Die unerträgliche Leichtigkeit des (wissenschaftlichen) Schreibens. Mit Ghostwritern und Künstlicher Intelligenz auf der Überholspur

Die unerträgliche Leichtigkeit des (wissenschaftlichen) Schreibens. Mit Ghostwritern und Künstlicher Intelligenz auf der Überholspur

25.06.20

Screenshot der Website essaypro.

Es gibt sie bereits: Die KI-Schreibbots, die mit Hilfe von Deep Learning auch „Deep Thoughts“ generieren können. Inwiefern können Künstliche Intelligenz und Ghostwriter die wissenschaftliche Textproduktion gefährden? Antworten auf diese Frage sowie konkrete Handlungsempfehlungen für Hochschulen zu diesem Thema gibt Professorin Dr. Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Digitalen Wirtschaft Schleswig-Holstein e.V., in diesem Beitrag.

Wie funktioniert wissenschaftliches Schreiben in Zeiten von KI?

 

„Ohne zu schreiben, kann man nicht denken; jedenfalls nicht in anspruchsvoller, anschlussfähiger Weise.“ (Luhmann 1992)

Dieses Zitat des deutschen Soziologen und Gesellschaftstheoretikers Niklas Luhmann beschreibt die Bedeutung der Schreibkompetenz für die Hochschulbildung in unmissverständlicher Weise. Wie steht es aber um die Vermittlung der Schreibkompetenz im System „Hochschule“? Welche Tendenzen und Entwicklungen stehen mit diesem Bildungsziel in Verbindung oder gefährden sogar die Zielerreichung? Welche Veränderungen werden durch die Digitalisierung hervorgerufen?

Der Blick ins System: Von Ghostwritern zur Künstlichen Intelligenz

Anbieter von Ghostwriter-Dienstleistungen haben eigenen Angaben zufolge, seit der Plagiatsaffäre im Jahr 2011 um den früheren Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, eine deutlich stärkere Nachfrage verspürt (Guhlich 2011).

Diese Nachfrage erstreckt sich auf die Erstellung von Texten wie auch auf die Plagiatsprüfung eingereichter Texte mit nachfolgender Beratung bzgl. „kritischer Stellen“. Alleine die deutschen Ghostwriter-Anbieter (siehe auch den Ghostwriter-Report 2019 (Hartmann 2019)) besetzen einen Millionenmarkt, treten mit professionellen Online-Shops auf (siehe Abbildung 1) und haben derzeit keine rechtlichen Risiken zu fürchten.

Screenshot der Website essaypro.

 

In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass trotz der Fülle der angebotenen Plagiatserkennungs-Softwarelösungen und des nach Expertenmeinung zunehmenden Wachstums an Plagiaten viele Hochschulen und Lehrende diese Angebote nicht nutzen.

Was sind die Gründe für die Nicht-Nutzung von Softwarelösungen zur Plagiatserkennung? Es werden weniger die funktionalen Defizite der Lösungen (Foltýnek et al. 2020) ausschlaggebend sein. Nach den Erfahrungen der Autorin und basierend auf diversen Gesprächen mit Lehrenden an Hochschulen werden diese drei Gründe angeführt:

  • Der Einsatz derartiger Software-Lösungen stellt einen Mehraufwand dar. Die Software muss ausgewählt, beschafft, installiert, administriert, geschult und anschließend auch genutzt werden, was aus Sicht eines einzelnen Hochschullehrers auch einen zeitlichen Mehraufwand bei jeder studentischen Arbeit bedeutet.
  • Lehrende argumentieren gerne und glauben (vermeintlich?), dass sie Plagiate mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin erkennen würden und somit eine Plagiatserkennungs-Software überflüssig sei.
  • Bei Entdeckung eines Plagiates „habe ich Stress“ (O-Ton eines Hochschullehrers, möchte anonym bleiben). Der „Stress“ bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Studierenden, die rechtliche Klärung mit den verantwortlichen Instanzen der Hochschule und dem mitunter festzustellenden Gefühl des „Versagens“ bei der Betreuung der studentischen Arbeiten. 

Gerade der letztgenannte Grund ist vermutlich die wesentliche Ursache für den Nicht-Einsatz von Plagiatserkennungs-Softwarelösungen. Diese „Vogel-Strauß“-Politik ist offensichtlich gefährlich und ihr muss von der Hochschulleitung Einhalt geboten werden. Aber auch dort darf unterstellt werden, dass aus Wettbewerbsgründen und den Bemühungen um steigende Studierendenzahlen, gute Absolventenquoten und den damit häufig verbundenen Finanzierungsanreizen für Hochschulen das Thema „Plagiat“ als störend empfunden wird.

Aber die nächste Herausforderung rollt bereits auf die Hochschulen zu: Die „künstliche Intelligenz“ tritt als Autor oder Co-Autor wissenschaftlicher Arbeiten auf. Im Frühjahr 2019 haben Christian Chiarcos und sein Team der Frankfurter Goethe-Universität das erste maschinengenerierte Buch generiert. Dieses bei Springer Nature erschienene Fachbuch zum Stand der Lithium-Ionen-Batterieforschung wurde über die KI „Beta Writer“ (Writer et al. 2019) generiert, die auch nach außen als Autor in Erscheinung tritt. Diese Entwicklung wirft vielfältige und hochkomplexe Fragestellungen für das Zukunftsbild der Lehre des wissenschaftlichen Schreibens auf.

Zur Bedeutung und Zukunft des Schreibens

Greifen wir das eingangs erwähnte Zitat von Niklas Luhmann auf und führen es fort:

„Es ist von großer Bedeutung, viel zu schreiben, denn Schreiben bringt eine viel aussagekräftigere Erfahrung als Lesen oder Kontemplation. Der Akt des Schreibens ermöglicht es Ihnen, sich an die tiefgreifenden Erfahrungen, die Sie gemacht haben, anzupassen, sie zu verstehen und sogar von ihnen zu heilen, etwas, was nur das Schreiben tun kann.

Schriftsteller sind Propheten. Sie sagen uns unsere Überzeugungen; sie schaffen einen Kontext, der völlig logisch und verständlich ist; sie geben der Welt und uns selbst einen Sinn. Sie sind also äußerst wichtig für unser tägliches Leben, aber ebenso wichtig ist die Art und Weise, wie sie schreiben.“

Der kundige Lesende mag gerade rätseln, ob er bzw. sie diese Aussage je gelesen hat. Die Antwort ist einfach: nein!

Diese Textpassage wurde nach Eingabe des mit der KI-Übersetzungslösung DeepL übersetzten Luhmann-Zitats mit dem KI-Textgenerator „Talktotransformer“ generiert und anschließend wieder über DeepL zurückübersetzt. Es waren somit nur drei Schritte und damit drei Klicks auf KI-basierte und frei sowie kostenlos verfügbare KI-Anwendungen notwendig, um die obige Textpassage in wenigen Minuten zu generieren. Diese Text stellt selbstverständlich kein Plagiat im Sinne der widerrechtlichen Nutzung vorhandener Texte anderer Autoren dar. Sie ist einzigartig im Sinne des Ergebnisses eines KI-basierten Algorithmus zur Textgenerierung.

Es darf der Kreativität des Lesers bzw. der Leserin dieses Beitrags überlassen werden, wie derartige Techniken heute und auch zukünftig genutzt werden und das (wissenschaftliche) Schreiben beeinflussen werden – nicht nur im Hochschulkontext.

Mensch oder Maschine: Wie können Universitäten den Unterschied herausfinden?

 

Handlungsempfehlungen für Hochschulen

Wie können sich Hochschulen auch hinsichtlich des obigen Szenarios zukünftig neu ausrichten? Die Antwort auf diese Frage fällt schwer.

Die zuvor skizzierte Möglichkeit zur Nutzung von KI-Lösungen für die Textproduktion ist derzeit (noch) ein Phänomen, das nur singulär auftritt. Aber die weitere Entwicklung und die damit verbundenen neuen Handlungsoptionen sollten kontinuierlich gemonitort werden.  So empfiehlt der japanische Forscher Grant Jun Otsuki für Lehrende heute bereits den proaktiven und partnerschaftlichen Weg zur Nutzung von KI, um gemeinsam mit den Studierenden Textgeneratoren für erste Entwürfe zu nutzen, die von Studierenden in der zweiten Phase dann eigenständig erweitert und überarbeitet werden (Otsuki 2020).

Mit Blick auf die deutsche Hochschullandschaft ist diese Empfehlung sicherlich noch Zukunftsmusik. Auch mit der Rückbesinnung auf unsere (eigentlichen) Bildungsziele können wir bereits positive Veränderungen hervorrufen. Bildungsexperten empfehlen uns Lehrenden, den Schreibprozess wertschätzender als Lernprozess mit seinem Potenzial zu erkennen, zu nutzen und in den Studienverlauf systematischer zu integrieren (Lahm 2016). Dabei ist es wichtig, bei den Studierenden die Freude am eigenständigen Schreiben zu wecken und die Sinnstiftung der studentischen Arbeiten stärker zu betonen.

Leider verhindern die ungünstigen Betreuungsrelationen von Lehrenden zu Studierenden und das wahrgenommene „Massengeschäft“ an vielen Hochschulen eine kontinuierliche Unterstützung des Schreibprozesses der Studierenden und die fortlaufende Beobachtung durch die Lehrenden.

Trotz all dieser ungünstigen Rahmenbedingungen, unklaren Kontextfaktoren und Zukunftsfragen können abschließend folgende Handlungsempfehlungen formuliert werden:

  • Projektorientierte Lehre ausbauen und Kooperationsprojekte mit hochschulexternen Partnern für praxisrelevante Aufgabenstellungen ausweiten, um die Motivation der Studierenden und den Wissenstransfer zu fördern.
  • „Einzigartige“ und singuläre Fragestellungen für schriftliche Studienarbeiten präferieren und die nur auf Literaturrecherche und -analyse basierten Aufgabenstellungen vermeiden, insbesondere bei Abschlussarbeiten.
  • Den Anteil mündlicher Prüfungen zu Lasten schriftlicher Arbeiten erhöhen, trotz der formulierten Sorge des Geschäftsführers des Deutschen Hochschulverbandes Michael Hartmer, der schriftliche Arbeiten als Teil der einer jahrhundertealten Universitätskultur sieht und eine Verdopplung der Prüferkapazität beim Wechsel auf mündliche Prüfungen für nicht finanzierbar erachtet (Gamillscheg und Piegsa 2015).
  • Die Aufklärungsarbeit und Weiterbildung für Lehrende forcieren, um das Problembewusstsein für Plagiate zu schärfen (Hartz und Milatz 2016), inklusive der Nutzung flächendeckender und verbindlich vorgeschriebener Plagiatserkennungs-Softwarelösungen.
  • Einen Verhaltens- und Ehrenkodex fest in den Prüfungsordnungen verankern (inklusive Sanktionen wie der Exmatrikulation) und damit einhergehend verantwortliche Organisationsstellen in der Hochschule integrieren wie z.B. die in den USA an einigen Hochschulen etablierten „Offices of Research Integrity“.
  • In Netzwerken wie z.B. dem EU-Projekt ENAI European Network for Academic Integrity aktiv mitarbeiten.
  • Angebote des EU-Projektes Path2Integrity zur Förderung der Integrität von Forschern nutzen.

Literaturverzeichnis

Foltýnek, Tomáš; Dlabolová, Dita, Anohina-Naumeca, Alla, Razı, Salim, Kravjar, Július, Kamzola, Laima, Guerrero-Dib, Jean, Çelik, Özgür, Weber-Wulff, Debora (2020): Testing of Support Tools for Plagiarism Detection. Online hier verfügbar, zuletzt geprüft am 12.06.2020.

Gamillscheg, Marie; Piegsa, Oskar (2015): „Die Arroganz vieler Ghostwriter empört mich“. Hg. v. ZEIT ONLINE. Online hier verfügbar, zuletzt aktualisiert am 08.04.2015, zuletzt geprüft am 12.12.2019.

Guhlich, Anne (2011): Das Geschäft mit fremden Federn. Ghostwriter und Schreibagenturen sehen sich als Gewinner der Guttenberg-Affäre. Hg. v. Stuttgarter Nachrichten. Stuttgart. Online hier verfügbar, zuletzt aktualisiert am 05.03.2011, zuletzt geprüft am 14.06.2020.

Hartmann, Simone (2019): Ghostwriter Report. Informatives über ein undurchsichtiges Metier. München: BookRix. Online hier verfügbar, zuletzt geprüft am 14.06.2020

Hartz, Marlene; Milatz, Marvin (2016): Der Fall Guttenberg und die Lehren. Hg. v. Frankfurter Allgemeine. Online hier verfügbar, zuletzt aktualisiert am 03.03.2016, zuletzt geprüft am 14.062.

Lahm, Swantje (2016): Schreiben in der Lehre. Handwerkszeug für Lehrende. Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich (Kompetent lehren, Band 8). Online hier verfügbar.

Luhmann, Niklas (1992): Universität als Milieu. Bielefeld: Haux (Kleine Schriften).

Otsuki, Grant Jun (2020): OK computer: to prevent students cheating with AI text-generators, we should bring them into the classroom. Hg. v. The Conversation. Online hier verfügbar, zuletzt aktualisiert am 23.01.2020, zuletzt geprüft am 17.05.2020.

Writer, Beta; Schoenenberger, Henning; Chiarcos, Christian (2019): Lithium-ion batteries. A machine-generated summary of current research: Springer Nature.

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