Digital native ist nicht gleich digital ready – aktuelle PISA-Daten rütteln an vorherrschenden Annahmen zur digitalen Kompetenz

Digital native ist nicht gleich digital ready – aktuelle PISA-Daten rütteln an vorherrschenden Annahmen zur digitalen Kompetenz

01.10.15

Sind die so genannten „Digital Natives“ tatsächlich digital kompetent? Neue Daten von der OECD sprechen dagegen.

Oft ist die Rede davon, dass nun eine Generation von Studierenden an den Hochschulen ein Studium aufnimmt, die in einer von digitalen Medien durch und durch geprägten Gesellschaft aufgewachsen sind. „Sie alle sind das, was wir Digital Natives nennen – Menschen also, die nach 1980 direkt in das digitale Zeitalter hineingeboren wurden. Sie sind durchweg vernetzt und mit den neuen digitalen Medien und Möglichkeiten bestens vertraut.“[1] Es wird davon ausgegangen, dass alle Mitglieder dieser aktuell an die Hochschulen strömenden Generation versiert im Umgang mit neuen Technologien und digitalen Medien sind. Warum auch nicht? Wir alle haben das Bild der komplett verkabelten Teenies vor Augen, die mühelos auf dem Tablet wischend in der einen und auf dem Smartphone Musik und Kommunikation steuernd in der anderen Hand ihren von allumfassender Digitalität geprägten Alltag meistern. Basierend auf dieser Annahme wird dann davon ausgegangen, dass die Hochschullehrenden als sogenannte Digital Immigrants oder Digital Adaptives im Umgang mit digitalen Medien ihren Studierenden weit unterlegen sind. Doch inwiefern deckt sich diese den Studienanfängerinnen und -anfängern attestierte umfangreiche digitale Kompetenz mit der Realität?

Nun geben uns die jüngst veröffentlichten PISA-Ergebnisse zur digitalen Lesekompetenz empirisch belastbaren Anlass zum Überdenken dieser vorherrschenden Annahme zur digitalen Kompetenz der deutschen Jugendlichen im globalen Vergleich. Im Rahmen der international vergleichenden Untersuchung „PISA Digital Skills“ wurde unter 15-jährigen Schülerinnen und Schülern überprüft, inwiefern sie Website-Texte lesen, navigieren und verstehen können. In einer realitätsnah simulierten Browser-Umgebung, wurde das eigenständige Erschließen und Verstehen von Website-Inhalten untersucht. Dem Untersuchungsdesign liegt die Annahme zugrunde, dass Offline-Lesen nicht gleich dem Online-Lesen entspricht. Um Online-Inhalte zu lesen, sind verstärkt weitere Kompetenzen zum Navigieren, Filtern und Konzentrieren notwendig. Der durch digitale Medien ermöglichte Zugriff auf eine unendliche Fülle von schnell verfügbaren Informationen erfordert daher einen umso kompetenteren Umgang damit, um im Ergebnis Informationszuwächse und Lerneffekte auf Benutzer(innen)ebene zu erzielen.

Im Ergebnis zeigt sich, dass junge Erwachsene in Deutschland im Durchschnitt im internationalen Vergleich über eher mittelmäßige digitale Lesekompetenzen verfügen. Die Daten verdeutlichen, dass generell – nicht nur in Deutschland – keine allumfassende E-Kompetenz bei Studienanfängerinnen und -anfängern vorausgesetzt werden sollte. Gerade bei diesen für ein erfolgreiches Hochschulstudium besonders relevanten digitalen Kompetenzen (Informationszugang, -filtern und -verarbeitung) kann nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Studierenden bei Studienbeginn über sie verfügen. Des Weiteren verdeutlichen die Daten insbesondere für die Mediendidaktik an den deutschen Hochschulen, dass in der Konzeptions- und Implementierungsphase des Einsatzes digitaler Medien in Studium und Lehre die heterogenen digitalen Kompetenzprofile der Studierendenschaft berücksichtigt werden müssen. Der Bericht zu den Ergebnissen stellt heraus, dass gerade sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche eher über schlechter ausgeprägte digitale Lesekompetenzen verfügen. Gleichzeitig wird klar, dass die weitere Herausbildung digitaler Kompetenzen stärker in den Bildungsauftrag der deutschen Hochschulen verankert werden muss. Der Einsatz digitaler Medien in Studium und Lehre kann dabei, falls didaktisch sinnvoll und zweckmäßig eingesetzt, einen entscheidenden Beitrag leisten. So heißt es folgerichtig in einer der 20 vor kurzer Zeit vom Hochschulforum Digitalisierung veröffentlichten Thesen:

„Digitale Medien bieten [..] eine Vielzahl von Möglichkeiten, bestehende Formen der Präsenzlehre zu erweitern und zu verbessern. Durch ihren Einsatz werden die digitalen Kompetenzen der Studierenden gezielt gefördert, was auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung und Globalisierung der Arbeitswelt eine zentrale Anforderung an die Hochschulbildung darstellt.“

Von der Integration digitaler Technologien in Bildungsprozesse an Hochschulen sollte jedoch nicht an sich erwartet werden, dass bereits dem Prozess der Nutzung dieser eine Wirkung immanent innewohnt. Die PISA-Ergebnisse zur digitalen Lesekompetenz lehren uns eindrucksvoll, dass man sich von Mediennutzung in isolierter Form als solche keine monokausale Wirkung auf die Medienkompetenzen versprechen sollte. Das Über-Bord-Werfen der weitverbreiteten Vorstellung, alleine die Einführung digitaler Technologien in Bildungskontexten würde in disruptiver Weise als Katalysator Lernprozesse auf ein höheres Qualitätsniveau hieven, kann dann im Sinne von Kerres (2000) sogar paradoxerweise zu einer stärkeren Entfaltung der möglichen Potentiale von digitalen Medien in der Bildungspraxis führen.

Erst die mediendidaktische Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Kontexten des Einsatzes digitaler Medien sowie das stärkere Akzeptieren dieser als Mittel zum und nicht Zweck an sich generiert dann reale und nicht nur vermutete Mehrwerte für individuelle Lernprozesse. Verstehen wir digitale Medien als Erweiterung des Optionsraumes an Werkzeugen zum Erschließen von Wissen, sollten wir den Studierenden nicht nur den Werkzeugraum aufschließen sondern auch mit eintreten und die Bedienungsanleitungen mitgeben.

[1] Palfrey, John/Gasser, Urs (2008): Generation Internet. Die Digital Natives: Wie sie leben – was sie denken – wie sie arbeiten

Bild 1: Tekniska museet: 43964, CC-BY 2.0 via flickr.com

Bild 2: Screenshot von PISA Digital Skills, OECD: http://www.compareyourcountry.org/pisa-digital?cr=oecd&cr1=oecd&lg=en&page=1#

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