Konferenzreise in die USA – Gedanken zur Digitalisierung und Hochschullehre

Konferenzreise in die USA – Gedanken zur Digitalisierung und Hochschullehre

05.12.19

Coursera Zertifikat

Eine Learning Journey stellte die Reise in die USA und die Konferenzteilnahme von Frontiers in Education und Learning with MOOCs dar. Marco Winzker berichtet vom Einsatz von Virtual-Reality im Bereich von Diversity Management, Cloudsoftware für Hochschulen und prognostiziert einen Wandel im Bildungswesen durch MOOCs. Bei seinem Aufenthalt in Chicago erlebt Winzker die Zukunft der Digitalsierung des Alltags.

Virtual-Reality-Szenario

Ist es Zufall oder liegt es am Thema? Im Oktober 2019 waren die #EdExperts, eine deutsch-amerikanische Hochschulreisegruppe auf Exkursion in den USA. Susanne Staude berichtet in ihrem Blogbeitrag. Ich war kurz danach auch in den USA und habe an zwei Konferenzen teilgenommen, die sich ebenfalls mit Hochschullehre und Digitalisierung beschäftigen.

Reiseroute

Zunächst war ich auf der Frontiers in Education in Cincinnati, einer recht große Konferenz mit rund 500 Teilnehmer/innen. Dort habe ich Evaluationsergebnisse zu unserem Remote-Labor präsentiert. Danach ging es zur Learning with MOOCs nach Milwaukee, kleiner mit rund 100 Teilnehmer/innen und thematisch auf Massive Open Online Courses fokussiert. Beide Konferenzen wurden vom IEEE organisiert, dem weltweit tätigen Ingenieurverband „Institute of Electrical and Electronics Engineers“. Dazwischen war noch Zeit für einen Stopp in Chicago, der auch seine Bedeutung hatte, doch dazu später.

Ich habe meine Beobachtungen nach Themen und nicht chronologisch geordnet.

Virtual Reality in der Lehre

Marco Winzker bei der VR-Anwendung

Bisher hatte ich eher Machbarkeitsdemonstrationen gesehen, aber jetzt konnte ich eine überzeugende didaktische Anwendung für Virtual Reality ausprobieren. Thema war Diskriminierung und mittels VR-Brille konnte ich als weißer Mann in den Körper einer schwarzen Frau schlüpfen, was durch Blick auf die Hände und in den Spiegel sichtbar war. In der VR-Anwendung habe ich mich auf eine Doktorandenstelle bei einem jungen, weißen Professor beworben, der mich wegen meines Bildungshintergrunds ablehnt.

Durch den First-Person-View war dies eine überraschend intensive Erfahrung, durch die man Diskriminierung sehr gut nachvollziehen und emotional erfahren kann. In der Lehre vermittelt diese Anwendung Erfahrungen für den Bereich Diversity Management. Durch das intensive Erleben scheint mir allerdings auch eine anschließende Reflexion und Einordnung sinnvoll.

Software in der Cloud

Auf den Konferenzen wurden Systeme vorgestellt, bei der Hochschulen auf Infrastruktur in der Cloud zugreifen.

  • Canvas LMS (Learning Management System) wurde mehrfach genannt und ich konnte es für einen Workshop verwenden. Der Anbieter stellt die Rechenleistung, sorgt für schnelle Updates und eine App ist natürlich auch vorhanden.
  • Open edX ist die frei zugängliche Software aus dem edX-Consortium, die man auf dem eigenen Server installieren kann. Oder man bucht diesen Service, kann mit einem kostengünstigen Paket zunächst einzelne Kurse anbieten und je nach Erfahrung und Akzeptanz weiter wachsen.
  • Auch Programmierübungen der Studierenden sind in der Cloud möglich. Vorrangig natürlich dort, wo auch die Industrie Cloud-Rechenleistung einkauft. Google machte Werbung für Machine Learning auf ihren Rechnern und vergibt 50$-Guthaben für Rechenkapazität. An anderer Stelle wurde eine online verfügbare Datenbank für SQL-Programmierung genannt.

In der Industrie gibt es schon lange den Grundsatz „Make or Buy“ und ich denke, auch Hochschulen sollten verstärkt überlegen, ob sie eine Leistung selber erzeugen oder auf externe Lösungen zurückgreifen. Ein Argument ist dabei sicher auch die Schwierigkeit, IT-Fachkräfte zu finden.

Und jetzt zu MOOCs

Sind MOOCs schon tot? Oder werden sie die Hochschulstrukturen revolutionieren? Susanne Staude schreibt: „[MOOCs] did not turn out to be as system-changing as we thought”

Mein Eindruck ist, MOOCs sind quicklebendig und werden langsam aber sicher einen Wandel im Bildungssystem bewirken. Stichworte, die ich dazu oft gehört habe, sind Upskilling, Badging und Monetization.

  • Upskilling meint, dass gezielt einzelne Fähigkeiten gelernt werden, um die nächste Beförderung oder die nächste Stelle zu bekommen. Wenn auf dem Arbeitsmarkt „Machine Learning“ gefragt ist, dann mache ich einen MOOC dazu. Wenn ich Gruppenleiter werden möchte, gibt es hierfür ebenfalls die passenden MOOCs.
  • Badging sind die Qualifikationen, die Badges, die mir die MOOC-Anbieter dafür geben. Damit kann ich belegen, dass ich die Qualifikationen erworben habe.
  • Und damit sind wir bei der Monetization, denn wenn ich im nächsten Job mehr Geld verdiene, dann investiere ich vorher in MOOCs Zeit und Geld.

Das ist natürlich eine recht amerikanische Sicht der Dinge, die nicht so ganz zum deutschen Bildungsauftrag der Hochschulen passt. Aber irgendwie gefällt mir diese pragmatische Einstellung. Und die Zahlen für 2018 unterstreichen ebenfalls die Bedeutung: Laut ClassCentral machten die vier größten MOOC-Anbieter rund 300 Millionen Dollar Gewinn.

Nutzungsumsatz von MOOCs 2018

Was bedeutet dies für die Hochschulen?

Coursera Zertifikat

Ich sehe die erste Herausforderung für Master-Studiengänge. Ich kann es am besten für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften einschätzen und dort sind Bachelor-Absolventen momentan in der Industrie heiß begehrt. Warum soll eine Studentin oder ein Student noch drei Semester an der Hochschule verbringen und Module belegen, die von der Prüfungsordnung vorgegeben sind? Da ist es doch viel besser zu arbeiten, Geld zu verdienen und selbstbestimmt MOOC-Kurse auszuwählen, die einen interessieren und weiterbringen. Und statt dem Master-Abschluss hat man die Zertifikate der Kurse.

Integration von MOOCs

Wie können Hochschulen auf MOOCs reagieren? Ein Beispiel wurde von der Universität Island gezeigt. Island, das war mir gar nicht bewusst, hat insgesamt nur rund 360.000 Einwohner. Da findet man natürlich nicht für jedes Thema eine Professorin oder einen Professor im Land. Studierende haben daher MOOCs zu Deep Learning beziehungsweise Power Electronics belegt. Die Bewertung erfolgte durch Kombination des MOOC-Abschlusses mit einer an der Universität Island lokal erbrachten Abschlussleistung, in diesen Fällen ein Projektbericht oder eine Präsentation.

Nach den Erfahrungen der Universität Island sollte ein MOOC-Anbieter ausgewählt werden, der klare Angaben über Kursinhalt und Lernziele macht. Studierende sollten sich für den gewählten Kurs anmelden und ihn beim Anbieter mit Zertifikat abschließen. Für die Anerkennung sollten ein Zeitplan und die lokale Abschlussleistung vorab vereinbart werden.

Microcredentials

Auch dem Begriff Microcredentials bin ich begegnet, genau wie Susanne Staude. Wahrscheinlich gibt es hier mehrere Definitionen; ich finde den Ansatz des European MOOC Consortiums vielversprechend. Ein Common Microcredential Framework soll Rahmenbedingungen für Kurse festlegen, darunter einen einheitlichen Umfang von 100-150 Stunden, summative Bewertung mit Identitätsnachweis und ein Transkript mit den erbrachten Leistungen. Die Kurse sollen neben beruflichen und familiären Verpflichtungen möglich sein und lebenslanges Lernen ermöglichen.

Ich persönlich finde den Identitätsnachweis spannend, denn dies ist ja eine oft genannte Kritik an Online-Kursen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man hier von den Entwicklungen beim Online-Banking oder E-Government profitieren wird. Wenn dort eine Infrastruktur zur Identitätsprüfung besteht, vielleicht durch Spracherkennung oder Fingerabdruckscanner, kann diese für Microcredentials genutzt werden. Das wird vielleicht noch nicht 2020 passieren, aber, meine Vermutung, deutlich vor 2030.

Digitalisierung im täglichen Leben

Und damit kommen wir nach Chicago. Dort gibt es Amazon Go und das musste ich unbedingt ausprobieren. Amazon Go ist ein Geschäft ohne Kasse. Ich benötige ein Amazon-Konto, identifiziere mich am Eingang über einen QR-Code und werde dann von circa 100 Kameras permanent beobachtet. Ich kann frei Waren aus dem Regal nehmen, bei Nichtgefallen auch wieder zurücklegen und verlasse dann ohne an einer Kasse zu warten das Geschäft. Eine Minute später habe ich den Kaufbeleg auf dem Smartphone.

Das Warenspektrum umfasst hauptsächlich Lebensmittel und die Idee ist, dass man in der Büropause oder auf dem Weg zur Metro noch schnell ein Sandwich und eine Cola kauft, ohne viel Zeit zu verlieren.

Prof. Winzker geht bei Amazon Go einkaufen

Ebenfalls zum ersten Mal ausprobiert habe ich Uber, den Fahrdienst. Ja, man kann an der Share-Economy einiges kritisieren, aber ich will jetzt hier vor allem die Digitalisierung betrachten. Und da bieten sich für mich als Kunde eigentlich nur Vorteile. Ich sehe vor der Buchung den Preis, ich brauche beim Aussteigen nicht mit Bargeld oder Kreditkarte hantieren und ich gebe ganz in Ruhe nach der Fahrt das Trinkgeld. Außerdem weiß die Fahrerin oder der Fahrer über die App, wo ich hinfahren möchte. Das wäre für mich in den USA nicht das Problem, aber in China habe ich schon mit Zetteln gearbeitet und in Jordanien mussten Taxifahrer und ich mehrere Passanten um Übersetzung bitten. Das hat auch alles geklappt, aber mit Digitalisierung geht es bequemer.

Ein Uber-Fahrer erzählte mir, er wäre früher Taxi gefahren und Taxis hätten mittlerweile nur noch 25% Marktanteil. Ich habe die Zahl nicht überprüft, aber sie scheint in der Tendenz plausibel. Auch im Sprachgebrauch ist Uber angekommen. „You can uber to it.“ war die Entfernungsangabe für ein Museum.

Fazit

Der Aufstieg von Uber zeigt, dass man sich nicht aussuchen kann, ob man Digitalisierung möchte oder nicht. Sie kommt und man kann sie mitgestalten und sich darauf einrichten. Deswegen ist für mich das Beispiel der Universität Island so positiv. MOOCs werden sinnvoll genutzt, um das eigene Angebot zu stärken.

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