#2016DML – Warum nicht auch in Deutschland?

#2016DML – Warum nicht auch in Deutschland?

07.11.16

Ich war bei der #2016DML Konferenz des DML Research Hub an der UC Irvine in Kalifornien. Inhaltliche Breite und Tiefe, der konstruktiv-kritische Blickwinkel der Teilnehmerinnen bei gleichzeitiger Begeisterung für das Erproben und Machen haben mich beeindruckt. Nun überlege ich: was können wir davon und daraus lernen, was sind mögliche Ursachen für die wahrgenommenen Unterschiede?

Vorab ein outing: ich bin Fanboy. Wenn Bezug zu Digitalisierung von Hochschullehre besteht, lese ich die Veröffentlichungen im Blog des DML Research Hub, teile sie gern, spreche darüber mit Kolleginnen, in einem Podcast und bei Konferenzen. Ich versuche Bezüge zu Entwicklungen im deutschsprachigen Raum herzustellen und empfehle jedem, der neu oder alt im Thema Digitalisierung von Bildung ist, einen Blick auf die Website des DML Research Hub. Mir fehlt also die kritische Distanz für einen möglichst objektiven Bericht zur diesjährigen Konferenz. Deswegen unternehme ich auch erst gar nicht den Versuch, sondern schildere lediglich meine Eindrücke und versuche daraus abzuleiten, was ich in den deutschsprachigen Debatten rund um EdTech, Offene Bildung und Digitalisierung von (Hochschul-)Bildung vermisse.

Offener Umgang und Reflexion

Erfahrungen und persönliche Hintergründe innerhalb der Community rund um den DML Research Hub und damit auch die #2016DML haben eine enorme Bandbreite und Vielfalt. Koryphäen wie Mimi Ito, Gardner Campbell, Alan Levine oder Justin Reich saßen ebenso neben mir wie Bobby Tsui, Angestellter der Santa Monica Public Library, der sich zu digitalen Medien im Bildungsbereich erkundigen wollte. Außerdem: Doktoranden aus verschiedenen Disziplinen, Lehrerinnen, Startups, Learning Technologists aus Kindergarten, Schule, Hochschule und viele mehr. Niemand war hier unnahbar, jede hat Fragen gestellt und Antworten gesucht. Kein künstliches Einziehen von Hierarchieebenen, keine Trennung von Schule und Hochschule in der Teilnehmerschaft, kein “Ich bin X und mache das hier schon 20 Jahre. Deswegen kann ich mit Sicherheit sagen, dass…”.

Also eine andere Atmosphäre als bei einschlägigen Tagungen in Deutschland, bei denen sich manche ihres vermeintlichen Ruhmes so sicher sind, dass sie andere Meinungen, kritische Nachfragen oder neue Lösungsansätze nur zu gern abtun, wenn sie nicht in das geformte Meinungsbild oder das Geschäftsmodell passen. In den Workshops und Vorträgen der #2016DML wurde selten reines Erfolgs-Marketing betrieben. Erfahrungen wurden offen ausgetauscht, kritischen Nachfragen wurde offen begegnet, auch vermeintliche Nicht-Erfolge wurden geteilt und als Erfahrungen offengelegt. Kurz: #2016DML wirkte wie ein Treffen mit dem Zweck, sich in einem Netzwerk zu unterstützen, sich gegenseitig zu helfen und sich gegenseitig ‘besser’ zu machen.

Kritischer Umgang mit Technologie und Bildung, Konsequenzen mitdenken

Im deutschsprachigen Kontext begegne ich oft denen, die sich selbst – mal selbstironisch, mal nicht – als Macher und als Prediger eines neuen Umgangs mit Technologie im Bildungskontext verstehen (und darunter dann oft nur den Einsatz von flipped classroom, Quizzes oder Videos verstehen). Diese Gruppe sieht sich in der eigenen Wahrnehmung der Gruppe derer gegenübergestellt, die jegliche Nutzung von Technologie im Bildungskontext als unangebracht, wenig hilfreich oder sogar gefährlich einstufen. Die so entstehende Kluft führt nicht zu einem Austausch von Argumenten und einem gesteigerten Verständnis der jeweils anderen Position, sondern zu einer Verhärtung von Fronten und die Resonanz zu der Sendung von Anne Will vom 30.10.2016 scheint Beleg genug. Die Mitglieder der jeweiligen Lager beginnen sich nur noch innerhalb ihrer Informationsblasen auszutauschen – kein fruchtbarer Boden für neue Ideen, Versuche und Konzepte. Markus Deimann ist bei seinem letzten Versuch des Werbens für rationaleren und wissenschaftlich fundierten Umgang mit Digitalisierung von Bildung teils persönlich angegangen worden.

Auch bei der #2016DML waren naturgemäß diejenigen vertreten, die grundsätzlich die Nutzung digitaler Medien in Bildungskontexten befürworten – eine kritische Analyse möglicher Folgen und Probleme wurde deswegen jedoch nicht ausgeblendet. Dem Verständnis von Technologie als Verstärker jedes ohnehin schon bestehenden Problems folgend, wurde in Workshops und auch bei Keynotes immer wieder gefragt: Was sind mögliche Auswirkungen auf benachteiligte Gruppen und Minderheiten? Wer wird wie zurückgelassen? Wessen Dominanz wird möglicherweise durch die Nutzung dieser Methode oder jener Technologie zementiert? Solche Fragen werden in deutschsprachigen Kontexten gern an Frauen- und Gleichstellungsbüros abgeschoben. Das #Manel oder #AllMalePanel erfreut sich hierzulande nach wie vor einiger Beliebtheit und Fragen nach Minderheiten werden häufig als add-on behandelt, während sie bei allen von mir gesehenen Workshops und Vorträgen bei der #2016DML einen Kernbestandteil ausmachten.

Für einen offeneren und kritischeren Umgang ist neben vielem anderen vor allem eins wichtig: Vertrauen in die Community, Vertrauen in die eigene Institution, Vertrauen in Förderer und Geldgeber, dass diese nicht nach einem offen zur Schau gestellten Rückschlag Fördermittel umverteilen. Sowohl die so oft gesehenen Sales Pitches als auch das fehlende Rückgrat, die eigenen Bestrebungen öffentlich kritisch zu hinterfragen und andere am Lernprozess teilhaben zu lassen, sind Teil einer Kultur des Umgangs untereinander und Symptome einer Unsicherheit. Gleiches gilt in gewissem Maße für die “Streitkultur” zwischen den Befürworterinnen und den Verweigerern von digitalen Medien in der Lehre. Je weniger Angriffsfläche, desto besser.

Konstante Weiterentwicklung, Skalierung, Offenheit

Die angesprochene Bandbreite der Beiträge zur #2016DML zeigt ein weiteres Merkmal auf: ausprobieren, daraus lernen, neu ausprobieren und darüber berichten (sprich: iterieren) ist essentiell für Innovation im Umgang mit digitalen Medien im Bildungskontext. Ein Konzept wie das der Connected Courses, hier wunderbar illustriert am Beispiel eines Workshops der Konferenz, wäre nicht möglich, wenn nicht einzelne Personen Raum hätten, sich auszuprobieren. Der Eindruck, wir würden in Deutschland zunächst auf die passende Regulierung warten, dann eine institutionelle Strategie entwickeln und uns dann in Gremienarbeit vortasten, verstärkte sich im Verlauf der Konferenz.

Ebenso beeindruckt hat mich die Uneitelkeit mancher. Während anderswo häufig ein mehr oder weniger gut funktionierendes Konzept geschützt, gelabelt und skaliert wird, wird Skalierung z.B. im Fall der Connected Courses der Allgemeinheit überlassen. Adaption ist anderen möglich, wird von Anfang an bedacht und aktiv durch Open Source Code, CC-lizensierte Inhalte, Dokumentation, Anleitung und Hilfsangebote unterstützt. Ich habe im Verlauf der Konferenz nur wenig Wettbewerb unter Teilnehmerinnen wahrgenommen, eher Co-Entwicklung, während ich bei deutschsprachigen Konferenzen häufig institutionellen Wettbewerb um Fördergelder und Aufmerksamkeit sowie die Bildung von Interessengruppen und ‚Lagern’ wahrnehme.

Keiner der beschriebenen Unterschiede ist leicht auszugleichen und es wäre zu diskutieren, ob das immer richtig und gut wäre. Allein die Tatsache, dass ich (so weit ich das überblicke) der einzige deutsche Teilnehmer der #2016DML war und selbst bei näher gelegenen #OER16 in Edinburgh die Zahl der deutschen Teilnehmerinnen einstellig war, lässt auf eine Abschottung der deutschen community schließen. Diese Abschottung ist fahrlässig, werden doch bei beiden Konferenzen und in beiden Netzwerken Fragen bearbeitet sowie Erfahrungen ausgetauscht, die auch für den deutschen Kontext relevant sind. Allein die Konzepte zu OER Repositories, MOOC Skalierung, digitalen Lernumgebungen und Geschäftsmodellen würden enorm profitieren, wenn gemachte Erfahrungen aus anderen Ländern hinzugezogen und so die Wiederholung von Fehlern vermieden würden. So würden wir neue Fehler machen und dann eben von diesen berichten. Wir hätten etwas davon, dass wir stets im Hintertreffen sind wie so viele meinen.

Dieser Artikel von Christian Friedrich erschien ursprünglich in seinem Blog.

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