Wie verhalten sich die Ansprüche der Hochschullehre, der Hochschuldidaktik und der Digitalisierung zu einander? Timo van Treeck von der TH Köln geht dieser Fragestellung aus der Perspektive des Hochschuldidaktikers nach.
Technik und Didaktik: Was kommt zuerst? Was steht im Mittelpunkt? Das sind immer wieder Fragen, die Diskussionen und Herangehensweisen bestimmen (auch wissenschaftliche Freundschaften oder Feindschaften). Gerade bei der Frage der Digitalisierung der Hochschule bzw. genauer der Hochschullehre liegt es aber auf der Hand, mindestens diese beiden Themenfelder gemeinsam zu behandeln. Das geschieht, es geschieht aber noch zu wenig.
Nun haben sich schon viele in diesem Blog mit vergleichbaren Fragen auseinandergesetzt. Ich kann an dieser Stelle nur dazu aufrufen, zu lesen, zu kommentieren und zu vernetzen. Wo nötig auch zu streiten und abzugrenzen. Denn auch letzteres kann sinnvoll sein, vielleicht sogar Spaß machen und zu neuen Erkenntnissen führen.
Vorsicht, kleiner Exkurs: beliebt als einfache aber dynamische hochschuldidaktische Methode ist da zum Beispiel die Pro-Contra-Diskussion, die ich letztens noch mit einem bildungstechnikaffinen Kollegen zum Thema “Wie viel Didaktik brauchen OER” geplant hatte, die dann aber leider krankheitsbedingt nicht stattfinden konnte. Sie wird hoffentlich nachgeholt.
Es ist sicherlich nicht schon alles gesagt und erst recht nicht von jedem. Wichtig wird es sein, zentrale Fragen zusammen, mehrperspektivisch anzugehen.
Es geht um das Lernen mit Blick auf bestimmte Ziele. Bild: [https://unsplash.com/photos/buHDahDdKEg Andrew Yardley] Zunächst mal ist es bei der Frage der Digitalisierung schlichtweg unmöglich, an Didaktik (sei es nun genauer Hochschuldidaktik oder Mediendidaktik) vorbeizukommen. Wenn es um Bildung in einem institutionellen Kontext geht, geht es immer auch ums Lernen. Nicht um irgendein Lernen, sondern um das Lernen mit Blick auf bestimmte Ziele. An Hochschulen geht es um das Lernen von und in der Wissenschaft, sogar umfassender um Bildung durch Wissenschaft oder im Medium der Wissenschaft (vgl. Huber 1993, Reinmann 2013, 2014). Ausbuchstabiert bedeutet das für Hochschuldidaktik dass sie “[...] die wissenschaftliche Reflexion und theoriegeleitete Veränderung des Lehrens und Lernens an Hochschulen [ist]. Sie [...] reflektiert die Beziehung von Lehren und Lernen von der Gegenstandsstruktur der Wissenschaft her. Sie organisiert nach eigener Logik Begründungswissen zu der Frage, unter welchen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, für welche Zielgruppen von Lernenden und für welche Abnehmer der Lernprozesse, welches wissenschaftliche Wissen zu welchem Zeitpunkt im Studium in welchen Räumen und auf welchen Wegen und mit welchen Medien sinnvoll ist.” (Reis 2013, S. 21) Das ist nicht wenig. Das passiert nicht immer in der Form, aber das ist der Anspruch.
Ich will nicht “belehren”, oder vielleicht wo es nötig ist, doch. Denn darum geht es im positiven Sinne an Hochschulen auch: Gemeinsam daran arbeiten, dass wichtige Erkenntnisse nicht verloren gehen und weiterentwickelt werden, nicht nur als Aufgabe der Forschung, sondern insbesondere als Aufgabe der Lehre. Es geht in institutionellen Bildungskontexten, auch da wo die Lehrenden als Coach die Lernprozesse begleiten, immer auch um Hierarchien und Wissensgefälle, das lässt sich nicht auflösen und wird schlimmstenfalls verschleiert. Gleichzeitig brauchen Lehrende immer die Lernenden, egal in welchem Kontext, wie Oliver Reis in seiner Keynote auf der dghd-Jahrestagung 2017 betont (übrigens unter cc-by). Wie Ziele miteinander in Einklang gebracht werden können (oder noch wichtiger ein Habitus offen für einen anderen Habitus wird, aber das ist eine andere große Diskussion), ist ein oftmals schwieriger Aushandlungsprozess, der oft “Hart auf Hart” entschieden wird, wenn es um Prüfungen geht. Nicht umsonst ist die MOOC-Diskussion gerade bei der Frage, wie Prüfungen umgesetzt und angerechnet werden können, wenn sie dem Anspruch von Bildung (s.u.) gerecht werden soll, m.E. noch nicht richtig anschlussfähig an die Hochschule.
Nun ist das Verhältnis der Hochschuldidaktik zur Technologie durchaus ein kritisches, aber nicht zur Digitalisierung an sich, nicht zu den Medien. Gemeint ist das, was prominente Vertreter “Technologiedefizit der Pädagogik” nennen. Dabei geht es nicht darum, dass Pädagogik sich nicht mit Technologien und Techniken auskennen kann (und sollte), sondern darum, dass Lernen nicht wie eine Technologie funktioniert. Bildungsprozesse entziehen sich einem technologischen Zugriff (Luhmann und Schorr 1982), sie unterliegen grundsätzlich „unsicheren Erfolgschancen“. Dem entgegen steht eine Technologie-Vorstellung, die von einfachen Wirkmechanismen ausgeht. Oder anders, prägnanter formuliert von Helsper: „Der Pädagoge muss mit Veränderungsabsichten handeln, ohne über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verfügen zu können und mit ungewollten Nebenwirkungen rechnen, die seine Absicht durchkreuzen können.“ (Helsper 1995, S. 19). Sich hiermit weiter kritisch-konstruktiv auseinanderzusetzen, wird eine der zentralen Herausforderung der Digitalisierung sein.
Digitalisierung nicht nur aus der Perspektive der Kostenersparnis betrachten. Bild: [https://unsplash.com/photos/jZnvn5x08BE Jay Castor] Genau das wird in der Diskussion um Digitalisierung und Automatisierung aber immer mal wieder vergessen, mehr noch: Der aufklärerische Impetus, die Notwendigkeit, Freiheit und Zwang für Bildungsprozesse gemeinsam zu denken (vgl. zu den notwendigen Antinomien in dem Feld die Keynote von Gabi Reinmann auf der dghd17) gehen verloren, wenn Skalierung und Normung in den Mittelpunkt gerückt werden. Dabei bin ich durchaus für Fragen der Skalierung zu haben, auch für Überlegungen der Automatisierung - wenn sie dem Ziel des Lernens und der Bildung dienen. Dieser Fokus kann verloren gehen, wird Digitalisierung einseitig aus der Perspektive der Kostenersparnis und Effizienzsteigerung besprochen.
Hochschuldidaktik dagegen fokussiert sich meines Erachtens zumindest traditionell weniger auf die Materialien und Medien, sondern mehr auf die Beziehungen. Warum? Es geht um Menschen, die lernen (zumindest in diesem Blogumfeld sei erwähnt, dass mir klar ist, dass es auch Machine Learning gibt, vielleicht kann man auch davon für die didaktische Gestaltung von Lernumgebungen lernen).
Die Arbeit mit Menschen skaliert aber nicht so schnell/leicht wie anderes, sowohl auf Lehrendenseite, als auch auf Lernendenseite. Vielleicht darf sie es auch nicht. Was bei der Digitalisierung manchmal vergessen wird: Nicht die Frage “wie lerne ich mit Medien” steht zunächst im Mittelpunkt, sondern “wie lerne ich”. Dass das heute meist mit Medien passiert und dass die Auseinandersetzung mit Medien oder - wenn man das Buzzword benutzt - mit Digitalisierung Inhalt und Ziel von Bildung sein sollte, ist allerdings auch richtig. Mir fehlt in der Debatte aber oft noch - wie man hier sagen würde - “eine Schüppe obendruff”. Es geht nicht darum, sich der Digitalisierung anzupassen, darum kann es im Anspruch der Wissenschaft und Bildung nicht gehen. Hier geht es immer auch um Transformation. Denn in Bildungsprozessen geht es nicht um Anpassung an eine Situation, sondern darum sich und die Situation verändern/gestalten zu können (vgl. Kerres 2017, S. 11, Land 2016, Reis 2011, S. 102, Reis 2014 S. 95f.).
Und jetzt wird es interessant (und bitte folgen Sie mir auch in diesem zugegebenermaßen abstrakten Schritt, ich halte ihn für wesentlich) auch weil Digitalisierung als Transformationsprozess von Gesellschaft und Arbeitswelt verstanden wird (vgl. UAS7, S.6). Wie verhält/verhalten sich jetzt die Wissenschaft, die Bildungsakteure und das in ihr gebildete (besser sich bildende) Individuum transformativ zu einer Transformation?
Das sind (auch) alte Argumente. Vielleicht liegt gerade hier eine Disruption, die ich noch nicht sehe. Dann bitte ich um Entgegnungen. Doch mir fehlen an genau dieser Stelle weitere Diskussionslinien, welche die Ansprüche der Hochschullehre, der Hochschuldidaktik und der Digitalisierung gemeinsam bearbeiten. Der Forderung von Markus Deimann kann ich mich da nahtlos anschließen: “Andererseits sollte auch nicht aus Gewohnheit an liebgewordenen didaktischen Praktiken festgehalten werden.” Festhalten an Praktiken aus Gewohnheiten sollte sich mit Bildung und Wissenschaft ohnehin nicht vertragen (dass es manchmal anders ist und wie dem begegnet werden kann, ist eine Frage der Wissenschaftstheorie und auch der Wissenschaftsdidaktik).
In welchem Verhältnis diese Bearbeitung von Hochschuldidaktik und Digitalisierung zueinander steht, muss sich aus der wissenschaftlichen, argumentativen Auseinandersetzung weiter entwickeln. Eindeutig ist für mich: So lange wir davon überzeugt sind, dass Forschung wichtige Erkenntnisse liefert, so lange ist es wichtig, diese Verbindung von Wissenschaft als Forschung und Lehre und Bildung durch Wissenschaft aufrecht zu erhalten und zu prüfen, was sich durch die Digitalisierung verändert, aber auch wie sich Digitalisierung durch Bildung verändert (verändern muss).
Beim Thema Lehre passiert in den Fachgesellschaften noch zu wenig. Bild: [https://unsplash.com/photos/KE0nC8-58MQ Carl Heyerdahl] Was also ist zu tun? Wichtig ist es, die verschiedenen Akteure, die sich mit der Gestaltung, Umsetzung und Qualität der Lehre auseinandersetzen a) als Personen, b) als Gruppe und c) in ihren Diskursen/Themen und d) in ihrer Sprache einzuladen. Dazu können die hier erfolgenden Aktivitäten ein Baustein sein, aber es ist immer noch zu sehr ein “preach to the converted” (vgl. Vortrag von Beat Döbeli Honegger) - vielleicht mehr dialogische Formate in Blogparaden oder Blogstöckchen oder ganz was anderes? Gleichzeitig passiert schon vergleichbares an manchen Stellen. Ich persönlich sehe da mit Blick auf Digitalisierung durchaus die AG Digitale Medien und Hochschuldidaktik, (vgl. auch den Blogpost von Lavinia Ionica hier im Blog), das Junge Forum Medien und Hochschulentwicklung (mit der Vernetzung mehrerer Fachgesellschaften) oder die Themengruppe Hochschullehre der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Letztere integriert das Thema Lehre in einer wissenschaftlichen, disziplinären Fachgesellschaft. Das passiert auch noch zu wenig. Allgemeiner bearbeiten die Vernetzung die Netzwerkinitiative im Hochschul- und Wissenschaftsbereich mit mehreren Fachgesellschaften (vgl. Homepage zur 1. Tagung) oder auf anderer Ebene das wichtige Expertisenetzwerk Lehre hoch N.
Vielen hier werden diese Bezüge bekannt sein, aber da wir uns mit dem Thema Digitalisierung in einem Themenfeld bewegen, das oft als Querschnittsthema gesehen wird, sich manche Diskurse und Aktivitäten und Hintergründe nicht immer direkt erschließen, halte ich es für wichtig, auch hier mögliche weitere Kontexte und Verbindungen noch mal deutlich zu machen.
Denn oftmals werden Gemeinschaften und Gesellschaften, die sich mit Lehre auseinandersetzen wenig als Ganzes angesprochen oder sind m.E. wenig in der (weböffentlichen) Debatte sichtbar, was sicherlich auch eine Ressourcenfrage ist, bei Akteuren, die viel mit Umsetzungen beschäftigt sind (am meisten bemerkt man noch den Stifterverband). Auch Arbeitsgruppen, SIGs und Netzwerke haben wenig sichtbare Überschneidungen bei ihren Tätigkeiten, häufig ist die Überschneidung eher zufällig, d.h. biographisch personell geprägt. Das liegt an einem Feld, das an der Hochschule immer noch nicht seinen Raum, seinen strukturell angestammten Platz hat. Das haben die Hochschullehre und die Hochschuldidaktik mit der Digitalisierung (auch) gemein. Ob die Diskussionen um das letzte Papier das Wissenschaftsrats (eine Integration habe ich hier versucht) da weiterführen, eine andere Grundfinanzierung und eine Deutsche Lehrgemeinschaft kommen und daran etwas ändern werden?
Unabhängig davon muss es grundsätzlich weiter heißen: Machen, aber vorher und nachher wissenschaftlich, darüber nachdenken und auch untersuchen, wie dies sich zum Ziel der Bildung verhält oder verhalten kann.
P.S.: Ganz herzlichen Dank für das Feedback von Antonia Scholkmann und Diana Bücker zum Blogpostentwurf.
Literatur:
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