werden – konkret auf das durch die EU-Urheberrechtsrichtlinie vorgesehene Minimum. Inhaltlich wäre dies ein klarer Rückschritt und würde insbesondere dazu führen, dass nur noch digitale Nutzungen privilegiert wären. Analoge Verwertungshandlungen, wie sie etwa bei der Verteilung ausgedruckter Lehr, Arbeits- oder Prüfungsmaterialien anfallen, wären dagegen nicht mehr erfasst, obwohl für derartige Nutzungen (etwa bei Gruppenarbeiten oder im Rahmen von Präsenzklausuren) ein durchaus hohes praktisches Bedürfnis besteht.
Dieses Szenario ist im aktuellen Regierungsentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie bereits angelegt – aus Sicht bürgernaher Gesetzgebungstechnik auch noch in äußerst unglücklicher Form. Der Vorschlag sieht vor, dass die geltenden Vorschriften bereits jetzt eine “Teilentfristung” erfahren, die zweistufig aufgebaut ist. Auf der ersten Stufe (dem bisherigen § 142 Abs. 2 UrhG) wäre nach wie vor geregelt, dass die geltenden Privilegien für die Hochschullehre zum 1.3.2023 auslaufen. Die zweite Stufe (ein neu geschaffener § 142 Abs. 3 UrhG-E) hätte zur Folge, dass dies nicht gilt, soweit die EU-Urheberrechtsrichtlinie zwingende Vorgaben macht. Würde also der Gesetzgeber bis zum 1.3.2023 keine anderweitige Regelung treffen, so wären die aktuellen §§ 60a ff. zwar weiterhin formal Teil des Urheberrechtsgesetzes, dürften aber nur noch in Kombination und nach Maßgabe der in § 142 Abs. 3 UrhG-E vorgesehenen Einschränkungen Anwendung finden. Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwendern müssten im Bereich der Hochschullehre also immer § 60a UrhG und § 142 Abs. 3 UrhG-E miteinander abgleichen – eine Situation, die hoffentlich allen Beteiligten erspart bleibt.
Szenario 2 – Abwarten bis zur Evaluierung 2022
Als zweites Szenario ist denkbar, dass die jetzige Regelung um die durch das Europarecht vorgegebenen Änderungen erweitert, die Befristung aber ansonsten unverändert bestehen bleibt. Diese Lösung war im Diskussionsentwurf zur Umsetzung der Urheberrechtsrichtlinie vom 24. Juni 2020 (dem Vorgänger des jetzigen Regierungsentwurfs) vorgesehen. Der Gesetzgeber würde in diesem Fall zunächst die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie vornehmen und würde die Entscheidung über die Fortgeltung der bisherigen Regelungen im Wesentlichen von der für das Jahr 2022 vorgesehenen Evaluierung abhängig machen.
Diese Lösung hätte gegenüber der in Szenario 1 geschilderten “Teilentfristung” jedenfalls einen Vorteil: Eine unveränderte Befristung der aktuellen Vorschriften führt dazu, dass der Gesetzgeber bis zum 1.3.2023 zwingend tätig werden und über die Zukunft des Urheberrechts in Forschung und Lehre erneut entscheiden müsste. Auf Basis der für 2022 erwarteten Evaluierung könnte und müsste dann auf politischer Ebene diskutiert werden, ob die Urheberrechtsschranken für die Hochschullehre in der bisherigen Form fortbestehen oder geändert werde sollen. Etwaige Änderungen könnten dann direkt in den betroffenen Vorschriften vorgenommen werden, was für die Rechtsanwendenden deutlich mehr Rechtsklarheit schaffen würde.
Ein weiteres Abwarten bis zur Evaluierung 2022 und eine Entscheidung über die Zukunft des Urheberrechts erst im Zeitraum 2022 bis zum 1.3.2023 hat aber auch gravierende Nachteile. Je länger die Entscheidung über die Fortgeltung der bestehenden Regelungen hinausgezögert wird, desto mehr Rechtsunsicherheit entsteht bei den betroffenen Personen und Institutionen. Gerade im Bereich der Online-Lehre besteht ein Bedürfnis nach langfristiger Planung und entsprechender Planungssicherheit. Dafür ist es aber zwingend erforderlich, dass spätestens 2022 eine verlässliche Aussage darüber möglich ist, welche Nutzungen im Bereich Forschung und Lehre ab März 2023 zulässig sind. Ob dies bei einem Abwarten auf die für 2022 angekündigte Evaluierung rechtzeitig möglich sein wird, ist fraglich. Hinzu kommt, dass die Erfahrungen in anderen Bereichen gezeigt haben, dass auf Evaluierungszusagen nicht immer vertraut werden kann. Ebenso ist es denkbar, dass am Ende letztlich ein unbefriedigender Kompromiss steht und die Befristung nicht aufgehoben, sondern schlicht verlängert wird. Damit würde aber nur erreicht, dass die Entscheidung über die Zukunft des Urheberrechts erneut vertagt wird.
Szenario 3 – Zeitnahe Aufhebung der Befristung und eine offene Debatte
Als drittes Szenario kommt in Betracht, dass möglichst zeitnah eine offene Debatte über die Zukunft des Urheberrechts in der Hochschullehre stattfindet, die gegebenenfalls mit einer Nachjustierung der bestehenden Vorschriften verbunden wird. Dafür wäre es aber erforderlich, dass die Verhandlungen ohne Zeitdruck und ohne das Damoklesschwert eines automatisierten vollständigen oder teilweisen Wegfalls der Bildungsschranken ab dem 1.3.2023 stattfinden können. Da ohnehin im aktuellen Gesetzgebungsvorhaben Anpassungen bei den Nutzungen in der Hochschullehre anstehen (siehe oben), bietet es sich durchaus an, bei dieser Gelegenheit die Befristung schon jetzt aufzuheben, und zwar vollständig. Die für 2022 vorgesehen Evaluierung könnte dann wie geplant durchgeführt werden, ohne dass gleichzeitig ein mit Rechtsunsicherheit verbundener Zeitdruck bestünde. Mit dieser Lösung würde auch der Tatsache Rechnung getragen, dass die – im deutschen Recht ohnehin sehr unübliche – Befristung von Seiten der Rechtswissenschaft schon seit jeher durchaus kritisch gesehen wird. Nicht umsonst fordern auch Wissenschaftsorganisationen seit längerem die sofortige Aufhebung der Befristung.
Aus Sicht der Hochschulen gäbe es jedenfalls genug Punkte und Unklarheiten, über die unter Einbeziehung aller beteiligten Interessengruppen bereits jetzt offen diskutiert werden sollte und die durch einen gesetzgeberischen Eingriff klargestellt oder im Idealfall sogar verbessert werden könnten: Dies betrifft beispielsweise die umstrittene Ungleichbehandlung von Fachzeitschriften und Publikumszeitschriften (§ 60a Abs. 2 UrhG) oder die Detailfrage, ob bei Sammelwerken der einzelne Beitrag oder das gesamte Werk als Bezugspunkt für die 15%-Regel (über deren Höhe ebenfalls diskutiert werden könnte) gilt. Ferner ist in vielen Fällen nach wie vor unklar, ab wann gebührenfinanzierte Zertifikatskurse und Weiterbildungsstudiengänge der Hochschulen als “kommerziell” einzustufen und aus dem Anwendungsbereich von § 60a UrhG herauszunehmen sind. Eine Klarstellung würde hier zu deutlich mehr Rechtssicherheit bei den Bildungseinrichtungen führen und hätte, je nach Ergebnis, auch mittelbar Einfluss auf die Höhe der angemessenen Vergütung für Urheberinnen und Urheber.
4. Fazit
Fest steht, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in der Hochschullehre noch im Jahr 2021 Detailverbesserungen erfahren werden. Diese Veränderungen sind vor allem aus Sicht der grenzüberschreitenden Lehre sehr zu begrüßen. Weniger schön ist dagegen, dass die weitere Zukunft des Urheberrechts in der Hochschullehre aktuell unsicher ist und insbesondere davon abhängen wird, wie der Gesetzgeber mit der Befristung der aktuellen Vorschriften umgehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass diese Frage zeitnah und am besten noch im Jahr 2021 geklärt und auf diese Weise Rechtssicherheit für Bildungseinrichtungen geschaffen wird.