Warum E-Learning gescheitert ist

Warum E-Learning gescheitert ist

30.03.17

Bild Eisenbahn

E-Learning und MOOCs stehen als Schlagworte für Veränderungen der Lernwelt. Andreas Wittke von der Fachhochschule Lübeck erklärt in seinem Beitrag, warum er E-Learning für gescheitert hält und MOOCs ein erster Schritt zur digitalen Bildung sind. Der Text erschien zuerst auf seinem Blog www.onlinebynature.com.

Zerstörter ScreenE-Learning wird sich nicht durchsetzen, davon bin ich inzwischen überzeugt. Es gibt zwar tausende mehr oder minder erfolgreiche Projekte, aber E-Learning hat es weder geschafft nachhaltig zu werden, noch hat es Strukturen geändert. Es ist immer noch eine Randerscheinung, die zwar inzwischen akzeptiert ist und auch irgendwie notwendig, doch man braucht es nicht wirklich, um gute Lehre zu machen. Außerdem kostet das alles ganz schön viel Geld. Im Gegensatz dazu kommt jetzt die Digitalisierung, die meiner Meinung nach das E-Learning nebensächlich erscheinen lässt, denn die Digitalisierung verändert im Gegensatz zum E-Learning die Strukturen. Und das ist der gewaltige Unterschied.

Bei der Einführung vom E-Learning haben wir in den 90er Jahren ganz klassisch gedacht, denn wir haben einfach die bestehenden analogen Prozesse bzw. die reale Welt angeschaut und haben diese dann eins zu eins ins Digitale überführt, ohne uns Gedanken zu machen, ob dies sinnvoll wäre. Ein schönes Beispiel dafür ist die E-Mail (sie hat nicht direkt mit dem E-Learning zu tun, wird dort aber sehr gerne genutzt). Sie ist das exakte Abbild des analogen Briefes. Man schreibt genau einer Person (man kann auch cc kopieren, das ändert aber nichts), sie wird asynchron versendet und man erhält nur aufwendig eine Empfangsbestätigung. Schaut man sich das Ergebnis an, dann haben wir eine elektronische Kommunikation erschaffen, die genauso wie der analoge Prozess stattfindet.

WhatsApp ist digitale Kommunikation

Was wir aber wirklich brauchen und wollen, hat uns knapp 40(!) Jahre später WhatsApp gezeigt. Wir können nun auch in Gruppen in Echtzeit kommunizieren, erhalten grafischen Response (blauer Haken) und können sogar Medien verschicken  – und das alles flexibel mit dem Smartphone. Extrem hohe Usability und grafische Emoticons machen die Nutzung zur Freude und inzwischen kann man sogar damit telefonieren.

Man sieht an dem Beispiel sehr schön, dass sich ein neuer Prozess der Kommunikation entwickelt hat, der natürlich erst in Verbindung mit anderen Innovationen wie z.B. Smartphone, Emoticons und Videostreaming möglich war. WhatsApp und E-Mail lassen sich nicht vergleichen, es etwas Neues entstanden, was es vorher nicht gab, aber trotzdem jeder braucht.

Nehmen wir ein zweites Beispiel, nämlich das altbekannte und oft gehasste Learning Management System (LMS). Das normale LMS ist genauso wie eine Schule aufgebaut. Es gibt Fachbereiche und Klassen und alles wurde mit Türen/Passwörtern versehen, so dass ein Lerner natürlich nicht in andere Kurse reinschauen kann. Was in der analogen Schule durchaus Sinn macht, macht digital kaum noch Sinn. Eine räumliche Not existiert nicht und und Störungen sind nur theoretisch möglich, kommen in der Praxis quasi nie vor. Das LMS behandelt die Schule als geschlossenes System, wo keine Eltern, aber auch keine fremden Inhalte erlaubt sind. Das alles wird heute noch mit dem Schutz der Kinder begründet oder dem Datenschutz und oft auch noch vor der Angst des Urheberrechts. Parallel wurden dann noch alle anderen Prozesse ins LMS gebaut, wie Prüfungen mit Datum und Zeit, ein Gradebook und Kalender. Alles mit einer schlechten Usability, weil es von Pädagogen entworfen worden ist und die Methodik das wichtigste ist und nicht die Nutzung. Die Nutzung unterliegt nämlich dem Zwang und nicht der Freiwilligkeit, daher braucht es keine Motivationssysteme.

Blended Learning: Das Schlechteste beider Welten

Wie könnte denn jetzt eine neue digitale Bildung aussehen?  Es existieren erste Zwischenlösungen wie YouTube, OpenBadges, Smartphones und GSuite, die aber noch kein neues System gebildet haben, jedoch jedes für sich eine Änderung des Arbeits-, als auch des Bildungslebens ermöglichen. MOOC-Plattformen wie mooin werden das auch nicht sein. Sie zeigen jedoch, was offene digitale Bildung leisten kann, wenn man denn plötzlich mal ohne das “Gefängnis” Präsenz denkt. Wie würde denn eine echte digitale Hochschule aussehen, wenn wir sie frei vom analogen Prozess denken würde?

E-Learning ist auch gescheitert, weil wir es nicht richtig einsetzen. Damit jeder es nutzen kann ohne das analoge System zu ändern, wurde das Blended Learning erfunden. Ähnlich wie das Hybrid-Auto verbindet Blended Learning das Schlechteste beider Welten. Beim Hybrid-Auto wird immer ein Motor und ein Tank nicht genutzt, muss aber transportiert werden. Beim Blended Learning verzichten wir auf Skalierung, aber haben trotzdem hohe Entwicklungskosten. Das Hybrid-Autos Unsinn sind, zeigt gerade Tesla, und Blended Learning findet langsam in neuen Nischen wie dem Flipped Classroom Daseinsberechtigung, was aber nicht das Skalierungsproblem löst, dafür wurden MOOCs erfunden.

Grenzkostenerfahrung

Das Problem des E-Learning sind die Grenzkosten. Wenn wir weiterhin in analogen Strukturen denken, das heißt wir unterrichten in Semestern, in Klassengrößen und prüfen zu einer bestimmten Zeit alle Lerner gleichzeitig, wird E-Learning scheitern bzw. ist gescheitert. Das kann niemand bezahlen. Man kann in digitalen Prozessen jedoch nahezu unendlich denken, ähnlich wie Amazon, die auch mehr E-Books im Lager haben als jede Bibliothek der Welt. Digital kostet kein Geld. In allen, wirklich in allen Wirtschaftsbereichen vermindert die Digitalisierung die Gesamtkosten, nur in der Bildung werden sie erhöht. Was sich wie ein Treppenwitz liest, wurde doch wieder bei der legendären Campus Innovation Podiumsdiskussion ausführlich diskutiert. So lange Deutschland lieber 50 mittelmäßige Brückenkurse für Mathematik fördert, anstatt einen guten für ganz Deutschland zu machen, wird das nicht klappen. Das kann man auch nicht rechtfertigen. Also wo liegt der Fehler?

Digitale Bildung

Bild EisenbahnIch glaube, dass wir digitale Bildung völlig neu denken müssen. Und dies wird noch dauern. Ich lese gerade “The Second Machine Age” und dort wird sehr gut beschrieben, wie viele kleine Innovations-Schritte notwendig sind, um eine wirkliche Kostenersparnis bzw. einen gesellschaftlichen Mehrwert bei der Einführung einer Technologie zu schaffen. Diese Innovationsschritte dauern normalerweise 10-15 Jahre nach Einführung des Systems, das kann man sehr gut bei der Dampfmaschine wie auch beim Elektromotor oder dem PC sehen. Als der Elektromotor eingeführt worden ist, hat er die Dampfmaschine ersetzt. Die Dampfmaschine war jedoch ein zentrales Gerät, das jede Firma nur einmal hatte. Benötigte man viel Kraft für seine Maschine, musste man nahe an der Maschine sein, damit die Welle die Kraft noch gut übertragen konnte. Erst 10 Jahre nach Einführung des Elektromotors, der kleiner und flexibler war, wurden die Fabriken so umgebaut, dass es neue Produktionsprozesse gab. Erst dadurch wurden sie effektiver. Die Einführung des E-Motors hatte also zuerst gar keinen unmittelbaren Einfluss auf die Wertsteigerung.

Digitalisierung der Bildung kann nicht teuer sein, wenn sie es wäre, machen wir was falsch

— Andreas Wittke (@onlinebynature) 21. März 2017

Wir haben ca. 15 Jahre nach Einführung des E-Learning den MOOC bekommen und wie ich immer sage: wir haben den MOOC noch nicht begriffen. MOOCs sind immer noch Babys, aber sie sind das erste vollständig digitale Baby. Wir wissen schon jetzt, dass solche digitalen Angebote nur in der Skalierung Sinn ergeben und dann bezahlbar werden. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn diese Angebote unabhängig von einem Ort sind. Da die Inhalte vollständig digital sind und jede Kommunikation online stattfindet, können theoretisch beliebig viele Leute teilnehmen, wenn man sie denn angemessen betreuen kann. In der analogen Lehre kann ein Lehrer ca. 25 Leute unterrichten, digital könnten es je nach Konzept vielleicht 1.000 sein. Heute werden MOOCs jedoch noch(?) so konzipiert, dass sie NICHT zeitunabhängig sind. Alle MOOCs haben bisher ein Startdatum und man lernt gemeinsam. Neue digitale Angebote wären durch den Einsatz einer künstlichen Intelligenz wie Siri möglich oder indem man auf Gastdozenten aus anderen Ländern zurückgreift, die online rund um die Uhr Hilfestellung geben können. Wir könnten OnDemand-Kurse anbieten, die jeder sofort nutzen kann, wenn er sie braucht. Ähnlich wie bei einem E-Book bedeutet das: Ich will das Angebot innerhalb von Minuten nutzen können, ohne auf einen Kursstart zu warten.

Binge Learning

Wir müssen digitale Bildung neu denken, denn auch Vorlesungen von 90 Minuten und Kurslaufzeiten von einem Semester sind nicht notwendig. Ein Kurs ist so lange, wie er braucht um das Thema zu vermitteln. Das kann eine Woche sein oder ein Jahr. Warum kann ein zukünftiger Lerner nicht so lange etwas lernen, wie er Lust hat? Dank Netflix gibt es das Binge Watching, warum gibt es kein Binge Learning? Warum muss ein Lerner nach 90 Minuten Vorlesung aufhören sich mit dem Thema zu beschäftigen, wenn er gerade warm geworden ist, um dann ein völlig neues Thema vorgesetzt zu bekommen?

Bei digitalen OnDemand-Inhalten ist das möglich und wir erleben das heute schon, denn wenn man die Inhalte weit genug runterbricht (der Fachmann nennt das dann Mikrolearning oder Learning Objects), dann können wir das auch YouTube-Filmchen nennen. Denn wie man eine Fahrradkette wechselt oder einen Rollbraten kocht, kann ich schon heute OnDemand auf YouTube lernen, ganz ohne MOOCs oder eine Schule.

Und wird sich jetzt was ändern?

Ich weiß nicht, ob solche Überlegungen einen unmittelbaren Einfluss auf die bestehenden Systeme wie Schule oder Hochschule haben. Um wirklich digitale Bildung einzuführen, braucht es neue Strukturen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es diese neuen Strukturen geben wird und sie sich nur durch Skalierung rechnen werden. Wir in Lübeck arbeiten daran und natürlich alle großen Bildungsanbieter weltweit auch. Da die deutsche Bildung jedoch nicht auf das Geld achten muss, gibt es hier auch keinen Druck zu einem Wechsel. Daher bin ich wieder am Anfang, denn dann ist E-Learning gescheitert.

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