Hilfe, wir haben unsere O-Phase digitalisiert!

Hilfe, wir haben unsere O-Phase digitalisiert!

22.06.20

Über BigBlueButton und Discord konnten die geplanten Workshops von zuhause aus stattfinden.

Als Anfang des Semesters sämtliche Lehrkonzepte von der Pandemie umgeworfen wurden, waren davon auch viele Betreuungsangebote – wie die O-Phase für die Erstsemester*innen betroffen. John Brüne (Fachschaftsrat Wiwi, Universität Göttingen) erklärt, wie seine Fachschaft damit umgegangen ist und welche Vorteile eine digitale Orientierungsphase mit sich bringen kann.

In der Orientierungsphase soziale Kontakte knüpfen – wie geht das online?

15. März 2020: Im Slack-Channel unserer Fachschaft herrscht Aufruhr. In nur zwei Wochen sollen eigentlich 400 Studienanfänger (Bachelor, Master) an die Universität kommen und Corona hat gerade unsere normale O-Phase undurchführbar gemacht. Keine Infoabende, keine Stadt- und Campusführungen, keine Kneipenrallyes und keine Partys. Wie sollen sich denn Erstsemester so vernetzen?

Es mussten also schnell Lösungen her. Angefangen damit, überhaupt mit den Erstsemestern kommunizieren zu können. Unsere Begrüßungsbriefe waren schon vor einer Woche raus gegangen, wohlgemerkt noch mit dem alten Programm. Mehr als die Briefe und eine Facebook-Gruppe brauchte es normalerweise auch nicht. Man begrüßte sie ja jeden Morgen im Hörsaal und erläuterte das Programm für die Woche. Unsere neue Idee war es daher, zunächst ein Tandemprogramm ähnlich dem aufzubauen, wie es das sonst auch für Studierende aus dem Ausland gibt.

Tandem statt O-Phasen-Gruppe

Wir sammelten in der Fachschaft Interessierte, welche zwei bis drei Erstsemester unter ihre Fittiche nehmen würden. Die Bereitschaft dafür war sehr groß, sodass schnell klar wurde, dass wir alle am Programm interessierten Erstsemester auch vermittelt bekämen. Daraufhin schalteten wir zusammen mit der Fakultät ein Portal online, wo sich die Studienanfänger für einen Tandempartner anmelden konnten.

 

Mit dem Tandems war zumindest schon mal sichergestellt, dass niemand auf der Strecke bleibt. Wir erklärten, wie sie Zugriff auf eCampus (Lehrportal der Universität) erhalten und erstellten die ersten Stundenpläne. Die Erstsemester knüpften zudem Kontakt zu einem ersten Kommilitonen bzw. einer ersten Kommilitonin an der Universität und stellten die Fragen, die man sich sonst vielleicht nicht traut, der Studienzentrale zu mailen.

Der Kontakt zu der eigenen Studienvertretung war nun zumindest hergestellt, es fehlte aber immer noch an Möglichkeiten, um auch mit den anderen neuen Kommilitonen in Kontakt zu treten.

Discord als virtueller Campus

Wir beschlossen für die angehenden Bachelor und Master einen Discord Server einzurichten. Bieten sollten die Server mehrere Textkanäle, um in Austausch über den Studiengang, die Universität, aber auch die eigenen Hobbies, Sportarten, Filme und Serien, etc. zu kommen. Zusätzlich gab es Sprachkanäle, über die man sich zum Austausch verabreden konnte oder in der Fachschaftssprechstunde schnell seine Fragen loswurde.

 

In Frage dafür kamen natürlich mehrere Plattformen, aber das hauseigene Studiportal war weder für diesen Zweck ausgelegt noch leicht zu bedienen. Daher entschieden wir uns für die „externe“ Lösung Discord. Die Mitgliedschaft auf den Servern selbst war optional und einzig dem Socializing gedacht. Wichtige Dokumente und Informationen landeten parallel auf eCampus.

Sobald die Einladungsmail an alle Erstsemester raus ging und auch die Tandempartner darauf hinwiesen, füllte sich der Server recht schnell mit Leben. Bis zum Ende der O-Phase nahmen über 90% das Angebot wahr und loggten sich auf dem Discordserver ein.

Plattform steht, jetzt fehlt nur noch der Content

Nachdem der Server nun bereitstand, kopierten wir unser normales O-Phasen-Programm fast 1:1 – nur halt virtuell. Am ersten Tag stand deshalb ein Kneipenabend in Discord auf der Tagesordnung. Gegen 20 Uhr sammelten sich ca. 90 Erstsemester im Sprachkanal „Kneipenecke“ ein und bekamen dort von unseren Tutoren eine kleine Einführung in das Programm. Wo kann man auf „Push-to-Talk“ wechseln, wo kann man sich stummschalten, wo ändert man sein Profilbild… und so weiter.

Wie beim echten Kneipenabend auch, verteilten sich die Erstsemester dann auf die verschiedenen „Tische“ (Sprachkanäle). Fünf Erstsemester pro Tisch schien uns eine sinnvolle Größe zum Kennenlernen zu sein, weshalb wir die Kanäle darauf beschränkten. An jedem Tisch saß zusätzlich noch ein Guide, der ein wenig das Eis brechen sollte. Nach einer Stunde Gespräch und Austausch wurden dann alle Tische einmal durchgewürfelt, damit man wieder ein paar neue Leute kennenlernt.

Wenn die Gesprächsthemen irgendwann erschöpft waren, wechselten auch einige Gruppen auf Onlinespiele. Mit scribl.io, GeoGuesser, Cards Against Humanity oder Poker, ist das Angebot sogar ein wenig größer als in den meisten Göttinger Kneipen.

 

Diese Kneipenabende führten wir ca. zweimal die Woche durch. Zusätzlich fand einmal ein Pub-Quiz in der Kneipenecke statt. Der Aufbau war dabei recht ähnlich. Wir teilten alle Teilnehmer in Fünfergruppen ein und setzten sie wieder in die verschiedenen Sprachkanäle. Währenddessen moderierten zwei Guides das Quiz und stellen die Fragen in einem separaten Stream vor. An den Tischen konnte dann munter diskutiert werden, bis jeder Tisch seine Antwort „einloggen“ musste und sie an den Guide des eigenen Tisches mitteilte. Spaß hatten alle daran, aber um Unmut vorzubeugen bietet es sich an, Fragen zu wählen, welche sich nicht so schnell googlen lassen.

Im Browser durch die Stadt und über den Campus

Die Stadt- und Campusführungen sind sonst immer der zweite Programmpunkt in unserer O-Phase. In erster Linie geht es auch hier darum, neue Menschen kennenzulernen und nebenbei die Stadt und den Campus zu erkunden.

Das Kennenlernen konnten wir leider nicht reproduzieren, aber die Führung digitalisierten wir vollständig über eine interaktive Webseite. Mit Kamera und Mikrofon ausgestattet, filmten wir die üblichen Stationen und sprachen ein bis zwei Minuten lang über jeden Ort. Online kann man sich dann auf der Karte durch das virtuelle Göttingen klicken und sich die Videoschnipsel anhören.

 

Hier erkannten wir zum ersten Mal auch die Vorteile der Digitalisierung. Zum einen ist die Skalierbarkeit der Inhalte viel höher. Die Führungen, die sonst einen Personalaufwand von 20-30 Guides bedeuteten, ließen sich nun an einem Nachmittag von fünf Personen aufnehmen. Außerdem konnten wir die Führung auch den anderen Fakultäten zu Verfügung stellen, sodass noch mehr Erstsemester davon profitierten.

Frühstück mit Headset

Da die offizielle Immatrikulationsfeier ausfallen musste, veranstalteten wir auch die Professorenvorstellung online in Form eines Frühstücks. Jeder Dozierende bekam in BigBlueButton einen eigenen Raum und konnte dort von den Erstsemestern live befragt werden. Wer mochte, konnte sich dem Frühstück direkt via Webcam und Mikrofon zuschalten. Die etwas Schüchterneren wurden ihre Fragen via Chat los.

Zeitlich hatten wir das Frühstück auf eine Stunde begrenzt und die wurde von allen auch komplett ausgereizt. Die Fragen drehten sich sowohl um die Vorlesungen, die Pandemie und den (wirtschaftlichen) Folgen, als auch darum, wo man den Profs. auf Social Media folgen kann („Haben Sie einen TikTok Account?“).  

 

Als Ergänzung zum Live-Format drehten die Professorinnen und Professoren auch kleine Videos über sich und ihren Lehrstuhl. Weil wir keine Vorgaben nannten, wo und wie das ganze geschehen sollte, war die unterschiedliche Herangehensweise sehr unterhaltsam. Gesammelt wurden die Videos wieder bei uns und wir veröffentlichten sie zusammengeschnitten auf den verschiedenen Plattformen. Wer sich eine Vorstellung davon machen möchte, findet das Video auf Facebook.

Infoabende und Workshops zuhause im Bett

Neben dem ganzen Spaß, sollten auch die Infos in der digitalen O-Phase nicht zu kurz kommen. Es gab mit erfahrenen Fachschaftsmitgliedern Infoabende zu allen Studiengängen, welche auch gerne mal in „Ask-me-Anything“-Sprechstunden umgewandelt wurden. Unser geplantes Erstsemesterwochenende im Mai musste zwar auch abgesagt werden, die Workshops führten wir dafür in BigBlueButton und Discord durch. Die Themen waren: Auslandssemester, Engagement im Studium, Richtig Lernen sowie Beschwerde- und Finanzierungsmöglichkeiten.

 

Fazit: Dann kommt der Campus halt zu dir

Zwischendurch mag es digital mal ein wenig holprig sein. Auch wir blieben nicht von Technikproblemen verschont. Aber insgesamt hat diese digitale Betreuung besser funktioniert als wir anfangs gedacht haben und uns auch ein wenig Mut für das Wintersemester gegeben.

Auf jeden Fall braucht die virtuelle Betreuung etwas mehr Vorbereitung und Infrastruktur. Den Campus, den man sonst einfach erkunden kann, und die Kneipe, für die es sonst reicht zu reservieren, muss man diesmal selbst digital nachbauen. Die Erstsemester, die sonst „einfach da sind“, muss man diesmal gezielt erreichen und ihnen den Weg zu den digitalen Möglichkeiten weisen.

Ein paar Vorteile bringt es aber auch mit sich. Neben der schon angesprochenen Skalierbarkeit der Angebote, war es nun auch möglich die Studierenden einzubinden, die noch gar keine Wohnung in Göttingen gefunden hatten. Bei uns beginnt das Programm für die Erstsemester, durch verschiedene Vorkurse bedingt, eigentlich schon in der letzten Märzwoche. Die meisten Studienanfänger haben ihre Wohnung aber erst ab Anfang April. Ein Nachteil, den wir sonst immer haben hinnehmen müssen.

Alles in allem können wir also jeder Studivertretung dazu raten, sich für das Wintersemester auch digital aufzustellen. Ein paar Tipps dazu konntet ihr hier hoffentlich mitnehmen. Wir möchten unser Programm bis dahin natürlich auch noch etwas ausbauen und freuen uns über jeden Input, den wir bekommen können. 

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