Semester oder Nicht-Semester, das ist hier die Frage

Semester oder Nicht-Semester, das ist hier die Frage

27.04.20

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Im März veröffentlichten die Professorinnen Paula-Irene Villa Braslavsky, Andrea Geier und Ruth Mayer einen offenen offenen Brief mit der Forderung eines Nicht-Semesters. Dieser trat eine breite Diskussion los. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags (27.04.2020) wurde er 15.668-mal unterzeichnet. Dabei geht es, wie die Autor*innen auch selbst klar gemacht haben, nicht darum, sich an der Bezeichnung abzuarbeiten. Ob Flexisemester, Kann-Semester oder das von zahlreichen Studierendenvertreter*innen geforderte Solidarsemester: Richtig ist, dass das Sommersemester nicht wie gewohnt ablaufen kann. Eine schnelle Rückkehr zum Status Quo ist reines Wunschdenken – und möglicherweise gar nicht erstrebenswert.

Leerer Hörsaal in Zeiten von Corona

Digitaler Wandel an den Hochschulen – jetzt erst recht

Wir müssen nichts schönreden. Die Coronapandemie hat eine gesamtgesellschaftliche Krise ausgelöst, der sich niemand entziehen kann, auch nicht die Angehörigen der Hochschulen. Neben neuen Herausforderungen werden nun auch Probleme besonders sichtbar, die seit Jahren schwelen, wie die Unterfinanzierung von Hochschulen, fehlende technische und digitale Infrastruktur und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Da oftmals außerdem Anreize für innovative und aufwendigere Lehrformate fehlen, müssen jetzt kurzfristig viele, auch zeitliche Ressourcen für die Umgestaltung der Lehre bereitgestellt werden.

Durch die Krise sind wir nun gezwungen, schnell (digitale) Lösungen zu finden. Wir sind uns natürlich im Klaren, dass nicht jedes neu eingeführte Lehrformat erfolgreich ist. Dennoch wünschen wir uns, dass digitale Lösungen, die jetzt eingeführt werden, auch noch nach der Krise einen Mehrwert stiften. Diese digitalen Formate und Instrumente sollten nicht nur eine simple Spiegelung von analogen Formaten im Sinne von “Digitisation” sein. Vielmehr ist eine “digitale Transformation” der Lehrformate erstrebenswert. Einige mehr oder weniger bewährte Formate aus dem analogen Seminarraum funktionieren ohne Präsenzphasen nur schlecht oder gar nicht. Dafür gibt es andere Formate, die im virtuellen Seminarraum sehr gut gelingen. Dass dabei am Anfang einiges schief gehen kann und sich manche Formate in der Praxis vielleicht doch nicht bewähren, ist völlig in Ordnung. Früh scheitern und andere Formate ausprobieren ist sinnvoll. Was sich bewährt, kann dann auch nach Rückkehr zum Normalbetrieb beibehalten werden. Auch alternative Prüfungsformate, die jetzt aufgrund der Krise genutzt werden, müssen nicht auf ein Semester beschränkt sein. Auch Studierende, die sich in Zukunft beispielsweise im Ausland befinden oder aus anderen Gründen nicht physisch anwesend sein können, sollen davon profitieren können.

Es ist dringend notwendig, dass die Hochschulen sich zu einheitlichen Qualitätsstandards für digitale Lehre bekennen. Ein wichtiges Kriterium für die Qualitätssicherung muss die Einbindung von Studierenden in die Gestaltung von Studiengängen und Prüfungsordnungen sein. Gerade in der aktuellen Phase, in der Hochschulen schnell ihre Regularien an neue Lehr- und Prüfungsformen anpassen müssen, dürfen die Studierenden nicht übergangen werden. Langfristig muss das Ziel sein, bei allen digitalen Lehrformaten immer die Inklusion der Studierenden mitzudenken. In der Praxis heißt das, dass verschiedene Möglichkeiten zur Teilnahme an Modulen bereitgestellt werden. Dafür müssen neue Lehrkonzepte ausgearbeitet und Experiementierräume bei freiwilligen Formaten genutzt werden. 

Die digitalen Kompetenzen von Studierenden sind, ebenso wie bei Lehrenden, sehr unterschiedlich. Gleichzeitig gibt es ein riesiges Potential von Fähigkeiten und Kenntnissen unter den Studierenden, das genutzt werden kann um Lehrveranstaltungen durchzuführen. Sammlungen von digitalen Tools hat das HFD bereitgestellt. Je nach Fachgebiet und Lehrveranstaltungstyp eigenen sich andere Formate. Digitale Lehre muss keineswegs eine Einbahnstraße sein, bei der die Studierenden nur als Konsumenten an den Endgeräten sitzen. 

Studierende müssen an diesen dringend nötigen Veränderungsprozesse beteiligt werden – sind sie es an Ihrer Hochschule noch nicht muss sich das schnellstmöglich ändern. Der Wunsch danach, schnelle Entscheidungen zu treffen und Tatsachen zu schaffen ist verständlich. Allerdings wäre es gerade jetzt fatal, Studierende und andere Statusgruppen außenvorzulassen. Damit wird die Chance, dass aus der ad hoc Digitalisierung eine nachhaltige Verbesserung der digitalen Lehre an den Hochschulen wird, verspielt.

Trotz aller Möglichkeiten, die sich bieten um Lehre ad hoc zu digitalisieren, müssen sich alle Akteur*innen eingestehen: Selbst wenn über die Köpfe des Großteils der Hochschulangehörigen Entscheidungen über den Ablauf des Sommersemesters 2020 gefällt werden, die im kommenden Semester praktizierte Lehre ohne Präsenzphasen wird weitestgehend ein Provisorium sein und sicherlich nicht in allen Fächern gleich gut funktionieren. Dementsprechend muss mit Hochdruck daran gearbeitet werden, den Studierenden Nachteilsausgleiche zur Verfügung zu stellen und sie mit einem breiten Beratungs- und Hilfsangebot zu unterstützen.

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Lehre ja, Teilnahmepflicht nein? Ad-Hoc-Digitalisierung als Gefahr für Chancengerechtigkeit

Die Debatte um Teilnahmepflicht an Lehrveranstaltungen wird oft geführt, allerdings selten ergebnisoffen. Im Rahmen eines größtenteils digital angebotenen Semesters entfaltet die Frage jedoch neue Brisanz, besonders da das Bundesministerium für Bildung und Forschung BAföG-Bezieher*innen zur Teilnahme an Online-Lehrangeboten verpflichten möchte. Ansonsten sollen diese den Anspruch auf Leistungen verlieren.

Doch wie bereits angeführt ist es mehr als fragwürdig, ob das Online-Lehrangebot der Hochschulen flächendeckend auf dem Niveau der bisherigen Lehre sein kann. Sowohl in Bezug auf die Vermittlung als auch auf den Lernerfolg der Studierenden. Eine Teilnahmepflicht lässt den Studierenden keine Möglichkeit, ihre Zeit zu nutzen sich den Stoff auf die zu ihrem Lerntyp passende Art und Weise anzueignen.

Außerdem gibt es ganz einfache strukturelle Hürden für die Teilnahme an Online-Lehre, die nicht so einfach aus dem Weg geräumt werden können. Hochschulen können so viele Big-Blue-Button-Server wie sie wollen aufsetzen: Der Bottleneck ist das Netz außerhalb der Hochschule. Studierende sitzen möglicherweise bei ihren Eltern auf dem Land – oder alle im Wohnheim sind gerade in unterschiedlichen Online-Lehrveranstaltungen.

Wer kann garantieren, dass Studierende immer ausreichend stabiles Internet für eine problemlose Teilnahme haben? Ganz abgesehen davon, dass sie möglicherweise keinen ruhigen Ort zum Lernen haben oder keine ausreichende Hardware besitzen. Die Ad-Hoc-Digitalisierung an den Hochschulen wird damit zur Gefahr für die Chancengerechtigkeit und verstärkt bestehende Ungleichheiten.

Ein weiterer Punkt ist, dass Studierende nicht gezwungen sein dürfen, ihre Daten an Drittanbieter weiterzugeben. Aufgrund mangelnder digitaler Infrastruktur an den Hochschulen weichen Lehrende beispielsweise auf Instagram aus, Hochschulen kaufen hektisch Zoom-Lizenzen. Studierende, die kommerzielle Anbieter mit fragwürdigen Datenschutz-Praktiken nicht nutzen wollen, geraten durch eine Teilnahmepflicht noch mehr unter Druck. 

Um Studierenden die Teilnahme zu ermöglichen, anstatt sie nur zu verpflichten, müssen Open-Source-Werkzeuge mittelfristig zum Standard an Hochschulen werden. Die Investition in Fachkräfte lohnt sich ohnehin mehr als die Investition in kommerzielle Software. Teilnahmepflichten an Online-Lehrveranstaltungen lösen kein Problem, sie erhöhen nur den Druck auf Studierende in einer bereits höchst belastenden Situation.

Der #CoronaCampus ist eine Herausforderung für die gesamte Hochschule

Die Hochschule als Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ist nicht nur eine hohle Phrase. Das soziale Umfeld, das Hochschulen bieten, ermöglicht Studierenden ihre Interessen und Stärken zu entdecken und weiterzuentwickeln, Unterstützung zu finden – und auch einfach mal gemeinsam loszulassen, zu lachen und zu feiern. Davon sind Studierende und andere Hochschulangehörige auf einmal abgeschnitten.

Eine große Herausforderung der kommenden Monate wird sein, wie wir die technischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, nutzen um die Distanz zwischen einander zu überbrücken. Stellen wir uns vor wir bekommen ausgeklügelte eLearning-Konzepte und stabile Videochats – eine Randnotiz, wenn Studierende sich nicht wohl fühlen in einem Videochat ihre Kamera anzuschalten, seien Sie rücksichtsvoll – dann fehlt immer noch die Möglichkeit kurz bei der Fachschaft vorbeizuschauen oder einen Vorlesungstag gemeinsam Ausklingen zu lassen. Auch das digitale Campus-Leben braucht eine Infrastruktur und Freiräume. Diese sollten den Studierenden zur Verfügung gestellt und ihnen Möglichkeiten zum Experimentieren gegeben werden. 

Wir sind gespannt auf das kommende Semester und wünschen uns bei allen Hochschulangehörigen das Mindset, die Herausforderungen gemeinsam anzugehen und die Expertise und Perspektive aller einzubeziehen. Der digitale Wandel bedeutet im besten Fall eine engere Vernetzung und schnellerer Austausch von Informationen untereinander. Er eröffnet neue Partizipationsformate. Lassen Sie uns diese Chance (endlich) ganzheitlich nutzen.

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