Zur Unsichtbarkeit von (digitaler) Lehre

Zur Unsichtbarkeit von (digitaler) Lehre

25.10.23

Engagement in der Hochschullehre wird – sowohl in der institutionellen als auch in der individuellen Außendarstellung – nur selten sichtbar, insbesondere im Vergleich zu Forschungsleistungen. Das gilt auch für innovative Ansätze in der digitalen Lehre. In ihrem Blogbeitrag berichten Dr. Sylvi Mauermeister und Prof. Dr. Isabel Steinhardt, Universität Paderborn, von ihrer entsprechenden Recherche. Sie stellen verschiedene Ansatzpunkte vor und skizzieren erste Vorschläge für eine bessere Sichtbarmachung und Aufwertung von Lehrengagement.

Dass an Universitäten die Lehre gegenüber der Forschung trotz hoher Studierendenzahlen in den letzten Jahrzehnten noch immer von geringerer Bedeutung ist, ist hinreichend bekannt, beforscht und entspricht dem professoralen und institutionellen Selbstverständnis (Autor:innengruppe AEDiL 2021; Reinmann 2017; Bloch & Würmann 2012). Wie unsichtbar Lehre tatsächlich ist, fällt in der Regel anlassbezogen auf. Bei uns war dieser Anlass der Feldzugang im Rahmen des Forschungsprojektes „digihub.org“. Innerhalb des Forschungsprojektes wollten wir an drei ausgewählten großen Universitäten Gespräche mit Professor*innen unterschiedlicher Karrierestufen (langjährige und neu berufene Professor*innen) und vier verschiedener Fachkulturen führen, die sich durch die Nutzung (innovativer) digitaler Lehrkonzepte auszeichnen. Doch wie identifiziert man solche „Vorreiter*innen“?

 

  • Unser erster Zugang erfolgte über die hochschuldidaktischen Einrichtungen. Hier müsste man doch genug lehr-begeisterte Personen kennen! Allerdings konnten uns nur wenige Professor*innen genannt werden und zudem nur für wenige Fachkulturen. Die Nutzung hochschuldidaktischer Angebote an Universitäten scheint im Kontext der Pandemie und der Umstellung der Lehre insbesondere durch den akademischen Mittelbau (Prä- und Postdoc’s) erfolgt zu sein, während insbesondere langjährig tätige Professor*innen nur selten an hochschuldidaktischen Weiterbildungen teilnahmen – ebenso, wie es verschiedene Studien bereits vor der Pandemie zeigten (u.a. Stolz 2020, Reinmann 2017, Bloch et al. 2014, Schmidt & Seidl 2014).
  • Unser zweiter Zugangsweg bildete die Recherche der Lehrpreisgewinner*innen der Jahre 2020 bis 2022. Aufgrund der Covid-19 Pandemie standen Lehrpreise in dieser Zeit häufig im Kontext digitaler Lehrkonzepte, weshalb sich dieser Zugang vor dem Hintergrund des Untersuchungsziels unseres Forschungsprojektes anbot. Die Beschreibung der Kriterien und Verfahren der Lehrpreisvergabe variieren dabei stark und nur an einer der drei Universitäten wurden auch die nominierten Hochschullehrenden aufgeführt, an zwei von drei Universitäten fanden sich lediglich die Namen der Gewinner*innen (pro Jahr ein bis drei Personen). Damit bleibt nicht nur ein großer Teil der engagierten Lehrenden unsichtbar, auch für unseren konkreten Feldzugang ergab sich nur eine geringe Fallzahl von potenziellen Interviewpartner*innen. Zudem verringerte sich Anzahl weiter, da wir auf Professor*innen fokussieren, etwa die Hälfte der Lehrpreise aber an Mitglieder des akademischen Mittelbaus verliehen werden. Und schließlich erfolgen die Nominierungen aus nachvollziehbaren Gründen nicht durch die Lehrperson selber. Letzteres führt mitunter dazu, dass die nominierten Personen kaum Commitment zur (digitalen) Lehre aufwiesen und/oder nicht wussten, warum sie nominiert wurden – was uns in den Interviewanfragen mitgeteilt wurde.
  • Ein dritter Zugangsweg erfolgte über die Webseiten der Professor*innen an den Falluniversitäten. Hier zeigte sich allerdings, dass die Webseiten kaum Informationen zur Konzeption der Lehre oder lehrbezogenen Engagement enthielten. Überwiegend enthielten die Webseiten Verweise auf aktuelle Veranstaltungen und zu vergebende Abschlussarbeiten, erhaltene Lehrpreise fanden häufig gar keine Erwähnung oder nur über den Umweg der Recherche des Lebenslaufes. Im Vergleich dazu fiel die Darstellung des forschungsbezogenen Engagements deutlich höher aus: Angaben zu Forschungsinteressen und -schwerpunkten, Umfang und Qualität der Publikationen der letzten Jahrzehnte (teilweise bis hin zu Angaben des h-Index), Forschungspreise, laufende oder abgeschlossene Forschungsprojekten und Kooperationen. Auffällig war, dass sich die Forschungsdarstellung nur punktuell zwischen den Fachkulturen unterschied. So fanden sich in der Mathematik bzw. den Naturwissenschaften tendenziell noch häufiger Inhalte zu laufenden Forschergruppen und selbst unter jenen Sozialwissenschaftler*innen die explizit zum Einsatz digitaler Medien in der (hoch)schulischen Lehre forschten, fanden sich kaum Informationen zur Gestaltung der eigenen Lehre.
  • Unser vierter Zugangsweg erfolgte schließlich über die Pressemitteilungen der Universitäten zu den Neu-Berufenen. Auch hier zeigte sich allerdings, dass in diesen Mitteilungen v.a. die bisherigen und zukünftig zu erwartenden Forschungsleistungen präsentiert wurden, während Informationen zur Gestaltung der Lehre kaum enthalten waren. Hier scheint sich die geringe Bedeutung der Lehre in Berufungsverfahren und Bleibeverhandlungen zu spiegeln (Becker, 2016, Becker et al., 2011) und es ist anzunehmen, dass auch bei diesen Verfahren die Lehre im Kontext der Pandemie keinen deutlichen Bedeutungszuwachs erfahren hat.

 

Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: in den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche (hochschul-)politische Initiativen und Förderprogramme aufgelegt wurden, um die Attraktivität und Sichtbarkeit des lehrbezogenen Engagements zu steigern (u.a. Qualitätspakt Lehre, Programm LehreN,, Lehrpreise). Die Wirkung scheint jedoch, gerade im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln, begrenzt. Die aufgezeigten Schwierigkeiten beim Feldzugang deuten darauf hin, dass auch die lehrbezogenen Herausforderungen während der Pandemie nicht zu einer deutlichen Aufwertung geführt haben. Auch wenn die fehlende Sichtbarkeit vor allem an den für das Forschungsprojekt relevanten großen Universitäten (im Vergleich zu kleinen Universitäten oder Hochschulen für angewandte Wissenschaften) ein Problem darstellen dürfte, da  „[s]owohl bei Professor*innen als auch bei wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen […] der Arbeitszeitanteil der Lehre mit zunehmender Universitätsgröße sinkt“ (Schneijderberg & Götze, 2020, S. 18), sollten für den Feldzugang in Forschungsprojekten, welche Professor*innen mit hohem Engagement in der (digitalen) Lehre adressieren, ausreichend zeitliche Ressourcen für die Recherche und eine Kombination von verschiedenen Zugängen eingeplant werden.

Ein niederschwelliger Schritt zur Erhöhung der Sichtbarkeit der Lehre, wären systematische Informationen zum Lehrengagement, zur Didaktik und Konzeption der Konzeption der Lehre auf den Webseiten der Hochschullehrenden. Wenn es gelebte Praxis wird, sich in gleicher Weise und Selbstverständlichkeit wie in der Forschung auch mit der Präsentation und Aktualisierung von lehrbezogenen Webinhalten (Lehrkonzepte, Auszeichnungen, Methoden) sichtbar zu machen und Raum zu geben, wäre ein weiterer kleiner aber wichtiger Schritt getan, damit Lehre die ihr gebührende Aufwertung erfährt.

 

Literatur

  • Autor:innengruppe AEDiL (2021): Corona-Semester reflektiert. Einblicke einer kollaborativen Autoethnographie. Bielefeld: wbv.
  • Becker, F. G. (2016). Inplacement von Neuberufenen – Strategie zur Neuausrichtung von Lehrkulturen an Universitäten. In T. Brahm, T. Jenert, & D. Euler (Hrsg.), Pädagogische Hochschulentwicklung (S. 203–219). Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12067-2
  • Becker, F. G., Wild, E., Tadsen, W., & Stegmüller, R. (2011). „Gute Lehre“ aus Sicht von Hochschulleitungen und Neuberufenen—Ein empirischer Einblick in Lehrkonzepte, Steuerungsphilosophien, Motivlagen, Anreizsysteme und Inplacement-Maßnahmen. In Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung: Analysen und Impulse für die Praxis (S. 226–239). CHE, Centrum für Hochschulentwicklung.
  • Bloch, R., Lathan, M., Mitterle, A., Trümpler, D. & Würmann, C. (2014). Wer lehrt warum?. Strukturen und Akteure der akademischen Lehre an deutschen Hochschulen. Hochschulforschung Halle-Wittenberg. Leipzig: AVA Akademische Verlagsanstalt.
  • Bloch, R.; Würmann, C. (2012): Außer Konkurrenz? Lehre und Karriere. die hochschule 12 (2), S. 199-219.
  • Reinmann, G. (2017). Institutionalisierung der Hochschuldidaktik? Begriffe, Versuche, Hindernisse, Zukunft. In W.-D. Webler & H. Jung-Paarmann (Eds.), Zwischen Wissenschaftsforschung, Wissenschaftspropädeutik und Hochschulpolitik (pp. 269–283). Bielefeld: UniversitätsVerlagWebler.
  • Schneijderberg, C., & Götze, N. (2020). Organisierte, metrifizierte und exzellente Wissenschaftler*innen. Veränderungen der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen an Fachhochschulen und Universitäten von 1992 über 2007 bis 2018. https://doi.org/10.5281/ZENODO.3949756
  • Schmidt, F. & Seidl, T. (2014). Gründe Lehrender zur Teilnahme an hochschuldidaktischen Weiterbildungsveranstaltungen. Zeitschrift Personal- und Organisationsentwicklung, 2014/1 + 2., 29–34.
  • Stolz, K. (2020). Hochschuldidaktische Professionalität. Eine Grounded Theory zur Kooperationsherstellung in der Hochschuldidaktik. https://opendata.uni-halle.de/bitstream/1981185920/35420/1/Stolz_Katrin_Dissertation_2020.pdf

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Ein Kommentar

  1. Systematische Informationen zum Lehrengagement, zur Didaktik und zur Konzeption der Lehre auf den Webseiten der Hochschullehrenden wären ein niederschwelliger Schritt zur Erhöhung der Sichtbarkeit der Lehre.