Digitale Tools zur Transformation der Hochschullehre

Digitale Tools zur Transformation der Hochschullehre

17.10.17

Thematische Schwerpunkte für einen digitalen Modulstrang Abb.: Ulrich Kern

Petra Kern, Julian Unzner und Prof. Dr. Ulrich Kern schreiben in diesem Blogeintrag über digitale Tools und stellen sechs Thesen vor, wie diese von Lehrenden sowie Studierenden an Hochschulen im Rahmen einer digitalen Transformation implementiert werden können. Der Beitrag erschien zunächst auf Ulrich Kerns Webseite.

Foto: [https://unsplash.com/photos/p0LlB8hVXS4 Oliver Thomas Klein]

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ist genauso wenig reversibel wie die Entwicklung der Wissensgesellschaft. Genau genommen, gehören beide Phänomene zusammen. Was sie verbindet, ist die zentrale Stellung des Wissens. Das Lernen und das Lehren geraten mehr denn je in den Fokus – und damit auch Hochschulen. Dass es gilt, die Transformationskraft des Digitalen bewusst und verantwortlich in die Hochschullehre zu integrieren, ist das Plädoyer des folgenden Beitrags über „Digitale Tools“, vorgestellt von Prof. Dr. Ulrich Kern, Petra Kern und Julian Unzner.

Während sich die institutionellen Strukturen von Hochschulen bereits grundlegend gewandelt haben, ist der eigentliche Kernprozess ihrer Lehre oft nahezu unverändert. Lehrformate, Methoden- und Medieneinsatz vollziehen sich nach tradiertem Muster. Die Beharrungskraft der Lehre hat gewiss ihre Berechtigung in wissenschaftlicher Unabhängigkeit. Eine größere Dynamik scheint aber dringend geboten bei der Integration des Digitalen in die Hochschullehre. Zahlreiche Studien verweisen auf die zu geringe Flexibilität deutscher Hochschulen (vgl. Stifterverband: Hochschul-Bildungs-Report 2020). Von einer „schlafenden Revolution“ ist bereits die Rede (vgl. CHE zur Digitalisierung der Hochschullehre, 2013). Dabei gilt es als allgemein anerkannt, dass die digitale Herausforderung den Wettbewerb der Wissensgesellschaften erheblich prägen wird.

Herausforderung: Integration des Digitalen in die Hochschullehre Foto: [https://unsplash.com/photos/1K9T5YiZ2WU Tim Gouw]Doch werden wir wieder konkret: Am Beispiel des mehrsemestrigen Modulangebots im Design- und Projektmanagement (FH Südwestfalen) wurden in drei Beiträgen über „Digitale Tools“ die Erfahrungen mit dem integrierten Einsatz von Tablet-Rechnern und rund 80 voreingestellten Apps für acht definierte Aufgabenbereiche beschrieben. Auch wenn es sich um ein Pilotprojekt mit experimentellem Charakter handelte, lassen sich einige grundlegende Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen ableiten. Hierzu sechs Thesen:

These 1: Das Lernen des Digitalen braucht mehr integrierende Lehrformate

Eine authentische Anwendungssituation, so etwa im Rahmen der Teamarbeit von Projekten, ist herzustellen. So konnten in dem Beispiel der beschriebenen Lehrveranstaltungen stetig neue Impulse für eine professionelle Anwendung digitaler Tools gegeben werden. Deutlich wurde hierbei immer der Bezug zur beruflichen Praxis im Design- und Projektmanagement. Die Studierenden erkannten so aufgrund des eigenen Tuns die Relevanz der digitalen Tools. Sie bewerteten deren Vorzüge bzw. Schwachstellen und erkundeten selbstständig das Angebot digitaler Alternativen. Die eigenständige Erkenntnissuche der Studierenden wurde bewusst gefördert durch den Einsatz des Forschendes Lernens und Lehrens (FLL) als hochschuldidaktisches Konzept. Es setzt auf Aktivierung und Motivierung des studentischen Erkenntnisinteresses im sozialen Prozess der Teamarbeit.

These 2: Die Professor/innen müssen ihre „Wissensillusion“ aufgeben

Die rasante Entwicklung digitaler Werkzeuge macht jeden zum Neu- oder Weiter-Lernenden. Professor/innen jeder Fachrichtung werden vermutlich zu dieser Einsicht kommen, wenn sie ehrlich mit sich sind. Das schmälert aber durchaus nicht den Wert der von ihnen vertretenen Lehrinhalte. Gerade die Kombination ausgewiesener Lehrkompetenzen mit neuen Methoden und Medien macht den Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung unmittelbar erfahrbar. So verband sich in dem beschriebenen Beispiel das aktuelle, fundierte Digitalisierungs-Know-how des wissenschaftlichen Mitarbeiters mit der fachwissenschaftlichen Lehrkompetenz zu einem Wissensangebot, aus dem die Studierenden nach eigener Aussage großen Nutzen zogen.

These 3: Die Studierenden müssen ihre „Kompetenzillusion“ aufgeben

Auch wenn inzwischen die Jahrgänge der aktuell Studierenden zu den „Digital Natives“ zählen, verfügen sie über keine einheitliche, umfangreich ausgebildete Digitalkompetenz, wie eine aktuelle Studie des Leipniz-Instituts Kiel aufzeigt (vgl. Ihme / Senkbeil 2017). Es wäre deshalb fahrlässig, digitales Grundwissen als selbstverständlich vorauszusetzen. In dem vorgestellten Beispiel aus der Lehre handelte es sich größtenteils um Erstnutzer/innen, die den Umgang mit digitalen Tools und deren reibungslosen Einsatz erlernten. Die zur Verfügung gestellten Tablet-Computer wurden daher mit einer Vorauswahl der für das Berufsfeld relevanten Applikationen ausgestattet. Für die unkomplizierte Einführung in die Thematik erwies es sich als sehr wichtig, eine verbindliche Wissensbasis herzustellen. Der gemeinsame Startpunkt ermöglichte den Studierenden einen Prozess des entdeckenden Lernens in einem selbstbestimmten Tempo und Vertiefungsgrad.

These 4: Erst eine Konzeption und personelles Know-how machen eine technische Ausstattung wertvoll

Digitales Know-how macht digitale Ausrüstung nutzbar Foto: [https://unsplash.com/photos/Wdtdkg3xq00 Dose Media]

Der Dreiklang aus Konzeption, Personal und Technik hört sich selbstverständlich an, ist es vielfach in der Praxis der Hochschullehre aber nicht. Während digitale Technik als Hard- und Software noch vergleichsweise einfach angeschafft werden kann, ist die Entwicklung einer Konzeption für die Integration der Technik in die Lehre zeitaufwändig und anspruchsvoll. In dem vorgestellten Beispiel der Lehre im Design- und Projektmanagement wurde die Integration der digitalen Technik vorab sorgfältig konzipiert. Dazu gehörte eine umfangreiche Recherche der relevanten digitalen Tools, ebenso eine ausführliche Testphase, um die aufgabengerechte Eignung der Tools sicherzustellen. Zudem waren das Projekt und die Aufgabenstellungen für die Studierenden als fachlich-thematischer Rahmen zu entwickeln. Es liegt auf der Hand, dass solche Prozesse das eigentliche Kompetenzfeld eines Lehrenden rasch überschreiten – inhaltlich und kapazitativ. Ergänzendes personelles Know-how für eine Vernetzung des Digitalen mit den Lehrinhalten ist daher unverzichtbar.

These 5: Jedes fachwissenschaftliche Studium braucht einen Modulstrang für das digitale Lernen – Beispiel T-Profil

Thematische Schwerpunkte für einen digitalen Modulstrang Abb.: Ulrich Kern

Viele Zeichen sprechen dafür, dass digitale Kompetenz bald schon zu einer selbstverständlichen Anforderung für die Studiengänge aller Fachbereiche wird. Wenn die Digitalisierung jeden Bereich in Gesellschaft und Wirtschaft durchdringt, darf die Lehre in den Wissenschaften diese geradezu „epochale“ Entwicklung nicht ignorieren. Das digitale Lernen gehört in die Lehrpläne – nicht nur im Sinne einer Berufsbefähigung, sondern auch als kritische Reflexion und individuelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Kritisieren und korrigieren lässt sich nur etwas, das man kennt und versteht. Insofern gilt es nicht nur für die Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaftlichen, sondern z.B. auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften, dass ein solcher Modulstrang in die Curricula zu integrieren ist. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Integration des Digitalen in die Lehre auch strukturelle Rückwirkungen auf die Personalbeschaffung und -entwicklung an Hochschulen bewirken müsste. Am Beispiel eines kreativen Studiengangs wie Design- und Projektmanagement haben wir aufgezeigt, wie die Lehre zu konzipieren ist, damit Studierende digitale Tools in ihren Kompetenzerwerb konstruktiv und kritisch integrieren. Für Studiengänge dieses Zuschnitts könnte ein Modulstrang digitales Lernen z.B. als T-Profil in die Curricula aufgenommen werden: „Tools & Toys“ für das Selbstmanagement, „Teams & Talents“ für die digital unterstützte Zusammenarbeit und „Trends & Transfers“ für fachwissenschaftliche Zukunftsfragen. Eine solche Implementierung könnte die transformative Kraft des Digitalen in der Hochschullehre verstetigen.

These 6: Hochschulinternes Lernen braucht eine digitale Agenda und ein Veränderungsmanagement – Beispiel HIL:DA

Fächerübergreifendes Arbeiten Foto:[https://unsplash.com/photos/3BK_DyRVf90 rawpixel.com]

Dass die Entwicklung kluger Konzepte schon schwierig ist, aber eine zielgerechte Realisierung noch bedeutend anspruchsvoller, weiß jeder, der schon mal mit der Beratung oder Planung von Veränderungsprozessen zu tun hatte. Wenn sich Hochschulen als „Lernende Organisationen“ verstehen, brauchen sie für die Integration des Digitalen in ihre Lehre ein Entwicklungsprogramm. So könnte z.B. unter der Überschrift HIL:DA (Hochschulinternes Lernen: Digitale Agenda) ein solches Programm eingerichtet werden. Delegierte Professor/innen aus allen Fachbereichen bzw. Fakultäten treffen sich beispielsweise zwei Mal im Jahr und stellen ihre Aktivitäten, Projekte und Forschungsansätze für eine Integration der Digitalisierung in ihre Lehre vor. So lassen sich Erfahrungswerte austauschen, Synergien gewinnen und Kooperationen auf den Weg bringen. Genauso könnte für die Seite der Studierenden ein fachübergreifendes Lernen und Kooperieren initiiert werden: Zum Beispiel im Rahmen eines übergreifenden Moduls des digitalen Lernens, in dem Studierende aller Fachrichtungen an einem gemeinsamen Projekt mit gesellschaftlicher Relevanz zusammenarbeiten. Vergleichbares geschieht bereits an einigen Hochschulen, wenn auch (noch) nicht unter dem Vorzeichen der Digitalisierung (vgl. Hochschule Trier, SWR Fernsehen 14.8.2017).

Wissenschaftsmarketing als Herausforderung

Die Integration des Digitalen in die Hochschullehre ist weit mehr als ein isolierter bildungspolitischer Akt. Die Relevanz für ein Marketing der Fachwissenschaften gegenüber der Gesellschaft ist enorm. Die nicht-reversiblen Entwicklungen der Digitalisierung und der Wissensgesellschaft beruhen auf Wissen als wichtigsten produktiven Faktor. Gleichzeitig vertiefen sie die Kluft zwischen denen, die wissen was und warum passiert, und jenen, die sich ohne Zugang sehen. Sozialer Sprengstoff? Die Digitalisierung verantwortungsvoll zu steuern, bedeutet auch, für möglichst viele Menschen die notwendige Transparenz herzustellen zu dem, was sich vollzieht und was es für sie selbst bedeuten könnte. Der Wettbewerb der Wissensgesellschaften ist längst im Gang. Hochschulen werden darin zwangsläufig eine zentrale Rolle einnehmen. Was passieren könnte, wenn dies nicht geschieht, wurde vor rund zehn Jahren als Vision einer neuen internationalen Arbeitsteilung entworfen: „Europa als Museum der Welt“ (FAZ 24-5-2006). Ob das irgendjemand will?

Zu den ersten drei Beiträgen über „Digitale Tools“ gelangen Sie über www.ulrich-kern.de

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