Was wir von Game-Streamern lernen können. Inspirationen aus dem Live-Game-Streaming für die eigene synchrone digitale Lehre
Was wir von Game-Streamern lernen können. Inspirationen aus dem Live-Game-Streaming für die eigene synchrone digitale Lehre
14.01.21Lehrende können sich in Sachen technischer Ausrüstung und Interaktion ein paar Dinge von Game-Streamern abschauen. Welche das sind, erläutert Prof. Dr. Tobias Seidl in diesem Blogbeitrag. Haben Sie darüber hinaus noch weitere Tipps, schreiben Sie uns diese gerne in die Kommentare!
Learning 1: Technische Komponente
Die flächendeckende Umstellung auf digitale Lehre ist und war für Lehrende eine große Herausforderung. Für die Weiterentwicklung der eigenen Lehre lohnt es sich neben dem kollegialen Austausch auch Inspirationen und Ideen aus anderen Bereichen auf ihre Übertragbarkeit in das eigene Handlungsfeld zu prüfen. Im Sinne eines solchen Cross-Innovation Ansatzes kann etwa das Live-Game-Streaming (auf Kanälen wie Twitch u.a.) als Inspiration dienen. Wohn und Freeman (2020) beschreiben die Herausforderungen, denen der Game-Streamer gegenübersteht wie folgt:
“These […] content creators are responsible for conceptualizing, writing, producing, directing, editing, and performing their content. While juggling these multiple hats, the content creators also have to cultivate, track, manage, engage, and satisfy diverse online audiences. […] Since these performances are live, there is an extra layer of pressure to perform these multiple jobs well simultaneously and in a public facing mode.”
Bei dieser Beschreibung fühlt man sich stark an die Herausforderungen des Lehrenden in der synchronen digitalen oder auch hybriden Lehre erinnert. Wie können uns Lehrenden also die Erfahrungen und Lösungen der Game-Streamer helfen?
Zunächst gibt es hier die technische Komponente. Die Game-Streaming-Community hat ausgereifte technische Setups entwickelt, um Audiosignale und Videobilder in guter Qualität aufnehmen und übertragen zu können. Spezialisierte Software- (z.B. OBS Studio) und Hardwarelösungen (z.B. Streamdecks), erleichtern das Streamer-Leben und können auch in der digitalen Lehre einen großen Mehrwert schaffen.
Learning 2: Interaktion
Die zweite interessante Ebene ist die Interaktion der Streamer mit dem Publikum. Wohn und Freemann haben in einem qualitativen Forschungsdesign genau diese Interaktion näher untersucht. Drei Ergebnisse ihrer Forschung sollen hier als Denkanstöße für die eigene digitale Lehre dienen:
Der Umgang mit „Lurkern“
Das Publikum von Streamern setzt sich aus unterschiedlichen Typen zusammen. Einer dieser Typen ist der „Lurker“, ein Zuschauer der sich nicht an interaktiven Elementen beteiligt. Streamer im untersuchten Sample hinterfragten zum Teil die Gründe für dieses Verhalten. Dieses Hinterfragen ist auch für die digitale Lehre sinnvoll. Bei Streamern wie Lehrenden gleichermaßen werden sich auf der einen Seite Teilnehmende finden lassen, die nicht interagieren wollen und auf der anderen Seite Teilnehmende die nicht interagieren können. Letzteres trifft etwa zu, wenn Teilnehmende durch technische oder organisatorische Rahmenbedingungen in der Interaktion eingeschränkt sind, weil beispielweise die technische Ausstattung (z.B. eine Webcam) fehlt oder weil ihnen ein fehlender Rückzugsort (z.B. erzwungenes Arbeiten vom heimischen Küchentisch) das Anschalten von Mikro und Kamera unmöglich macht. Hier kann insbesondere auch Scham oder das vom Teilnehmenden unerwünschte Eindringen in die eigene Privatsphäre eine Rolle spielen. Diesen „unfreiwilligen Lurkern“ sollten wir organisatorisch und didaktisch unsere Aufmerksamkeit widmen, denn hier kann auch mit geringem Invest ein großer Fortschritt erzielt werden. Dies kann etwa durch das zur Verfügung stellen von an der Hochschule vorhandener Hardware, das Öffnen von Seminarräumen an der Hochschule oder das Verändern von Arbeitssettings (z.B. stärkere Konzentration auf Chat/Textproduktion statt videobasierten Interventionen) umgesetzt werden. Um hier zielgerichtet handeln zu können lohnt es sich zunächst die Gründe der „Lurker“ empirisch zu erfassen.
Learning 3: Niedrigschwellige Kommunikationskanäle
Wo ist der „backchannel“?
Game-Streamer nutzen in der Livesituation vor allem den Chat sowie den Audiokanal für die Kommunikation mit ihrem Publikum. Zudem maßen viele der Befragten einem „backchannel“ für privatere 1:1 Kommunikation eine große Bedeutung in der Interaktion mit ihrem Publikum bei. Dieser wird im Streaming Bereich oft über Discord realisiert. Auch für die Lehre stellt sich die Frage nach einem passenden „backchannel“ für intimere Kommunikation zwischen Lehrendem und Studierenden. Dies ist notwendig, weil im Präsenzalltag etablierte niederschwellige Kommunikationskanäle plötzlich weggefallen sind. Wie kann also eine schnelle, private und informelle Kommunikation, wie sie etwa im Flurgespräch vor oder nach Lehrveranstaltungen stattfindet in den digitalen Raum übersetzt werden? Neben Discord bieten sich hier auch andere Messengerdienste oder informellere Möglichkeiten zum Austausch (neben der Lehrveranstaltung) an. Diese Kommunikationsebene ist äußerst wichtig für den Beziehungsaufbau zwischen Lehrenden und Lernenden und lässt sich nur unzureichend durch die doch sehr formale Kommunikationsebene E-Mail ersetzen.
Das Publikum im Spannungsfeld zwischen einer Person und der Gesamtheit
Das Publikum bei Streamern wie auch in digitalen Lehrveranstaltungen lässt sich oft in (aus welchen Kontexten auch immer) bekannte Gesichter und das abstrakte „Gesamtpublikum“ unterscheiden. Eine gute Mischung zwischen der Ansprache Einzelner und des gesamten Publikums zu erreichen ist aus Sicht der Streamer eine der zentralen Herausforderungen bei der Interaktion mit dem Publikum. Auch in der digitalen Lehre ist das Umschalten zwischen der Ansprache Einzelner und des Gesamtpublikums eine besondere Herausforderung. Die Interaktion mit besonders aktiven Studierenden verleitete dazu die „zweite Seite“ der schwarzen Kacheln zu vernachlässigen. Gleichzeitig ist man als Lehrender ggf. zurückhaltender einzelne „Lurker“ direkt im Plenum anzusprechen, da zumeist die Gründe nicht bekannt sind aus denen sie sich nicht aktiv in die Veranstaltung einbringen. Leider bietet auch die Gamer-Community hier keine Musterlösung an. Jedoch kann die Reflexion des Lehrenden über das eigene „Balancing“ von „abstract audience“ und „specific persons“ helfen die eigene passende Mischung zu finden. Eine hilfreiche Idee ist das Arbeiten mit der visuellen Auszeichnung von Teilnehmerkategorien (Wohn und Freeman bezeichnen dies als „visual cues of audience categories“). Badges in visueller Form (etwa anstatt eines Kamerabildes) oder durch eine Ergänzung des Teilnehmendennamens im Videokonferenzsystem könnten für den Lehrenden die Ansprache erleichtern. So können etwa die Studierenden durch einen Zusatz hinter ihrem Namen in Textform oder über Emojis kennzeichnen, ob sie aktiv angesprochen werden wollen etc.