A Domain of One’s Own
A Domain of One’s Own
04.10.17Auf dem ersten Treffen des Netzwerks für die Hochschullehre verantworteten Dr. Jane Brückner, PD Dr. Markus Deimann, Christian Friedrich einen Workshop zum Thema „A Domain of One’s Own“. In diesem Blogpost beschreiben sie, was es mit dem Konzept auf sich hat.
Das erste Treffen des Netzwerks Hochschullehre: Berlin, 11. September, im Quadriga Forum. Erstmals im Veranstaltungsformat des HFD findet sich neben den klassischen Vorträgen und Workshops auch eine Andeutung auf ein Barcamp. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer treten zum ersten Mal mit dem Hochschulforum in Kontakt. Der Rahmen entspricht deshalb unserem Vorsatz, ein im deutschen Mainstream noch unbekanntes Konzept zu Lehren und Lernen im und mit dem Netz vorzustellen: Domain of One’s Own.
Domain of One’s Own (#DoOO) schnell erklärt:
Eine Studentin oder ein Student erhält von der Hochschule zu Beginn des Studiums eigenen Webspace inklusive einer eigenen Domain, die sie ab diesem Moment für Lehr- und Lernzwecke, aber auch darüber hinaus als eigene Webpräsenz nutzen kann und darf. Die Nutzung der Domain wird daher idealerweise in Lehre und Lernen an der Hochschule integriert.
Diese Domain begleitet sie damit nicht nur durch das gesamte Studium, sondern sie kann nach dem Studium weiter genutzt werden und damit weitere Funktionen der digitalen Kommunikation und Präsenz übernehmen. Sie ‘gehört’ von Beginn an der Studentin, nicht der Hochschule. Eine detaillierte Beschreibung der Domain of One’s Own findet sich auf den Seiten der Division of Teaching and Learning Technologies der University of Mary Washington, darüber hinaus haben wir im Etherpad des Workshops weiterführende Links gesammelt.
Drivers of Openness
Wie einen Workshop zu #DoOO über die Dauer von 75 Minuten mit etwa 20–25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestalten? Unser Vorsatz war es, das Konzept #DoOO aus den verschiedenen Perspektiven einer Hochschule zu beleuchten. Dass an unserem Workshop eine Studentin, Lehrende, Forscher und Administratoren teilnahmen, war entsprechend gewinnbringend.
Als Analyseraster bot es sich an, auf ein zuerst bei der #OER16 in Edinburgh vorgestelltes Konzept zurückzugreifen: Die six drivers of openness beschreiben verschiedene Dimensionen und Handlungsfelder, innerhalb derer in einer Hochschule Offenheit aber – so unsere These – auch Digitalisierung beobachtet und analysiert werden kann. Eine absolute Trennschärfe zwischen den Dimensionen ist nicht vorgesehen, vielmehr sind es die Wechselwirkungen zwischen den Dimensionen, die eine Analyse mit den six drivers of openness zu praxisrelevanten Ergebnissen führen sollen. Ableitbare Handlungen und Maßnahmen im Bereich Digitalisierung und Öffnung von Hochschulen werden deshalb auch immer mehrere Dimensionen und Ebenen einbeziehen müssen.
Für den zeitlichen Umfang unseres Workshops von 75 Minuten haben wir von den sechs Dimensionen drei ausgewählt:
- Governance, policy and administration
- Technology, infrastructure, and production
- Pedagogy, learning and collaboration
Gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben wir nach einer kurzen Intro-Phase zu #DoOO und den drivers of openness die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken von #DoOO diskutiert, Eindrücke aus den vertretenen Bereichen einer Hochschule ausgetauscht und anhand der ausgesuchten drivers ausgelotet. An dieser Stelle möchten wir einerseits die Diskussion wiedergeben, andererseits aber auch um unsere eigenen Einschätzungen ergänzen. Die Notizen der Diskussion sind im Etherpad des Workshops zu finden.
Governance, policy and administration
Für die Hochschulleitung und -verwaltung bot sich bei der Bewertung von #DoOO ein gemischtes Bild im Workshop: einerseits erkannten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schnell mögliche Beiträge zu Kooperationen in der Hochschullehre, andererseits sind Rahmenprüfungsordnungen, Fragen nach Urheberrecht und Datenschutz zumindest als Unsicherheitsfaktoren zu bewerten.
Jedoch lässt sich hier wie an anderer Stelle festhalten, dass #DoOO als ein Dosenöffner funktionieren kann, wenn es um grundsätzliche Fragen digital-gestützter Lehre geht. Als Prototyp eingeführt, sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durchaus das Potenzial von #DoOO auch strategische Ziele wie den Ausbau des Angebots innovativer digitaler Lehrformate zu unterstützen, beispielsweise durch die im Kontext von #DoOO angebotenen Workshops und Schulungen. Beinahe jede Frage rund um die Einführung digitaler Lehre lässt sich prototypisch und greifbar anhand von #DoOO diskutieren; allgemeine Vorbehalte, aber auch evangelistisch vorgetragene Heilversprechen lassen sich plastisch anhand realer Sachverhalte analysieren, bewerten und ausprobieren.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle ein Kollateralnutzen: die Alumni-Arbeit und die Einbindung von Alumni in die Hochschule birgt ein großes Potenzial in Verbindung mit #DoOO. Alumni, die die Domain nach Studienende oder Verlassen der Hochschule übernehmen, werden mit ihrer Domain zu Botschaftern ihrer Hochschule. Als Mentoren für jüngere Semester lassen sie sich in Lehr- und Lernprozesse, die im offenen Netz stattfinden, einfacher in die Lehre einbinden. #DoOO kann so zu einer Vernetzung von Studierenden, Alumni, Lehrenden und der breiteren Gesellschaft der Hochschule beitragen.
Technology, infrastructure, and production
Aus Sicht dieser Dimension standen in Bezug auf #DoOO im Lauf des Workshops zunächst Fragen nach der Umsetzbarkeit, der Kostenstruktur und der Risikoabwägung im Raum. Zunächst stellte sich die Frage des hostings an der Hochschule selbst oder durch einen dritten Anbieter. Dass hier auch Fragen um Governance und Policy sowie den regulatorischen Rahmen eine Rolle spielen, zeigt sich bei Fragen um Datensicherheit, Datenschutz und auch Urheberrecht.
Die Frage des hostings ist individuell vor dem Hintergrund der Größe der Universität, aber auch der Erfahrung und Ausstattung der Medien- und Rechenzentren zu bewerten. Die Kostenseite der Infrastruktur für eine Domain plus hosting pro Studentin oder Student stellte sich im Lauf des Workshops als vernachlässigbar heraus wobei Kosten für maintenance, vor allem aber für Schulungen und Workshops mit allen Hochschulmitgliedern, durchaus ins Gewicht fallen. Diese lassen sich, abhängig von der Expertise einzelner Hochschulbereiche, beispielsweise durch eine Verschränkung der Angebote eines Medienzentrums oder einer Bibliothek verringern.
Die mögliche Nutzung von offenen Schnittstellen, die Möglichkeit der Individualisierung und Anpassung von Lehr- und Lernformaten abhängig von Disziplin, Vorkenntnis, Gruppengröße, etc. sowie die mögliche Nutzung von freier und offener Software – diese Aspekte fanden Anklang unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops, auch weil sie damit die Idee verbanden, bei einem möglichen Hochschulwechsel eine Migration von Daten mit den Studentinnen und Studenten zu ermöglichen.
Hinzuzufügen bleibt, dass die community derer, die mit #DoOO in verschiedenen Ausprägungen arbeiten, international durchaus robust und hilfsbereit ist. Tipps, Tricks und Lösungen werden, dem Leitgedanken einer offenen community folgend, bereitwillig ausgetauscht.
Auch wenn dieses Thema im Workshop am 11.09. nur kurz angesprochen wurde: Interessant scheint der Aspekt, dass #DoOO ein weiteres Mittel sein kann, um in Schulungen und Workshops mit allen Beteiligten einer Hochschule sicherheitsrelevante Fragen, aber auch generelle Aspekte einer Digital Literacy zu behandeln, zusätzliche Motivationen für eine Arbeit in und mit dem Netz in der Lehre zu schaffen. Die so erreichte Sensibilität, z.B. zu Fragen der Sicherheit im Netz, kann auch zu Gewinnen im Umgang mit anderen Hochschulsystemen (Kommunikation und Email, Datentransfer, Kryptographie, Passwortsicherheit) führen – ein Aspekt, an dem Rechenzentren und Verantwortliche grundsätzlich interessiert sein dürften.
Pedagogy, learning and collaboration
Im Bereich Pädagogik, Lernprozesse und Kollaboration wurde stark aus der Perspektive der Studierenden argumentiert. Hier machte sich schnell deutlich, welche Potenziale und Stärken der Einsatz von #DoOO für Lernende haben kann. Wir haben das Plädoyer der Pädagogik aufgenommen, Lernprozesse mögen die Selbstwirksamkeitserfahrung der Lernenden erhöhen. Die eigene Domain im Studium unterstützt die Erfahrungen mit der eigenen Wirksamkeit nicht nur, sondern erweitert diese um die digitalen Handlungsfelder der Bildung. Die Nutzungsmöglichkeiten der eigenen Domain nach dem Studium erweitern diese Handlungs– und Erfahrungspotentiale um eine gewährleistete Nachhaltigkeit. Die Möglichkeiten einer Nutzung von Domain of One’s Own auch nach und außerhalb des Studiums können die berufliche Netzwerkarbeit im Bereich Alumni, Profilbildung und Mentorship unterstützen.
Anders als beim didaktischen Konzept des e-Portfolios, das auf eine einfach Blog-Architektur oder ein eigens hierfür entwickeltes System wie Mahara aufbaut und in einigen Hochschulen als sogenannte ‘Blogfarms’ bereits genutzt wird, ist die eigene Domain näher an der digitalen Lebenswelt der Studentinnen und Studenten und der Nutzungseinstieg deshalb niedrigschwellig. E-portfolios könnten jedoch als Zugangspunkt zu #DoOO fungieren, so die Beiträge in unserem Workshop.
Bemerkenswert erscheint uns aber das Argument, dass Domain of One’s Own als Knotenpunkt einer eigenen Identität und mündigen Kommunikation im Netz fungieren kann, unabhängig von Social Media Profilen, aber durchaus mit diesen verknüpft. Damit birgt #DoOO im Rahmen dieser Dimension erhebliche Chancen und Stärken, insbesondere im Zusammenhang von Life Long Learning und kollaborativen Lernprozessen.
Aus der institutionellen Perspektive wurde ein möglicher Kontrollverlust im Workshop diskutiert, der mit einem konservativen Rollenverständnis von Lehrenden verbunden ist. Die Öffnung der Lehr- und Lernprozesse mit #DoOO forciert eine veränderte Haltung zu diesen etablierten Handlungsrollen und bietet gleichzeitig ein Werkzeug für einen Kulturwandel im Sinne eines selbstregulierten Lernens.
Fazit und Ausblick
“Digitalisierung von Hochschulen” thematisiert in vielen Fällen Effizienz und Effektivität als zentrale Elemente von Prozess-Management und Change-Management. Im Unterschied dazu zeigt Domain of One’s Own, dass Lernen und Lehren in und mit dem Netz auch im Einklang mit Prinzipien wie Autonomität, individueller Handlungsfähigkeit und Dezentralität funktionieren kann. #DoOO räumt auf Ebene der Studentinnen und Studenten, auf Ebene der Lehrenden und Disziplinen, aus Sicht der Infrastruktur oder der Administration einer Hochschule Freiheiten ein, die manche im Kontext Hochschule und Digitalisierung als verloren glauben.
Die Vermittlung von Digital Literacies, die Bildung von Informationskompetenz und die Fähigkeit sich mit anderen zu vernetzen und seine Identität im Netz zu repräsentieren: All das sind Ziele und Werte, die in einer zentralisierten, uniformen Struktur von Plattformen und Skalierung verloren zu gehen drohen – ein im Prozess der Digitalisierung von Hochschulen möglicherweise nicht intendiertes Ergebnis, das auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen und Stoßrichtungen zurecht Kritiker findet . #DoOO kann ein Baustein der Überlegungen zur Zukunft der Hochschullehre im Netz und mit dem Netz sein, jenseits der Narrative zu zentralem Management oder Quantifizierung und einer Effizienz, deren Proklamation allein noch nicht für tatsächlich nutzerfreundlichere oder weniger aufwendige Prozesse sorgt. Das Konzept einer Domain of One’s Own ändert Machtverhältnisse in der Hochschule: die Kontrollinstanz über Inhalte, Infrastruktur, Lernort und Interaktionsmechanismen sind nicht mehr nur die Lehrenden und die Hochschule, sondern auch die Studentinnen und Studenten. Damit wird Hochschule auch im ‘Digitalen’ ein Ort, an dem Mündigkeit, Reflexion und Individualität gefördert werden.
Interessant wird es sein, #DoOO prototypisch einzusetzen, aus ersten Ansätzen zu lernen dann auch Rückschlüsse auf die Kosten und Risiken, aber auch Zufriedenheit der Lehrenden, vor allem aber der Studentinnen und Studenten zu untersuchen. Letztendlich dürften sich auch zukünftige Arbeitgeber darüber freuen, wenn Absolventen nicht nur den einwandfreien Umgang mit Moodle, Stud.IP oder edX beherrschen, wenn zukünftige Auftragnehmer oder Beschäftigte nicht nur nach dem einfachsten Ausweg aus einem gestellten Problem suchen, sondern auch wissen was Hyperlinks, was ein Server, was HTML, Markdown und HTTPS oder auch ein Content Management System ist, wie man diese Tools und Systeme nutzt und wie das im Verhältnis zu Aktivitäten in den sozialen Medien stehen kann.