Das auslaufende Sommersemester 2020 hat wie ein Brennglas gewirkt. Es hat die Schwachstellen der Digitalisierung im System „Hochschule“ sichtbar(er) gemacht, zugleich aber auch zu einer stärkeren Selbstreflexion und Diskussionskultur im Kreise der Hochschullehrenden über den zukünftigen Kurs von Hochschulen geführt. In diesem Beitrag werden Erfahrungen der Autor*innen aus der synchronen Online-Lehre im Sommersemester 2020 an der Fachhochschule Kiel vorgestellt. Basierend auf dem Modell der Online-Lehre von Gilly Salmon werden konkrete Handlungsempfehlungen für das kommende Wintersemester aufgezeigt. Aus Sicht der Autoren stellen die Sozialisierungsphase und das „Onboarding“ der Studierenden an der Hochschule und in den einzelnen Modulen einen Erfolgsfaktor dar, dem zukünftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.
Der Weg in die erfolgreiche Online-Lehre ist in sich ein mehrstufiger Lernprozess. Bild: [https://www.pexels.com/de-de/foto/treppe-stufen-schritte-architektur-3427031/ Ferran Perrez]
Der abrupte Einstieg in die Online-Lehre im März 2020 erfolgte für Lehrende, die zuvor nur in der Präsenzlehre tätig waren, sehr spontan und ohne eine Phase der Vorbereitung und sorgfältigen Auswahl didaktisch geeigneter Methoden und Techniken. Wider Erwarten fällt das Resümee mit Blick in die Hochschullandschaft in Summe sehr positiv aus.
Die Erfahrungen aus der (synchronen) Online-Lehre im Sommersemester 2020 aus der Sicht der Autor*innen im Hinblick auf ihre eigenen Module an der Fachhochschule Kiel bestätigen den positiven Gesamteindruck. Es gibt aber eine Reihe von Vor- und Nachteilen der synchronen Online-Lehre im Vergleich zur Präsenzlehre, die allgemeingültig zu sein scheinen. Um eine detailliertere Bilanz zu ziehen und diese Punkte im Sinne eines Kriterienkatalogs für die Bewertung der synchronen Online-Lehre im Vergleich zur Präsenzlehre gegenüberzustellen, soll folgende Tabelle 1 dienen:
positive Gruppeneffekte wie z.B. gemeinsames Lachen
und Spontaneität nehmen ab
Die Übersicht in Tabelle 1 ergibt ein nahezu ausgewogenes Gesamtbild bezüglich der Vorteilhaftigkeit beider Varianten. Sowohl die Online- als auch die Präsenzlehre weisen eine Reihe exklusiver Vorteile auf. Der größte Nachteil der Online-Lehre sind die fehlende persönliche Nähe und die Herausforderung beim Aufbau einer vertrauensvollen Wohlfühlatmosphäre mit sozialer Geborgenheit im Kreise von Lehrenden und Studierenden (siehe auch das Engagement von Fachschaften bei der Digitalisierung der Betreuungsangebote für Erstsemester (Brüne 2020)). Diesem Nachteil stehen aber viele Kosten- und Effizienz-Vorteile gegenüber. Für die Zukunft der Lehre gilt es nun, die Synergien zu identifizieren und in Form hybrider Konzepte zu nutzen.
Um den Einstieg in die Online-Lehre ohne allzu große Reibungsverluste vollziehen zu können, ist eine Orientierung am 5-Stufen-Modell der Online-Lehre von Gilly Salmon (Salmon 2013) zu empfehlen.
Das 5-Stufen-Modell von Gilly Salmon. Illustration: [https://www.gillysalmon.com/five-stage-model.html FernUniversität nach Gilly Salmon]
Gilly Salmon entwickelte bereits im Jahr 2000 (Salmon 2000) ein Modell, in dem sie anhand von 5 Phasen den Lernprozess von Lernenden in der Online-Lehre beschreibt. Diese Zerlegung des Lernprozesses dient damit als Rahmen für die nötige Unterstützung durch die Lehrenden. Das Modell unterscheidet in folgende 5 Stufen:
Dabei liegt ein besonderer Schwerpunkt auf den Stufen 1 und 2 „Zugang und Motivation“ und „Online-Sozialisation“. Die eigentlichen Fachinhalte werden erst auf den Stufen 3-5 (Informationsaustausch, Wissenskonstruktion und Entwicklung) vermittelt.
Gerade diese beiden Phasen stehen aber in der Regel in der Lehre bisher nicht im Mittelpunkt. Die klassische Betrachtung von Lehre konzentriert sich auf die Vermittlung von Inhalten bzw. Kompetenzen. Das wird auch deutlich, wenn man die Taxonomie der Lernziele nach Bloom betrachtet, die oft bei der Festlegung der Lernziele zugrunde gelegt wird. Die Taxonomie beinhaltet aufeinander aufbauende Lernstufen, die auf der reinen Wissensvermittlung und dann entsprechenden Wissenswiedergabe aufbauen (Lernzielstufen: Kennen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Synthetisieren, Bewerten). Diese Lernziele behalten auch für die Online-Lehre ihre Gültigkeit, d.h. sie sind unabhängig von dem gewählten Lehr- und Lernformat. Allerdings wird deutlich, dass eine solche Taxonomie nicht ausreicht, um die Ziele für die Lehre festzulegen. Als Voraussetzung für das Erreichen der Lernziele nach Bloom muss daher eine Grundlage gelegt werden, die ein gemeinsames Arbeiten von Lernenden und Lehrenden ermöglicht. Auch dies gilt unabhängig von dem gewählten Lern- und Lehrformat, unterscheidet sich aber vermutlich in der konkreten Ausprägung.
Die in dem Modell von Gilly Salmon ersten beiden Phasen ‚Zugang und Motivation‘ und ‚Sozialisation‘ können daher der Taxonomie der Lernziele nach Bloom vorgeschaltet werden.
Im vergangenen Corona Semester haben Lehrende und Lernende feststellen müssen, dass der einfache Zugang zu den Lernplattformen oder den genutzten Tools Voraussetzung ist, damit ein Lernerfolg überhaupt möglich ist. Eine (unübersichtliche) Vielfalt von Tools führt nicht unbedingt zu Neugierde und Begeisterung, sondern kann im Gegenteil für Studierende durchaus erschöpfend und demotivierend sein.
Aber nicht nur die technischen Voraussetzungen sind die Grundlage des Lernerfolges. Vor allem die (Online-)Sozialisation ist hierfür nötig. Durch das gegenseitige Kennenlernen, das Schaffen von gemeinsamen Regeln für die Kommunikation und damit das Schaffen von Vertrauen soll erreicht werden, dass sich die Teilnehmenden in der Lernumgebung wohlfühlen und in der Gruppe partizipieren.
Erfolgreiche Lehre sollte geprägt sein von der Inspiration der Studierenden, nicht von nüchterner Informationsvermittlung: „Effective teaching focuses on why and how, not what. The goal should be to spark each student’s imagination, to find a hook in their heart and mind so that they feel a need to learn the material” (Seelig 2016). Das Schaffen einer angenehmen vertrauensvollen Lernatmosphäre ist unabdingbar. Dies gestaltet sich online schwieriger als in der Präsenzlehre, da die Studierenden in ihrer individuellen Lernumgebung allein und nur über den Bildschirm mit den anderen Studierenden und dem Lehrenden verbunden sind und in Videokonferenzen nicht alle Sinne angesprochen werden.
Wir möchten Ihnen einige Anregungen für die „Warm-up“-Phase zu Semesterbeginn geben, die insbesondere für die Online-Lehre geeignet sind:
Brüne, John (2020): Hilfe, wir haben unsere O-Phase digitalisiert! Blogbeitrag. Hg. v. Hochschulforum Digitalisierung. Online verfügbar unter https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/o-phase-online, zuletzt aktualisiert am 22.06.2020, zuletzt geprüft am 09.07.2020.
Salmon, Gilly (2000): E-moderating. The key to teaching and learning online. London/ New York: Routledge (Open and distance learning series).
Salmon, Gilly (2013): E-tivities. The key to active online learning. 2. ed.
Salmon, Gilly (2020): The Five Stage Model. Website. Hg. v. Gilly Salmon. Online verfügbar unter https://www.gillysalmon.com/five-stage-model.html, zuletzt geprüft am 15.07.2020.
Seelig, Tina (2016): Teaching — It’s about Inspiration, Not Information. Hg. v. medium.com. Online verfügbar unter https://medium.com/@tseelig/teaching-its-about-inspiration-not-information-1f64ddf019e7, zuletzt aktualisiert am 11.12.2016, zuletzt geprüft am 16.07.2020.
Seelig, Tina (2020): Taking It To the Screen — Lessons Learned from Teaching Online. Hg. v. Stanford d.school. Online verfügbar unter https://medium.com/@tseelig/taking-it-to-the-screen-lessons-learned-from-teaching-online-88034b443b5, zuletzt aktualisiert am 05.07.2020, zuletzt geprüft am 09.07.2020.
Stenger, Scott (2020): In Hybrid Classes, Some Students Are Likely to Feel Left Out. Hg. v. Harvard Business Publishing Education. Online verfügbar unter https://hbsp.harvard.edu/inspiring-minds/in-hybrid-classes-some-students-are-likely-to-feel-left-out, zuletzt aktualisiert am 14.05.2020, zuletzt geprüft am 15.07.2020.
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