Leidenschaft für Fragen des Lehrens und Lernens: der Online-Masterstudiengang Higher Education

Leidenschaft für Fragen des Lehrens und Lernens: der Online-Masterstudiengang Higher Education

23.05.22

Symboldbild: Online-Lehre-Romantik – Lernen auf dem Balkon

Von Masterabsolvent:innnen bis Professor:innen – der Online-Masterstudiengang „Higher Education“ an der Universität Hamburg zieht eine multidisziplinäre Studierendenschaft diverser Karrierestationen an. Dabei eint sie die Leidenschaft für Fragen des Lehrens und Lernens an der Hochschule und für Bildung durch Wissenschaft. Wir haben mit der Junior-Professorin Dr. Carla Bohndick und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Eileen Lübeck vom Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen über die Struktur des Online-Studiengangs gesprochen – außerdem verraten sie, woran es bislang noch hakt.

Titelbild zum Interview: LEIDENSCHAFT FÜR FRAGEN DES LEHRENS UND LERNENS. Der Online-Masterstudiengang Higher Education am Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen. m Gespräch mit  Prof. Dr. Carla Bohndick  und Dr. Eileen Lübeck. Logo: Hochschulforum Digitalisierung

Hochschulforum Digitalisierung: Bitte fassen Sie den Studiengang Higher Education in einem Tweet mit 240 Zeichen zusammen.

Prof. Dr. Carla Bohndick:
Der MHE ist ein berufsbegleitender Master für Personen, die sich wissenschaftlich mit Bildung, Lehren und Lernen an Hochschulen auseinandersetzen wollen.

 

Wer sollte sich bei Ihnen bewerben? Welche (hochschulischen) Zielgruppen profitieren besonders davon?

Dr. Eileen Lübcke:
Unsere Studierenden sind sehr unterschiedlich. Von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, die kürzlich ihr Erststudium abgeschlossen haben, bis hin zu erfahrenen Professor:innen sind alle Statusgruppen vertreten. Einige unserer Studierenden sind in der Lehre tätig, andere haben eher koordinierende Aufgaben und wirken z.B. im Aufbau von Studiengängen mit oder kommen aus dem Third Space, beispielsweise aus mediendidaktischen Zentren. Auch mit Blick auf die Herkunftsdisziplinen ist eigentlich alles dabei: Bildungswissenschaftler:innen, denen viele Themen schon sehr vertraut sind, Geisteswissenschaftler:innen, Naturwissenschaftler:innen, Mediziner:innen und Rechtswissenschaftler:innen. Unsere Studierenden und auch wir Lehrende profitieren in hohem Maße von dieser Diversität.

Bohndick: 
Das Einzige, was bei der Bewerbung bedacht werden muss, sind die Zugangsvoraussetzungen. Für die Zulassung muss ein Hochschulabschluss mit 240 Leistungspunkten vorliegen; das ist in den meisten Fällen ein Masterabschluss. Wenn das Studium kein erziehungs- bzw. bildungswissenschaftliches, psychologisches, geisteswissenschaftliches oder sozialwissenschaftliches Hauptfach und auch kein erziehungswissenschaftliches, bildungswissenschaftliches oder fachdidaktisches Nebenfach beinhaltet hat, ist ein hochschuldidaktisches Zertifikat Voraussetzung zur Zulassung. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, freuen wir uns über Bewerbungen aus allen Bereichen. Ich würde es so formulieren: Was unsere Studierenden (und Lehrenden) eint, ist eine Leidenschaft für Fragen des Lehrens und Lernens an der Hochschule und für Bildung durch Wissenschaft.

Synchrone Termine zum Masterstudiengang Higher Education finden auf dem Campus der Universität Hamburg statt. Gebäudeansicht.

Wieso haben Sie sich dazu entschieden, den berufsbegleitenden Studiengang Higher Education komplett online anzubieten? Welche Vor- und Nachteile bringt der komplette Verzicht auf Präsenz mit sich?

Bohndick:
Auch wenn wir natürlich genauso wie alle anderen im Frühjahr 2020 von der plötzlichen Online-Lehre überrascht wurden und erstmal vor vielen Herausforderungen standen, haben wir dann relativ schnell gemerkt, dass online doch alles sehr gut funktioniert. Wir konnten insbesondere erleben, dass die Online-Umsetzung eine noch bessere Vereinbarkeit von Studium und Beruf ermöglicht. Vor der Pandemie haben wir bereits auf Online-Elemente gesetzt, aber kombiniert mit geblockten Präsenztagen – ein Blended-Format also. Diese Tage waren auch sehr fruchtbar, hatten aber auch Nachteile: Viele hatten eine zum Teil lange Anreise, zum Beispiel aus der Schweiz oder aus Österreich, zudem war das Studium weniger gut in den Alltag integriert. Von einigen Studierenden habe ich gehört, dass sie dann nach Hause kamen und erstmal alles nachholen mussten, was sie in den drei Tagen verpasst haben – Familie, Arbeit, Haushalt; das war dann auch alles geblockt und die Themen aus den Präsenztagen sind schnell in Vergessenheit geraten. 

Das ist online ganz anders: Jetzt kann das Studium in den Alltag gut eingebunden werden und bleibt dadurch durchgehend viel präsenter. Außerdem können nun auch andere und entsprechend mehr interessierte Personen am Studiengang teilnehmen. Wir haben z.B. Studierende, die semesterweise ins Ausland in die USA gehen und dann unproblematisch weiterstudieren können, oder auch Studierende, die durchgängig im Ausland arbeiten.

Lübcke:
Und wenn ich noch ergänzen darf: Wir waren im Blended-Learning-Format auch nicht so zufrieden mit der asynchronen Mitarbeit. Es war immer eine hohe Energie in den Präsenzzeiten da, aber wir haben dann unsere Studierenden mit Selbststudienaufgaben „entlassen“ und erst einmal nichts mehr von ihnen gehört. Angebotene Austauschformate wie Foren etc. wurden nicht genutzt. Mit der Online-Umsetzung wechseln wir systematisch und variantenreich synchrone und asynchrone Formate ab und es ist den Studierenden viel klarer, dass auch asynchrone Anteile wichtig sind. In Präsenz lernt man sich sehr schnell kennen und vernetzt sich rasch – das gehört auch zu den Zielen unseres Studiengangs. Aus diesem Grund führen wir in diesem Jahr einen optionalen MHE-Präsenztag ein, bei dem Austausch und Vernetzung im Vordergrund stehen. Beides funktioniert aber durchaus auch online und wir unterstützen das gezielt, indem wir in den Modulen Tandem- oder Gruppenarbeit einführen, in den Eröffnungsphasen von Sitzungen um persönliche Mitteilungen bitten und Kanäle zum informellen Austausch anbieten. So haben wir beispielsweise eine Online-Community (Mattermost) angelegt, damit unsere Studierenden sich auch nach dem Studium noch über dieses Medium vernetzen können. 

Bohndick:
Und das ist auch so, dass uns das offensichtlich gelingt. Ich finde es schon ganz erstaunlich, wie gut wir die Studierenden, aber auch wie gut sich die Studierenden untereinander kennenlernen. Da gibt es dann auch Initiativen, die mich ganz glücklich machen, wenn sich z.B. Studierende, die sich vorher nicht kannten, aus dem MHE-Urlaub am Palmenstrand gemeinsam in eine synchrone Sitzung einwählen. 

 

Welchen Stellenwert hat die Vermittlung von innovativen Lehrmethoden im Studienplan? Inwiefern sind die Themen Digitalisierung, Blended Learning im Curriculum verankert?

Bohndick:
Der MHE ist ein forschungsorientierter konsekutiver Masterstudiengang; Ziel ist es daher nicht, direkt innovative Lehrmethoden zu vermitteln; dafür bieten sich hochschuldidaktische Zertifikatsprogramme viel besser an. Aber wir schauen uns innovative Lehrmethoden aus wissenschaftlicher Perspektive an. Und wir versuchen, in unseren Modulen eine Vielzahl an didaktischen Formaten unterzubringen, so dass die Studierenden aus Studierendenperspektive passende und auch neue Lehrmethoden erleben. Im Modul Wissenschaftsforschung bspw. erstellen die Studierenden ein Wiki zum Thema – die Idee der Wissenschaft, dass man gemeinschaftlich einen gemeinsamen Wissensschatz aufbaut, wird hier sichtbar. In der Lehr-Lernforschung reflektieren die Studierenden ihre eigenen Lehrerfahrungen und gleichen diese mit Forschungsergebnissen ab. Ganz explizit werden digitale Medien zweimal bearbeitet: Am Anfang im Modul Didaktik mit Grundlagen der Mediendidaktik sowie in einem eigenen Modul die Medienbildungsforschung. 

Lübcke:
Ich würde gerne noch auf ein zentrales Modul im Studiengang zu sprechen kommen: das Projektmodul. Es ist mit 20 LP das größte Modul und die Idee ist, dass die Studierende eine Lehrinnovation in ihrem eigenen Tätigkeitsbereich unter dem methodologischen Dach von Design-Based Research umsetzen. Das kann die Weiterentwicklung einer Lehrveranstaltung, ein neues Lehrangebot oder auch die (Weiter-)Entwicklung eines Angebots in der hochschuldidaktischen Qualifizierung sein. Wir haben viele Projekte, die im Bereich der digitalen Lehre angesiedelt sind: Flipped-Classroom-Konzepte, Selbstlernkurse in den MINT-Fächern oder die Etablierung von digitalen Communities. Das war schon vor Corona so und die Tendenz wurde noch mal durch die Pandemie verstärkt. Durch dieses Projekt können unsere Studierenden die Dinge, die sie inhaltlich bei uns lernen, in ihrer Praxis anwenden; im besten Fall entwickeln sie bleibende Lust auf Lehrveränderungen und eine forschende Haltung gegenüber dem Wandel der Hochschullehre.  

Ansicht der Plattform EduBreak

In einer Lehrveranstaltung setzen Sie asynchrone Video-Annotationen ein: Welche Vorteile bietet dieses Tool? Und welche Herausforderungen gab es evtl. beim Einsatz, welche wichtigen Erfahrungen?

Lübcke:
Genau, das ist unsere Projektkonferenz im Rahmen des Projektmoduls, das ich erwähnt habe. Wenn die Studierenden ihr Projekt beenden – nachdem sie in Zyklen ihre Bildungsinnovation erprobt haben, präsentieren sie das Ergebnis auf der Projektkonferenz, die über eine Woche geht. Wir verwenden dafür ein Flipped-Format, bei dem die Studierenden das Projekt zunächst per Video vorstellen. Von Montag bis Mittwoch kommentieren dann alle Teilnehmenden der Projektkonferenz die Videos, stellen Nachfragen, haben eigene Anregungen und Ideen. Wir machen das auf dem Edubreak-Campus. Es gibt auch eine Anwendung, die Interactive Video Suite, für Moodle, aber wir arbeiten mit OpenOlat als LMS – daher müssen wir für dieses Event umziehen. Am Donnerstag ist dann Kommentierungs-Pause. Diesen Tag haben die Studierenden, die ihr Projekt vorstellen, Zeit, in Ruhe die Kommentare zu sichten und sich mit einer kleinen Präsentation auf Freitag vorzubereiten. Dann wird am Freitag in 45-minütigen Sitzungen intensiv diskutiert. 

Bohndick:
Wir haben nur positive Erfahrungen gemacht. Verständnisfragen werden in den Videokommentierungen geklärt; die Diskussionen am Konferenz-Freitag sind wesentlich tiefer und fundierter. 

Lübcke:
Die Plattform Edubreak setzt stark auf Aufgabensteuerung – das ist toll, da unsere Erstsemester auch an dieser Projektkonferenz verpflichtend teilnehmen. Bisher hatten sich die Studienanfängerinnen immer sehr zurückgehalten mit Beiträgen auf der Projektkonferenz; nun haben sie die Aufgabe, mindestens drei Kommentare (Verständnisproblem, positives Feedback, Erstaunen oder Verwunderung) zu machen. Die ganze Problematik des Lurking ist dadurch weg, die Referent:innen sehen, an welchen Stellen es Diskussionsbedarf gibt und können durch die Rekommentierung auch schon im Vorfeld eine Menge klären. 

Bohndick:
Wir haben immer eine Mischung aus allen Erfahrungsstufen bei unseren Teilnehmenden – und die weiter fortgeschrittenen Studierenden kommentieren ganz anders. Wir haben das Gefühl, dass die Video-Annotation ein richtiger Selbstläufer geworden ist und eine lebendige Community aus den Teilnehmenden sichtbar wird. Wir müssen als Lehrende kaum steuern und Initiativen setzen. Symboldbild: Online-Lehre-Romantik – Lernen auf dem Balkon

 

Welche Erfahrungen haben Sie mit Online-Prüfungen gemacht? Was hat sich bewährt? Was würden Sie im Nachhinein anders entscheiden?

Bohndick:
Wir versuchen unsere Prüfungen so vielfältig wie möglich zu machen und so zu gestalten, dass sie möglichst gut zu den Modulinhalten passen: Wir setzen vor allem auf schriftliche Arbeiten, aber in unterschiedlichen Ausprägungen: Im Modul Medienbildungsforschung wird ein Forschungsantrag skizziert, in der Lehr-Lernforschung ein Portfolio abgegeben, im Modul Hochschulforschung ein kleines Systematic Review und das Modul Didaktik schließt mit einem Essay ab. Im Modul Wissenschaftsforschung haben wir eine synchrone mündliche Prüfung. Da unsere Prüfungen kompetenzorientiert sind, haben wir keine Sorgen wegen Betrugs. Unsere Studierenden werden dazu angeregt, ihre eigenen Erfahrungen mit Hochschullehre in Bezug zu den Inhalten der Module zu setzen und dies zu analysieren – das kann kein Lehrbuch übernehmen und auch nicht die Lebenspartner:in oder die Freunde. Unsere Studierenden sind alle sehr intrinsisch motiviert und häufig ergeben sich Synergieeffekte mit der eigenen Arbeit und Forschung – es bringt ihnen persönlich etwas, sich intensiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

 

Welche besonderen Anforderungen gibt es bei einem reinen Online-Studiengang an den Schutz persönlicher Studierendendaten? Mussten Sie spezifische Maßnahmen etablieren?

Lübcke:
Wir kommen mit dem gegebenen Schutz von Studierendendaten gut zurecht und es gibt für den Online-Studiengang keinen Grund, da noch mehr zu machen. Es ist eher das Gegenteil der Fall: Wir dürfen die E-Mail-Adressen der Teilnehmenden nicht haben, sondern die Kommunikation soll nur über das LMS erfolgen. Allerdings ist im Online-Studiengang E-Mail eine zentrale Kontaktmöglichkeit; daher ist es etwas mühsam, für Anliegen außerhalb der LMS-Kursstruktur nicht auf eine solche Liste zurückgreifen zu können. Und wir haben ein wirkliches Problem, mit unseren Alumni in Kontakt zu bleiben. Wir begreifen den Studiengang auch als Community. Für unsere Alumni stehen auch weiter ausgewählte Angebote wie die Projektkonferenz zur Verfügung, die sie besuchen können. Wir würden ihnen auch gerne für ausgewählte Inhalte des Studiums wie Design-Based Research dauerhaft Zugang zu unserem OpenOlat-Kurs gewähren, aber das geht nicht. 

Bohndick:
Auch dafür haben wir Mattermost eingerichtet und bitten nun unsere Studierenden, sich dort mit ihrer privaten E-Mail-Adresse zu registrieren, weil wir sonst nicht weiter mit ihnen in Kontakt bleiben können. Der ganze Bereich der Alumni-Pflege ist für die meisten deutschen Hochschulen vermutlich noch ein unbekannter Bereich und erfordert eigentlich noch mal eine andere Perspektive auf Datenschutz, Digitalisierung und Uni-Zugehörigkeit. 

 

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

 

Weiterführende Informationen zum Masterstudiengang Higher Education:

 

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