Update Open Education in der deutschen Hochschullandschaft
Update Open Education in der deutschen Hochschullandschaft
27.08.24Bis in das Jahr 2015 geht der erste Blogpost zurück, der dem HFD-Dossier „Open Educational Resources“ zugeordnet ist. In dem Blogpost „Die Rolle von Politik und Administration für OER in der Hochschule“ stellte Jöran Muuß-Merholz seine Podcastreihe „ZugehOERt“ vor. Seitdem ist einiges in der Open-Education-Bewegung passiert. Markus Deimann, Leiter der Geschäftsstelle des Landesportals ORCA.nrw, blickt zurück und fasst die wesentlichen Entwicklungen für den deutschen Hochschulkontext zusammen.
Bildungspolitische Aktivitäten
Durch viele Projekte, engagierte Einzelpersonen und Initiativen erreichte das Thema Open Educational Resources (OER) ab dem Jahr 2015 eine so große Aufmerksamkeit, dass sich auch die Bildungspolitik damit zu beschäftigen begann. Eine Arbeitsgruppe, zusammengesetzt aus Vertreter/innen von Bund und Ländern, reflektierte die bisherige Entwicklung und forderte die Politik zur Gestaltung von OER-förderlichen Rahmenbedingungen auf, um so die mit OER verbundenen Innovationspotenziale und Herausforderungen gezielt angehen zu können. Dazu gehörte u.a. die Bereitstellung von Plattformen zum Auffinden und Ablegen von OER.
Mit der ab 2016 aufgelegten Förderung des BMBF von Offenen Bildungsmaterialien wurden zwei weitere Herausforderungen adressiert, die Schaffung einer zentralen Stelle zur Koordinierung des Dialogs rund um OER und die Sensibilisierung von Multiplikator/innen (z.B. Bildungs- und Beratungspersonal). So konnte OER über alle Bildungsbereiche und im gesamten Bundesgebiet weiterverbreitet werden. Die Community traf (und trifft) sich regelmäßig beim sog. OER-Camp – das allererste Camp fand übrigens bereits 2012 statt.
Der nächste wichtige Schritt der OER-Evolution wurde mit der Veröffentlichung der BMBF-Strategie „Freie Bildungsmaterialien für die Entwicklung digitaler Bildung“ im Sommer 2022 genommen. Dies war ein „long time in the making“, da bereits die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD in ihrem Vertrag 2018 angekündigt hatte
In einem Beteiligungsprozess wurde die OER-Community zur Entwicklung der Strategie konsultiert und auch nach der Veröffentlichung ruft das BMBF zu weiterer Beteiligung auf, ganz im Sinne der Programmatik „lernende Strategie“. Um die verschiedenen Handlungsfelder bearbeiten zu können, werden in mehreren Ausschreibungen Projekte gefördert, die sich zu Beginn um den Auf- und Ausbau von Communities kümmern. Diese erste Ausschreibung soll als Bestandsaufnahme dienen, was an Kooperationen schon vorhanden ist und wo es Desiderate in der Vernetzung gibt.
Neben der Bundespolitischen Ebene gab es vielfältige Aktivitäten der Landespolitik. In Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz wurden Portale, z. T. begleitet durch Förderprogramme zur Produktion von OER, aufgebaut. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wurden Vor- und Erkundungsprojekte durchgeführt und in Schleswig-Holstein ging kürzlich der Digital Learning Campus an den Start. Gemeinsames Ziel dieser Initiativen ist es OER technisch, inhaltlich und didaktisch in der Lehre zu etablieren, d.h. zum Normalfall werden zu lassen.
Hohe Ziele, schwer erreichbar?
OER sind Teil einer weltweiten Bewegung, die für das großes Versprechen stehen, die Bildung offener, inklusiver und insgesamt gerechter zu machen. Vorangetrieben werden die dafür notwendigen Aktivitäten bislang von einer relativ kleinen Gruppe engagierten Menschen, die auf unterschiedliche Formen der finanziellen oder sozialen Unterstützung zurückgreifen können. Auf Veranstaltungen wie der OEGlobal, der OER24-Konferenz oder dem OERCamp kommt die Community zusammen und stärkt sich durch eine Vielzahl an wissenschaftlichen und praktischen Beiträgen gegenseitig. Gleichzeitig steigt jedoch ein Gefühl des Unbehagens und der Überforderung angesichts weltweiter Krisen und weiterhin prekärer bzw. verschärfter Arbeitsbedingungen im akademischen Bereich. „Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie einmal war: Offene Bildung am Scheideweg“ lautete darum auch der Titel der Keynote bei der OER24-Konferenz in Cork. Sehr viel hat sich seit der Gründung der OER-Bewegung 2001 verändert, gerade im Bereich der Digitalisierung, Datafizierung und Algorithmisierung, und die anfängliche Aufbruchstimmung, wozu auch Errungenschaften wie die Wikipedia zu zählen sind, ist einer Ernüchterung gewichen.
Damit soll nicht suggeriert werden, dass es sich nicht weiterhin lohnt, für Öffnung und soziale Gerechtigkeit in der Bildung einzutreten. Im Gegenteil: Dadurch, dass die Welt komplexer und krisenhafter geworden ist, ist auch die Bedeutung von guter Bildung als sozialem Kit gestiegen.
Konsolidierung und Professionalisierung der OER-Community
Ein Ausdruck des mittlerweile erreichten Reifegrads der Open-Education-Bewegung im deutschsprachigen Hochschulbereich ist die Gründung des Kooperationsnetzwerks OER (KNOER) im Jahr 2022. Bei KNOER handelt es sich um einen Zusammenschluss von mittlerweile neun mandatierten Landeseinrichtungen, die das digital gestützte Lehren und Lernen in ihren jeweiligen Landeshochschulen durch umfangreiche koordinative Tätigkeiten voranbringen. Im Mittelpunkt der Netzwerkaktivitäten stehen die länderübergreifende Vernetzung und Bündelung OER-förderlicher, digitaler Lehr-/Lern-Infrastrukturen und -Dienste. Getrieben von dem Wunsch einer kontinuierlich wachsenden Verbreitung von Open Educational Resources und Open Educational Practices (OEP) in der Hochschullehre – und das über Hochschul- und Landesgrenzen hinweg – engagiert sich KNOER in verschiedenen Aufgabenbereichen. Hierzu gehört insbesondere,
- über Maßnahmen, Programme und Angebote zu OER informieren,
- Gesprächspartner auf Länder-, Bundes- oder internationaler Ebene für Einrichtungen, Initiativen und Politik zu sein,
- Veranstaltungen zu wichtigen Themenstellungen im Bereich OER zu organisieren,
- Synergiepotenziale der länderübergreifenden Zusammenarbeit nutzbar zu machen,
- Impulse zu setzen und das Thema OER in den Mainstream zu bringen, und
- OER-Policies und –Strategien zusammenzutragen und den Dialog darüber zu fördern.
Entstanden aus einer bereits 2017 aufgebauten Arbeitsgruppe zu infrastrukturellen Themen, wurde in der Folgezeit der Fokus der konkreten Arbeit des Netzwerks um die Aspekte OER-Produktion, OER-Policy & Governance sowie Qualität ausgedehnt. Die AGs stehen allen Menschen aus der Hochschulwelt offen, bei Interesse nehmen Sie gerne hier Kontakt mit uns auf.
Regelmäßige Online-Events sowie die kürzlich erstmalig durchgeführte Jahrestagung schaffen wichtige Voraussetzungen, um gemeinsam an Themen zu arbeiten und sich länderübergreifend auszutauschen.
In Kooperation mit der Stiftung Innovation in der Hochschullehre konnten Studien durchgeführt werden, die sich mit zentralen Herausforderungen der OER-Landschaft beschäftigten, zum einen mit offenen Bildungsinfrastrukturen als Grundlage für Lehren und Lernen in der digitalen Welt und zum anderen mit der didaktisch angeleiteten Nutzung von OER.
Beispielhafter Nutzen von OER für die Hochschullehre: KNOER-Kollektionen
An einem konkreten Beispiel soll abschließend illustriert werden, wie die Hochschullehre durch die enge Kooperation der OER-Portale auf Landesebene profitieren kann.
Vor dem Hintergrund, dass die Menge an frei verfügbaren OER-Materialien stetig weiter zunimmt, steigt der Bedarf an strukturierten Übersichten und thematischen Bündelungen. Als Basisanwendung dient der gemeinsame Suchindex OERSI, der Suche über viele internationale Datenbanken ermöglicht. Die Ergebnisse lassen sich filtern, z.B. nach Materialart. Die Qualität der Ergebnisse ist allerdings stark von den Metadaten der einzelnen OER abhängig, d.h. wie genau die Beschreibungen sind. So kann die Ergebnisdarstellung schnell frustrierend werden, wenn nicht die OER dabei sind, nach denen gesucht wird.
Genau hier setzen die KNOER-Kollektionen an: Aus der Fülle von OER sollen zusammen mit Fachexpert:innen Materialien zusammengestellt werden, die bestimmte Themen abdecken. Das können Themen mit einführendem Charakter sein oder Themen mit hoher Aktualität. Für beide eröffnen sich mit OER Synergiepotenziale, da Materialien aus mehreren Hochschulen zusammengetragen und integrierend dargestellt werden. Aus diesen Kollektionen können sich Lehrende und Lernende modular bedienen, d. h. einzelne OER je nach Bedarf herausgreifen und anpassen.
Während, wie in untenstehender Abbildung zu sehen, in der klassischen Publikation ein/e Autorin ein Lehrbuch produziert, dieses über einen Verlag vertreibt und für die Materialien, die bereits öffentlich finanziert wurden, die Studierenden bezahlen, fallen beim OER-Publishing durch ein Landesportal bzw. durch KNOER keine Kosten an und OER-Sammlungen stehen öffentlich allen Interessierten zur Verfügung. Für Autor:innen kommen zu klassischen finanziellen Vergütungen neue Anreize hinzu, wie die Möglichkeit, sich mit der Lehre profilieren zu können. Neben einer möglichst umfangreichen Publikationsliste kommen nun referenzierbare Quellen zur Lehre hinzu, die dann beispielsweise bei Bewerbungen wichtig sind.
Ausblick
Das Beispiel OER-Sammlung zeigt, welchen Mehrwert freie Bildungsmaterialien für die Hochschullehre haben, sowohl aus finanzieller als auch didaktischer Sicht und adressieren zentrale Herausforderungen (siehe dazu z.B. den 2024 Educause Horizon Report). Für die Implementierung sind erste wichtige Schritte durchgeführt, wie die Gründung des Kooperationsnetzwerks KNOER und die Etablierung kollegialer Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern sowie mit den Landesministerien. So können Abstimmungen und Standards im technischen Bereich, im Bereich der Metadaten und der Qualität geschaffen werden.
Gleichzeitig ist wichtig, dass der OER-Diskurs nicht in Expert:innen-Zirkel hängen bleibt, sondern erweitert und anschlussfähig wird. So ist das Thema Open Educational Practices (OEP) relevant für die Hochschuldidaktik, geht es doch um den Einsatz von OER, um damit neue Lehr- und Lernmethoden umzusetzen. OER stehen zudem für eine Form der Nachhaltigkeit und Weiterbildungen für Studierende und Lehrende und können als Beitrag zur Umsetzung der Sustainable Development Goals dienen.
Auch für die IT gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte, insbesondere zu Fragen der Interoperabilität (was auf europäischer Ebene ein intensiv diskutiertes Thema ist): Wie können Lernplattformen wie Moodle, ILIAS oder StudIP und weitere Bildungstechnologien so miteinander verknüpft werden, dass damit eine OER-freundliche Infrastruktur entsteht?
Schließlich bieten OER Möglichkeiten zur strategischen Profilbildung und bieten einen Baustein zur Umsetzung der Forderung nach authentischen Hochschulen.
Autor:innen:
Markus Deimann
PD Dr. Markus Deimann leitet die Geschäftsstelle des Landesportals ORCA.nrw mit Sitz an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist zudem Privatdozent für Bildungswissenschaft an der FernUniversität in Hagen.
Das Kooperationsnetzwerk OER-förderliche Infrastrukturen und Dienste (KNOER) ist ein Zusammenschluss mandatierter Landeseinrichtungen, die das digital gestützte Lehren und Lernen in ihren jeweiligen Landeshochschulen voranbringen, koordinieren und vernetzen.
Weitere Informationen: https://kn-oer.de/