Change-Management: Gute Lehre, Digitalisierung und Modernisierungen mit Studynet 3.0. Ein Praxisbericht der Universität St.Gallen

Change-Management: Gute Lehre, Digitalisierung und Modernisierungen mit Studynet 3.0. Ein Praxisbericht der Universität St.Gallen

11.09.19

Technology Success Digitization

„Annahme und Nutzung der technischen Möglichkeiten sind der Gradmesser für den Erfolg des Digitalisierungsprozesses.“ In ihrem Gastbeitrag schreibt Jacqueline Gasser-Beck, Leiterin des „Teaching Innovation Lab“ an der Universität St.Gallen einen Praxisbericht über die Anwendung des neuen Learning Management Systems „Studynet 3.0„.

Technologie Erfolg Digitalisierung

Einleitung

Im Selbstverständnis der Universität St.Gallen (HSG) spielt die Lehre eine zentrale Rolle – so haben wir in unserem Leitbild festgeschrieben, dass wir als „führende Wirtschaftsuniversität […] in Forschung und Lehre weltweit Massstäbe“ setzen wollen. Um dieser Anforderung an uns selbst gerecht zu werden, müssen wir in einer sich ständig wandelnden Welt Veränderung annehmen und mitgestalten – auch und insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung der Hochschule. Doch dabei geht es, wie auch Felix Stalder in seinem Beitrag zu Herausforderungen der Digitalität schreibt, nicht in erster Linie um Hard- oder Software. Wenn wir global Standards für gute Lehre setzen wollen, stehen andere Fragen im Mittelpunkt. Warum überhaupt digitale Lehre? Was sind die Herausforderungen bei der Digitalisierung der Hochschule? Wie erreichen wir maximale Zustimmung zur Nutzung digitaler Werkzeuge? Denn Annahme und Nutzung der technischen Möglichkeiten sind der Gradmesser für den Erfolg des Digitalisierungsprozesses.Universität St. Gallen

Veränderungsprozess in drei Phasen

Die Digitalisierung der Hochschule ist kein Selbstzweck, sondern bietet die Möglichkeit, gewachsene Strukturen (wieder einmal) in Frage zu stellen. Deshalb bedeutet die Digitalisierung der Lehre „Change“ im besten Sinne: eine Veränderung mit Auswirkung auf alle Bereiche der Hochschule mit dem Ziel der kontinuierlichen Qualitätssteigerung. Dabei unterscheiden wir drei Phasen: Veränderung beginnt mit Vision und Zielbestimmung. In der zweiten Phase geht es dann um die Umsetzung – hier spielt die Sicherstellung von Akzeptanz durch alle betroffenen Gruppen die wichtigste Rolle. In der dritten Phase steht dann die digitalisierte Hochschule, die auf sich ändernde Anforderungen flexibel reagieren kann. 

Am Anfang stehen Vision und Zielbestimmung

Die universitätsweite Vision von der Lehre an der HSG war 2015 Ausgangspunkt des Change Prozesses. Eine ganzheitliche Lehre, die globale Standards setzt und durch Innovationen stetig verbessert werden kann, war nach Einschätzung aller Beteiligten nur mithilfe einer technologiegestützten Lehrentwicklung möglich. Doch das bestehende Learning Management System (LMS) „StudyNet 2“ war an seine Grenzen gekommen: die vielfältigen Lehr- und Prüfungsformate der HSG sowie mobile Endgeräte wurden kaum unterstützt. Auch war das Einpflegen von Inhalten ziemlich aufwändig. Deshalb nutzten digitalaffine Dozierende und Studierende zunehmend die Angebote anderer, externer Anbieter wie Google Apps, Slack oder Trello – doch solche externen Services ließen sich wiederum nicht in das bestehende System einbinden.

Anforderungen an die Lernumgebung und Technologie-Auswahl

Um die Realisierung des Wunschergebnisses – eines LMS, das nicht nur als reine Dokumentenablage genutzt wird, sondern hochwertige und innovative Lehre unterstützt – sicherzustellen, wurde an der HSG eine zweijährige Evaluationsphase durchgeführt. Dabei wurden zunächst mithilfe einer Pilotstudie die Bedürfnisse der unterschiedlichen Anspruchsgruppen erhoben:

  • Studierende legen vor allem Wert auf eine moderne und benutzerfreundliche Plattform, die den individuellen Lernprozess unterstützt.
  • Dozierende benötigen die Unterstützung innovativer Lehrformate und eine einfache Einbindung externer Inhalte und Services.
  • Für die IT sind einfache Wartung, Sicherheit und Stabilität zentral.
  • Aus Sicht der Verwaltung spielen Compliance und die Möglichkeit zur qualitätsbasierten Evaluation von Studienangeboten (Stichwort: Assurances of Learning) eine wichtige Rolle.

Die technischen Anforderungen wurden dann in einem Pflichtenheft für das neue LMS „StudyNet 3.0“ erstellt: Unterstützung innovativer Lehr- und Prüfungsformate (wie Flipped Classroom, Blended Learning, Peer Assessment), die Einbindung von Standardsoftware wie Office 365 und mobiler Endgeräte sowie die Integration von Werkzeugen zur Analyse von Lehr- und Lernerfolgen. Am Ende dieser ersten Phase stand dann nach einer ausführlichen Marktanalyse die Entscheidung für die Lernplattform Canvas von Instructure.

Phase 2 – Beteiligung und Unterstützung stellen Nutzerakzeptanz sicher

Die Anforderungen der HSG an die Nutzerakzeptanz sind hoch: innerhalb von 2 Jahren wird eine Adoptionsrate von 90% angestrebt. Die erste Säule für das Erreichen dieser Nutzerakzeptanz in der Umsetzungsphase – Phase 2 des Change-Prozesses – bildet die Beteiligung der Pilotgruppe an der Entscheidung für das LMS: In einem gemeinschaftlichen Prozess konnten sich alle Nutzergruppen einbringen und die Technik testen. Die zweite Säule für die Nutzerakzeptanz sind die umfassenden Unterstützungsangeboten für Dozierende:

Zum Rollout des neuen Systems boten das Hochschuldidaktische Zentrum (HDZ) und Instructure zahlreiche Schulungen in unterschiedlichen Formaten an.
Vielfältige Trainingsangebote des HDZ zeigen den Dozierenden kontinuierlich auf, wie qualitativ hochwertige Lehre unter Einbezug neuer digitaler Tools aussehen kann. Dabei werden Unterschiede in der Digital Literacy der Dozierenden berücksichtigt.
Ein designierter „Tag der Lehre“ sorgt mit Best Practice-Beispielen für den Transfer von Knowhow innerhalb der Institution. Durch die Einbeziehung externer Experten profitieren die Dozierenden der HSG zusätzlich von den Erfahrungen anderer Hochschulen.
Im Rahmen eines „Train-the-trainer“-Programms werden Studierende kontinuierlich zu Tutoren aufgebaut, die dann Dozierende bei der Umsetzung digitaler Lehrformate unterstützen. Damit ermächtigt die Studentenschaft die Dozierenden und die aktive Rolle der Studierenden wird gestärkt.

Eine aktuelle und transparente Kommunikationsstrategie bildet die dritte Säule für das Erreichen der Nutzerakzeptanz: Eine dedizierte Webseite liefert jederzeit über den Projektstand Auskunft und stellt die Schulungsunterlagen sowohl schriftlich als auch über Videos zur Verfügung. Massenmailings stellen sicher, dass aktuelle Informationen auch externe Dozierende erreichen und über die nächsten Schritte informieren. Informationsveranstaltungen für spezifische Organisationseinheiten, die verschiedenen Schools der HSG und Studierende ergänzen die elektronischen Informationsangebote.Technikaffinität

Phase 3: Herausforderungen und Chancen der digitalisierten Hochschule

Wie auch in anderen Change-Prozessen zeigen sich viele Herausforderungen der digitalisierten Hochschule vor allem im Betrieb: Unerwartet schwierig war es, externe Dozierende sowie die in unterschiedlichsten Formaten eingeschriebenen Studierenden mit den relevanten Botschaften zu erreichen. Hier hat sich der Aufbau von Communities als Möglichkeit erwiesen, um Studierende und Dozierende von der neuen Technologie zu überzeugen. Zum zweiten stellen Unterschiede in Digital Literacy und Technikaffinität besonders bei den Dozierenden eine Herausforderung dar: Schulungen und Systemkonfiguration müssen den unterschiedlichen Bedürfnissen und Präferenzen Rechnung tragen. Die Heterogenität erzwingt – und das ist sowohl Herausforderung als auch Vorteil – eine Ausrichtung am Bedarf der Nutzenden und nicht an internen Prozessen und Strukturen. Und drittens wurde der Wechsel zu Canvas von vielen Dozierenden als Quantensprung empfunden, der etablierte Formate obsolet macht. Um die Möglichkeiten der Technologie sinnvoll zu nutzen, war in vielen Fällen ein komplettes Umdenken notwendig. Der entsprechende Kulturwandel kann nur gelingen, wenn sich pädagogischer und digitaler Wandel wechselseitig unterstützen und durchdringen.

Pflichtkurs Controlling als Erfolgsbeispiel

Ein positives Beispiel für die Synergie dieser beiden Bereiche ist der Pflichtkurs Controlling mit einer Zielgruppe von mehr als 800 Teilnehmern. Ein sorgfältig geplanter Lernpfad aus Online- und Offline-Elementen erlaubt interaktiven Unterricht, Teamarbeit der Studierenden, individuelle Lernkontrolle und umfassendes und schnelles Feedback an die Studierenden: Den ersten Schritt bilden ein kurzes Einführungsvideo, Lesematerialien und digitale Übungen, die ohne Medienbrüche innerhalb der Lernplattform genutzt werden können. Die Präsenzvorlesung und -übung vertiefen und wiederholen die Lerninhalte, anschließend können die Studierende in Chats und Foren zeitnahes Feedback erhalten. Und auch in der Kontrolle des Lernerfolgs werden die digitalen Möglichkeiten genutzt: Studierende bearbeiten in einer interaktiven Gruppenaufgabe eine Fallstudie und präsentieren ihre Ergebnisse in einem frei wählbaren Videoformat – von Powerpoint-Präsentation mit Voiceover bis zum Kurzfilm ist alles möglich. Feedback erfolgt über Peer Review, und die ergänzende Abschlussklausur erfolgt ebenfalls online im Multiple Choice-Format. Somit unterstützen die digitalen Werkzeuge umfassend den Einsatz involvierender Lehrtechniken und die Entwicklung zentraler Kompetenzen bei den Studierenden.Ganzheitliche Lehre.

Fazit: StudyNet 3.0 unterstützt kontinuierliche Verbesserung der Lernerfahrung

Das Fazit zur Digitalisierung an der HSG ist positiv. Die Potentiale der Digitalisierung lassen sich nutzen, um Vision und Ziele der HSG zu erreichen. Der zunehmende Einsatz von Blended Learning-Formaten verbessert die Qualität der Lehre und unterstützt den Erwerb zentraler Kompetenzen. Studierende übernehmen durch mobiles und omnipräsentes Lernen zunehmend Verantwortung für ihren Lernprozess. Und durch den Einsatz von Teaching und Learning Analytics können die vorhandenen Lehrprogramme kontinuierlich fortentwickelt und ihre Qualität gesichert und gesteigert werden.

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