Barrierefreie Audio- und Videoinhalte erstellen

Barrierefreie Audio- und Videoinhalte erstellen

16.10.20

Kamera auf Stativ im Vordergrund, gerichtet auf gestikulierende Frau im Hintergrund

Wie können multimediale Inhalte barrierefrei gestaltet werden? Für wen spielen Alternativen zu Audio- und Videoinhalten überhaupt eine Rolle und was muss in der Umsetzung konkret beachtet werden um die Anforderungen der Barrierefreiheit zu erfüllen? Dr. Björn Fisseler gibt in diesem Beitrag Antworten auf diese Fragen und stellt konkrete Handlungsempfehlungen zur Erstellung barrierefreier Audio- und Videoinhalte vor.

Dieser Blogbeitrag gehört zu einer Reihe zum Thema Barrierefreiheit in der digitalen Lehre von Dr. Björn Fisseler. Sie können alle weiteren Artikel in unserem Dossier Diversität und Barrierefreiheit finden.

Im Blogbeitrag zu den Grundlagen digitaler Barrierefreiheit wurde das Prinzip der Wahrnehmbarkeit vorgestellt. Dieses Prinzip gilt auch für Audio- und Videoinhalte. Aber wer braucht welche Alternativen zu Audio- und Video-Inhalten (AV-Inhalten) und warum? Welche Alternativen müssen bei welchen Inhalten bereitgestellt werden? Und wie können die Anforderungen an barrierefreie AV-Inhalte umgesetzt werden? Dieser Beitrag gibt Antworten auf diese und weitere Fragen. Weiterführende Hinweise geben die Links zu zusätzlichen Angeboten.

Wer braucht Alternativen und warum?

Es hilft weiter, wenn man die Bedarfe der Nutzer*innen versteht. So kann man besser nachvollziehen, wer welche Alternativen zu AV-Inhalten benötigt und warum. Die Web Accessibility Initiative erläutert detailliert, was die Bedarfe der Nutzer*innen mit verschiedenen Beeinträchtigungen sind:

  • Gehörlose Menschen können Audioinhalte nicht wahrnehmen und benötigen dafür eine Alternative. Viele gehörlose Menschen können Text gut lesen. Die Informationen der Audioinhalte können sie als Transkript oder Untertitel lesen. Manche gehörlose Menschen bevorzugen auch die Gebärdensprache.
  • Schwerhörige Menschen bevorzugen oft die Audioinhalte, soweit sie diese hören können. Untertitel helfen ihnen dabei, nicht Gehörtes zu verstehen.
  • Ursache von Hörbeeinträchtigungen kann auch eine zentrale Verarbeitungsbeeinträchtigung sein. Menschen mit einer solchen Beeinträchtigung nutzen gerne Untertitel und Transkripte.
  • Blinde Menschen können die visuelle Komponente eines Videos nicht wahrnehmen. Eine Audiodeskription hilft ihnen, die visuellen Informationen zu verstehen.
  • Taubblinde Menschen können weder die visuelle noch die auditive Komponente eines Videos wahrnehmen. Sie können aber mit einem deskriptiven Transkript die Inhalte des Videos nachlesen.
  • Es profitieren aber auch Menschen ohne gesundheitliche Beeinträchtigung von der barrierefreien Gestaltung von AV-Inhalten. Nutzer*innen können Transkripte überfliegen, anstatt einem langen Podcast zuzuhören. Untertitel helfen in geräuschsensiblen Umgebungen oder wenn die Nutzer*innen die Sprache des Videos (noch) nicht gut beherrschen.

Was fordert das Gesetz?

Die BITV (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) beruft sich über den harmonisierten EU-Standard 301 549 auf die Richtlinie 1.2 Zeitbasierte Medien der WCAG (Web Content Accessibility Guidelines) in der aktuell gültigen Fassung. Die Richtlinie gibt folgende Anforderungen vor:

  • 1.2.1: Für aufgezeichnete Nur-Audio-Inhalte und Nur-Video-Inhalte steht eine inhaltlich gleichwertige Alternative zur Verfügung. Das ist in der Regel ein Transkript oder ein deskriptives Transkript. Bei Nur-Video-Inhalten kann auch ein zusätzlicher Audio-Inhalt als Deskription wichtige visuelle Inhalte des Videos wiedergeben.
  • 1.2.2: Für aufgezeichnete Audioinhalte in synchronen Medien (Video mit Audio, Multimedia) stehen Untertitel zur Verfügung.
  • 1.2.3: Für aufgezeichnete Videoinhalte in synchronen Medien steht eine Audiodeskription oder eine Medienalternative zur Verfügung.
  • 1.2.4: Für live übertragene Audioinhalte stehen Untertitel zur Verfügung.
  • 1.2.5: Für aufgezeichnete Videoinhalte in synchronen Medien steht eine Audiodeskription zur Verfügung.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass sich die Anforderungen 1.2.3 und 1.2.5 sehr ähneln. Das liegt daran, dass Anforderung 1.2.3 der WCAG-Stufe A entspricht, die Anforderung 1.2.5 der Stufe AA. Für die niedrigste Stufe genügt eine Audiodeskription oder eine Medienalternative für Videoinhalte. Für die Stufe AA muss es eine Audiodeskription sein.

Der harmonisierte EU-Standard übernimmt aber diese Stufeneinteilung nicht. Er übernimmt auch nicht die Anforderungen 1.2.6 (Gebärdensprache), 1.2.7 (erweiterte Audiodeskription), 1.2.8 (Medienalternative) und 1.2.9 (Live-Nur-Audio) der WCAG. Das bedeutet, dass keine Gebärdensprachevideos für eine barrierefreie Gestaltung notwendig sind, obwohl manche gehörlose Menschen bevorzugt in Gebärdensprache kommunizieren. Auch die BITV sieht Erläuterungen in Deutscher Gebärdensprache nur für wichtige Teile der Startseite einer Webseite vor.

Begrifflichkeiten

Mann mit Kopfhörern vor einem Mikrophon.

  • Untertitel: Untertitel sind Textinhalte, die in der Regel unter dem Bildinhalt stehen.
  • Captions: Im Englischen wird – zumindest in Nordamerika – zwischen Captions und Subtitles unterschieden. Die Zielgruppe von Captions sind Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung, in der Regel mit einer Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit. Sie verschriftlichen die auditiven Inhalte von synchronen Medien so detailliert wie nötig und möglich. Im Unterschied zu Subtitles werden nicht-sprachliche Audioinhalte wie dramaturgisch wichtige Klangeffekte, Sprecher*innenwechsel und Sprechbesonderheiten auch verschriftlicht.
  • Subtitles: Subtitles sind eine schriftliche Übersetzung der Audioinhalte in eine andere Sprache. Zielgruppe sind also Menschen, die die Originalsprache z.B. des Videos nicht oder nicht gut verstehen.
  • Open/Closed Captions: Open Captions sind permanent zu sehen und können nicht abgeschaltet werden, weil sie in das Videobild integriert sind. Closed Captions können nach Bedarf ein- und ausgeschaltet werden.
  • Audiodeskription: Die Audiodeskription beschreibt visuelle Informationen, die für das Verstehen eines Videos wichtig sind. Im Idealfall fügt sich Audiodeskription in Sprechpausen des Videos ein.
  • (Beschreibendes) Transkript: Einfache Transkripte sind eine Textfassung der bedeutungstragenden sprachlichen und nicht-sprachlichen Audioinhalte. Ein beschreibendes Transkript verschriftlicht auch visuelle Informationen, die für das Verstehen wichtig sind.

Das WebAIM-Projekt erläutert die Unterschiede in einem Artikel und geht auch auf Live-Untertitel ein.

Was bedeutet das denn jetzt für das Lehren und Lernen?

Die Web Accessibility Initiative erklärt sehr genau, wann Audiodeskription, Untertitel und Transkripte notwendig sind. Ich erläutere die Regelungen der BITV bzw. des EN 301 549 anhand typischer Lehrszenarien. Dabei ist immer zu beachten, dass die Alternativen dann bereitgestellt werden müssen, wenn die Audio- bzw. Videoinhalte nicht bereits eine Alternative zu Textinhalten darstellen.

  • Podcasts: Podcasts sind aufgezeichnete Audioinhalte und benötigen daher ein Transkript. Wenn Sie den Podcast aber lediglich als Annehmlichkeit für die Studierenden erstellen und die Inhalte auch als Text z.B. im Lernmanagementsystem zu finden sind, ist ein Transkript nicht erforderlich. Der Podcast wäre dann nur eine Alternative zu Textinhalten.
  • Vidcasts: Vidcasts sind kleine Videos, in denen Lehrende beispielsweise auf Fragen der Studierenden eingehen. Oft werden diese Videos am eigenen Rechner oder mit dem Smartphone produziert. Ein Vidcast braucht daher Untertitel. Aber braucht der Vidcast auch eine Audiodeskription? Das kommt darauf an, ob das Video wichtige visuelle Informationen enthält.
  • Vorlesungsaufzeichnungen: Vorlesungen als Video sind eine komplexe Situation, denn es gibt viele unterschiedliche Varianten. Manche Lehrenden produzieren Vorlesungsaufzeichnungen selber am eigenen Rechner und sind dann als sog. “sprechender Kopf” (talking head) am oberen oder unteren Rand ihrer Folienpräsentation zu sehen. An anderen Hochschulen können Vorlesungen (semi-)professionell in einem Videostudio aufgezeichnet werden. Und dann gibt es Lehrende, die ihre Vorlesung im Hörsaal aufzeichnen. Der EU-Standard fordert Untertitel, eine Medienalternative wie ein (deskriptives) Transkript und eine Audiodeskription. Aber auch hier muss überlegt werden, ob es wichtige visuelle Informationen gibt, die ein Transkript und eine Audiodeskription erfordern. Vielleicht enthält der Foliensatz der barrierefreien Präsentation alle wesentlichen visuellen Informationen? Und was ist mit naturwissenschaftlich-technischen Vorlesungen? Wenn die Lehrperson tafelweise mathematische Formeln und Ableitungen aufschreibt, wie sollen diese visuellen Inhalte transportiert werden? Ist eine Audiodeskription in diesem Fall hilfreich? Oder ein deskriptives Transkript? Es geht ja nicht darum, einfach Standards einzuhalten, sondern allen Lernenden das Lernen zu ermöglichen. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
  • Videokonferenzen: Seit Beginn der Corona-Pandemie setzen viele Hochschulen und Lehrende auf synchrone Videokonferenzen als Ersatz für Präsenzveranstaltungen. Gemäß Anforderung 1.2.4 müssen solche Angebote live untertitelt werden. Manche Videokonferenzsysteme stellen dafür Schnittstellen bereit, die Dienstleister nutzen, um Live-Untertitel in die laufende Videokonferenz einzuspielen. Manche Videokonferenzsysteme bieten sogar automatische Live-Untertitel an. Es ist allerdings unklar, wie gut die Qualität dieser automatischen Untertitel ist.
    Eine pragmatische Möglichkeist ist, Schriftdolmetscher*innen zur Videokonferenz hinzuzuschalten. Diese verschriftlichen die gesprochenen Beiträge live. Die Nutzer*innen können die Schriftdolmetschung dann in einem separaten Fenster mitlesen.
    Aber was ist mit Folien oder mit Abbildungen die gezeigt werden? Auch für diese wichtigen visuellen Inhalte müssen zugängliche Alternativen gefunden werden. Präsentationen könnten vorab als barrierefreie Version zur Verfügung gestellt werden. Abbildungen kann die vortragende Person im notwendigen Umfang erläutern. Auch hier hilft es, vorab mit den Studierenden zu reden und gemeinsam eine geeignete Lösung zu finden.

Wie können diese Anforderungen umgesetzt werden?

Es ist sicher deutlich geworden, dass die barrierefreie Gestaltung multimedialer Inhalte nicht trivial ist. Ein Video untertitelt man nicht selber mal eben nebenbei. Aber der Aufwand lohnt sich, vor allem natürlich für Studierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Wie ein Video mit Audiodeskription, Untertitelung und Transkript dann aussieht, zeigt ein Beispiel des DO-IT der University of Washington.

Organisationale Rahmenbedingungen

  • Die Erstellung von Untertiteln, Transkripten und Audiodeskriptionen benötigt personelle und finanzielle Ressourcen. Die Bereitstellung dieser Ressourcen ist Aufgabe der Hochschulen. Wenn Audio- oder Videoinhalte prüfungsrelevant sind, muss die Hochschule für die barrierefreie Gestaltung sorgen.
  • Weil die barrierefreie Gestaltung so ressourcenintensiv ist, sollte auf z.B. Hochschulebene überlegt werden, für welche Audio- und Videoinhalte Untertitel, Transkripte und Audiodeskriptionen erstellt werden. Hier wird man Prioritäten setzen müssen, bspw. bezogen auf die Dringlichkeit, die Nutzungsdauer oder die Prüfungsrelevanz der AV-Inhalte.
  • Ebenso sollte entschieden werden, ob die Hochschule einen eigenen Service aufbaut oder externe Dienstleister beauftragt. Beides hat Vor- und Nachteile.

Vorbereitung und Aufnahme

Kamera auf Stativ im Vordergrund, gerichtet auf gestikulierende Frau im Hintergrund

  • Die barrierefreie Gestaltung von AV-Inhalten beginnt schon vor der Aufnahme. Vergewissern Sie sich, welche Aspekte der Barrierefreiheit Sie berücksichtigen und welche Standard Sie erfüllen müssen. Überlegen Sie, ob Sie das Projekt intern bearbeiten oder Teile an externe Partner vergeben.
  • Berücksichtigen Sie bei der Planung, dass Untertitel einen Teil des Videobilds verdecken. Audiodeskriptionen benötigen ebenso Pausen im gesprochenen Wort, damit sie in diesen Pausen wiedergegeben werden können.
  • Wenn Sie ein Skript erstellen, erleichtert das die Durchführung und es kann als Grundlage für Untertitel oder ein Transkript genutzt werden.
  • Sprechen Sie bei der Aufnahme langsam und deutlich, vermeiden Sie unnötige Hintergrundgeräusche und sorgen Sie für eine gute Bild- und Ton-Qualität. Die erreichen Sie in der Regel nicht mit im Rechner eingebauten Mikrofon und Kamera. Investieren Sie daher etwas Geld in qualitativ gute Geräte, wenn Sie AV-Inhalte selber aufzeichnen.
  • Die Qualität eines AV-Inhalts steht und fällt mit der Vorbereitung. Erläutern Sie wichtige visuelle Inhalte wie Diagramme oder Schaubilder so, dass sie die Beschreibung in den Vortrag integrieren. Dann wird eine Audiodeskription vielleicht nicht benötigt.
  • Die WAI hat weitere Hinweise und Tipps zu Vorbereitung und Aufnahme barrierefreier AV-Inhalte.
  • Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit hat viele Informationen zur Vorbereitung und Durchführung barrierefreier Videokonferenzen zusammengestellt. Auch die Firma Deque gibt Tipps für barrierefreie Webkonferenzen.

Erstellung von Untertiteln, Transkripten und Audiodeskriptionen

Technische Umsetzung

  • Der HTML5-Standard unterstützt die Einbindung von Untertiteln und Textdeskriptionen. Die MDN Web Docs bieten einen guten Einstieg zum Thema Video in HTML sowie Untertitel in HTML5.
  • Bei Lernmanagementsystemen ist oft ein Videoplayer integriert, der AV-Inhalten auch in älteren Browsern wiedergibt. Es gibt eine Vielzahl an Videoplayern, wie eine – leider nicht mehr ganz aktuelle – Übersicht zeigt.
  • Wichtig ist, dass der verwendete Videoplayer selber auch barrierefrei ist. Oft sind Videoplayer nicht per Tastatur bedienbar oder können mit Braillezeilen nicht genutzt werden. Der AblePlayer ist vollständig barrierefei und bietet viele Möglichkeiten.
  • Bei einer Videokonferenz muss natürlich auch die eingesetzte Software barrierefrei sein. Für Adobe Connect, Zoom, Microsoft Teams und Google Meet gibt es Informationen dazu.
  • Die University of Washington erläutert, wie Untertitel zu vielen verschiedenen Videodiensten hinzugefügt werden.
  • Auch die Pennsylvania State University bietet Anleitungen für Untertitel und Transkripte.
  • Es klingt sehr verlockend, Untertitel per Spracherkennung automatisch erstellen zu lassen. Einige große IT-Firmen bieten entsprechende Services an, z.B. Microsoft Azure, IBM Watson, Amazon AWS oder Youtube. In der Regel ist aber Qualität solcher Services nicht ausreichend. Auch von einer zuverlässigen automatischen Live-Untertitelung sind wir noch weit entfernt.

Fazit

Die Gestaltung barrierefreier AV-Inhalte ist anspruchsvoll. Die barrierefreie Umsetzung beginnt schon bei der Planung und Vorbereitung. Sie werden schnell feststellen, dass es mit der Hilfe von Expert*innen einfacher ist, AV-Inhalte mit Untertiteln oder einer Audiodeskription zu versehen. Die hier aufgeführten Tipps und Hinweise geben Ihnen einen guten Einstieg in das Thema. Nutzen Sie die weiterführenden Links, um mehr zu diesem spannenden Thema zu erfahren.

 

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