Public Climate School: Wir müssen Hochschulbildung neu denken! – Ein Interview

Public Climate School: Wir müssen Hochschulbildung neu denken! – Ein Interview

15.01.21

Studierende der Students for Future-Bewegung haben in Deutschland und Österreich eine offene Klimagerechtigkeits-Uni für alle ins Leben gerufen: die Public Climate School. Was fehlt in der Hochschulbildung, dass Studierende sich ihre eigenen Angebote kreieren? Was können Bildungsinstitutionen und Lehrende daraus lernen, um ihre eigenen Angebote zu schaffen und auszubauen?

Bereits vor der Corona-Pandemie haben Wissenschafler*innen als Folge der Klimaerwärmung die Entstehung neue Krankheitserreger und daraus resultierende Pandemien prognostiziert. Aktuell sind Schulen, Hochschulen & Unternehmen in der Corona-Krise damit beschäftigt, neue digitale Wege des Lernens & Arbeitens zu finden, auszuprobieren und auszubauen. Dadurch werden die deutschen Bildungseinrichtungen bei der nächsten Pandemie weniger unter einem solchen Ausnahmezustand leiden. Um jedoch nicht bei der Anpassung an Ausnahmezustände stehenzubleiben und von einer Pandemie in die nächste zu taumeln, müssen die Ursachen in den Blick genommen werden.

Die Auswirkung der Klimakrise betrifft uns alle. In Deutschland war es bisher recht leicht, durch eine geografische Distanz vieler Auswirkungen – wie schmelzende Polkappen und versinkende Inseln – eine emotionale Distanz zu wahren. Doch mit der Corona-Pandemie ist die Klima-Krise für uns alle spürbar geworden und hat unsren Alltag durcheinander gebracht. Jetzt gilt es Ursachen, Wissen und Lösungsansätze zu bündeln und in Bildungsgelegenheiten zugänglich zu machen.

Public Climate School 2020

Vom 23. – 27. November 2020 fand die 3. Public Climate School (PCS) statt. Was ist in der Zeit passiert?

  • Dozierende in Deutschland und Österreich passten ihre Lehrveranstaltungen an, und richteten sie an dem Thema Klimagerechtigkeit aus.
  • Es gab ein einwöchiges Uniprogramm als YouTube-Stream, zu dem viele lokale Students for Future-Gruppen aus Deutschland und Österreich beigetragen haben. Es richtet sich an alle Menschen – ob Studierende, Auszubildende, Eltern bzw. Großeltern oder auch Schüler*innen, die mehr über die Klimakrise, Klimagerechtigkeit und Lösungsansätze lernen möchten. Wie funktioniert Klimakommunikation? Ist grüner Kapitalismus die Antwort auf die Klimakrise? Braucht Deutschland ein Lieferkettengesetz? Und wie sieht eine offene Hochschule für alle aus? Wer Antworten und Hintergrundinformationen zu diesen und zahlreichen weiteren Fragen möchte, sollte sich die Aufzeichnungen der 3. Public Climate School anschauen!
  • Für Schulklassen der Jahrgangsstufen 8-13 wurde im Rahmen der PCS ein Schulprogramm von Lehramtsstudierenden u.a. in Kooperation mit Teachers for Future, Greenpeace, Brot für die Welt konzipiert.

Die Public Climate School ist damit nicht nur partizipativ, indem sie Zuhörende des Live-Streams durch Frage-Tools einbindet, sondern sie basiert auf aktiver Teilhabe und Prinzipien wie kosten- und barrierefreier Bildung, dem voneinander Lernen und dem Teilen von Wissen.PSC Cover-Bild

Wir haben mit zwei der PCS-Organisator*innen von Students for Future gesprochen:

Mirjam Bourgett ist Masterstudierende im Fach Physik und seit Oktober 2019 aktiv bei den Students for Future. Mirjam ist Mitgründerin der Hochschulgruppe Campus for Future an der TU Dortmund.

Fabian Schäfer hat seinen Master of Science in Economic Policy Consulting an der Ruhr-Universität Bochum gemacht und ist seit November 2019 bei den Students for Future aktiv. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für ökonomische Bildung der RUB und Co-Präsident beim Think Tank youngperspectives.ruhr.

Mirjam und Fabian [auf dem Teambild ganz rechts unten und ganz rechts mittig] sind beide seit der ersten Public Climate School bei der Organisation dabei – zunächst lokal später auf Bundesebene.

 

Die Public Climate School ist durch die Initiative von Studierenden entstanden. Was fehlt euch im Studium, dass ihr die Klima-Uni gestartet habt?

Mirjam: Die meisten Studienverlaufspläne bieten nicht die Chance fächerübergreifende Themen, wie die Klimakrise und Klimagerechtigkeit, zu behandeln. Die von uns geplante PCS bietet die Chance über den Tellerrand des eigenen Studienfaches zu schauen und Schnittpunkte des eigenen Fachs oder des eigenen Interesses mit anderen Disziplinen zu finden. Noch gehen wir dem Thema in unserer Freizeit nach, wünschen uns aber für die Zukunft, dass die Public Climate School (PCS) als Vorbild für die Hochschulen dient. Wir wollen, dass Wissen über die Klimakrise für alle zugänglich und verständlich wird und dass Universitäten interdisziplinäre Veranstaltungen zum Thema Klimagerechtigkeit und ihrer Bekämpfung anbieten. Es gibt schon heute erste Hochschulen, die ein Studium Oecologicum anbieten. Das sind interdisziplinäre Kursprogramme zum Thema Klima und nachhaltige Entwicklung für Studierende aller Fachrichtungen und Abschlussgrade. Als Vorreiter lassen sich die Uni Tübingen und die Uni Göttingen nennen. Entsprechende Kurse lassen sich als Leistungspunkte anrechnen und es wird das Zertifikat »Studium Oecologicum« ausgestellt. Weitere Unis und Hochschulen ziehen nach. Häufig lassen sich solche Angebote auf den Einsatz von Studierendeninitiativen zurückführen, die einen Prozess angestoßen haben, um solche Angebote zu institutionalisieren. Wir möchten mehr davon, denn Wissen und Menschen, die ihr Wissen teilen, gibt es genug.

 

Dieses Jahr hat bereits die 3. Klima-Uni stattgefunden. Wie funktioniert das Format der offenen Hochschule und wie ist es entstanden?

Fabian: Nachdem Fridays for Future das Thema Klimagerechtigkeit im Verlauf des Jahres 2018 in der öffentlichen sowie politischen Wahrnehmung gesetzt hat, wurde es Zeit, dass gerade auch die Studierenden aktiver werden. Themen wie die Klimakrise und Klimagerechtigkeit sind gerade in unserem Bildungssystem völlig unterrepräsentiert, hier muss sich etwas ändern! Als Studierende war logischerweise unser erster Ansatz dort etwas zu ändern, wo wir die meiste Zeit verbringen. Zudem sind Unis und Hochschulen für viele Menschen in unserer Gesellschaft immer noch elitäre Räume, die es für alle Teile der Gesellschaft zu öffnen gilt. So entstand die Idee der Public Climate School – eine offene Klimagerechtigkeits-Uni für Alle!

In Vor-Coronazeiten fand die PCS zeitgleich, lokal und dezentral in ganz Deutschland statt. Lehrende wurden von den Studierenden dazu aufgerufen in dieser Woche gezielt ihren eigenen Lehrplan anzupassen und aufzuzeigen, dass die Klimakrise und das Thema Klimagerechtigkeit uns alle angeht und alle Fachbereiche einen Bezug dazu haben. Ein gutes Beispiel, wie so eine lokale PCS in Leipzig organisiert wurde, bietet die Doku Organizing im Studentischen Kontext. Schon bei der letzten PCS war das aufgrund von Corona nicht mehr möglich. Aber als Digital Natives wurde uns schnell klar, dass wir das Ganze trotz Corona auf die Beine stellen können. So entstand das Konzept, die Public Climate School über einen Livestream in die WGs, Schulklassen und Hörsäle zu bringen. Deutschlandweit haben verschiedene Lokalgruppen von Students for Future Events und Vorlesungen organisiert, die dann über Zoom auf unseren YouTube-Kanal gestreamt wurden. Koordiniert wird das Ganze von einer AG auf Bundesebene, deren Mitglieder aus Mainz, München, Köln, Kiel, Bochum, Dortmund, Oldenburg und weiteren Städten kommen.

 

Im Wintersemester 2020 hat die Public Climate School (PCS) durch Corona das erste Mal ausschließlich digital stattgefunden. Welche Chancen seht ihr in digitaler Bildung für das Klima?

Mirjam: Das digitale Format bietet in erster Linie den Vorteil das über viele Hochschulen verteilte Wissen zur Klimakrise zu bündeln und attraktiv umzusetzen. Außerdem haben wir die Chance die Beiträge nachhaltig aufzuzeichnen und so zu jedem späteren Zeitpunkt wieder abzurufen. Wer bei der ersten Ausstrahlung in einer Vorlesung saß, kann so im Nachhinein noch von den Aufzeichnungen profitieren. Die Klimakrise ist jedoch kein lokales, sondern ein globales Problem. Schon heute sind Menschen aus dem globalen Süden stark von den Auswirkungen betroffen und bekommen durch das digitale Format die Chance zu uns (dem globalen Norden) zu sprechen. Mit solchen Live-Schaltungen bekommt die Forderung nach Klimagerechtigkeit ein Gesicht und wird für viele Menschen im globalen Norden fassbarer. Das ist sehr wichtig bei dieser globalen Krise.

 

Vorbildlich bei der PCS ist der inklusive Ansatz durch Gebärdensprachenübersetzung und mehrsprachige Angebote. Welche Tipps für die Planung von (studentischen/online) Veranstaltungen könnt ihr geben?

Mirjam: Für uns war es auch das erste Mal, dass wir unser Format versucht haben für noch mehr Menschen zugänglich zu machen, aber wer von sich behauptet eine „Klima-Uni für alle“ auf die Beine stellen zu  wollen, der sollte sein Programm Schritt für Schritt inklusiver machen. Sehr wichtig dabei war, dass wir sehr positive Erfahrungen mit dem Technik-Team der vergangen digitalen PCS gemacht haben und wussten, dass wir bei der Umsetzung auf ein starkes Team vertrauen konnten. Die Vermittlung von passenden Dolmetscher*innen geschah über Kontakte und Erfahrungen einzelner Ortsgruppen. Hier konnten wir wieder sehen, wie gut das digital vernetzte Zusammenarbeiten mit den verschiedenen Students Gruppen in Deutschland funktioniert.

Aber am wichtigsten ist, denke ich, der Tipp, dass Ideale wie eine Klima-Uni für alle bei der Planung nicht in Vergessenheit geraten sollten und das es sich lohnt bestehende Projekte von Mal zu Mal weiterzuentwickeln, um diesem Ideal näher zu kommen. Und sich dann trauen und nach Unterstützenden suchen!

Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle empfehlen wir die Handreichung zu Barrierefreiheit in der Online-Lehre und unseren Artikel zu Gender- und Diversitätsreflexivität in der digitalen Lehre.

Fabian: Egal ob Dozierende oder Studierende: Seid mutig und probiert euch aus! Versucht gut einzuschätzen was ihr leisten könnt und wofür ihr keine Ressourcen habt. Wir haben bei der vergangenen PCS erst noch mehr Übersetzungen geplant, aber dann gemerkt, dass der personelle Aufwand zu groß geworden wäre. Also haben wir uns für dieses Mal auf einen Vortrag pro Tag beschränkt und wollten den dann auch richtig gut machen. Das hat sehr gut funktioniert und wir können fürs nächst Mal die Kapazitäten besser einschätzen.

 

Die PCS hat einen Stundenplan zusammengestellt, der verschiedene Disziplinen wie Klimawissenschaft, Politik, Wirtschaft aber auch Kunst und Kultur sowie Gesellschaftlichen Wandel und Utopien umfasst. Damit folgt ihr dem Ansatz von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), dass Menschen interdisziplinäres Wissen erlangen und Fähigkeiten entwickeln wie etwa vorausschauendes Denken, autonomes Handeln und Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Hat euch dass BNE-Programm in eurer Arbeit beeinflusst?

Fabian: Uns sind natürlich die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) bekannt, aber konkret nach dem Ansatz von BNE haben wir uns nicht gerichtet. Viel eher haben wir versucht, das umzusetzen was uns selbst in unserem Bildungssystem fehlt. Jetzt ist es schön zu merken, dass wir intuitiv den richtigen Weg eingeschlagen haben!

Die 17 Ziele für nachhalte Entwicklung

Gab es dieses Jahr besondere inhaltliche Schwerpunkte, die sich aus der Pandemie ergeben haben? Stellt ihr eine Entwicklung seit der ersten Public Climate School fest?

Mirjam: Ich würde sagen nein. Da schon die digitale PCS im Mai während der Pandemie stattgefunden hat, war Corona kein inhaltlicher Schwerpunkt. Wir wollten das Beste aus der Situation machen und unserem Ziel einer klimagerechten Welt ein Stück näher kommen. Es gab andere neue inhaltliche Schwerpunkte. Motiviert von dem Wort „School“ in PCS haben wir uns in der Planungsphase hingesetzt und uns einen Stundenplan mit unseren Wunschfächern ausgemalt. Mit dieser Idee im Kopf ging es in die detaillierte Planung und wir hoffen damit unser Programm attraktiver gemacht zu haben. Eine Entwicklung lässt sich auf jeden Fall feststellen: Die Erfahrungen, die wir aus der ersten digitalen PCS mitnehmen, vergessen wir ja nicht wieder. Der Name „Public Climate School“ ist einigen Menschen, die wir anschreiben inzwischen schon ein Begriff und Vortragende melden sich auch bei uns mit Programmideen. Das ist super! Außerdem hat sich unsere Art der Zusammenarbeit weiterentwickelt. Während sich die Strukturen zunächst im Tun entwickelt haben, arbeiten wir nun ganz bewusst nach den Prinzipien der Holokratie.

 

Der Hashtag der Public Climate School ist #SchuleNeuDenken. Was wünscht ihr euch von Hochschulen im Kontext Klimabildung?

Fabian: Unis und Hochschulen bilden Menschen von morgen aus, die Entscheidungen treffen müssen, wie es weitergeht. Wenn wir uns die heutige Lage anschauen, dann ist Entscheidungsträger*innen immer noch nicht bewusst, dass das was wir aktuell tun nicht ausreichen wird, um das 1,5 ° Ziel einzuhalten. Das ist auch einem Versagen unseres Bildungssystem der letzten 30-50 Jahre geschuldet! Daher müssen Unis und Hochschulen sich klarer positionieren – sowohl in der Öffentlichkeit als auch in ihrer Lehre und Forschung. Es muss begriffen werden, dass die Frage von Klimagerechtigkeit eine zutiefst soziale Frage ist, die wir nur lösen können, wenn wir offen darüber reden, dass wir das System, welches wir geschaffen haben, auch verändern können. Klimagerechtigkeit gehört sowohl explizit als auch als Querschnittsthema in die Lehre und Forschung eines zukunftsfähigen und nachhaltigen Bildungssystems.

Mirjam: Da Bildung in der Schule und eigentlich noch eher in der Lehrer*innen-Ausbildung beginnt, gab es bei der 3. PCS das erste Mal ein Schulprogramm (Video), bei dem das Programm samt Unterrichtsmaterialien für Lehrer*innen zum Downloaden bereitgestellt wurde. Hier gilt es, den Wandel voranzutreiben und besonders die Lehrkräfte von morgen auf die Herausforderungen unserer Zeit vorzubereiten. Die beteiligten Menschen sind bereits jetzt eine Woche nach Ende der letzten PCS in der Planung für eine noch größere PCS 4.0!

 

Das klingt super und wir sind schon auf die nächste PCS gespannt! Wie können sich Studierende, Lehrende und alle weiteren Interessierten an der PCS 4.0  beteiligen?

Wir wollen einen offenen Prozess starten, an dem sich weitere Studierende, Lehrende und alle weiteren Interessierten beteiligen können. Die nächste PCS soll noch größer werden und weitere Barrieren aufbrechen. Die Vorbereitungen dafür haben bereits begonnen. Infos dazu folgen bald auf unserer Homepage und auf unseren Social-Media-Kanälen. Interessierte können gerne via Mail direkt auf uns zukommen: publicclimateschool@fridaysforfuture.de. Als Studierende könnt ihr auch Kontakt mit euren lokalen Ortsgruppen aufnehmen und euch an der Organisation beteiligen. Lehrende und Dozierende sind eingeladen, das Thema Klimagerechtigkeit in ihre Vorlesungen und Veranstaltungen aufzunehmen. Damit müssen Sie auch nicht bis zur nächsten PCS warten, denn als Querschnittsthema finden sich in allen Disziplinen Querverbindungen zur Klimakrise, deren Auswirkungen und Lösungsansätzen. Und bis wir uns bei der nächsten Public Climate School sehen wünschen wir euch viele spannende Gespräche über Bildung zu Klimagerechtigkeit und interessante Stunden mit unseren Videoaufzeichnungen der 3. Public Climate School!

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