Lernraumgestaltung im digitalen Wandel III – ein Interview mit Frau Dr. Dorit Günther

Lernraumgestaltung im digitalen Wandel III – ein Interview mit Frau Dr. Dorit Günther

18.06.19

Die soziale Komponente spielt eine wichtige Rolle beim Lernräumen.

Wie verändert Digitalisierung die Raumgestaltung in Hochschulen? Dieser Leitfrage widmet sich die aktuelle HFD AG Lernarchitekturen. Denn digitale Hochschulbildung stellt mit dem zunehmenden Einsatz von Bildungstechnologien und sich damit wandelnden Lehr-Lern-Settings neue Anforderungen an die Gestaltung physischer Lernräume in Hochschulen. In einer Interview-Reihe kommen die Mitglieder der Arbeitsgruppe in den kommenden Wochen mit ihren verschiedenen Perspektiven aus Forschung, Pädagogik, Flächenplanung und Architektur auf das Thema Lernräume zu Wort. Dr. Dorit Günther berichtet über die Strategie an der TU Kaiserslautern. Dort ist unter anderem ein neues Learning Center geplant. 

Das erste Interview der Reihe mit Prof. Dr. Richard Stang ist hier nachzulesen.
Das zweite Interview der Reihe mit Inka Wertz ist hier nachzulesen.

Die soziale Komponente spielt eine wichtige Rolle beim Lernräumen.

Frau Günther, die Campusgestaltung an Hochschulen ist ja per se kein neues Thema. Warum ist aber die Lernraumentwicklung an Hochschulen gerade so aktuell?

Es ist zu beobachten, dass Hochschulen verstärkt unter Konkurrenzdruck stehen im Wettbewerb um Studierende als Kunden, insbesondere gegenüber Privathochschulen, die sich dadurch profilieren, dass sie die Studierenden durch eine flexible curriculare und didaktische Gestaltung passgenau auf die Anforderungen am Arbeitsmarkt vorbereiten. Hinzu kommt, dass durch eine moderne Campusarchitektur und Ausstattung der Lehr-Lern-Räume ein hoher inhaltlicher Standard sichtbar gemacht wird. Viele staatliche Hochschulen haben veraltete Räume, in denen ein überholtes Lehr-Lern-Konzept verankert ist. Um zukunftsfähig zu bleiben, bedarf es seitens der Hochschulmanager*innen einer konzeptionellen Weiterentwicklung der universitären Strukturen hin zu einem integrativen Gesamtkonzept, das die Aspekte „21st century skills für Studierende“ sowie die Qualifizierung der Lehrpersonen für eine kompetenzorientierte Lehre innerhalb physischer und virtueller Lernräume miteinander verzahnt.

Digital und Analoge Welt fließen ineinander.In Ihrer Rolle als Lerncoach ist Selbstlernen ein sehr wichtiges Thema. Wie entscheidend sind Lernräume, physisch wie virtuell, für das Selbstlernen in Ihren Augen?

Viele Studierende, die zu mir ins Coaching kommen, empfinden es als herausfordernd, ihren hohen Workload geschickt auf ihr knappes Zeit- und Energiebudget zu verteilen. Dabei ist es besonders schwierig, die Lernpläne dann auch einzuhalten, was neben der Selbstdisziplinierung eine Frage der Motivation ist, worauf die räumliche Rahmung Einfluss nehmen kann. Meine Coachees berichten oft, dass der größte Mehrwert beim Aufenthalt am Campus darin liegt, andere Studis zu treffen oder eine fachliche Beratung bei einer Lehrperson einzuholen. Für die Studierenden steht beim Lernraum also die soziale Dimension im Vordergrund: „Wen treffe ich dort zum Austausch? Wer kann mir weiterhelfen?“ Auch das Lernen in „schweigender Gemeinschaft“ in der Bibliothek kann hilfreich sein, hierbei sorgt die arbeitsame und ablenkungsfreie Atmosphäre für Ansporn und Disziplin. Als gewinnbringend empfinden die Studierenden auch praktische Übungen und Projekte mit sichtbaren Produkten. Widersprüchlich ist, dass Studierende von der Uni zwar eine bestmögliche Bildung und Berufsvorbereitung erwarten, dabei aber Lehr-Lern-Formate, die explizit auf den Erwerb überfachlicher Kompetenzen abzielen, als weniger relevant einschätzen – sofern es dafür keine Credit Points und Noten gibt.

Ein positives Beispiel an der TU Kaiserslautern ist die Zusammenarbeit des Selbstlernzentrums mit einigen Fachbereichen, so dass Studierende für ihre Teilnahme an Workshops zur Förderung der Lernkompetenz oder an Online-Seminaren (eDSL, Weiterbildung im Peer-Coaching) Credit Points in ihrem Studiengang erhalten. In den „SELF!“-Projekten werden fachspezifische Lerninhalte mit dem Erwerb von Soft Skills verknüpft und als Studienleistung angerechnet.

 

Gehen die Studierenden anders mit physischen als mit virtuellen Lernräumen um?

Mein Eindruck ist, dass die aktuellen „Twens“, die bereits als Teenager ihr erstes Smartphone hatten, mit virtuellen Lernräumen ungeduldiger sind als mit physischen. Sie sind in der App- und Social-Media-Welt verwöhnt durch hochwertig designte Produkte, die eine sofortige Belohnung bei kurzer Aufmerksamkeitsspanne bieten. Die Erwartung, dass ein digitales Tool im Lernkontext der Uni reibungslos und gewinnbringend funktioniert, wird oft enttäuscht. Bei physischen Lernräumen hingegen sind die Twens erstaunlich duldsam und nehmen schlechte Raumsituationen mit konservativer Didaktik hin. Wahrscheinlich wird sich das ändern, sobald die (raum)pädagogische Sozialisierung in der Schule fortschrittlicher wird. Ich habe im Januar 2019 mit rund 20 Präsenzstudierenden der TUK Leitfrageninterviews geführt zu ihrem Umgang mit digitalen Medien im Studienalltag. Hieraus entsteht das Bild, dass die Studierenden nicht viel darüber nachdenken, ob sie gerade in einem physischen oder virtuellen Raum agieren. Im Vordergrund steht der unmittelbare Erkenntnisgewinn fürs Studium. Bei digitalen Tools ist die Nutzerfreundlichkeit und Zweckmäßigkeit entscheidend. Hierbei kennen die Studierenden in erster Linie das Learning Management System, das von den Lehrenden in unterschiedlicher didaktischer Qualität genutzt wird. Für die Studienorganisation gibt es mehrere umständliche Plattformen, mit denen viele unzufrieden sind. Im Kontrast dazu steht die Mediennutzung der Studierenden in ihrer Freizeit: Hier geben die Befragten an, dass sie Social Media, Messenger, Streamingdienste und YouTube intensiv nutzen, einige auch (Online-)Computerspiele. Hinzu kommen Apps auf digitalen Endgeräten, die in allen Lebenslagen hilfreich sind. Die Teens und Twens navigieren fließend zwischen der physischen und virtuellen Welt und gerade im sozialen Miteinander überlagern sich digitalbasierte und face-to-face Kommunikation. Diese hohe Medienaffinität wird jedoch nur selten für Lehr-Lern-Szenarien fruchtbar gemacht. So haben viele Studierende den Eindruck, dass sie beim Eintritt in den „ernsten“ Uni-Lernraum ihre private Medienwelt vor der Tür lassen müssen, denn dort arbeiten sie pragmatisch Prüfungsleistungen ab.  

 

Am Campus der TUK soll ein neues Learning Center entstehen. Was wird diesen neuen Lernort besonders auszeichnen?

Geplant ist der Neubau eines Learning Centers, das von Studierenden, Lehrenden und Forschenden der TUK bespielt und als zukunftsorientierter Lern- und Begegnungsort verstanden wird. Die Architektur und Ausstattung schaffen ungewöhnliche Möglichkeits- und Erlebnisräume, die sich durch Vielseitigkeit und Gestaltbarkeit auszeichnen. Wichtige Bestandteile sind das „Education Lab“ für das Erproben und Beforschen innovativer Lehr-Lern-Szenarien, der „Ideenmarktplatz“ für Formate des Präsentierens und Vernetzens (auch mit Gästen aus der Wirtschaft und Kreativszene) sowie eine „Lernlandschaft“, wo Studierende flexibel in informellen Settings selbstgesteuert und kooperierend lernen können, begleitet von (Peer-)Berater*innen. Daneben bieten Maker Spaces und Co-Working-Areale Raum für Kreativität und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Dabei hat auch die Begegnung der unterschiedlichen Studierendengruppen im Präsenz- und Fernstudium Potenzial. Das Besondere an dem neuen Lernort ist, dass die Nutzenden Mitgestaltende sind und diesen kontinuierlich bedarfsgerecht weiterentwickeln, was von einem Expertenteam begleitet wird, das auf Basis neuester Lernraumforschung frühzeitig die Zukunft plant.

Smartphone im Busch gleicht Learning Center

Der Neubau eines solchen Learning Centers ist ein anspruchsvolles Unterfangen und auch eine große Chance. Welche Akteur*innen müssen für eine erfolgreiche Umsetzung zusammenkommen?  

Chancenreich ist ein interdisziplinäres Projektteam mit Akteuren innerhalb und außerhalb der Hochschule. Im Kernteam für die Konzeption eines innovativen Learning Centers müssen Pädagog*innen, Architekt*innen, Ingenieur*innen und Vertreter*innen der Bibliothek zusammenarbeiten – in enger Rücksprache mit der Hochschulleitung und dem zuständigen Ministerium. Das Learning Center muss landes- und hochschulpolitisch positioniert werden, damit dessen Rolle und Mehrwert in der Bildungslandschaft und am Campus prägnant im Konzept verankert und auch bei der Mittelbeschaffung „vermarktet“ werden kann. Die Wahl des Standortes ist eine wichtige Weichenstellung dafür, welche Nutzergruppen durch räumliche Nähe besonders angesprochen werden und wie die Architektur mit der (sozialen) Umgebungswelt zusammenspielt. So ist für das Kaiserslauterer Learning Center die geplante Lage am Waldrand stilgebend, was den Baustoff Holz und das Aktivieren der Außenbereiche betrifft. Es ist nicht ratsam, Erfolgsmodelle anderer Hochschule zu kopieren, denn jedes Learning Center muss auf die Spezifika der Organisation zugeschnitten und in deren Gesamtstrategie integriert werden. Die bestehende Lernrauminfrastruktur, insbesondere in den Bibliotheken, soll durch Neuartiges ergänzt – und nicht verdrängt – werden. Das Kaiserslauterer Learning Center soll eine „Keimzelle“ sein für die räumliche und pädagogische Weiterentwicklung der gesamten Hochschule: Die Akteure tragen das dort Erprobte und Erlernte in den Campus hinaus.  

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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