Online-Proctoring – 6 Empfehlungen

Online-Proctoring – 6 Empfehlungen

09.07.20

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Interviewserie zum Thema Online-Proctoring kompakt verpackt.

Das erste ‘Corona-Semester’ neigt sich dem Ende entgegen und die Frage nach der Machbarkeit sowie dem Modus von Prüfungen im Sommersemester 2020 wird immer lauter. Daher hat unser Mitarbeiter Gino Krüger aus der Interviewserie über digitale Formate der Prüfungsbeaufsichtigung (Online-Proctoring) sechs Empfehlungen für die Realisierung von online beaufsichtigten Prüfungen abgeleitet – natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Interviewserie zum Thema Online-Proctoring kompakt verpackt.

Der Begriff ‘Online-Proctoring’ bezeichnet digitale Formate der Prüfungsbeaufsichtigung, welche eine ortsunabhängige Realisierung (z.B. von zu Hause) von sicheren sowie zuverlässigen Prüfungen ermöglichen sollen. Zu diesem Zweck werden im Online-Proctoring u.a. Webcams verwendet, um eine ordnungsgemäße Beaufsichtigung von Prüfungsteilnehmer*innen zu gewährleisten (vgl. Sietses 2020, p. 10). Das Thema ist komplex. Wir haben daher sechs Empfehlungen für eine erfolgreiche Realisierung von online beaufsichtigten Prüfungen erarbeitet.

Empfehlung #1: Die rechtlichen Rahmenbedingungen klären

Die digitale Beaufsichtigung von Prüfungen operiert in einem komplexen Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Prüfungsrecht. Daher muss frühzeitig mit der jeweiligen Rechtsabteilung sowie der/dem Datenschutzbeauftragten geklärt werden, ob und wie Online-Proctoring mit dem bundeslandspezifisch geltendem Recht in Einklang gebracht werden kann. 

Zum Thema der rechtlichen Rahmenbedingungen von Online-Proctoring haben wir ein Interview mit Matthias Baume von der TU München geführt. Zudem hat das Deutsche Forschungsnetz bereits 2015 eine Handreichung mit rechtlichen Rahmenbedingungen bei Online-Klausuren herausgegeben.

Empfehlung #2: Zustimmung der Studierenden im Dialog eruieren

Aus der Datenschutzperspektive handelt es sich bei der digitalen Beaufsichtigung von Prüfungen immer um einen Eingriff in die Privatsphäre von Studierenden. Daher erfordern derartige Beaufsichtigungsformate zwangsläufig die explizite Zustimmung der Studierenden. Folglich ist es für die Hochschulen ratsam, sich mit ihren Studierenden in einen Aushandlungsprozess auf Augenhöhe zu begeben, um einen Konsens über einen praktikablen sowie zustimmungsfähigen Modus der Datenerhebung und Verwendung zu gelangen. 

Eine gangbare sowie bewährte Option für Aushandlungsprozesse auf Augenhöhe, bieten partizipative Verfahren.

Empfehlung #3: Konkrete Prüfungsszenarien entwickeln 

Welche konkreten Prüfungen kommen für eine digitale Durchführung und Beaufsichtigung in Frage? Und welche Beaufsichtigungsmodalitäten sind hierfür erforderlich? Nach der Beantwortung dieser Fragen sollten die Hochschulen möglichst detaillierte Prozessmodelle für den konkreten Ablauf der jeweiligen Prüfungsszenarien entwickeln. Diese dienen nicht nur als Orientierungshilfe, sondern v.a. zur systematischen Planung sowie Standardisierung und damit zur Skalierung der Prüfungsprozesse.

Mit Blick auf die Entwicklung von Prüfungsszenarien sowie auch hinsichtlich deren Abbildung in Prozessmodellen verfügt die TU München über praktische Erfahrungen, welche von hochschulübergreifender Relevanz sind.

Zudem sollten Hochschulen in diesem Zusammenhang reflektieren, ob es eine gangbare Lösung darstellen könnte, bis dato etablierte Prüfungskonzepte in Richtung weniger beaufsichtigungsintensiver Formate – z.B. im Sinne von so genannten Open-Book-Klausuren oder ähnlichem – zu entwickeln. So erprobt bspw. die juristische Fakultät der Fernuni Hagen Open-Book-Klausuren, um den Beaufsichtigungsaufwand von Online-Prüfungen maßgeblich zu reduzieren. Für das openHPI gehören Open-Book-Klausuren bereits zum Alltag des E-Assessments. 

Ferner sammeln die Uni Ulm sowie auch die Uni Paderborn derzeit systematisch digitale Alternativen für Präsenzprüfungen. Folgende Tabelle zu Online-Alternativen für Prüfungen haben wir von der Website der Universität Ulm übernommen:
 

Gruppengröße Ursprüngliche Prüfungsform Steckbrief zur digitalen Lösung

klein

Offene Fragen in der Klausur, Verständnisabfrage Concept Map (PDF, 26.05.20)

klein bis mittel

MC-Fragen, Wissensfragen zu wissenschaftlichen Theorien oder Konzepten, Verständnisabfrage Text mit Alltagsbeispielen abgeben (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, Verständnisabfrage in der Präsenzveranstaltung  Prüfungsabfrage erstellen statt Wissen abfragen (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, Übungsblätter, Verständnisabfrage Scanprüfungen (PDF, 26.05.20)
groß Klausur Open Book-Klausur (PDF, 26.05.20)
groß MC-Fragen und Wissensfragen in der Klausur, Verständnissicherung in der Präsenz Definitionen bewerten statt definieren (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, mündliche Prüfung, praktische Prüfung, Verständnissicherung Lösungen zu Fallbeschreibungen erarbeiten (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, mündliche Prüfung, praktische Prüfung, Verständnissicherung Fallbearbeitung mit problemorientiertem Lernen (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, mündliche Prüfung, Verständnissicherung Ursache-Wirkungs-Diagramm (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, MC-Fragen Fachlandkarte erstellen (PDF, 26.05.20)
groß Klausur, mündliche Prüfung, Referat E-Portfolio (PDF, 26.05.20)

 

Empfehlung #4: Anforderungen eruieren und entsprechende Ressourcen bereitstellen

Auf Basis der zuvor entwickelten Prüfungsszenarien lassen sich nun die technischen, finanziellen, personellen sowie auch kognitiven Anforderungen eruieren und managegen, welche für die Lernenden, Lehrenden sowie auch die IT-, Didaktik- und Rechtsabteilungen erforderlich sind, um digitale Prüfungsprozesse zu operationalisieren. 

Für die erfolgreiche Realisierung derartig komplexer IT-Projekte ist die Nutzung bewährter Instrumente des Anforderungsmanagements ratsam.

Empfehlung #5: Einen passenden Online-Proctoring-Anbieter finden

Im nächsten Schritt gilt es einen Online-Proctoring-Anbieter zu finden, welcher mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen geeignete Beaufsichtigungs- und Supportinstrumente für die Realisierung der geplanten Prüfungsszenarien bereitstellt. Hierbei ist es ratsam, auf einen Anbieter zurückzugreifen, dessen Server innerhalb der Europäischen Union lokalisiert sind, um auf diesem Wege ein möglichst hohes Maß an DSGVO-Konformität zu gewährleisten.

Um die Hochschulen bei der Orientierung zu unterstützen, hat das HFD eine Übersicht von Online-Proctoring-Anbietern zusammengestellt, welche die Auswahl eines zweckmäßigen Anbieters erleichtern soll. Kriterien sind dabei unter anderem die Verfügbarkeit von Corona Sonderlizenzen, der Support, der Firmensitz oder die jeweiligen Beaufischtigungskazitäten- und Instrumente.

Hakende Internet-Verbindung oder Betrugsversuch? Durch gutes Anforderungsmanagement und Demo-Prüfungen Pannen und Missverständnisse vorbeugen.

Empfehlung #6: Systematisch Demo-Prüfungen und Evaluationen durchführen

Um ein hohes Maß an Prüfungszuverlässigkeit zu gewährleisten, ist es ratsam, vor jeder eigentlichen Prüfung stets Demo-Prüfungen durchzuführen. Denn auf diesem Wege ist es sowohl den Lehrenden als auch Lernenden möglich, konkrete Erfahrungen mit dem digitalen Prüfungssystem zu sammeln und dadurch etwaige Probleme frühzeitig zu erkennen sowie zu beheben. 

Dies gilt gleichermaßen für die systematische Durchführung von Evaluationen. Schließlich sind diese nicht nur für das Qualitätsmanagement von zentraler Bedeutung, sondern gewähren darüber hinaus auch wertvolle Einblicke die Einstellung und Zustimmung der jeweiligen Endnutzer*innen hinsichtlich der digitalen Prüfungarchitektur. Hilfreiche Anregungen für die Durchführung und Auswertung von Evaluationen und Demoprüfungen, lassen sich bei den Kolleg*innen von ProLehre finden.

 

Vielen Dank allen beteiligten Online-Proctoring-Pionier*innen für das Teilen ihrer wertvollen Expertise mit der HFD-Community!

 

Weitere Hilfreiche Ressourcen: 

Sietses, L. (2020): White Paper Online Proctoring. Questions and answers about remote proctoring. Hg. v. SURFnet. Utrecht. Online verfügbar unter https://www.surf.nl/files/2020-06/surf-whitepaper-online-proctoring_en_mei-2020.pdf 

Digital Prüfen — Didaktische, technische und lehrorganisatorische Hilfestellungen der Uni Wien. Online verfügbar unter https://ctl.univie.ac.at/home-learning/pruefen/  

Universität Bern — Prüfungen via ILIAS. Online verfügbar unter https://www.unibe.ch/universitaet/organisation/leitung_und_zentralbereich/vizerektorat_lehre/
supportstelle_fuer_ict_gestuetzte_lehre_und_forschung_ilub/corona_unterricht___hs_2020/pruefungen_im_fs_2020/index_ger.html
 

GAZETTE: Anlage 13 zur Rahmenprüfungsordnung für den Leuphana Bachelorzur alternativen Durchführung von Lehrveranstaltungen und Prüfungsleistungen während der Corona-Krise. Online verfügbar unter https://www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/Aktuell/files/Gazetten/Gazette_2020_50_24-04-2020.pdf 

Online-Proctoring for Remote Examination (OP4REA)  A report on the current state of online proctoring practices in higher education within the EU. Online verfügbar unter https://drive.google.com/file/d/0B0rrO_BjDmhjY01RaW03b3NvMVE/view 

Matthias Baume: Prüfungen von zuhause aus? geht das? Online verfügbar unter https://www.lehren.tum.de/fileadmin/w00bmo/www/Downloads/SSZ_InfoForum_S16/FJ19/Forum_2_-_Proctored_Exams.pdf

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