re:learn auf der re:publica 2019

re:learn auf der re:publica 2019

10.05.19

Konferenzgeländer der Republica mit U-Bahn im Hintergund

 

Konferenzgelände der Re:publica mit U-Bahn im Hintergund. Hier fand die re:learn statt.

Bunte Lichter, Technomusik, exotisches Essen aus mobilen Ständen und Ströme von jungen Menschen. Was auf den ersten Blick anmutet, wie ein elektronisches Musikfestival, ist in Wahrheit die Digitalkonferenz re:publica, die in dieser Woche zum 13. Mal in Berlin stattfand. Seit 2012 in der STATION Berlin zu Hause, fand die Konferenz auch in diesem Jahr im modernen Kongresszentrum im alten Dresdener Bahnhof zwischen Backsteinbauten und vorbeikachelnden U-Bahnen statt. Auch Mitglieder des HFD-Teams waren an den Veranstaltungstagen vor Ort. Willi Weisflog blickt auf drei Tage re:publica zurück und hat seine Eindrücke in einem persönlichen re:cap festgehalten.

Eröffnet wurde die Konferenz vom Bundespräsidenten höchstpersönlich, der gleich eines der Lieblingszitate der Konferenz schuf, als er erklärte, es gehe „nicht um eine Digitalisierung der Demokratie, sondern eine Demokratisierung des Digitalen“. Das Themensprektrum war gewohnt bunt. Zum ersten Mal gab es in diesem Jahr über die gesamten drei Tage auch eine eigene Bühne und eine eigene Workshop Area zum Thema Bildung unter dem Titel “re:learn”. Drei Themen, die sich durch die hier angebotenen verschiedenen Formate zogen, waren Offene Bildung, neue Technologien und Kompetenzen für das digitale Zeitalter.

 

Offene Bildung

In mehreren Sessions wurde sich mit den Möglichkeiten und der tatsächlichen Umsetzung von Offener Bildung auseinandergesetzt. Dominik Theis vom Bündnis Freie Bildung plädierte für eine stärkere Förderung von offenen Bildungsmaterialien, Alexander Kiy und Michael Krause von der Uni Potsdam empfehlen Schulen, bei der Einrichtung von Open Source Learning Management Systemen von den Hochschulen zu lernen und Maximilian Voigt von der Open Knowledge Foundation ermöglicht handfestes Lernen in offenen Werkstätten. Offenheit als Prinzip in der Bildung scheint en vogue zu sein. Auch die Bundesregierung hat bereits 2016 zwei Förderrichtlinien angestoßen und will nun laut Koalitionsvertrag “im Rahmen einer umfassenden Open Educational Resources-Strategie (…) die Entstehung und Verfügbarkeit, die Weiterverbreitung und den didaktisch fundierten Einsatz offen lizenzierter, frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien fördern und eine geeignete Qualitätssicherung etablieren.” Das hört sich doch überzeugend an. Können die Vertreter*innen des Bündnis Freie Bildung, die sich selbst als “Lobbyisten für freie Bildung” bezeichnen, dann nicht guten Gewissens ihre Mission als erfolgreich abgeschlossen betrachten und sich zurücklehnen? “Die Förderung ist ausgelaufen und viele Projekte mangels Finanzierung eingeschlafen”, sagt Dominik Theis im Gespräch, “Die Bundesregierung fokussiert den Aufbau der Infrastruktur. Was aber fehlt, ist der Aufbau digitaler Kompetenzen durch eine Weiterbildung der Lehrkräfte.”

 

 

Große Sorgen macht den im Verein engagierten die dadurch begünstigte Abhängigkeit von privaten Anbietern: Viele Bildungsinstitutionen erliegen der Versuchung von privaten Anbietern wie Microsoft zur Verfügung gestellter “Rundum-Sorglos-Pakete”. Diese Angebote erlauben es z.B. Schulen sofort ohne großen Aufwand – und oft zu Beginn auch kostenlos – mit digitalen Lehrmaterialien zu arbeiten. Die große Gefahr sieht Dominik Theis in “Lock-In-Effekten”, also einem Gefangensein bei dem Anbieter, den man zu Beginn gewählt hat durch hohe Wechselkosten. Er empfiehlt daher, den Extra-Aufwand nicht zu scheuen und sich als Bildungsinstitution intensiv mit digitalen Bildungsmaterialien, Open Source Systemen und entsprechenden pädagogischen sowie didaktischen Ansätzen zu beschäftigen. Alexander Kiy und Michael Krause von der Uni Potsdam betonen in ihrem Workshop, dass die Hochschulen in den letzten Jahren massiv an Expertise im Bereich der Open Source Systeme dazugewonnen hätten und dieses Wissen nicht ausreichend in die Digitalisierung der Schulen einfließe. Institutionelle Silos, z.B. durch die Trennung von Hochschuldidaktik und Lehrerbildung oder der zuständigen Ministerien für Schule und Hochschule, erschweren den Wissenstransfer. Die Schulen sollten sich also die Expertise der Hochschulen einholen, anstatt von null anzufangen, aber auch die Hochschulen sollten dieses Wissen proaktiv und selbstbewusst einbringen.

 

 

Lerntechnologien

Die lustig anzusehenden, durch virtuelle Welten tapsenden Menschen mit VR-Brille, die man immer öfter auf (Digital)Konferenzen sieht, durften natürlich auch auf der re:publica nicht fehlen. Garniert wurde das Ganze mit einem Vortrag zur Nutzung von VR im Bildungsbereich, der für die Stärken von VR geworben hat: bessere Erinnerung durch Kopplung von Gedächtnisinhalten mit Emotionen, Nützlichkeit für besondere Lernfelder wie die Medizinerausbildung oder die Veranschaulichung von historischen Ereignissen. Einen deutlich überraschenderen und visionären Vortrag zum Thema Lerntechnologien hielt HFD-Netzwerkmitglied und bekennender HFDcert-Fan Thomas Bröker von Zeichenwasser unter dem Titel “Multiplayer Online – Das Lernen der Zukunft”: Selbst erst im Erwachsenenalter einen Zugang zu Massive Multiplay Online Games (MMOGs) gefunden, hat der Ingenieur das Potential dieser Spiele fürs Lernen entdeckt: Während die Künstliche Intelligenz viele einfache Jobs wegrationalisiert, werden diejenigen bleiben, die komplex sind. Daher muss zukünftiges Lernen darauf vorbereiten, mit komplexen Situationen umgehen können, anstatt sich nach und nach kleine unabhängige Wissenspäckchen anzueignen. Die gängigen Learning Management Systeme erlauben aber kein problembasiertes Lernen. Und während gute Lehre nicht skalierbar sei, können MMOGs gutes Lernen skalierbar machen. Spiele wie EVE Online seien komplexer als alles, was den Studierenden im Masterstudiengang Bauphysik, den Bröker mit entwickelt hat, beigebracht werde. Erfolg im Spiel erfordert ausdauerndes Lernen und langfristige Planung, ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge, die Wissensvermittlung erfolgt auf Peer-Ebene im Team. Und wer erst richtig eingetaucht sei, komme so leicht nicht mehr los. Wer kann das schon vom Modul “Feuchteprozesse und stoffliche Grundlagen” behaupten? Bis das Massive Multiplayer Online Learning wirklich erfolgreich sei, müsse allerdings noch einiges geschehen: Es müssen Grenzen überwunden werden zwischen Lernenden und Lehrenden, zwischen Schule, Studium und Arbeit, zwischen Institutionen und Unis, damit jeder jederzeit mitmachen kann. Das würde digitales Lernen wirklich weiterbringen.

 

 

Kompetenzen für das 21. Jahrhundert

Um die Vermittlung von Future Skills geht es auch im Workshop von Sophia Rost und HFD-Netzwerkmitglied Jörg Hafer von der Uni Potsdam. Unter dem Titel “A University for the 21st Century” wurden die Teilnehmenden herausgefordert, sich die gesamte Universität als problembasierte Institution vorzustellen. Ausgehend von den Future Skills-Frameworks von Ehlers & Kellermann (2019) und Schleicher (2018) beschreiben Rost & Hafer die drei Komponenten, die zeitgemäßes Lernen beinhalten muss. Während “Learning as transmission of knowledge” und “Learning as self-directed acquisition of knowledge” in den Hochschulen breit abgebildet sind, wird die humanistische Komponente “Learning of transformation of personality and world” zu sehr vernachlässigt um einen tatsächlich holistischen Ansatz des Lehrens und Lernens zu verwirklichen. Als Lösung dafür schlagen die beiden problembasiertes Lernen (PBL) vor – Lernen durch Bearbeitung real bestehender Probleme in selbstregulierter und selbstorganisierter Gruppenarbeit. Entscheidend für erfolgreiches PBL sind relevante und authentische Kontexte für die Lernenden sowie das Hinarbeiten auf eine konkrete Lösung. Die Lehrenden wechseln dabei von der Rolle der Wissensvermittler*innen in die Rolle der Mentor*innen. Als Vision für die Universität der Zukunft sehen sie nicht nur PBL-Module in der klassischen Universität, sondern eine Institution, die sich das Prinzip des PBL für alle Bereiche zu eigen macht.  Als vorbildliches Beispiel für die Umsetzung dieses Ansatzes wird noch das Projekt LIFE as Learning in Interdisciplinary Focused Environment der Universität Tallinn erwähnt. In Kleingruppen erarbeiteten die Teilnehmer*innen, welche fundamentalen Änderungen dies für die Studienprogramme, die Organisation, die Kompetenzfeststellung und die Räume der Hochschule bedeuten würde und wie sie umgesetzt werden könnten.

 

Wen die ausführliche Workshopdokumentation und Ergebnisse aus den Kleingruppen interessieren, dem sei das dazugehörige Padlet empfohlen, mit der Einladung das Thema gemeinsam weiter zu vertiefen. Für alle anderen haben wir ein spontanes Kurz-Interview mit Sophia Rost und Jörg Hafer geführt:

 

Was müssen Studierende an einer Universität im 21. Jahrhundert lernen? 

Eine Konstante in der Zukunft wird die Veränderung sein. Hervorgerufen durch technologisch-ökonomische Entwicklungen sowie Krisen und Ereignisse entstehen neue Situationen, die meist problematisch sind oder zumindest gestaltet werden müssen. Die neuen Probleme lösen die alten nicht einfach ab, sondern überlagern sie und verquicken sich mit ihnen. Mit der resultierenden Unsicherheit und Komplexität müssen wir und vor allem zukünftige Generationen zunehmend umgehen können. Das schlichte Abrufen erlernter Wissensbestände reicht da nicht mehr aus. Intelligente Lösungen entstehen vielmehr, wenn Menschen sie gemeinsam erarbeiten und dabei aber kritisch Situationen analysieren, kreativ Lösungswege aufzeigen und kommunizieren können. Diese Fähigkeiten sollten alle bereits in der Schule erlernen. In Hochschulen sollten sie daher selbstverständlich in den Curricula und Lernmethoden integriert sein und mit dem Fachwissen erlernt werden.

Wie trägt PBL dazu bei, diese Kompetenzen zu fördern?

„Problem Based Learning“ (PBL) ist ein gut bekannter und seit ca. 30 Jahren praktizierter methodischer Ansatz zur Gestaltung von Lehr- / Lernszenarien. PBL steht nicht alleine, sondern gehört in eine Reihe von Ansätzen wie „Projektarbeit“, „Inquiry Based Learning“ „Learning by Design“, „Cognitve Apprenticeship“, „Anchored Instruction“ und anderen. Gemeinsam sind diesen Ansätzen Prinzipien der Aktivität der Lernenden, der Authentizität der Lerngegenstände, des sozialen Lernens und der begleitenden und moderierenden Rolle der Lehrenden. Zusammengenommen werden von den Lernenden dabei genau die Arbeits- und Herangehensweisen gefordert, die für die Entwicklung der sogenannten Future Skills förderlich sind. Etwas altmodisch formuliert, es geht uns um „Lernsinn“ und „Ganzheitlichkeit“ in der Gestaltung von Lernprozessen.

Die ganze Universität als problembasierte Institution: Geht das überhaupt? Und wenn ja, was bringt das?

Das Problem des aktuellen Bildungssystems ist doch, dass seine geistigen Voraussetzungen in und für ein anderes Zeitalter entstanden sind. Wir befinden uns in der Übergangsphase zwischen der Industrialisierung hin zu einem Zeitalter, das geprägt ist von Digitalisierung und Globalisierung. Manche nennen es das digitale Zeitalter, andere bezeichnen das neue als Wissens-, Risiko- oder post-industrielle Gesellschaft. In vielen Bereichen (wie dem Klimawandel) wird sichtbar, dass wir mit den traditionellen Denkmustern und Mentalitäten die aktuellen Probleme nicht in den Griff bekommen. Universitäten und Fachhochschulen bekommen daher eine wichtige gesellschaftliche Rolle bei der Lösungssuche und bei der Bildung der künftigen Führungskräfte. Diese Rolle erfüllen sie aber nicht mit den herkömmlichen Konzepten für Studium und Lehre.

Wie kann man klein anfangen, wenn man selbst PBL in die Lehre integrieren möchte? Worauf sollte man achten?

Das „Sieben-Schritte-Modell“ (vgl. bspw. PBL Uni Maastricht) ist ein guter Leitfaden, wie PBL in der Lehre eingesetzt werden kann. Damit können z.B. Projektphasen in einer Lehrveranstaltung oder auch eine ganze Lehrveranstaltung einmal probeweise geplant und durchgeführt werden. Wichtig ist, glaube ich, dass man für die Studierenden einerseits so transparent wie möglich macht, was von ihnen erwartet wird und worauf z.B. auch eine Leistungsbewertung beruhen wird. Außerdem glaube ich, dass es schwer fallen kann, die Studierenden wirklich eigenverantwortlich arbeiten zu lassen – das muss man ja auch aushalten, wenn es nicht so läuft. Wie da Hilfestellung gegeben werden kann ohne in einen engmaschigen „Anleitungsmodus“ zurückzufallen, ist wahrscheinlich die Kunst. In jedem Fall ist es wichtig, die Rückmeldung und Feedback der Studierenden einzuholen – davon lernen wir vermutlich am meisten, was gut und was weniger gut funktioniert.

Fazit

Ist das Bildungsthema also in der Mitte der digitalen Gesellschaft angekommen? Mitnichten: Während sich alle anderen Bühnen auf demselben Geländer der STATION befanden, musste man um den re:learn-Bereich zu erreichen, das Gelände verlassen und in den 4. bzw. 5. Stock des “Kühlhauses” hinaufsteigen, inklusive erneuter Taschenkontrolle. Ein sicherlich auch der dadurch möglichen Nähe zur Jugendmesse TINCON geschuldeter Umstand, der allerdings dazu führte, dass im Gegensatz zu den anderen Bühnen kaum Laufpublikum oder interessierte Laien teilnahmen, sondern hauptsächlich Personen aus der Bildungsbranche. (Anm. d. Red.: Der Workshopbereich war übrigens sehr weitläufig und keine Rumpelkammer, wie Netzwerkmitglied Tobias Schmol aus der Ferne detektivisch gemutmaßt hat.)

 

 

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