Meine vorangegangenen Blogbeiträge im Dossier Diversität und Barrierefreiheit haben sich damit befasst, wie verschiedenste Inhalte barrierefrei gestaltet werden können. Digitale Barrierefreiheit ist aber ein Prozess. Oft werden Webseiten oder Lehr-Lernangebote mehrfach überarbeitet, bis sie barrierefrei sind. Daher ist es wichtig, bei der Überarbeitung frühzeitig die Barrierefreiheit zu überprüfen. Wenn dabei Probleme auffallen, können diese im Überarbeitungsprozess behoben und gelöst werden. Aber wie wird die Barrierefreiheit von Webseiten und von digitalen Bildungsangeboten überprüft? Was muss, was sollte und was kann überprüft werden? Kann das mit Software automatisch erfolgen? Auf diese und weitere Fragen gehe ich in diesem Blogbeitrag ein.
Es gibt kein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren, mit dem die Barrierefreiheit von Webseiten und webbasierten digitalen Bildungsangeboten überprüft werden muss. Im Anhang C des harmonisierten EU-Standards EN 301 549 werden Prüfkriterien genannt. Werden die einzelnen Kriterien erfüllt, wird die Barrierefreiheit des überprüften Angebots vermutet. Das Problem mit den Kriterien in der harmonisierten EU-Norm ist aber, dass diese auf Erfolgskriterien der WCAG-2.1 verweisen. Dort wiederum finden sich sehr viele Hinweise, wie die Erfolgskriterien erfüllt werden können. Um diese Hinweise aber verstehen und befolgen zu können, braucht es sehr detaillierte technische Kenntnisse.
Wie also kann die Barrierefreiheit überprüft werden? Grundsätzlich lassen sich drei verschiedene Methoden zur Überprüfung unterscheiden:
Bei dieser Methode überprüfen Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen das zu überprüfende Angebot. Die Schwierigkeit ist, dass hierbei die Menschen oft nur die Probleme erkennen, von denen sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung betroffen sind. Nutzt eine Person eine Bildschirmvorlesesoftware (Screenreader) und eine Braillezeile, so kann diese Person nicht herausfinden, ob beispielsweise die Farbkontraste ausreichend sind. Eine andere Person ist auf die Bedienbarkeit per Tastatur fokussiert und für sie ist es nicht relevant, ob Nicht-Textinhalte einen geeigneten Alternativtext haben. Diese Einschränkung bedeutet einen erheblichen organisatorischen Aufwand, um ein Webangebot systematisch von Menschen mit vielen unterschiedlichen Beeinträchtigungen testen zu lassen.
Die Überprüfung der Barrierefreiheit durch Expert*innen zeigt im Idealfall sehr genau auf, ob das webbasierte Angebot den gesetzlichen Anforderungen oder den technischen Richtlinien entspricht. Voraussetzung dafür sind aber hinreichend qualifizierte Expert*innen. Diese sollten sowohl über technische Expertise, Kenntnisse von HTML und anderen Webtechnologien und idealerweise auch Erfahrungen im Bereich von Assistiven Technologien verfügen. Der Nachteil dieser Methode ist, dass die Expert*innen sich oft nur unzureichend in die technischen Kenntnise und das Fachwissen der Nutzer*innen hineinversetzen können. Außerdem könnten Expert*innen Usability-bezogene Aspekte übersehen, weil sie sich auf die Einhaltung der technischen Anforderungen konzentrieren.
Bei der automatisierten Überprüfung kommen Algorithmen zum Einsatz, die einen mehr oder weniger umfangreichen Katalog an Regeln überprüfen. Solche Systeme skalieren nahezu unbegrenzt und erlauben es, tausende von Webseiten regelmäßig zu überprüfen. Und sie helfen Expert*innen bei der manuellen Überprüfung von bestimmten Anforderungen. Der große Nachteil der automatisierten Überprüfung ist, dass damit nur solche Kriterien valide überprüft werden können, die sich automatisiert prüfen lassen, die sich also als deterministische Algorithmen beschreiben lassen. Bspw. kann ein Algorithmus überprüfen, ob ein Bild über einen Alternativtext verfügt. Ob dieser Alternativtext aber sinnvoll ist, kann der Algorithmus nicht sicher überprüfen.
Es ist relativ einfach, in Microsoft Office die Barrierefreiheit von Dokumenten zu überprüfen. Seit mehreren Versionen schon hat Microsoft entsprechende Prüfwerkzeuge in Word, Excel, PowerPoint, OneNote und Outlook eingebaut. Um die Barrierefreiheitsprüfung aufzurufen,
Als Resultat wird ein Prüfbericht angezeigt, der abhängig vom Schweregrad des Problems Fehler, Warnungen und Tipps enthält. Microsoft dokumentiert ausführlich, welche Regeln die Barrierefreiheitsprüfung testet. Nutzer*innen bekommen aber nicht nur eine Liste mit den erkannten Problemen, sondern erhalten auch Tipps und Hinweise, wie sie die Probleme beheben können. Allerdings kann auch Microsoft nicht zaubern, weshalb die Barrierefreiheitsprüfung nur die Regeln überprüfen kann, die sich automatisch überprüfen lassen. Ob ein Alternativtext sinnvoll oder die Dokumentengliederung logisch ist, kann nicht automatisch ermittelt werden.
Ähnlich funktioniert auch die Überprüfung der Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten, die Adobe in Acrobat Pro integriert hat. Die Prüfung der Barrierefreiheit findet sich im Bereich Werkzeuge unter dem Punkt Barrierefreiheit. Das Prüfwerkzeug kann 32 Prüfpunkte automatisch überprüfen, die beim Aufruf des Werkzeugs ausgewählt werden können. Dabei werden nicht die Kriterien der WCAG überprüft, sondern die Konformität mit dem Standard PDF/UA (PDF Universal Accessibility). Dieser Standard definiert, wie ein PDF-Dokument barrierefrei gestaltet wird. Wie sich die Prüfpunkte zu den Kriterien der WCAG verhalten, erläutert Adobe relativ ausführlich.
Nach der Prüfung wird auf Wunsch ein Bericht mit den identifizierten Fehlern erstellt. Wie beim Prüfwerkzeug von Microsoft wird hier Hinweise zur Behebung der Fehler angezeigt. Mit den in Acrobat Pro eingebauten Werkzeugen lassen sich die Fehler dann direkt beheben. Oft ist es aber sinnvoller, das Quelldokument zu überarbeiten und die verbleibenden Fehler dann im PDF zu korrigieren.
Mit dem PDF Accessibility Checker (PAC 3) gibt es noch ein weiteres kostenloses Werkzeug, um die Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten zu überprüfen. Allerdings ist das Ergebnis meiner Erfahrung nach weniger intuitiv verständlich. Es fehlt außerdem die Möglichkeit, die Probleme direkt zu korrigieren. Dazu muss eine zusätzliche kostenpflichtige Software installiert werden, bspw. Acrobat Pro oder auch axesPDF.
Für das kostenlose Office-Paket LibreOffice/OpenOffice gibt es leider kein vergleichbares Prüfwerkzeug. Mit AccessODF gibt es zwar eine Erweiterung, um die Barrierefreiheit von Textdokumenten zu überprüfen. Aber die aktuellste Version stammt aus dem Jahr 2014 und wurde seit dem nicht mehr an neue Versionen der Software angepasst.
Wem bleibt digitale Bildung noch verschlossen?
Das Angebot an Werkzeugen für die automatisierte Barrierefreiheitsprüfung ist kaum vollständig zu überschauen. Die Web Accessibility Initiative (WAI) führt eine [Liste mit 159 verschiedenen Werkzeugen], von denen immerhin 61 die Konformität mit der aktuell gültigen WCAG 2.1 und vier die Konformität mit dem europäischen Standard EN 301 549 überprüfen können. Bei diesen Prüfwerkzeugen handelt es sich teilweise um Erweiterungen für den Webbrowser, um Werkzeuge für die Kommandozeile oder um so APIs, also Schnittstellen für die Integration in andere Software.
Die WAI unterstützt mit einer Kriterienliste die Entscheidung für ein bestimmtes Prüfwerkzeug. Interessierte Nutzer*innen sollten sich überlegen
Insbesondere der letzte Punkt ist meiner Ansicht nach nicht zu unterschätzen. Die Prüfwerkzeuge in Microsoft Office oder Adobe Acrobat geben das Ergebnis der Prüfung als ausführlichen Bericht aus. In diesem Bericht sind meistens Tipps und Hinweise zur Behebung der Fehler enthalten. Die Überprüfung von digitalen Bildungsangeboten bedeutet aber in der Regel die Prüfung eines webbasierten Angebots. Das heißt der Prüfgegenstand ist ungleich komplexer, weshalb die Prüfberichte umfangreicher ausfallen. Eine Behebung der erkannten Probleme ist ebenfalls in der Regel aufwändiger. Ohne zumindest grundlegende Kenntnisse des technischen Aufbaus des digitalen Bildungsangebots, von HTML und anderen Webtechnologien helfen die Berichte meist wenig.
Wer es dennoch selber einmal ausprobieren möchte, der findet für die Webbrowser Mozilla Firefox und Google Chrome kostenlose Erweiterungen:
Diese Erweiterungen prüfen quasi die gesamten Anforderungen. Andere Erweiterungen können einzelne Aspekte überprüfen und unterstützen einen manuellen Test:
Es gibt auch Prüfwerkzeuge, die ausdrücklich die Barrierefreiheit digitaler Bildungsangebote überprüfen. Weil sie sich auch an Lehrende wenden, sind die Anforderungen an die technischen Kenntnisse geringer, diese helfen aber in jedem Fall bei der Interpretation der Ergebnisse und der Fehlerbehebung.
Ein manueller Test liefert sicher die zuverlässigsten Ergebnisse, ob ein webbasiertes digitales Bildungsangebot barrierefrei ist. Allerdings setzt das technische Vorkenntnisse voraus. Es gibt leider auch nicht das eine Prüfverfahren, dass alle Möglichkeiten und alle potentiellen Problemstellen abdeckt. Und schon gar nicht gibt es ein Prüfverfahren, welches mit einem Zertifikat die Barrierefreiheit bescheinigen würde. Da Barrierefreiheit ein Prozess ist, würde das auch nur eingeschränkt funktionieren.
Der Vorteil der WCAG-EM und des BITV-Tests ist, dass diese Prüfverfahren die Konformität eines Webangebots mit der WCAG2.1 überprüfen. Beide Prüfverfahren sind anerkannt, wobei der BITV-Test außerhalb Deutschlands nicht weit verbreitet sein dürfte. Die Verfahren decken die Anforderungen an die Barrierefreiheit ab, sind aber sehr zeitaufwändig in der Durchführung und für Lehrende oder Ersteller*innen von digitalen Bildungsangeboten sicher nicht mal eben durchführbar. Deshalb möchte ich abschließend noch ein paar Checklisten vorstellen, mit denen Kursumgebungen auf ihre Zugänglichkeit überprüft werden können.
Bei der Überprüfung der Barrierefreiheit von Kursumgebungen oder digitalen Bildungsangeboten helfen technische Prüfverfahren oft nur begrenzt weiter. Zumal Lehrende wenig Einfluss auf die technische Infrastruktur wie das verwendete Lernmanagementsystem haben. Sie können aber die Inhalte des Bildungsangebots zugänglich gestalten. Deshalb habe ich ein paar Checklisten herausgesucht, die genau diesen Aspekt unterstreichen.
Diese Checklisten sind deutlich kürzer als die im vorherigen Abschnitt vorgestellten Prüfverfahren. Aber sie sind für Lehrende ein wichtiges Hilfsmittel, um Barrieren in den eigenen Angeboten zu ermitteln und zu beheben. Damit erfüllen sie eine wichtige Aufgabe. Fakultäten oder Hochschulen können diese Checklisten nutzen, um eigene Prüfkriterien zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedarfe zugeschnitten sind. An der FernUniversität entwickeln wir selber gerade eine Prüfliste. Schreiben Sie mir (bjoern.fisseler@feruni-hagen.de), wenn Sie mehr darüber erfahren möchten.
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