Einer didaktisch und technisch sinnvollen Digitalisierung der Hochschullehre steht eine ungenügende Personalpolitik entgegen. Es braucht weniger Befristung, einer lehrbezogenen Professionalisierung sowie Anreizstrukturen, die auch langfristige Entwicklungen befördern. Ein Gastbeitrag von Dr. Karsten Gäbler von der Universität Jena zur Situation von denjenigen, die die digitale Bildungsrevolution auch umsetzen sollen.
Schöne Fassade, aber auf den zweiten Blick zeigt sich, dass dahinter die Substanz fehlt. Die gute Nachricht: Bei der Mehrzahl der deutschen Hochschulen scheint die „digitale Bildungsrevolution“ langsam anzukommen. Die universitären „Außenministerien“ und PR-Abteilungen nehmen digitale Lehr- und Lernangebote dankbar in den Katalog lokaler Exzellenznachweise auf, Lehrpreise werden für innovative Formate ausgelobt und die „IT-Servicecenter“ mühen sich nach Kräften, entsprechende Infrastrukturen auszubauen. Auch noch die letzte Provinzhochschule beginnt zu begreifen, dass der Markt ein globaler ist und „Peripherie“ im digitalen Zeitalter allenfalls Ergebnis eigener Versäumnisse. Zur Rhetorik der „Workloads“, „Kompetenzen“ und „Employability“ gesellt sich in den Modulkatalogen und Hochglanzbroschüren langsam die Rhetorik der „selbstgesteuerten Lernprozesse“, der „flipped classrooms“ oder der „MOOCs“.
Die schlechte Nachricht: Der Aufhübschung des Außenbildes steht vielerorts erschreckend wenig Substanz in der Breite gegenüber oder – was noch Besorgnis erregender ist – die naive Erwartung, die digitale Bildungsrevolution wäre mit den Bordmitteln der Hochschulen schon irgendwie zu bewerkstelligen. Dabei braucht es eigentlich nicht viel Sachkenntnis oder Realismus um abzusehen, dass die Digitalisierung solch komplexer, idiosynkratischer und zuweilen widerständiger Felder wie der Hochschullehre nicht zum Nulltarif und schon gar nicht in kurzer Zeit zu haben sein wird. (Das Gleiche gilt im Übrigen für die Internationalisierung der Studiengänge oder die Vorhaben zur Förderung der Inklusion).
Am auffälligsten ist diese Mischung aus fehlender Weitsicht und nonchalantem Imagemanagement im Bereich der universitären Personalpolitik. Angesichts der weitgehenden Prekarisierung des so genannten „akademischen Nachwuchses“, einer systematischen Abwertung der Lehre in Berufungsverfahren und einer bislang kaum artikulierten – geschweige denn angemessen umgesetzten – Idee akademischer Personalentwicklung gehört jedenfalls ein gehöriges Maß an Chuzpe dazu zu behaupten, das deutsche Hochschulsystem (oder selbst einzelne Hochschulen) sei(en) auch nur einigermaßen gut auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet.
Gewiss: Es wäre zu einfach, die Gemengelage schlichtweg auf individuelle Ignoranz in den Präsidien, Personalämtern, Berufungskommissionen etc. zurückzuführen. Es dürfte davon auszugehen sein, dass die eklatante Lücke zwischen den Botschaften der universitären PR-Strateg_innen und dem, was von Studierenden, Angehörigen des Mittelbaus und Professor_innen tagtäglich erlebt wird, etwas mit den Strukturveränderungen zu tun hat, die das deutsche Wissenschaftssystem seit längerer Zeit erfassen: Mangelnde Grundfinanzierung, Steuerung durch Kennzahlen, Ausgreifen von Wettbewerbskonstellationen nach außen und nach innen, usw. Kombiniert man dies mit den vielerorts „hausgemachten“ Problemen, so braucht man schon viel Optimismus, eine digitale Bildungsrevolution von den deutschen Hochschulen zu erwarten. Drei Argumente mögen das verdeutlichen.
Kurze Fristen führen zu kurzfristigem Denken Erstens: Durch die systematische Befristung derjenigen, die in der Summe die Hauptlast der universitären Lehre tragen und die am stärksten zu ihrer inhaltlichen und didaktischen Erneuerung beitragen können, werden die Kontinuitäts- und Kreativitätsansprüche der Lehr- und Lernkonzeptentwicklung untergraben. Für die Forschung sind die Folgen der nachwuchsfeindlichen Strukturen des deutschen Hochschulsystems längst bekannt (auch wenn sich deswegen nur wenig ändert): Perspektivlosigkeit, skrupelloser Verschleiß und zweifelhafte Anreizsysteme befördern eher akademische Feudalstrukturen und Opportunismus denn ergebnisoffene und wirklich innovative wissenschaftliche Arbeit. Beforscht wird im Zweifel nur das, was sich projektförmig formulieren lässt, in zwei bis drei Jahren zu erledigen ist und erwartbar wenig Widerspruch bei potenziellen Gutachter_innen provoziert.
Warum sollten diese strukturellen Defizite ausgerechnet im Bereich der Lehre folgenlos bleiben? Es ist zu erwarten, dass die zunehmende Digitalisierung als ein Katalysator fungiert, der die vorhandenen Strukturprobleme der Hochschullehre früher oder später schonungslos offenlegt. Ebenso wie es der Forschung nicht zuträglich ist, in systemfremden Zeithorizonten („Förderperioden“) operieren zu müssen, profitiert auch die Lehre nicht von ein-, zwei- oder bestenfalls dreijährigen Arbeitsverträgen der Lehrenden – erst recht nicht, wenn es um so grundlegende Transformationen wie die Digitalisierung geht. Wann sollen digitale Lehr- und Lernkonzepte entwickelt, diskutiert und getestet werden, wann sollen Fehler gemacht und Verbesserungsmaßnahmen ergriffen werden, wann sollen neue Routinen erarbeitet und die Bedürfnisse neuer Zielgruppen verstanden werden, wenn die Beschäftigungsperspektive immer schon nach dem nächsten oder übernächsten Semester endet?
Nicht nur, dass es einen irritierenden, fast zynischen Widerspruch zwischen der Diskontinuität großer Teile des Lehrpersonals auf der einen Seite und einer – durch Modulkataloge und Studienordnungen bürokratisch abgesicherten – Kontinuität der Lehrinhalte und Lehrformate auf der anderen Seite gibt. Schlimmer noch, die institutionellen Bewertungsmaßstäbe wissenschaftlicher Arbeit stellen die Misere sogar auf Dauer. Wer sich als „Nachwuchswissenschaftler_in“ ernsthaft auf die Entwicklung digitaler Lehr-/Lernformate einlässt, befindet sich angesichts der bislang üblichen Berufungskriterien auf dem sicheren Weg ins Karriereabseits. Oder was wären die lehrbezogenen Äquivalente zu h-index und Drittmittelquote, und wenn es sie gibt, wo werden sie genauso ernst genommen wie selbige?
Dass diese Gegebenheiten nicht selten zu individualbiographischen Katastrophen führen, das gehört inzwischen zu den folgenlosen Gemeinplätzen der Hochschulpolitik. Interessanter dürfte deshalb der Blick auf die strukturellen Konsequenzen der Berufungs- oder Verstetigungskriterien sein. Woher sollen Innovation und Lehrkompetenz auf den Lehrstühlen eigentlich kommen, wenn diejenigen, die auf die wenigen Professuren berufen werden, vornehmlich die sind, die in ihrer „Mittelbaukarriere“ statt Lehrkonzepte zu entwickeln und auszuprobieren Publikationslisten „getunt“, strategisches Networking betrieben und Drittmittelantrag auf Drittmittelantrag geschrieben haben?
Was es bräuchte, nähme man Lehre und insbesondere die Herausforderungen der Digitalisierung ernst: Stabilere Beschäftigungsverhältnisse, die breite Anerkennung von Lehrengagement (was im Übrigen auch die Professionalisierung der Begutachter_innen akademischer Lebenswege einschlösse) sowie Experimentierfelder der Lehre, die frei von strategischen Karriereerwägungen sind.
Professionalisierung der Personalentwicklung: Conditio sine qua non für gute digitale Lehre Zweitens: Der Mangel an lehrbezogenen Professionalisierungsstrategien ist allen gegensätzlichen Beteuerungen zum Trotz Ausdruck eines tief verankerten Desinteresses der Hochschulen an der Qualität ihrer Lehre. Sicher gibt es sie – an vielen Orten sogar –, die Flaggschiffprojekte, in denen gemeinsam Lehre „gelernt“ wird, freiwillig, von hoch motivierten (oder an Zertifikaten interessierten) Kolleg_innen. Und sicher gibt es auch die Avantgarde unter den Professor_innen, bei der die digitale Bildungsrevolution längst gelebte Realität ist. Doch lässt man die „Zuckergussprojekte“ und die (eher trotz denn wegen der universitären Strukturen entstandenen) „Lehrparadiese“ einmal beiseite, dann kann sich der bisher überschaubare Aktivismus der Hochschulen eigentlich nur aus dem Vertrauen darauf speisen, dass gute Forscher_innen wie von selbst auch gute Lehrende sind bzw. dass gute Lehre im Rahmen einer unsichtbaren Pädagogik vom wissenschaftlichen „Nachwuchs“ schon irgendwie gelernt wird.
Um die Fragwürdigkeit dieser Annahmen herauszustellen muss man heutzutage nicht einmal den zweifelhaften Gegensatz von „digital natives“ (oft: die Studierenden) und „digital immigrants“ (oft: die Lehrenden) bemühen. Es würde reichen, die in präsidialen Positionspapieren oder universitären Profilbeschreibungen verstreuten Schlagworte der Hochschuldidaktik einmal auf die Lehrenden selbst anzuwenden: Heterogen ist nämlich auch die Dozent_innenschar, Partizipation will von Studierenden wie von Lehrenden gleichermaßen eingeübt sein, und lebenslanges Lernen gilt natürlich nicht nur für Studierende und Mitarbeiter_innen der Verwaltung.
Allein, an wie vielen Stellen im universitären Alltagsbetrieb haben Lehrende Gelegenheit und werden dazu angehalten, systematisch begleitet ihre Selbstverständnisse und stilistischen Eigenheiten zu reflektieren – ohne in Konflikt mit Vorgesetzten oder „Karriereansprüchen“ zu gelangen? Wo sind die breit verfügbaren Trainingsplätze und die Übungsleiter_innen, um habitualisierte Rollen im Lehr-/Lernprozess loszuwerden und neue zu entwickeln (oder neue Technologien kennenzulernen)? Von wem werden Lehrende dazu ermutigt, neue Lehr-/Lernformate gegen hegemoniale, bürokratisch gestärkte Formen der Hochschullehre zu etablieren und damit zu einer wirklichen Diversität an Lehrangeboten beizutragen?
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass für die Studierenden inzwischen peinlich genau der Beitrag des Studiums zur „Employability“ herausgestellt werden muss, in einer zunehmend sich „unternehmerisch“ verstehenden Hochschule aber das eigene wissenschaftliche Personal der blinde Fleck strategischer Entwicklungsüberlegungen zu bleiben scheint. (Umso zynischer im Übrigen, als dem Mittelbau gern mitgeteilt wird, er qualifiziere sich bis zum Beginn des Dauerstellen-Flaschenhalses ja für die so genannte „freie Wirtschaft“).
Eine ernst zu nehmende Personalentwicklung würde anerkennen, dass lehrbezogene Professionalität (wie jegliche andere auch) nicht durch einmaligen Musenkuss oder professionsspezifische Initiationsriten zustande kommt, sondern Ergebnis auf Dauer gestellter Lernprozesse ist. Diese in der Breite zu organisieren ist vielleicht noch keine hinreichende, aber zweifelsohne eine notwendige Bedingung einer digitalen Bildungsrevolution im Hochschulsystem.
Kurzfristige (finanzielle) Anreize hemmen eine langfristige Entwicklung Drittens: Die im Laufe des letzten Jahrzehnts etablierten Maßnahmen zur Steuerung der Hochschulen befördern mit ihrer Kennzahlenorientierung und der Belohnung möglichst sichtbarer, kurzfristig sich einstellender „Erfolge“ gerade nicht eine Qualitätssteigerung der Lehre. Stattdessen behindern sie die für die Digitalisierung notwendigen Investitionen und unterminieren das Berufsethos der Lehrenden.
Man muss gewiss kein romantisierender Anhänger Humboldt’scher Bildungsideale sein um zu verstehen, dass sich die Anforderungen guter Hochschullehre – ganz gleich, wie „digital“ sie sein soll – der Kennzahlenlogik des New Public Management widersetzen. Gute Lehre kennt den Einzelfall. Gute Lehre schafft Experimentierräume, in denen es keine Garantien eines unmittelbaren „Outputs“ gibt. Gute Lehre reflektiert ihr Tun und zieht Konsequenzen. Gute Lehre verdirbt die Maßstäbe systematisch nach oben.
Was für die Hochschulen jedoch im Wettbewerb um begrenzte finanzielle Mittel zählt und was ministerial gratifiziert wird, sind Studienanfänger_innenzahlen und Abschlussquoten, „Lehrleistungen“, berechnet in LVS, und symbolisches Kapital generierende „Leuchtturmprojekte“ (man konkurriert schließlich mit MIT und ETH). Um sich die langfristigen Konsequenzen dieser von den Hochschulleitungen nach unten weiter gereichten Anreizstrukturen vorzustellen, braucht es wenig Phantasie: Wozu Betreuungsquotienten verbessern und rote Kapazitätslinien ziehen, wenn nur zunehmende Studierendenzahlen bestenfalls gleich bleibende Mittel garantieren? Wozu in der Breite kostspielig weiterbilden, wenn auch mit wenigen symbolischen Auszeichnungen (vulgo: „Lehrpreise“) und drei weiteren Mitarbeiter_innen im Studienplatzmarketing der öffentliche Eindruck lokaler Lehrexzellenz erweckt werden kann? Wozu Evaluationen ernst nehmen und zeitintensive Verbesserungen anstreben, wenn „Qualitätsmanagement“ bei der Erhebung auch schon wieder aufhört? Wozu Lehrentwicklungskonzepte gemeinsam und demokratisch erarbeiten, wenn es auf vorgestern einzureichenden, substanzlosen Jargon ankommt? Kurz gesagt: Wozu Energie für irgendetwas verschwenden, das durch das Raster der ministerial vorgegebenen „Leistungskriterien“ und Erwartungshaltungen fällt?
Innovationen von der Art, wie sie für die Digitalisierung notwendig sein dürften, können in einem solchen Umfeld sicher nicht ausgeschlossen werden – sie sind aber sehr viel weniger wahrscheinlich. Was vonnöten wäre, um die Hochschulen wieder (oder vielleicht: erstmals) zu Orten zu machen, die mit den Herausforderungen einer digitalen Bildungsrevolution umzugehen vermögen, wäre neben einer angemessenen Grundfinanzierung und dem Verzicht auf systemfremde Wachstumsimperative insbesondere das Vertrauen in ihre Besatzungen, auch ohne Marktanreize oder Sanktionsandrohungen leistungsfähig und kompetitiv zu sein.
Die Widersprüche, Überforderungen und Enttäuschungen, die mit den Digitalisierungsbemühungen der Hochschulen verbunden sind, lassen sich auch als Geschichte einer zu klein verstandenen Revolution erzählen. Sollen die Schecks, die derzeit von den universitären PR-Abteilungen ausgestellt werden, auch nur einigermaßen gedeckt sein, dann dürfen sich die Zukunftsstrategien weder in Fragen nach technischen Infrastrukturen noch in Fragen gelungener Image- und Markenpolitik erschöpfen. Wenn es gelänge, das mit der digitalen Bildungsrevolution verbundene Irritationspotenzial dazu zu nutzen, die Hochschulen wieder in Strukturen einzubetten, die mit dem Charakter von guter Lehre und Forschung kompatibel sind, dann ginge von der Digitalisierung eine weit tiefer gehende Wirkung für das gesamte Hochschulsystem aus. Die spärlichen Signale dafür sind allerdings alles andere als verheißungsvoll.
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Der Betreff sagt es, danke für diese klaren Worte.
Mein Credo seit vielen Monaten (siehe Handbuch Hochschullehre Digital. 2015. Kap VI:http://amzn.to/1IIVSxY ). Klasse Zusammenfassung. Übrigens ... auch Preise helfen nur bedingt, nämlich nur extern. An der eigenen Institution beherrscht Neid das Denken und Handeln.
für mich geht der Beitrag am eigentlichen Thema "Digitalisierung der Hochschule" vorbei und bearbeitet stattdessen ein anderes, nicht minder wichtiges Feld, nämlich die traurige Realiät des akademischen Betriebs. Die Argumentation tritt für bessere Karrierechancen von Nachwuchswissenschaftler_innen ein und versucht das, für mich nicht überzeugend, auf das Thema Digitalisierung zu übertragen.
Nimmt man dann beispielsweise die Forderung nach mehr Dauerstellen für den Mittelbau (die ich überhaupt nicht in Abrede stellen will) ernst, so bleibt die eigentliche Frage offen: Wie bekommen wir festangestellte Mitarbeitende überzeugt, so dass sie zu digitalen Dozierenden werden? Man kann das Argument des Autors einfach umdrehen: Mit mehr Dauerstellen wird die Chance auf mehr Digitalisierung keineswegs größer, sondern bleibt gleich oder geht sogar noch zurück.
Auch die Forderung nach mehr und besseren Professionalisierungsstrategien geht am eigentlichen Thema vorbei und argumentiert für die Aufwertung von Lehre als gleichberechtigtes Kriterium in Berufungsverfahren. Dem ist von der Sache her (wieder) nichts entgegenzusetzen, bleibt aber den Nachweis in Bezug auf die Digitalisierung schuldig. Klar brauchen kluge didaktische Digital-Konzepte Zeit und Fehlertoleranz, aber das eigentliche Problem wird damit nicht addressiert: Es fehlt schlicht und einfach an der notwendigen Infrastruktur und an einer verblindlichen Digitalisierungsstrategien, die dann durch Mindesstandards unterstützt wird.
So wichtig der Mittelbau für den Lehrbetrieb einer Hochschule auch ist (ich gehöre selbst dazu), so wenig kann er die Digitalisierung alleine stemmen, sondern ist ein Akteur neben anderen, der sich aber weiter einmischen sollte.
Ich hatte in meinem Text angeregt, in Ergänzung der zahlreichen praxisorientierten Beiträge dieses Forums über die strukturellen Bedingungen der Digitalisierung nachzudenken. Markus Deimann bricht unter dem – wenig Interpretationsspielraum zulassenden – Titel „Am Thema vorbei“ den Stab über den Vorschlag und spricht die Empfehlung aus, sich besser dem „eigentlichen“ Thema, nämlich „der Digitalisierung“ zuzuwenden. Die in meinem Beitrag beschriebene „traurige Realität des akademischen Betriebs“ gehöre dem Kommentar zufolge nicht dazu.
Es steht außer Frage, dass die Kritik ihren Charme hat: Mein Beitrag präsentiert keine „best practice“ Beispiele, hält sich mit Visionen zurück und teilt die offizielle Digitalisierungseuphorie nur bedingt. Stattdessen habe ich meine Skepsis an der Vermutung zu begründen versucht, dass die deutschen Hochschulen strukturell bislang gut auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet sind.
Man mag diese Skepsis teilen oder nicht, die vorgetragene Kritik jedoch, so scheint mir, beruht auf einer Reihe verhängnisvoller Missverständnisse.
Es wäre ohne jeden Zweifel naiv zu glauben, dass mit der von mir – zumindest implizit – geforderten Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse des akademischen Mittelbaus gleichsam automatisch die Digitale Revolution in Gang gesetzt werde. Wie Deimann völlig zu Recht betont, bedarf es angemessener Digitalisierungsstrategien und entsprechender technischer Infrastrukturen, um digitale Lehre an den Hochschulen zu befördern. Allein, ich habe nie behauptet, dass „bessere Karrierechancen“ für den Mittelbau allein irgendetwas bewirken können. Die Kritik scheint mir hier einer Verwechslung von notwendiger und hinreichender Bedingung aufzusitzen. Stabile Beschäftigungsverhältnisse, so mein Argument, sind genauso notwendige Bedingungen einer erfolgreichen Digitalisierung wie entsprechende Professionalisierungsstrategien und technische Ausstattungen es sind. Allerdings wird über erstere im Kontext der Digitalisierung kaum gesprochen, während man so tut, als ob letztere schon hinreichend seien.
Wenn Deimann nun die Vermutung nahelegt, mit mehr Dauerstellen erhöhe sich die Chance auf mehr Digitalisierung nicht und drohe sogar zurückzugehen, bedient er sich nicht nur eines bedenklichen Arguments der „Flexibilität“ predigenden – und „Spar-“ bzw. „Kontrollpotenzial“ meinenden – Hochschulkanzlerinnen und -kanzler, sondern er kehrt auch die Beweislast universitärer Personalpolitik auf irritierende Weise um: Nach fast zwei Jahrzehnten zunehmender Prekarisierung des Mittelbaus soll die Devise angesichts ausbleibender (digitaler) Innovation in der Hochschullehre nicht etwa heißen, es einmal mit stabileren Beschäftigungsverhältnissen und lehrbezogener Professionalisierung zu versuchen (Bedingungen im Übrigen, die im gelobten Land der MOOCs & Co längst Realität sind), sondern die Daumenschrauben waren dann wohl einfach noch nicht fest genug angezogen.
Der Vorwurf der Themenverfehlung kulminiert schließlich in der Behauptung, die an sich ja wünschenswerte Professionalisierung habe mit Digitalisierung schlichtweg nichts zu tun. Was, möchte man dem Kritiker erwidern, soll dann eigentlich Gegenstand der geforderten „Digitalisierungsstrategien“ und „Mindeststandards“ sein? Technische Infrastrukturen? Gewiss, ohne die nötige technische Ausstattung kann es nur schwerlich eine Digitalisierung geben (und ich kenne die Kämpfe um technische Anschaffungen). Was jedoch geschieht, wenn man vergisst, parallel zu den technischen auch „mentale“ Infrastrukturen zu entwickeln, lässt sich exemplarisch an der Einführung interaktiver Whiteboards an den Schulen beobachten: Digitale Lehr-/Lernkulturen entstehen nicht durch bloße Verfügbarkeit entsprechender Geräte, sondern bedürfen auch der Adaption – was jedoch einen (zeit-, arbeits- und denkintensiven) Wandel der „Mindsets“ der Lehrenden voraussetzt. Zum „digitalen Dozierenden“ zu werden, wie Deimann zu Recht fordert, ist dann nicht nur eine Frage des „Überzeugtwerdens“, sondern auch eine Frage der professionellen Entwicklungsmöglichkeiten. Nochmals: Solche Möglichkeiten gehören zum Mosaik notwendiger Bedingungen einer erfolgreichen Digitalisierung, sind aber keine hinreichende.
Es erscheint mir nicht nur vor diesem Hintergrund einigermaßen unverständlich, wie Markus Deimann reklamieren kann, die „traurige Realität des akademischen Betriebs“ sei „ein anderes […] Feld“ als die „Digitalisierung der Hochschule[!]“. Was genau macht denn den „akademischen Betrieb“ aus? Hinter der vorgetragenen Kritik verbirgt sich meines Erachtens die gefährliche Illusion, man könne das Thema der Digitalisierung vom Thema der systematischen Verunsicherung großer Teile des Lehrpersonals trennen. Es gibt jedoch, so möchte ich argumentieren, kein „eigentliches Thema“ Digitalisierung, das unabhängig von strukturellen Rahmenbedingungen ist – auch wenn man sich das noch so sehr wünschen mag.
Aus der hier präsentierten Rede von „eigentlichen Fragen“ oder „eigentlichen Themen“ spricht entweder die Skepsis an einer tragenden Rolle des Mittelbaus im Kontext der akademischen Lehre, oder aber das strategische Ziel, zur Wahrung auch nur kleinster Erfolgsaussichten das Problem möglichst einfach und übersichtlich zu halten. In Bezug auf ersteres sei nur so viel angedeutet: Selbst wenn man in Zweifel zieht, dass der Mittelbau einen substanziellen Beitrag zur Hochschullehre leistet, so kann man doch schwerlich ignorieren, dass der strukturelle Umbau der Hochschulen, dessen Folge u.a. das grassierende Mittelbau-Prekariat ist, letztlich Effekte auf die Verhaltensweisen aller Statusgruppen hat. Die mit der Ökonomisierung und bürokratischen Rationalisierung einhergehende schleichende Entmündigung von Wissenschaftler_innen bringt nicht nur ein Milieu der Unsicherheit mit sich, sondern befördert auch gerade jene Depolitisierung des akademischen Personals, die pures Gift für eine demokratische Verständigung über die Formen der Digitalisierung der Hochschulen ist.
Und in Bezug auf letzteres – die strategische Reduktion von Komplexität – sei angemerkt: Dass die Aufgabe einer strukturell abgesicherten Digitalisierung operativ nicht in einem Schritt zu bewältigen ist, darf – insbesondere an einem Ort wie diesem hier – nicht davon abhalten, sie dennoch als Ganze zu betrachten. Von Digitalisierung als bloß technischem Problem zu reden heißt, wie ich bereits in meinem Beitrag angemerkt habe, das Format der anstehenden Aufgabe konstitutiv zu verkennen.
Zum Schluss: Ich teile ohne jeglichen Vorbehalt Markus Deimanns Ansicht, nach der entsprechende Entwicklungsstrategien und technische Infrastrukturen dringend notwendig sind, um die Digitalisierung der Hochschullehre – und vielleicht: der Hochschulen überhaupt – endlich voranzubringen. Die Abwehrreflexe gegen strukturelle Überlegungen jedoch (die mehr sind als eine schnöde Unzufriedenheit mit den Zuständen), dürften dem Vorhaben auf lange Sicht eher schaden – und zwar nicht nur dem Vorhaben der Digitalisierung, sondern dem Vorhaben „Hochschule“ überhaupt.
Den Ausführungen von Markus Deimann kann ich mich nur anschließen.
Der Beitrag von Karsten Gäbler adressiert aber noch ein anderes Thema, welches mir richtig zu sein scheint und mitten in die Digitalisierungsproblematik hineinleuchtet: Die Differenz von Sein und Schein, von dem nach außen getragenen Anspruch, den eine Hochschule mit der Digitalisierung behauptet und der gelebten Realität im Inneren.
Nun wird eine Digitalisierungsstrategie, die nicht hält, was sie verspricht, zum Scheitern verurteilt sein. Gleichwohl beschädigt ein solches Scheitern aber auch den Fortschritt von Digitalisierung insgesamt und ist deshalb über die einzelne Institution hinaus insgesamt schädlich. Das war schon beim Thema e-learning, insbesondere auch in den USA, nach dem Abflauen der dotcom-Blase der Fall, wo viele Lernende schlechte Erfahrungen mit schlechten Lösungen generalisiert haben.
Wenn wir aus diesen Erfahrungen lernen wollen, so heißt das, dass eine objektivierbare externe Überprüfung von Digitalisierungsstrategien und ihrer konkreten Umsetzung im Sinne eines Qualitätsmanagements, sowie eine entsprechende Zertifizierung erforderlich sind, um gelebte von behaupteten Formaten überhaupt unterscheiden zu können. Aus der reinen Aussensicht ist dies nach meiner Erfahrung nicht möglich.
Eine letzte, eher ketzerische Feststellung pro domo sei mit an dieser Stelle gestattet: Wenn ich den Artikel und die bisherigen Kommentare als zutreffend ansehe, woran ich keinen Zweifel habe, so wäre es vielleicht besser, das Thema Digitalisierung doch eher an Fachhochschulen zu verankern: Die geschilderten Verhältnisse in der Lehre habe ich in mehr als 20 Jahren an FHs so nicht einmal ansatzweise erlebt. dAbei betreiben wir seit 15 Jahren Online-Studiengänge mit mehr als 12 FHs und mehreren hundert Lehrenden (überwiegend Professor/innen) in Kursen mit hochschulübergreifend standardsierten Inhalten und Methoden. In meiner eigenen Organisation mit ihren inzwischen fast 80 Beschäftigten für digitales Studium und Weiterbildung ist konsequente Personalentwicklung mit dem Ziel einer kontinuierlichen Beschäftigung ein wirklich wesentliches Managmentziel: auch bei uns liegt das eigentliche knowhow doch in den Köpfen des Teams und nicht in den Handreichungen.
Also: es geht auch anders
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