Lesestoff für die Feiertage oder: „Was wir schon längst hätten lesen wollen…“

Lesestoff für die Feiertage oder: „Was wir schon längst hätten lesen wollen…“

22.12.18

Buch mit Lichterkette

Wir alle haben Stapel von Büchern und Texten zu Hause liegen, die wir definitiv noch lesen möchten. Die Japaner haben dafür sogar ein Wort: “Tsundoku”. Teammitglieder des Hochschulforums Digitalisierung haben aufgeschrieben, welche Bücher auf ihrer Leseliste stehen bzw. welcher Lektüre sie sich in der ruhigen Zeit zwischen den Jahren widmen werden. 

Stapel von Büchern

21 Lektionen für das 21. Jahrhundert – Yuval Noah Harari

“Eine kurze Geschichte der Menschheit” war der erste Bestseller von Harari – und ich habe ihn verschlungen. Das Buch zeichnet die unsere Wurzeln, unser Streben und die Entwicklung unserer Zivilisation nachvollziehbar und detailliert nach. Selten hat mich ein Buch derart beeindruckt und beeinflusst. Natürlich habe ich mir auch sein neuestes Werk gekauft, in dem er sich mit den wichtigsten Fragen unserer Zeit beschäftigt – Terrorismus, Krieg und Gerechtigkeit, aber auch Bildung, die Zukunft der Arbeit und künstliche Intelligenz. Genau das richtige Buch für diese Zeit. Das erste Kapitel habe ich schon durch. Zugegeben: Es geht momentan langsam voran. Aber über die Feiertage plane ich richtig viel Lesezeit ein.

– Sebastian Horndasch

 

Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption – Thomas Fuchs

Seitdem ich während der Recherche zu meiner Magisterarbeit im Jahr 2014 auf dieses Buch gestoßen bin, nehme ich mir vor, es endlich einmal in Ruhe und vollständig zu lesen. Vielleicht bieten die Weihnachtstage ja Gelegenheit dazu. Der Heidelberger Psychiater und Philosoph Fuchs sieht die vermeintliche Alternative zwischen einem subjektiven Ich im Sinne einer cartesianischen res cogitans, die über den ganzen Körper (res extensa) herrscht – anders formuliert: die Ansicht, das Gehirn selbst sei Urheber von Handlungen – als verengt an. Das Gehirn vermöge als Organ nämlich überhaupt keine Entscheidungen zu treffen – Begriffe wie „Fühlen“, „Wollen“ und „Entscheiden“ seien auf physiologischer Ebene gar nicht anwendbar:  „Das Gehirn verfügt nicht über geistige Zustände oder über Bewusstsein, denn das Gehirn lebt nicht – es ist nur das Organ eines Lebewesens, einer lebendigen Person. Nicht Neuronenverbände, nicht Gehirne, sondern nur Personen fühlen, denken, nehmen wahr und handeln“, so Fuchs. Das Gehirn sei also ein Organ der Freiheit, das durch seine zunehmende Komplexität im Verlauf der Evolution den starren Reiz-Reaktions-Mechanismus gelockert und so den Organismen bis hin zum Menschen immer höhere Freiheitsgrade ermöglicht habe. Gerade in Zeiten, in denen immer mehr KI-Forscher und Informatiker eine künstlich-technologische Nachbildbarkeit des menschlichen Geists und Bewusstseins behaupten, ein wichtiger Debattenbeitrag, finde ich.

– Martin Rademacher

 

Buch mit Lichterkette

Rückkehr nach Reims – Didier Eribon

Der in Frankreich bereits vor knapp 10 Jahren erschienene soziologische Bestseller ist eine autobiographische Reise zu sich selbst und wartet als vorweihnachtliches Geschenk bei mir darauf, über die Feiertage verschlungen zu werden. Der Autor legt nach dem jahrzehntelangen Bruch mit den nicht-akademischen Wurzeln der eigenen Familie deren Geschichte und damit auch die Bezugspunkte für die eigene Entwicklung analytisch scharf durch rein- und rauszoomen aus gesellschaftlicher Perspektive frei. Das Buch verspricht ein rontgenbildscharfes soziologisches Portrait der eigenen Familie des Autors, deren grundsätzliche Selbstverortung als “unten” in der Gesellschaft ohne Aussicht auf Veränderungen, ergänzt um den Prozess der zunehmende Verschmelzung mit rechtspopulistischen Strömungen des Frankreichs im Zeitalter von Front National. Der Autor selbst zeigt, dass soziale Fahrstuhleffekte durch Bildung möglich sind, allerdings nur um den Preis des Bruchs mit der eigenen familiären Identität. Absolut relevant für das sich auch bei uns immer und immer wieder neu reproduzierende sozial ungleiche Bildungs- und Gesellschaftssystem. Ich freue mich also auf ein gutes Buch über die Feiertage, das den Finger in die Wunde der aktuellen tektonischen Verschiebungen unterschiedlicher Milieus im Kontext eines erstarkenden Rechtspopulismus und digitalen Wandels legt.

– Ronny Röwert

 

Lunapark (Gereon Raths sechster Fall) – Volker Kutscher

Zwischen den Jahren entziehe ich mich gerne der digitalen Gegenwart. Meine Eltern haben dafür vor vielen Jahren ein nahezu perfektes Wohnzimmer geschaffen. Wenn ich im Sessel vor dem knisternden Holzofen sitze, vergesse ich Zeit und Raum. Neben der Leidenschaft für Schallplatten teile ich mit meinem Vater eine Begeisterung für spannende Krimis. Allen, die sich zudem für Politik, Geschichte und Berlin interessieren, kann ich Volker Kutschers Romanreihe wärmstens empfehlen. Die Reihe startet im Jahr 1929 (Band 1: „Der nasse Fisch“) und zeichnet en passant die turbulenten Entwicklungen jener Zeit nach. Kutschers Romane bestechen durch eine atmosphärische Dichte, an die auch die bildgewaltige TV-Serie „Babylon Berlin“ nicht heranreicht. Die Hauptfigur, der eigenbrötlerische Kommissar Rath, gerät schnell in den Sog des rauschenden Berliner Nachtlebens und in die Fänge des Unterweltkönigs Marlow. Rath löst Mordfälle in einem komplexen Feld aus organisierter Kriminalität, dem Berliner Polizeiapparat, Geheimbünden sowie den Bewegungen der Kommunisten und der Nationalsozialisten, die auf den Straßen Berlins um politische Macht kämpfen. Anhand der Entwicklungen innerhalb des Polizeiapparats zeichnet Kutscher über die Romanreihe recht subtil den sukzessiven Aufstieg der Nationalsozialisten nach. „Lunapark“ spielt bereits 1934 (und liegt seit vier Wochen angelesen auf meinem Nachttisch). Ausgangspunkt ist der Mord an einem SA-Mann. Während die Geheime Staatspolizei von einem politischen Mord durch Kommunisten ausgeht, deckt Rath Verbindungen des Toten zu einem ehemaligen Ringverein auf, der seine kriminellen Aktivitäten im braunen Gewand eines SA-Sturms fortgesetzt hatte. Ungeachtet der zunehmend beklemmenden Stimmung der Romane freue ich mich auf die nächste Zeitreise mit Kommissar Rath. Und wenn die Zeit reicht, werde ich den jüngsten Band der Reihe, „Marlow“ (siehe oben), wohl gleich mit verschlingen.

– Christoph König

 

 

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