Über UnSeminare, agile Lehre und Digital Literacy – Michael Marmann im Interview

Über UnSeminare, agile Lehre und Digital Literacy – Michael Marmann im Interview

26.02.18

Kanban Board von Prof. Dr. Michael Marmann, Hochschule Düsseldorf

In diesem Interview mit Prof. Dr. Michael Marmann von der Hochschule Düsseldorf geht es um Digitalkompetenz und agile Lehre. Darüber hinaus erklärt uns Prof. Dr. Marmann was es mit UnSeminaren auf sich hat. Als Informatiker ist er für die Lehr- und Forschungsgebiete E-Learning, Multimedia und Datenbanksysteme verantwortlich. Seine Hauptforschungsinteressen liegen in den Bereichen E-Learning-Strategien, Optimierung von E-Learning-Entwicklungsprozessen, E-Assessment-Systeme und Digitale Transformation. Das Interview fand im Rahmen der HFD Winter School 2017 in Berlin statt. 

 

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Was bedeutet Digital Literacy?

Digital Literacy ist der englische Begriff für Digitalkompetenz und wenn Sie mich fragen, ob ich das jetzt umfassend definieren kann, muss ich Sie leider enttäuschen. Ich kann Ihnen aber sagen, wofür man Digitalkompetenz braucht: Insbesondere für die Studierenden ist es wichtig zu lernen, mit digitalen Medien umzugehen. Stellen Sie sich in diesem Zusammenhang das Internet mit seinem endlosen Vorrat an Informationen und Wissen vor. Da geht es schlichtweg darum zu lernen, wie dieses Wissen bewertet werden kann, wie es überhaupt erst mal recherchiert werden kann, also wie Informationen gefunden werden können und so weiter und so fort. Weitere Punkte: Wie kann mit digitalen Medien gelernt werden? Wie wird künftig gearbeitet? Viele Studierende wissen vielleicht noch gar nicht, wie sie später im Beruf mit diesen digitalen Medien oder mit digitalen Werkzeugen arbeiten und miteinander kooperieren müssen. All das sind Dinge, die dem Begriff Digitalkompetenz zugeordnet werden können.

Wie kann Digital Literacy an der Hochschule vermittelt werden?

Vermitteln ist vielleicht nicht ganz das korrekte Wort dafür. Kompetenzen können eigentlich nicht vermittelt werden, die müssen erworben werden. Wir Hochschullehrer können dazu beitragen, indem wir neue Formate entwickeln, die dabei helfen, dass Studierende diese Kompetenzen selbstständig erwerben.

Braucht es dafür einen Studiengang?

Einen Studiengang braucht man dazu wohl eher nicht. Vielmehr kann jede Fachdisziplin bereits einen Beitrag zu dem Thema Digitalkompetenz leisten. So werden die Sozial- und Kulturwissenschaftler ganz anders auf dieses Thema schauen, als beispielsweise die Maschinenbauer oder die Medienleute. Ich kann mir in diesem Zusammenhang allerdings vorstellen, dass vielleicht ein separates Studienangebot entwickelt wird, also kein kompletter Studiengang, sondern vielmehr ein Fach „Digitalkompetenz“, welches dann in den unterschiedlichen Fachdisziplinen angeboten wird. Ich selbst werde dieses Thema ab 2018/2019 zu einem festen Bestandteil meiner Lehre machen. Dann wird es ein Seminar „Digitalkompetenz“ geben, in welchem wir verschiedene Themen, die in diesem Zusammenhang interessant sein können, behandeln werden.

Transparenz und Kollaboration sind feste Bestandteile agiler Lehre Bild von [https://unsplash.com/photos/UCZF1sXcejoŠtefan Štefančík]

Was bedeutet Agilität in der Lehre?

Agilität steht für Flexibilität, für Beweglichkeit und kommt ursprünglich aus dem Softwareengineering. Es wurde inzwischen aber auch auf den Bereich Projektmanagement übertragen. Agilität steht tatsächlich für mehr Flexibilität in den Prozessen der Softwareentwicklung und wir versuchen momentan zu prüfen, ob agile Grundprinzipien oder Grundwerte auch auf die Lehre übertragen werden können. Beispiel Transparenz: Jeder weiß, was der andere tut. Beispiel Selbstorganisation: Teams organisieren sich selbst, einzelne Personen organisieren sich selbst. Kommunikation auf Augenhöhe ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Das sind Beispiele für agile Grundwerte, auf die dann alle weiteren Prinzipien, Methoden und so weiter aufbauen. Und dieses Grundgerüst kann gut genutzt werden, um auch die Lehre flexibler und spannender zu machen.

Worin unterscheidet sich agile Lehre von klassischer Lehre?

Agile Lehre als Begriff ist noch nicht ganz etabliert. Als ich mich mit dem Thema befasst habe, entdeckte ich ein Buch mit dem Titel Agile Hochschuldidaktik von Christof Arn. Christof Arn ist von der Hochschule Luzern und von Haus aus kein Mediendidaktiker, sondern Ethiker. Er beschreibt in seinem Buch sehr praxisnah, wie Lehre aus seiner Sicht lebendiger und flexibler gestaltet werden kann. Er spricht in diesem Kontext auch von Performancedidaktik, das heißt Didaktik als Performance, im Gegensatz zur Plandidaktik. Hier wird der Unterschied deutlich: Performancedidaktik ist eine Didaktik aus der Situation heraus, die mehr auf die Studierenden eingeht – nämlich z.B. dann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert – und diesen Ansatz finde ich sehr spannend. Und an dieser Stelle möchte ich noch einen Schritt weitergehen und die agilen Prinzipien und Werte unbedingt auch in die Lehre einbauen und vielleicht sogar agile Werkzeuge und Tools nutzen, die dann wiederum digital gestützt sind, um bei den Studierenden quasi en passant eine gewisse Digitalkompetenz zu entwickeln.

E-Portfolio Plattform von Prof. Dr. Michael Marmann, Hochschule DüsseldorfSie führen sogenannte UnSeminare durch. Was ist das?

Das ist ein Begriff, den ich so vorher auch noch nicht gehört hatte, obwohl ich im Nachhinein gesehen habe, dass er bereits von dem einen oder anderen schon einmal benutzt wurde. Sie kennen ja vielleicht das Stichwort Barcamp. Ein Barcamp (oder Unkonferenz) ist ein besonderes Veranstaltungsformat für eine Konferenz, die zunächst ungeplant ist. Das Plenum, bestehend aus den Teilnehmenden, definiert die Konferenz oder die Inhalte der Konferenz. Es werden Räume bereitgestellt, aber der Inhalt entsteht quasi aus und während der Veranstaltung, zum Beispiel über Pitches und Beiträge der Anwesenden. Und etwas Ähnliches versuche ich mit den UnSeminaren anzubieten. Da möchte ich auch mehr Raum für Ungeplantes lassen. „Un“ steht hier also für ungeplant. Es ist vom Grundsatz her ein Seminar, es werden also unterschiedliche Themen behandelt, die allerdings auf keinen Fall vorgegeben werden. Die Studierenden müssen sich ihr Thema selbst erschließen. Es wird maximal ein Rahmenthema oder eine Überschrift vorgegeben, sagen wir mal „Content Curation“ oder eben „Digital Literacy“. Dann beginnen die Studierenden damit, sich ein spezifisches Thema zu erarbeiten. Diese Themenfindung ist an sich bereits ein spannender Prozess. Wenn die Studierenden Glück haben, finden sie ein Thema für sich. Aber ungefähr 20% der Studierenden werden erstmal kein Thema finden. Da werden dann entsprechende Hilfestellungen angeboten. Nachdem ein Thema gefunden wurde, wird es vom Studierenden vorgestellt. Nachdem es vorgestellt wurde, wird eine kommentierte Gliederung erarbeitet und zwischendrin gibt es immer wieder gegenseitiges Feedback. Nach der kommentierten Gliederung folgt eine Präsentation, und auch diese wird wieder von den Teilnehmern bewertet. Ganz zum Schluss kommt erst der Hauptblock. Da erstellen die Studierenden umfangreiche und interaktive Blogbeiträge, mit einem multimedialen Abstract als Einstieg. Hier sind verschiedene interaktive Elemente Bestandteil des Blogbeitrags. Es kommen verschiedene Technologien zum Einsatz. Da steckt sehr viel Bewegung, Flexibilität, Agilität drin sowie, sehr viel Know-how und Kompetenz, was das Thema digitale Welt oder Digitalisierung anbetrifft.

Kanban Board von Prof. Dr. Michael Marmann, Hochschule DüsseldorfWie ist das Feedback von Studierenden?

Super! Das Feedback ist wirklich sehr gut. Die Studierenden schätzen dieses selbstorganisatorische Prinzip. Wenn Studierende sich selbst organisieren können und dazu auch entsprechende Mittel in die Hand bekommen, haben die da sehr viel Freude dran. Transparenz steuert hierzu viel bei. Jeder weiß zu jedem Zeitpunkt, was der andere macht. Dazu setzen wir ein virtuelles Kanban Board ein, um die einzelnen Aufgaben und den jeweiligen Bearbeitungsfortschritt in Phasen unterteilt aufzuzeigen. Da können dann einzelne Kärtchen von A nach B verschoben werden. Auf den Karten können die Studierenden alle erarbeiteten Inhalte der anderen Studierenden durchgehen und so voneinander lernen. Denn der eine ist vielleicht schon mal schneller mit der kommentierten Gliederung fertig, und ein anderer schaut sie sich an und sagt sich: So mache ich das auch. Die Studierenden lernen so voneinander und können auch kooperativ arbeiten. Wenn das virtuelle Kanban Board zentral im Raum zur Verfügung gestellt wird, sieht man sofort, wie die Kärtchen in die nächste Stufe herübergeschoben werden, sobald etwas fertiggestellt wurde. Ein kleines Erfolgserlebnis. Die Summe dieser Erfolgserlebnisse macht das UnSeminar aus. Ich finde es großartig, wie eng dabei zusammengearbeitet wird. Transparenz ist hierbei ein wichtiger Bestandteil.

Kann agile Lehre stärker an Hochschulen implementiert werden?

Die erste Frage ist natürlich, ob man das möchte. Ich befürworte agile Lehre, aber das lässt sich natürlich nicht verordnen. Gemäß der Freiheit in Forschung und Lehre entscheiden Lehrende in der Regel selber darüber, wie sie ihre Lehre gestalten. Nichtsdestoweniger kann dieses Thema natürlich bekannter gemacht werden. Hierzu versuche ich, einen Beitrag zu leisten, und ich würde mich freuen, wenn ein Kollege oder eine Kollegin einmal sagt „oh, das klingt aber interessant, das würde ich gerne auch mal probieren“ und es tatsächlich auch mit Erfolg ausprobiert. Das wäre schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

 

 

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