Diese Woche starten an vielen deutschen Hochschulen und Universitäten die Sommersemester – in digitaler Form. An der TH Lübeck begann die Vorlesungszeit bereits am 16. März und Muriel Helbig, Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck, kann deshalb schon auf einen Monat digitales Sommersemester zurückblicken. Am 16.04.2020 erschien ihr Gastbeitrag auf dem Blog von Jan-Martin Wiarda. Wir haben den Beitrag übernommen und freuen uns den Erfahrungsbericht aus der TH Lübeck mit unserer Community teilen zu können.
Zu Beginn des Sommersemesters 2020 werden die Türen geschlossen und die Prüfungen abgesagt. Zur Zeit finden keine Präsenzveranstaltungen auf dem Campus statt. Quelle: THL
Das Frühjahr 2020 an der Technischen Hochschule Lübeck im Zeitraffer. 12. Februar: Der physische Austausch mit unseren chinesischen Partnerhochschulen wird für das Sommersemester abgesagt, rund 60 Studierende sind betroffen. 7. März: Das Gesundheitsamt bestätigt die erste Infektion mit Covid-19 an der TH Lübeck. 9. März: Alle Kontaktpersonen sind in Quarantäne, die Hochschule bleibt offen. 12. März: Die Präsenzlehre wird bundesweit verboten. Montag, 16. März: Die Vorlesungszeit an der TH Lübeck beginnt. 5000 Studierende strömen in die Studiengänge. Unsere Lehrende wollen sie erreichen. Aber unseren gewohnten Hochschulalltag gibt es nicht mehr.
In dieser Woche 1 des Verbots der Präsenzlehre Mitte März geht es zunächst darum, die Gesundheit der Hochschulmitglieder zu gewährleisten. Wir organisieren die form- und fristlose Absage von Prüfungen. 500 Beschäftigte werden mehr oder minder planvoll ins Homeoffice geschickt. Reiserückkehrer dürfen die Gebäude nicht betreten. Wir schließen die Türen ab – ohne eigenen Schlüssel oder Termin kommt keiner mehr rein. Wir sind uns sofort einig: Dafür öffnen wir unsere virtuellen Tore umso weiter. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Umstellung auf digitale Lehre. Um das zu schaffen, halten wir den Digitalisierung-Expertinnen und Experten an unserer Hochschule zunächst den Rücken frei: Fragen und Anforderungen sollen eine Woche lang zurückgestellt werden, wir versprechen allen Lehrenden: Dann kommen wir auf Euch zu.
Aber wir haben uns vertan. Es geht schneller. In Woche 2 berichten alle Fachbereiche übereinstimmend, mindestens 80 Prozent der Veranstaltungen – mit Ausnahme von praktischen Übungen – seien umgestellt und hätten begonnen. Ein Studiengang wird sogar pünktlich zum Vorlesungsbeginn und damit innerhalb von Tagen komplett digital angeboten. Die Lehrenden nutzen unser Lernmanagement-System Moodle mit verschiedenen Erweiterungen: virtuelle Programmierumgebungen und Wikis, Screencasts und Lehrvideos, digitale Sprechstunden oder Skripts mit wöchentlichen Tests. Mit BigBlueBotton und Jiitsi führen wir innerhalb weniger Tage zwei neue Systeme für die digitale Lehre und für Webkonferenzen ein. Wir bieten zunächst zweimal täglich für alle Lehrenden per Webkonferenz Sprechstunden an zu Fragen rund um die Digitalisierung der Lehre an. Die Themen reichen von technischer Unterstützung bis zu didaktischen Fragen. Mit zunehmender Expertise der Lehrenden haben wir die Frequenz der allgemeinen Sprechstunden auf einmal täglich reduziert und bieten nun zusätzlich individuelle Termine an – beides wird sehr gut angenommen. Die Lehrenden nutzen darüber hinaus den kollegialen Austausch und helfen sich gegenseitig über die Fachbereichsgrenzen hinweg. Wovon wir immer geträumt haben, wird plötzlich wahr: Ein digitaler Ruck geht durch die Hochschule.
In kürzester Zeit wird die Lehre digitalisiert. Was zunächst unmöglich klingt, klappt an der TH Lübeck bestens. Quelle: TH Lübeck
In Woche 3 wird dieser Ruck noch spürbarer. In fächerübergreifenden Webkonferenzen mit Studierenden und Studiengangsleitungen fallen Begriffe wie "Euphorie" und "Aufbruchstimmung". Unsere Expertinnen und Experten für digitale Lehre werden in den Himmel gelobt, fast scheint man erstaunt, dass sie nicht nur kompetent, sondern auch noch hilfsbereit, freundlich und nahbar sind. Die Studierenden freuen sich, dass so schnell Angebote geschaffen wurden. Sie bemerken zwar, dass manche Lehrende besser mit den digitalen Medien umgehen könnten als andere, aber "wir loben alle, die es versuchen".
In Woche 4 denken wir schon wieder an die Zukunft. Wie geht es weiter, wird gefragt, und: Wie retten wir diese neu geschätzten digitalen Elemente in Lehre, Studium und Arbeit in die Nach-Corona-Zeit? Wenn diese Stimmung hält, dann haben wir innerhalb von einer Woche an unserer Hochschule eine digitale Revolution geschafft.
Das ist keine Lübecker Geschichte. So oder so ähnlich lief es für Studierende und Lehrende an vielen Hochschulen in Deutschland. Es gab nicht viel Zeit zum Überlegen. Wir mussten einfach loslegen, parallel zur kompletten Reorganisation auch des privaten Lebens. Vielleicht war aber sogar das ein Vorteil.
Nun, in Woche 5, können wir erste Lehren ziehen. Basierend auf unseren Erfahrungen an der TH Lübeck lassen sich vor allem fünf Punkte als erster Zwischenstand festhalten:
Wie das Campusleben wohl im Herbst 2020 aussehen wird? Es bleibt offen. Quelle: TH Lübeck
Also läuft alles rund? Nicht ganz. Wir schieben eine Bugwelle an unerledigten Aufgaben vor uns her, nicht nur in Studium und Lehre. Personalentscheidungen, Drittmittelanträge, Tagungen wurden verschoben. Wir wissen nicht genau, wie gut wir unsere Studierenden tatsächlich erreicht haben, wie konsequent sie in dieser Ausnahmesituation tatsächlich studieren konnten, wie erfolgreich unsere Kompetenzvermittlung war. Was wir jetzt benötigen, ist noch mehr Flexibilität, dazu kluge und nachvollziehbare Entscheidungen. Und den Mut zur Wahrheit: Ganz ohne alle Nachteile für Studierenden wird es nicht gehen. Wie sollen wir beim besten Willen beispielsweise garantieren, dass alle ausgefallenen Prüfungen zum Wunschtermin nachgeholt werden können?
Daher ist es sinnvoll, das Sommersemester 2020 für all diejenigen anzurechnen, die es sich wünschen. Und es wäre sinnvoll, die Vorlesungszeit im Sommer zunächst wie geplant zu beenden und nicht zu verlängern – unabhängig davon, ob der Hochschulalltag nach dem 20. April mit Präsenzlehre oder ohne stattfindet. Um uns etwas mehr Planungssicherheit in Zeiten der Corona-Pandemie zu geben, sollten wir stattdessen im Herbst eine zusätzliche und zum Sommersemester zählende Vorlesungs- und Prüfungszeit anbieten, um Ausfälle aufzufangen. Das bedingt großzügige Bewerbungs- und Übergangregelungen ins nächste Semester, beim Wechsel des Studienganges oder beim Eintritt in einen Bachelor- oder Masterstudiengang.
Das Wintersemester 2020/2021 muss flexibel beginnen können. Jetzt Einheitlichkeit beim Vorlesungsbeginn durchzusetzen, käme für viele Hochschulen einem politisch indizierten, wochenlangen und vollständigen Verbot der Lehre gleich – härter als zu „Corona-Zeiten.“ Dieser Ein-Starttermin-für-alle-Vorschlag ist zum Glück vom Tisch, was nicht heißt, dass einheitliche Vorlesungszeiten wie beispielsweise in Hessen nicht grundsätzlich eine gute Idee sein könnten. Aber das ist ein dickeres Brett.
Zumindest für die TH Lübeck gilt: Wenn wir die oben beschriebene Flexibilität zugestanden bekämen, dann wären wir im Sommersemester 2021 nicht nur wieder im Lot, sondern um Welten weiter. Dann wären wir eine blended university: digital und persönlich für unsere Studierenden da.
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