Universal Design in der digitalen Bildung

Universal Design in der digitalen Bildung

14.10.21

Tabelle mit drei Spalten und vier Zeilen; die drei UDL-Prinzipien als Spaltenkopf, für Details dem Link folgen oder Fließtext

Universal Design in der digitalen Bildung

Das Konzept des Universal Design (auf Deutsch Universelles Design oder kurz UD) kommt aus der Architektur und dem Produkt Design, und wurde als Begriff im Jahr 1985 von Ron Mace geprägt. Die Idee des UD ist viel älter und eng mit der der Behindertenrechtsbewegung in den USA verbunden. Für Story et al. (1989) waren drei Entwicklungen ausschlaggebend für das Konzept des UD:

  1. Die demografische Entwicklung führt dazu, dass immer mehr Menschen ein hohes Lebensalter erreichen. Und mit dem Lebensalter nehmen gesundheitliche Beeinträchtig zu.
  2. Nach dem 2. Weltkrieg mussten viele oft körperlich beeinträchtigte Kriegsveteranen gesellschaftlich integriert werden, um nicht dauerhaft von staatlicher Fürsorge abhängig zu sein.
  3. In der Folge wurden in den USA zahlreiche Gesetze und Standards verabschiedet, um die Zugänglichkeit von Gebäuden und baulicher Infrastruktur zu ermöglichen. Damit einher ging eine gestalterische Einschränkung, die gesetzlich festgeschriebenen Maßnahmen waren oft teuer und ließen sich schlecht in den gestalterischen Gesamtentwurf integrieren.

Als Reaktion darauf und im Zuge der Behindertenrechtsbewegung kam in den USA und Japan das Konzept eines Universal Design Thinking auf, das in Europa als barrierefreies Design oder Design-für-Alle bezeichnet wurde. Dem Gedanken eines Ermöglichungskonzepts (enabler concept) folgend, geht es darum, Menschen mit Behinderung die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Den Begriff Universal Design hat schließlich Ron Mace im Jahr 1985 geprägt und 1997 am Center for Universal Design zusammen mit einer Gruppe von Expert*innen die sieben Prinzipien des Universal Designs ausformuliert (Ostroff, 2011).

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch die Bundesregierung im Jahr 2007 und deren Inkrafttreten im Jahr 2009 hat UD Eingang in den Rechtsraum der Bundesrepublik gefunden:

„[Universelles Design bedeutet] ein Design von Produkten, Umfeldern, Programmen und Dienstleistungen in der Weise, dass sie von allen Menschen möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder ein spezielles Design genutzt werden können.“ (Artikel 2 UN-BRK, 2008)

Übertragen auf eine inklusive Digitalisierung beduetet das: Inklusive digitale Bildungsangebote sind dann universell designed, wenn sie von allen Lernenden möglichst weitgehend ohne eine Anpassung oder besondere Maßnahmen genutzt werden können. Die Definition des UD ist zwar sehr ähnlich zur Definition der Barrierefreiheit (§4 BGG). Aber das UD macht keinen Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Es war (und ist) das erklärte Ziel der Behindertenrechtsbewegung, die Dichotomisierung zwischen behindert und nicht-behindert aufzulösen.

Universelles Design in der Bildung

In einem ersten Ansatz hat Frank Bowe (2000) die sieben Prinzipien des UD auf den Bildungsbereich angewendet. Andere Ansätze, die Idee des UD erweitern die sieben Prinzipien des UD um zusätzliche eigene Prinzipien, z.B. das Universal Instructional Design (UID, Higbee & Goff 2008). Oder es werden vollständig neue Prinzipien entwickelt, wie beispielsweise beim Universal Design for Learning (UDL, Meyer et al., 2014).

Es ist wichtig zu betonen, dass Universelles Design nicht gleichbedeutend ist mit Barrierefreiheit. Sheryl Burgstahler (2020, S. 31) hat diese Idee in der folgenden Abbildung zusammengefasst.

Dreieck zusammengesetzt aus vier Dreiecken, Mitte Universelles Design, links unten barrierefrei, mitte oben nutzbar, rechts unten inklusiv

Universelles Design ist immer barrierefrei, nutzbar und inklusiv, eigene Darstellung nach (Burgstahler, 2020).

Sheryl Burgstahler betont, das UD nutzbar, barrierefrei und inklusiv ist:

  • Barrierefrei ist etwas dann, wenn es auch von Menschen mit Behinderung oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen gleichermaßen genutzt werden kann.
  • Nutzbar ist etwas dann, wenn es von den vorgesehenden Nutzer*innen für den angedachten Zweck verwendet werden kann.
  • Inklusiv ist etwas dann, wenn Nutzer*innen es auf vielfältige Weise gebrauchen können und sich zugehörig fühlen.

Wenn einer dieser drei Aspekte fehlt, dann ist etwas nicht “universally designed”. Sheryl Burgstahler veranschaulicht das mit einem Beispiel. Der Treppenaufgang zu einem Gebäude wurde mit einer zusätzlichen Rampe versehen. Damit ist der Zugang zum Gebäude barrierefrei und nutzbar, aber nicht inklusiv. Die Besucher*innen erreichen den Gebäudeeingang auf verschiedenen Wegen. Erst breiter, ebenerdiger oder leicht ansteigender Zugang zum Gebäude ist sowohl barrierefrei und nutzbar als auch inklusiv, denn jetzt können alle Besucher*innen das Gebäude auf dem gleichen Weg erreichen.

Bei allen Unterschieden gibt es wichtige gemeinsame Aspekte, die alle Konzepte des UD in der Bildung und damit auch in der digitalen Bildung auszeichnen, in Anlehnung an (Burgstahler 2020, S. 35):

  • Das Ziel von UD in der Bildung ist es, Bildung für Menschen mit unterschiedlichsten Voraussetzungen und Eigenschaften zugänglich und nutzbar zu machen.
  • Unterschiede zwischen Menschen, z.B. hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Fertigkeiten oder möglichen Beeinträchtigungen, aber auch anderer Diversitätsmerkmale, werden als Teil menschlicher Vielfalt akzeptiert und wertgeschätzt.
  • Die Anwendung und Umsetzung gerade von UD in der Bildung ist ein Prozess, der üblicherweise mehrfach durchlaufen wird. Bildungsangebote sind andere Produkte als Gebäude oder Gebrauchsgegenstände, weil sie auch von den Lernenden mitgestaltet werden und dadurch ständigen Veränderungen unterliegen.
  • Und schlussendlich kann UD in der Bildung den Bedarf an angemessenen Vorkehrungen oder individuellen Nachteilsausgleichen reduzieren.

Universal Design for Learning

Universal Design for Learning (UDL) wurde von David Rose und Anne Meyer vom Center for Applied Special Technology (CAST) konzipiert. Es greift Überlegungen des UD auf und folgt dessen Grundidee von Bildungsangeboten, an denen alle Lernenden teilhaben und davon profitieren können. Meyer et al. (2014) möchten mit Hilfe von UDL alle Lernenden zu expert learners machen. Damit meinen sie, dass die Lernenden alle zu Expertinnen und Exptern ihres eigenen Lernens werden sollen, indem sie gemeinsam mit anderen an Themen arbeiten und sich und die Gemeinschaft dadurch weiterentwickeln. Expert learners lernen planvoll und motiviert, sind einfalls- und kenntnisreich und gehen strategisch und zielgerichtet vor. Dabei werden selbstverständlich digitale Bildungsangebote genutzt, sei es durch Materialien, die in digitaler Form zur Verfügung stehen, Aktivitäten, die digital und online unterstützt werden, oder die Motivation von Lernenden.

Das Konzept des UDL besteht aus drei Prinzipien mit jeweils drei untergeordneten Richtlinien und insgesamt 31 Prüfpunkten. Die drei Prinzipien werden im folgenden in englischer Sprache benannt. Zwar gibt es deutschsprachige Übersetzungen, die sind aber nicht so eingängig und gelungen wie das englischsprachige Original.

Tabelle mit drei Spalten und vier Zeilen; die drei UDL-Prinzipien als Spaltenkopf, für Details dem Link folgen oder Fließtext

UDL hat drei Prinzipien mit jeweils drei Richtlinien und insgesamt 31 Prüfpunkten (CAST, 2018)

Provide multiple means of Representation

Inhalte und Informationen sollen auf unterschiedliche Weise präsentiert werden. Dazu gehören natürlich barrierefreie Materialien sowie Alternativen, die andere Sinnesmodalitäten ansprechen. Es sollen aber auch Optionen für Sprache und Symbole angeboten werden, beispielsweise dadurch, dass Fachbegriffe in einem Glossar definiert werden, Abkürzungen erläutert oder technische Unterstützung das Lesen von Texten erleichtert. Das Begreifen und Verstehen kann durch Aktivierung von Vorwissen, das Hervorheben von Mustern und großen Ideen oder durch Förderung des Transfers und der Generalisierung unterstützt werden.

Provide multiple means of Action and Expression

Das Lernen und der Lernerfolg soll durch vielfältige Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten unterstützt werden. Dazu gehört der physische Zugang, also die Nutzbarkeit und Bedienbarkeit von digitalen Bildungsangeboten auch dann, wenn die Lernenden mit individuellen und Assistiven Technologien arbeiten. Es müssen auch nicht alle Lernenden die gleiche Lernaufgabe bearbeiten. Wenn jemand beispielsweise nicht gut flüssig schreiben kann, könnte die Aufgabenlösung auch als Audioinhalt oder mit Hilfe einer Spracherkennung bearbeitet werden. Die Kommunikation zwischen Lernenden, aber auch zwischen Lernenden und Lehrenden kann textbasiert, mit Sprachnachricht oder auch nonverbal erfolgen. Es sollten eben alle Lernenden gleichermaßen teilhaben können. Beim Lernen spielen auch die exekutiven Funktionien für die Planung, Strukturierung und Steuerung der kognitiven Verarbeitung und des Lernhandelns eine wichtige Rolle. Technologie kann Lernende dabei helfen, sich selber und ihr (gemeinsames) Lernen zu planen, sich selber Ziele zu setzen oder gesetzte Ziele zu verfolgen.

Provide multiple means of Engagement

Die Motivation der Lernenden soll auf unterschiedliche Weise gefördert und unterstützt werden. Das kann beispielsweise durch Wahlmöglichkeiten und eine innere Differenzierung erreicht werden. Durch anwendungsorientierte Aktivitäten wird den Lernenden die Relevanz und die Authentizität des Gelernten deutlich. Die Lernausdauer kann durch lernzielorientiertes Feedback unterstützt werden, was bei digitalen Bildungsangeboten sich oft auch automatisiert umsetzen lässt. Aber auch das gemeinsame Lernen sollte nicht zu kurz kommen.

Wichtig ist: Die Richtlinien und deren untergeordnete Prüfpunkte sollten keinesfalls als Checkliste missverstanden werden, die abgearbeitet werden soll! UDL ist keine Checkliste, bei der man verschiedene Punkte abarbeitet und Häkchen dahinter setzt. Ich verstehe UDL vielmehr als Blaupause und als Reflektionsmöglichkeit. Lehrende können mit Hilfe von UDL ihre digitalen Bildungsangebote reflektieren, Barrieren identifizieren und Ideen für die Beseitigung der Barrieren entwickeln. Immer mit dem Ziel, die Lernernden zu expert learners zu machen.

UDL und Digitalisierung

Für die Umsetzung von UDL bieten sich digitale Bildungsangebote und die Nutzung von digitaler Bildungstechnologe geradezu an. Digitale Materialien erlauben einen flexiblen Umgang mit Texten, Video- und Audioinhalten. Gerade für Lerner*innen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist die Nutzung von Technologie essentiell, um erfolgreich an (nicht nur) digitalen Bildungsangeboten teilhaben zu können. UDL fordert zudem flexible Zugänge zu Bildungsangeboten, und diese Flexibilität ist durch die Nutzung von Technologie und durch digitale Bildungsangebote oft wesentlich einfacher zu realisieren.

Digitale Bildungstechnologie kann problemlos verschiedenen Lernernden unterschiedliche Materialien und Aktivitäten bereitstellen. Die Differenzierung ist technologiegestützt einfacher möglich, entweder anhand vorab erstellter Gruppen oder anhand von Entscheidungen und Präferenzen der Lernenden selber. Glossare, Wikis unnd andere Aktivitäten erleichtern den Umgang mit Sprachen und Symbolen. Digitale Bildungsangebote lassen sich oft auch von den Lerner*innen selber an ihre persönlichen Vorlieben anpassen und damit das Lernen erleichtern und verbessern.

Gerade bei der Umsetzung von UDL werden oft viele digitale Werkzeuge, kleine Programme oder Webseite genutzt. Beispielsweise zur Unterstützung der exekutiven Funktionen bei den Lernenden. Oder um gemeinsame Aktivitäten wie Ideensammlungen oder die Erarbeitung von Ergebnissen zu unterstützen. Hierbei sollte die Barrierefreiheit von solchen Angeboten im Blick behalten werden, um durch die Nutzung von zusätzlicher Software oder Webseiten nicht versehentlich zusätzliche Barrieren zu verursachen.

Im nächsten Blogbeitrag zum Thema UDL und digitale Bildung werde ich näher auf Fragen der Umsetzung und Überprüfung eingehen. Wenn Sie sich bis dahin näher mit Universellem Design in der (digitalen) Hochschulbildung beschäftigen möchten, finden Sie in den Literaturhinweisen interessante Bücher und Artikel.

Literatur

Bowe, F. (2000). Universal Design in Education. Teaching Nontraditional Students. Bergin & Garvey.

Burgstahler, S. (2020). Creating Inclusive Learning Opportunities in Higher Education: A Universal Design Toolkit. Harvard Education Press.

CAST. (2018). Universal Design for Learning Guidelines. http://udlguidelines.cast.org/

Meyer, A., Rose, D. H., & Gordon, D. (2014). Universal Design for Learning: Theory and Practice. CAST Professional Publishing.

Ostroff, E. (2011). Universal Design: The New Paradigm. In W. F. E. Preiser & E. Ostroff (Hrsg.), Universal Design Handbook. McGraw-Hill.

Story, M. F. (1998). Maximizing Usability: The Principles of Universal Design. Assistive Technology: The Official Journal of RESNA, Rehabilitation Engineering, 10(1), 4–12

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert