Der Wunsch nach "neuer Normalität" ist verständlich, könnte aber in die Irre führen: Nach der Anpassungsleistung des Bildungssystems im März/April war die unausgesprochene Hoffnung, man würde neue Standards, neue Verfahren, neue Routinen finden. Esther Vilar hat das mal sehr schön beschrieben: Der Mensch, sobald er einen Hauch von Freiheit spürt, benutzt ebendiese genau dazu, sich in neue Abhängigkeiten zu begeben. Das Neue, Unbekannte verunsichert einfach zu sehr. Wer würde da zu "neuen" Sicherheiten nicht nein sagen? Sicherheit, Vorhersehbarkeit, Planbarkeit ist aber doch wieder das alte Programm der Industriegesellschaft.
"Every end is a new beginning" stand auf einem Mülleimer. Insofern ist die Frage: Was muss eigentlich im Bildungssystem mal enden(!), damit etwas Neues entstehen kann? Sind wir schon so weit, Dinge bewusst aufzugeben, sein zu lassen, endlich mal damit aufzuhören (die Art zu prüfen z.B., nur so als Gedanke)? Oder versuchen wir doch wieder nur, unsere alten Routinen in ein neues Medium zu übertragen? "Das Ende" jedoch hat keinen guten Ruf in unserer Kultur: Egal, ob Projekte oder Förderungen auslaufen, Kündigungen anstehen, Trennungen oder gar der Tod. Deine Partnerin hat Dich verlassen? Ich freue mich so sehr für Dich. Du wurdest gekündigt? Super, endlich mal Zeit für was Neues. Dein Vater ist gestorben? Wunderbar! Es gibt niemanden, der so etwas sagen würde. Es sei denn in einer Komödie mit Billy Crystal. Nein, wir freuen uns nicht über das Ende! Wir scheuen es. Wir tricksen, zögern hinaus. Wir wünschten, "es" würde immer so weitergehen. Der Schrecken des Paradieses, auch Esther Vilar. Dingend mal lesen, wie furchtbar langweilig die Ewigkeit ist, wie bedeutungslos alles wird, wenn man end-los Zeit dafür hat. Praktisch das komplette Gegenteil der protestantischen Arbeitsethik von Max Weber: Schaffe jetzt, die Belohnung kommt später! Pustekuchen.
Damit das Neue aber im Diesseits schon Raum bekommt und einen Platz finden kann, muss(!) also etwas Anderes enden. Wir brauchen das Ende! Wusste schon Joseph Schumpeter - und der ist bald 71 Jahre tot. Und insgeheim wissen wir es oder ahnen es leise: Falls eine Rückkehr zur Präsenzlehre jemals möglich sein wird, wir würden dort einen anderen Ort vorfinden. Die Welt dreht sich weiter. Das, wonach wir uns zurücksehnen, wird nicht mehr da sein. Das kennen jene, die nach Jahren an den Ort ihrer Kindheit oder des Studium zurückgekehrt sind: die Häuser sind noch da, aber es wirkt alles so klein. Und da wohnen plötzlich andere Menschen, die man nicht kennt und die alten Nachbarn und Freunde sind auch nicht mehr da. Warum dann dahin zurückkehren? Also, vorwärts Genossen! Fortschritt wird gemacht. Das Neue ist nur einen Mausklick entfernt. Wir müssen nur erst etwas Anderes beenden. Womit fangen wir an? Was beenden wir als Erstes?
Fertig.
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