Prüfungen im digitalen Labor

Prüfungen im digitalen Labor

26.03.25

Die Digitalisierung kann dabei helfen, Prüfungen praxisnah(er) und kompetenzorientiert(er) zu gestalten. Wie das aussehen kann, zeigt ein Projekt an der TU Dortmund. Dort werden derzeit erste E-Prüfungen mit „Digitalen Laboren“ durchgeführt. Jannica Budde, Senior Projektmanagerin im Hochschulforum Digitalisierung beim CHE, sprach mit der Mitinitiatorin Joana Eichhorn über das Projekt, die Rolle von Fehlern in Lernprozessen und die Voraussetzungen für einen Wandel der Prüfungskultur. 

Jannica Budde: Warum forschst du zum Thema Prüfen? Was ist hierbei dein Fokus?

2021 habe ich an der TU Dortmund  eine Projektstelle zum Thema „E-Prüfungsdidaktik zur optimalen Gestaltung von digitalen Prüfungen“ übernommen. Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass viele Lehrende unser Beratungsangebot nicht in Anspruch nahmen. Ich habe mich gefragt, warum das so ist und wollte mehr darüber erfahren, wie Lehrende agieren, was sie bewegt und warum sie so handeln, wie sie handeln. Das hat mich dann dazu bewegt, mich in meiner Dissertation dem Thema Motivation von Lehrenden und E-Prüfungen zu widmen. 

Daneben habe ich es immer als meine Aufgabe als Hochschuldidaktikerin gesehen, Lehrenden zu zeigen, wie man mit E-Prüfungen relativ einfach kompetenzorientierte digitale Prüfungen erstellen kann. Zu diesem Zeitpunkt lernte ich Tobias R. Ortelt näher kennen, der bei uns die Koordination der digitalen Lehre übernommen hatte. Er hat sich zu diesem Zeitpunkt schon intensiv mit digitalen Laboren beschäftigt. Gemeinsam haben wir uns dann im Jahr 2022 für das Fellowship im Rahmen des Fellowship-Programms „Prüfung hoch III Drei“ beworben und wurden angenommen. Damit begann die Reise mit digitalen Laboren und E-Prüfungen.

JB: Was sind denn digitale Labore?

Die Bezeichnung „Digitales Labor“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Arten von Laboren. Dazu gehören z.B. Remote-Labore, die einen synchronen Zugriff auf reale automatisierte Hardware ermöglichen, oder Ultra-Concurrent Remote-Labore, die einen asynchronen Zugriff auf reale Messdaten, Videos etc. ermöglichen. Auch reine Simulationen fallen unter den Oberbegriff „Digitale Labore“. In jedem Fall wird in einem digitalen Labor eine praxisnahe Situation abgebildet bzw. simuliert und somit ein realitätsnaher Einblick ermöglicht, der in einer sicheren Lernumgebung stattfindet.

JB: Wie sehen Prüfungen in digitalen Laboren an der TU Dortmund aus? Was steckt hinter dem Projekt DigiMatLabExam?

An der TU Dortmund werden digitale Labore schon seit einiger Zeit stark vorangetrieben – auch durch das Projekt „CrossLab“, in dem die TU Dortmund einer der Verbundpartner ist. Auch über das HFD gibt es eine Community Working Group „Digitale Labore“. Durch ein zufälliges informelles Treffen an der TU Dortmund, an dem ein engagierter Lehrender der Fakultät Maschinenbau, Dr. Lukas Wojarski, teilnahm, kamen Tobias und ich im Gespräch mit ihm auf die Idee, digitale Labore in digitale Prüfungen zu integrieren. Das hat ihm so gut gefallen, dass wir gemeinsam eine Skizze bei der Stiftung Innovation in der Hochschullehre zur Förderlinie Freiraum 2023 eingereicht haben und ausgewählt wurden. Daraufhin haben wir gemeinsam den Projektantrag zu “DigiMatLabExam” geschrieben, der dann auch bewilligt wurde. An dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an die Stiftung, dass sie unsere Projektidee ermöglicht hat. 

Gruppenfoto mit Dr. Lukas Wojarski, Joana Eichhorn und Tobias R. Ortelt

Die im Projekt gemeinsam entwickelten digitalen Labore werden nun in der Lehrveranstaltung „Grundlagen der Werkstofftechnik“ im ersten Bachelorsemester eingesetzt. Innerhalb der Lehrveranstaltung, die klassisch aus Vorlesung und Übung besteht, gibt es Übungsaufgaben mit digitalen Laboren, die die Studierenden sowohl in Teams als auch alleine lösen. Die Übungsaufgaben sind konsekutiv aufgebaut, so dass die Studierenden am Ende der Vorlesung in der Lage sind, diese in einer E-Prüfung zu lösen. Jetzt im Januar 2025 haben wir Probeprüfungen im E-Prüfungsraum für die Studierenden angeboten, damit sie ein Gefühl für den inhaltlichen Aufbau der Prüfung, aber auch für den E-Prüfungsraum und das Drumherum bekommen. Da wir uns gerade mitten im ersten Durchlauf dieses Projekts befinden, wird die „scharfe“ Prüfung erst im März 2025 stattfinden. Wir sind sehr gespannt, aber die Probeprüfungen haben gut funktioniert und das Feedback der Studierenden war sehr positiv.

JB: Wie ist die E-Prüfung aufgebaut? Wo ist der Unterschied zu klassischen Multiple-Choice-Klausuren?

Die E-Prüfung ist so aufgebaut, dass den Studierenden ein Fallbeispiel aus der Werkstofftechnik vorgelegt wird. In jedem Fall geht es darum, einen geeigneten Werkstoff für ein bestimmtes Szenario auszuwählen, z.B. um einen Fahrradrahmen herzustellen oder ein Geländer zu entwerfen. Das Szenario gibt vor, welche Kennwerte der Werkstoff aufweisen soll. Anhand dieser Informationen suchen die Studierenden ein Material aus einer Auswahl von drei bis vier Werkstoffen aus und wählen geeignete Prüfverfahren zur Bestimmung der gefragten Werkstoffkennwerte aus. Anschließend begeben sich die Studierenden über eine LTI-Schnittstelle im Prüfungsmoodle in das digitale Labor, das auf den Servern von LabsLand gehostet wird. Dort führen sie die jeweils angegebenen Prüfverfahren durch und ermitteln bzw. berechnen die Kennwerte. 

Anschließend kehren sie in das Prüfungsmoodle zurück und tragen die ermittelten und berechneten Werte entsprechend ein. Am Ende gibt es noch eine Reflexionsfrage, in der sie nach ihren Berechnungen angeben, ob der Werkstoff, für den sie sich zu Beginn entschieden haben, überhaupt geeignet ist. An dieser Stelle haben die Studierenden noch einmal die Möglichkeit, einen anderen als den gewählten Werkstoff zu wählen oder bei dem gewählten Werkstoff zu bleiben. Wir haben uns für die Prüfung mit geschlossenen Fragen entschieden, da diese Prüfungsform auch nach dem Projekt Bestand haben soll und für die Lehrenden bei 350-400 Studierenden handhabbar bleibt.

JB: Wie haben die Studierenden darauf reagiert?

Zu Beginn des Kurses, als wir die digitalen Labore in einer Hörsaalübung zum ersten Mal einsetzten, waren die Studierenden irritiert und überrascht. Das ist aber nicht verwunderlich, denn viele von ihnen kommen frisch von der Schule oder haben sonst ein Studium mit Vorlesung und Übung, das ganz klassisch abläuft. So verlief die erste Arbeit mit dem Digitallabor auch in der Übung etwas holprig. Es stellte sich nicht nur die Frage nach der didaktischen Umsetzung dieses Szenarios in der Übung, sondern auch nach der technischen Stabilität und der Nutzung auf den Endgeräten der Studierenden. Insgesamt hat der gleichzeitige Zugriff von 250 Studierenden auf das digitale Labor im ersten Übungsdurchlauf aber sehr gut funktioniert. Wir hatten das Gefühl, dass die Studierenden mit jeder Übung, in der wir die digitalen Labore einsetzten, sicherer wurden und besser damit zurechtkamen. Die einzige Frage, die sich die Studierenden stellten: „Wie kann ich mir die E-Prüfung jetzt genau vorstellen?“, konnten wir mit der Probeprüfung direkt beantworten. Hier wurden dann die digitalen Labore nicht auf den Endgeräten der Studierenden, sondern auf den PCs im E-Prüfungsraum der TU Dortmund aufgerufen. So bleibt die Darstellung des digitalen Labor auf jedem PC identisch. 

Im Nachhinein haben wir mit vielen Studierenden gesprochen und sie gefragt, wie es für sie war und mit welchem Gefühl sie jetzt in die „richtige“ Prüfung gehen. Alle Studierenden fühlten sich durch die Probeprüfung sicherer und empfanden die Aufgabe mit dem digitalen Labor als angenehm und gut zu bewältigen. Es gab auch Rückmeldungen, dass sie das digitale Labor auch deshalb so angenehm empfunden haben, weil es ihnen eine gewisse Sicherheit gegeben hat, die Werte durch die Prüfverfahren noch einmal überprüfen zu können. Alles in allem blicken wir also positiv auf die E-Prüfung im März und freuen uns schon darauf, hier und da wieder kleine Änderungen in der Lehrveranstaltung umzusetzen, um einer Lehre im Sinne des Constructive Alignment noch näher zu kommen. 

JB: Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, Prüfungen praxisnah zu gestalten? Welche Rolle spielt hierbei die Fehlerkultur von Studierenden?

Ich möchte gleich zu Beginn klarstellen, dass es mir nicht darum geht, nur noch praxisnahe Prüfungen anzubieten, aber sie sollten schon an den Hochschulen einen höheren Stellenwert bekommen. Praxisnahe Prüfungen sind wichtig, weil sie den Studierenden ermöglichen, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in realistischen Szenarien anzuwenden. Das bereitet sie viel besser auf die Berufspraxis vor. Eine offene Fehlerkultur spielt für mich dabei eine zentrale Rolle, denn sie fördert reflexives Lernen und kann Prüfungsangst abbauen, weil es nicht mehr darum geht, eine perfekte Antwort abzuliefern. Gleichzeitig kann sie die Studierenden motivieren, aus eigenen, gemeinsamen und auch fremden Fehlern zu lernen, anstatt sie zu vermeiden. Dies führt zu einem nachhaltigeren Lernprozess, der über das reine Auswendiglernen hinausgeht. Das ist  meines Erachtens bei vielen Prüfungen nicht der Fall. Umso wichtiger wird es jetzt und in Zukunft sein, eine Fehlerkultur zu etablieren, die Fehler als wertvolle Erkenntnisschritte anerkennt. Die berufliche Praxis verändert sich immer schneller und Anpassungsfähigkeit, kreatives Problemlösen sowie iterative und flexible Prozesse werden immer relevanter. Der Umgang mit Fehlern als Lernchance wird daher für Innovation und Weiterentwicklung entscheidend sein.

JB: Was braucht es deiner Ansicht nach für eine andere Prüfungskultur?

Für eine andere Prüfungskultur an Hochschulen braucht es aus meiner Sicht mehr Austausch und etablierte Netzwerke zum Thema Prüfungen, um eine gute Prüfungspraxis zu etablieren und Praxisbeispiele kontinuierlich auszutauschen. Darüber hinaus sollten kompetenzorientierte und praxisnahe Prüfungsformate nicht nur für die eigene Lehre entwickelt werden, sondern auch so, dass andere davon erfahren und sie leicht auf ihre eigene Lehre übertragen können. 

Ich plädiere auch für eine Reduktion summativer Prüfungsformate und stattdessen für mehr formative Prüfungsformate, die den Lernprozess begleiten und regelmäßiges Feedback ermöglichen. Ebenso sollten die Studierenden stärker in die Gestaltung von Prüfungen einbezogen werden, z. B. durch Peer-Feedback oder Co-Design-Ansätze, um ihre Perspektiven stärker zu berücksichtigen. Generell wären für summative Prüfungen wohl Schemata für gute Prüfungsfragen als Art „Schablonen“ hilfreich. Ebenfalls braucht es meiner Meinung nach etablierte Strukturen, die neue Lehrende und neuberufene Professor:innen bei der Gestaltung zeitgemäßer Prüfungen unterstützen. Ich denke, dass wir mit breit angelegten Unterstützungsmaßnahmen einen Wandel der Prüfungskultur anregen können.

Zum Weiterlesen:

Eichhorn, J. (2024). Kompetenzorientiertes E-Prüfen mit digitalen Laboren. In S. Bedenlier, S. Gerl, B. Küppers & M. Bandthel (Hrsg.), Digitale Prüfungsszenarien in der Hochschule. Didaktik – Technik – Vernetzung (S. 81–101). Bielefeld: wbv Publikation. https://doi.org/10.3278/9783763977055 

Autor:innen

Joana Eichhorn ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Hochschuldidaktik und im Projekt DigiMatLabExam an der TU Dortmund. Sie promoviert in den Sozialwissenschaften zum Thema Motivation von Hochschullehrenden bei E-Prüfungen.

Dr. Jannica Budde

Dr. Jannica Budde ist seit 2018 beim CHE Centrum für Hochschulentwicklung als Senior Projektmanagerin im Hochschulforum Digitalisierung tätig. Seitdem hat sie unterschiedliche Aktivitäten im Bereich der Strategieentwicklung verantwortet, u.a. die Peer-to-Peer-Beratung sowie Transfer- und Qualifizierungsangebote für Hochschul- wie Fakultätsleitungen. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit (Digitalen) Prüfungen und der Weiterentwicklung von Prüfungskultur, der Curriculumentwicklung und betreut den HFD 360°-Monitor.

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