Virtual und Augmented Reality in der Lehre – Ein Gastbeitrag von Sabrina Eimler, Alexander Arntz und Dustin Keßler

Virtual und Augmented Reality in der Lehre – Ein Gastbeitrag von Sabrina Eimler, Alexander Arntz und Dustin Keßler

27.09.19

Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) erleben aktuell einen Hype. Immer neue, kleinere und technologisch modernere Geräte mit größerem Funktionsumfang und Einsatzspektrum sind auf dem Markt verfügbar. Es stellt sich die Frage, ob und wenn ja, welchen Platz, diese Technologien im Kontext von Hochschullehre einnehmen sollten: Welche Vorteile bieten VR- und AR-Anwendungen in der Lehre? Welchen Platz haben sie in modernen, zukunftsfähigen Lehr-/Lernszenarien? Welchen Beitrag leisten sie angesichts hoher Studierendenzahlen, der Nachfrage nach Praxisorientierung und Diversitätsgerechtigkeit? Dieser Beitrag teilt Erfahrungswerte und gibt Einblicke in Anwendungen, die an der Hochschule Ruhr West von interdisziplinären Teams und gemeinsam mit Lehrenden entwickelt und erprobt werden.

Smartphone mit Augmented-Reality-Anwendung

Alexander Arntz und Dustin Keßler bilden das VR-/AR-Team rund um Prof. Dr. Sabrina Eimler im Institut Informatik an der Hochschule Ruhr West in Bottrop. Das interdisziplinäre Team vereint Know-how aus der Informatik und Mensch-Technik-Interaktion mit psychologischem Wissen. Wie man Virtual und Augmented Reality in eine moderne Lehre einbringen kann, abstrakte Inhalte besser verstehen und auf Lernende zeit- und ortsunabhängig, individuell zuschneiden kann, interessierte das Team bereits im Jahr 2016. Die Unterstützung des Fachbereichs ermöglichte damals die ersten Schritte für einen Virtual-Reality-Hörsaal mit Motion-Capture-Aufnahmen von Lehrenden, einer aufmerksamkeitsförderlichen Lichtanimation und virtuellen Demonstrationsobjekten. Am zweiten Hochschulstandort in Mülheim an der Ruhr arbeitete zur gleichen Zeit auch Prof. Dr. Joachim Friedhoff im Institut Maschinenbau am Einsatz von VR/AR in der Lehre. Beide Teams entschieden, die aufgebaute Expertise in einem gemeinsamen Projekt der internen Lehrförderung der Hochschule Ruhr West zusammenzubringen und standort- und fachbereichsübergreifend nutzbar zu machen. Ziel des Projekts sind dabei vor allem die Bekanntmachung der Möglichkeiten von VR/AR unter den Lehrenden und Studierenden an der HRW, die gemeinsame Konzeption und Entwicklung von Beispielanwendung und deren Erprobung hinsichtlich Akzeptanz, Nutzen und Lernförderlichkeit.

Virtual und Augmented Reality: Was ist gemeint?

Augmented Reality lässt sich übersetzen mit „angereicherte Realität“. Reale Umgebungen werden durch digitale Informationen angereichert. Diese Anreichung kann beispielsweise über Smartphones eingeblendet werden oder über spezielle AR-Brillen zugänglich sein. AR-Brillen nutzen zum Beispiel semi-transparente Scheiben, die die Wahrnehmung der realen Umgebung ermöglichen. Die Projektionsfläche innerhalb der Gläser wird bestrahlt, wodurch Hologramme in der Umgebung angezeigt werden können. Hologramme werden im Raum platziert, wodurch man diese frei und von allen Winkeln betrachten kann.

Bei Virtual Reality, virtueller Realität, werden VR-Brillen genutzt, um virtuelle Welten anzuzeigen und in diese einzutauchen. Die zugänglichen Welten können rein passiv sein oder stark interaktiv gestaltet sein und so den Nutzenden eine Interaktion mit Aufgaben und Elementen der künstlichen Umgebung ermöglichen. Der Bildschirm wird aufgeteilt, sodass jedes Auge ein eigenes Bild bekommt. Sensoren übermitteln Rotation und Position des Kopfes für eine 360°-Erfahrung.

Warum jetzt?

Das Bewusstsein und Interesse insbesondere für VR hat in den letzten Jahren eine Erneuerung erfahren. Insbesondere durch stark gesunkene Preise wurde die Technologie für Konsument*innen interessant. Gleichzeitig sind Inhalte mittlerweile sehr realistisch und angenehm darstellbar, die Modelle immer leistungsfähiger und mit größerem Funktionsumfang erhältlich.

Welche Vorteile bieten Virtual und Augmented Reality in der Lehre?

  • Motivation: Neue Welten und Interaktionsmechanismen sowie „Gamification“-Elemente motivieren Studierende spielend und explorativ zu lernen, können eine interaktive Ergänzung zum Frontalunterricht darstellen oder zum Selbststudium motivieren.
  • Fokus: Äußere Einflüsse werden durch die Nutzung einer VR-Brille gemindert, wodurch Ablenkungen minimiert und der Fokus auf die VR-Erfahrung verstärkt wird.
  • Logistik: Aufgaben, Ereignisse und Umgebungen die aufgrund von logistischen, zeitlichen oder finanziellen Faktoren nur schwer oder gar nicht in Lehrszenarien umgesetzt werden (z.B. Fabrikbesuche, Nutzung großer oder teurer Maschinen, Einsatz verschleißintensiver Komponenten), können mittels der AR/VR-Technologie realisiert werden.
  • Flexibilität: Aufgaben und Anwendungen können dynamisch gestaltet werden oder zu jedem Zeitpunkt manuell angepasst werden. Sie sind orts- und zeitunabhängig einsetzbar, können nach Wunsch abgerufen werden und sind unabhängig von Veranstaltungsterminen.
  • Individualität: VR-/AR-Anwendungen können auf die Präferenzen und Bedürfnisse der Nutzer*innen (Sprache, Geschwindigkeit, Komplexität) angepasst werden.
  • Hilfsmittel forschungsorientierter Lehre: Insbesondere an der Schnittstelle von Ingenieurwissenschaften und Psychologie bietet VR und AR ein ideales Hilfsmittel um kontrollierte Untersuchungsumgebungen und Zukunftsvisionen (z.B. Einsatz und Auswirkungen von Mensch-Roboter-Kollaboration in Zukunftsfabriken) in der Lehre einzubinden.

Wie verläuft der Gestaltungsprozess?

Die Konzeption, Entwicklung und Erprobung der Anwendungen erfolgt in partizipativen Prozessen, um Akzeptanz und Relevanz zu maximieren. In Workshops für Studierende und Lehrende der HRW wird die Technologie zunächst vorgestellt und durch eigene Erprobung „greifbar“ gemacht. Das Entwicklungsteam nimmt in Kreativphasen Wünsche und Visionen aber auch kritische Stimmen zum Einsatz in der Lehre auf. Regelmäßige Demonstrationen der Prototypen bei öffentlichen Veranstaltungen ermöglichen, die Impulse von Unternehmen und Stadtgesellschaften zu berücksichtigen. In frühen Stadien der Entwicklung setzt das Team Think-Aloud-Methoden sowie Fragebögen zur Erhebung von Vorerfahrungen, Usability und User Experience ein. Kontrollierte Experimente erlauben einen Vergleich verschiedener Realisierungsformen zum Beispiel hinsichtlich der Nutzungsmotivation, subjektivem Kompetenzzugewinn, Zahl korrekt beantworteter Testfragen etc. Dieses Vorgehen ist deshalb sinnvoll, da Virtual und Augmented Reality in der Lehre allein kein Allheilmittel darstellen und nur durch einen durchdachten und mehrwertorientierten Einsatz ein Zugewinn für die Lehre entsteht.

Vielseitige Anwendungsmöglichkeiten

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Montagetätigkeiten üben, Komponenten erkennen und montieren

Große und kleine Maschinen und Anlagen bestehen oft aus vielen Teilen. Kenntnisse der Komponenten und deren korrekte Montage sind unerlässlich für den Betrieb von Maschinen und Geräten. Funktion und Montageschritte können mit Hilfe von AR und VR erlernt werden. Am Beispiel eines Computergehäuses können Lernende die Bestandteile eines Computers erkunden und auf Wunsch Audio- und Videoelemente aktivieren oder deaktivieren. In einer Studie konnten positive Effekte (z.B. hinsichtlich zukünftiger Nutzungsmotivation, Fehlerzahl und Dauer) der Nutzung der AR- oder VR-basierten Vorbereitung auf eine anschließende Montageaufgabe mit einem Computergehäuse gezeigt werden. Aktuell wird an der Umsetzung eines Fräsmaschinen-Führerscheins gearbeitet. Dabei sollen die Studierenden sowohl die Bauteile der Maschinen erlernen, als auch deren Zusammenspiel verstehen. Durch die virtuelle Realisierung wird der Zugang, der aus Sicherheitsgründen sonst nur eingeschränkt erlaubt ist, ermöglicht und Verschleiß an der echten Maschine verhindert.

Intelligente Gebäudeinstallationen in ihrem Zusammenspiel begreifen

Nachbildung: Hochschuldach mit Photovoltaik-AnlageDas Gebäude der Hochschule verfügt über eine Vielzahl von Installationen, die aus Sicht einer modernen Ausbildung von Kompetenzen im Bereich Energiesysteme und Energiewirtschaft einen hohen Stellenwert besitzen. Das Betreten der Photovoltaik-Installation auf dem Dach der Hochschule ist jedoch nur für geschultes Personal erlaubt. Trotzdem ist das Verständnis des Zusammenspiels der verschiedenen Installationen und Datenquellen des intelligenten Gebäudes vorteilhaft. Ein erster Prototyp erlaubt die Begehung einer vollständigen und detailreichen Nachbildung der Dachinstallation in VR. In diese werden sukzessive Echtzeitdaten aus der Gebäudeinfrastruktur eingespielt werden, die für die verschiedensten Fragestellen als Entscheidungsgrundlage (Steuerung, Ausrichtung, Prognose, etc.) dienen.

Diversity-Wissen explorativ steigern

Die Schulung von Gender- und Diversity-Wissen ist einer digitalisierten Gesellschaft von großer Bedeutung. Vielfalt wird zunehmend als ein Schlüsselfaktor in erfolgreichen Teams erkannt. Die interaktive Galerie DiVirtuality setzt dabei auf eine frei explorierbare Museumsumgebung. Besucher*innen können in einem Eingangsbereich testen, wie vorurteilsbehaftet sie sind und in den verschiedenen Ausstellungsräumen Simulationen von Kurz-, Weitsichtigkeit und Farbenblindheit erproben, Hörbeispielen von Diskriminierungserlebnissen lauschen, ein Diversity-Puzzle vervollständigen oder sich an großen Video- und Leinwandinstallationen Fakten und verbreitete Sensibilisierungsvideos ansehen. Ergebnisse aus einer Laborstudie zeigen dabei, dass Personen in der VR-Variante mehr Freude bei der Auseinandersetzung mit dem Material empfinden als bei der Nutzung einer rein Tablet-basierten Darbietung des Materials. Ein interdisziplinäres Team aus Studierenden und wissenschaftlichen Beschäftigten arbeitet kontinuierlich an der Erweiterung der Galerie. Einen Eindruck von der Umgebung vermittelt das Bewerbungsvideo für den Zukunftskongress 2019 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. 

Ausblick – Wie geht es weiter?

Im Rahmen hochschulinterner Förderprogramme für Innovationen in der Lehre arbeitet das Team um Prof. Dr. Sabrina Eimler (Human Factors & Gender Studies, Institut Informatik) weiterhin an gemeinsamen Lösungen mit Prof. Dr. Joachim Friedhoff (Institut Maschinenbau) und ergänzt das Spektrum der bisherigen Anwendungen von Virtual und Augmented Reality in der Lehre mit Kolleg*innen aus den Instituten Bauingenieurwesen und Energiesysteme/Energiewirtschaft um Komponenten aus dem intelligenten Gebäudebetrieb. In einer aktuellen Studie wird unter Verwendung des ICAROS-Systems mit VR-Brillen geprüft, wie das Umweltbewusstsein von Personen durch ein Bad in einem virtuellen Meer gestärkt werden kann. Studierende, Lehrende und Unternehmen sind dabei eingeladen, ihre Ideen und Wünsche an das Team zu vermitteln.

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