Weg frei für die Wissenschafts- und Bildungsschranke

Weg frei für die Wissenschafts- und Bildungsschranke

30.06.17
Zeitungsleser

Die Koalitionsfraktionen haben sich im letzten Moment auf einen Gesetzentwurf zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) geeinigt. Somit konnte die Wissenschafts- und Bildungsschranke an diesem Freitag, dem letzten Sitzungstag vor der Sommerpause, im Bundestag abgestimmt werden. Union und SPD stimmten dafür, Grüne enthielten sich, Linke dagegen.

Vor Kurzem hat Prof. Dr. Gabriele Beger in ihrem Gastbeitrag in unserem Blog den Entwurf des „Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ erläutert und kommentiert. Eine Woche später, am 18. Mai, fand die erste Lesung im Bundestag statt. In ihren Redebeiträgen betonten die Politiker(innen) von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündes 90/Die Grünen die Dringlichkeit einer Schrankenregelung. Auf der Suche nach einem gerechten Interessenausgleich zwischen Urhebern, Nutzern und Verwertern zeigten sich die unterschiedlichen Prioritäten der Fraktionen. Library

Gelungener Interessenausgleich?

Volker Ullrich (CDU/CSU) sprach sich für den Fortbestand der Stärken und Vorteile der analogen Welt auch im digitalen Zeitalter und demzufolge für eine stets angemessene Vergütung der Urheber aus. Die SPD hat den Arbeitsaufwand der Bibliotheken und Lehrenden im Blick und wünscht sich klare Formulierungen, wie Christian Flisek meinte: „Ein Vorrang von Lizenzangeboten würde erneut zu Rechtsstreitigkeiten führen, weil niemand weiß, was denn ein „angemessenes Angebot“ ist.“ Dr. Petra Sitte von der Fraktion Die Linke gab zu bedenken, dass der jetzt vorliegende Entwurf regelmäßiger Überarbeitung bedürfe, um nicht hinter die Zeit und technische Entwicklungen zurückzufallen. In seiner Rede kritisierte Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen den Rückschritt von 25 auf 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes, die genehmigungsfrei nutzbar sein sollen. Der Bundesrat hatte sich in seiner Stellungnahme vom 12. Mai ebenfalls für 25 Prozent ausgesprochen, die Bundesregierung hat dies jedoch nicht aufgegriffen. Abschließend bekräftigte Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz Heiko Maas (SPD): „Wir verstehen die Sorgen einiger Wissenschaftsverlage, sind aber sicher, dass deren Geschäftsmodell auch im digitalen Umfeld eine Zukunft hat, nämlich als Dienstleister der Wissensgesellschaft. Dieses Geschäftsmodell ist durch einen lizenzfreien, zugleich aber vergüteten Basiszugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht infrage gestellt.“

Ende Mai fand eine öffentliche Anhörung des Gesetzentwurfs im federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz statt. Sachverständige aus der Wissenschaft und dem Verlagswesen bezogen Stellung. Während die Verlagsvertreter(innen) eine „Teilenteignung“ befürchten und das Wissenschaftsfreiheitsgessetz eingeschränkt sehen, bemängeln die Wissenschaftler(innen) das Fehlen einer General- oder Öffnungsklausel, die Abweichungen in nicht explizit geregelten Konstellationen zulassen würde und infolgedessen neue Entwicklungen behindert werden könnten.

Befristeter Kompromiss

Als einer der ersten Punkte stand das Thema UrhWissG in der Bundestagssitzung vom 21. Juni wieder auf der Tagesordnung. Christian Lange, parlamentarischer Staatssektretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, beantwortete die aufkommenden Fragen. Die Antworten fielen allerdings durchweg knapp aus mit dem Verweis auf die laufenden Gespräche der Koalitionsfraktionen. Für den Fall, dass es im Bundestag nicht zu einer Einigung komme, müssten die Beteiligten, laut Lange, weiter mit den bestehenden, unsicheren Bestimmungen arbeiten. Zeitungsleser

Nach den offenbar zähen Verhandlungen zwischen Union und SPD wurde am vergangenen Dienstag, 27. Juni eine Einigung erreicht, die am letzten Sitzungstag den Bundestag passieren soll. Die drohende Abschaltung von digitalen Semesterapparaten zum Wintersemester 2017/2018 ist damit verhindert. Der CDU-Abgeordnete Michael Kretschmer lobte den Kompromiss als fairen Ausgleich von Interessen, der vor allem die wirtschaftlichen und organisatorischen Realitäten bei den Verlagen und an den Hochschulen anerkenne. Die SPD-Fraktion zeigte sich über die vorläufige Befristung der Regelungen auf fünf Jahre enttäuscht, gibt sich jedoch zuversichtlich, dass die Bestimmungen sich in der Praxis bewähren würden. Geplant ist eine Evaluation der Bundesregierung vier Jahre nach Inkrafttreten der Reform.

Eine weitere Änderung zum vorherigen Entwurf ist die Ausnahme von Artikeln aus Zeitungen und Publikumszeitschriften von der Schrankenregelung. Einzelne Beiträge aus Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Zeitschriften dürfen für Wissenschaft und Lehre vollständig genutzt werden. Damit soll auf die „besondere Situation“ der privaten Presse reagiert werden, die „urheberrechtlich geschützte Inhalte vollständig über ihr eigenes Geschäftsmodell finanzieren“ müsse.

Am Freitag, den 30. Juni wurde das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz abgestimmt. In ihren Beiträgen zogen die beteiligten Politiker(innen) Bilanz über die Verhandlungen und brachten ihre jeweiligen Kritikpunkte zum Ausdruck. Bei den Redner(inne)n der Koalitionsfraktionen überwog die Erleichterung, dass die Abstimmung noch vor dem Ende der Legislaturperiode stattfinden konnte. Der Gesetzesentwurf wurde in der Ausschussfassung von CDU/CSU und SPD angenommen, Bündnis 90/Die Grünen enthielten sich und Die Linke stimmte dagegen.
Hier können Sie noch einmal den Verlauf von der ersten Lesung und der Anhörung im Ausschuss nachlesen.