Kiron – das iTunes der universitären Lehre?

Kiron – das iTunes der universitären Lehre?

22.02.16

Kiron könnte das iTunes der universitären Ausbildung werden. Damit meine ich nicht die Aussichten auf Geld oder Bedeutung in der Welt. Es kann gut sein, dass es Kiron in einem Jahr nicht mehr gibt. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es einen Nachfolger geben wird.

Kiron ist der erste Vorbote eines disruptiven Geschäftsmodells, welches eine Branche, die ein seit Jahrhunderten tradiertes Vorgehen pflegt, ziemlich durcheinander wirbeln könnte. Insofern steht es in einer Reihe mit Uber oder Airbnb, auch wenn es von deren ökonomischen Möglichkeiten noch weit entfernt ist.

Das Geschäftsmodell von Kiron ist die Aggregation und Koordination von Inhalten Dritter, so wie es Uber mit Autofahrten, Airbnb mit Wohnungen und Facebook mit persönlichen Nachrichten betreibt. Kiron aggregiert Lehrinhalte, die Universitäten weltweit in gutem Glauben und mit guten Absichten (bisher) kostenlos auf dem Netz veröffentlichen. Während Coursera oder Udacity als reine Plattformen gestartet sind, hat Kiron den Anspruch, aus den verfügbaren Materialien neue virtuelle Studiengänge zu bauen, deren Qualität besser ist als die der ursprünglichen Quellen. 

Und seien wir ehrlich: wer von uns hätte nicht am liebsten an einer Universität studiert, an der nur die besten Wissenschaftlerinnen lehren? An einer einzigen physischen Universität ist dies nicht möglich, dafür sind exzellente Wissenschaftler zu sehr über die ganze Welt verstreut. Indem ich deren MOOCs aggregiere, kann ich jedoch eine virtuelle Universität bauen. Ich filetiere die Studiengänge realer Universitäten und setze sie in Kiron neu zusammen. 

Das ist genau das, was iTunes mit den CDs gemacht hat. Auf einmal hatte jeder die Möglichkeit, aus einer CD nur die Lieder herauszugreifen, die er oder sie gut findet. Jeder Hörer kann sich seine Lieblingsmusik mixen und neu zusammenstellen. Die Komponisten verlieren dadurch aber ein wichtiges Element früherer Zeiten – die Zusammenstellung der Lieder in zeitlicher oder inhaltlicher Reihenfolge. Goodbye Konzeptalbum – Pet Sounds, Sergeant Pepper, Rocky Horror. Einzelne Lieder kennt jeder, aber die Reihenfolge?

Rekombination oder Akkreditierung – für einen Weg müssen wir uns entscheiden

Nun muss das ja nichts Schlechtes sein. Immerhin geht es der Musikindustrie dank iTunes jetzt besser als vorher. Aus Nutzersicht ist mehr Flexibilität möglich und es geht wirklich um „Studierendenzufriedenheit“. Außerdem belebt Konkurrenz das Geschäft und zwingt starre Universitätsstrukturen vielleicht zu mehr Innovation. Alles richtig. Einen Punkt möchte ich dennoch machen, und der zieht sich am ungeliebten Thema „Akkreditierung“ hoch. Es gibt viel Bürokratisches, Unausgegorenes und Überflüssiges einer Akkreditierung von Studiengängen, was jeder nachvollziehen kann, der wie ich als Gutachter oder Studiengangverantwortlicher einen Akkreditierungsvorgang einmal mitgemacht hat.

Es gibt jedoch eine Grundidee bei der Akkreditierung, die (1) jenen nicht so fern sein sollte, die schon einmal eine Marketingvorlesung gehört haben und (2) sich um AACSB, EQUIS oder ähnliche international anerkannte Siegel dreht. Im Prinzip sendet eine erfolgreiche Akkreditierung ein Qualitätssignal aus, welches zeigt: „hier gibt es eine durchdachte Ausbildung von A bis Z, mit zusammenpassenden Modulen, die jemand mit Verstand zu einem Studiengang zusammengesetzt hat“. Das umfasst gute und schlechte Vorlesungen und Professoren, online-fähige und nur offline verfügbare. Es bildet eine Marke für das Curriculum, für den Standort, für die Gruppe aller Dozentinnen und Dozenten an diesem Standort. Wer Akkreditierung ernst nimmt, arbeitet genau an dieser Marke und an diesem Selbstverständnis. International werden diese Akkreditierungen als Grundlage für Hochschulkooperationen und Studierendenaustausche manchmal sogar vorausgesetzt.

Und jetzt kommen wir noch einmal zurück zur Rekombination von Lehrinhalten durch „Online-Universitäten“. Wer genau setzt denn hier „mit Verstand“ den Studiengang zusammen? Der Algorithmus? Der Studierende selbst (der nur bei höchst optimistischer Sichtweise nach Inhalten geht, ansonsten wie an der normalen Uni nach kolportierten Durchschnittsnoten)? Der Dozent, der dadurch in einen Zwiespalt kommt, seine Ressourcen auf die Studierenden seiner eigenen Universität (die vielleicht wegen des Qualitätssignals dorthin gekommen sind) und seine Onlinehörer verteilen zu müssen?

Wenn wir Rekombination a la Kiron ernst nehmen, dann brauchen wir ein neues Geschäftsmodell für die Akkreditierung. Sonst ist sie nicht nur nicht effizient, so wie jetzt, sondern wird auch nie effektiv. Entweder begreifen wir ein Studium als Persönlichkeitsbildung, dann macht es Sinn, am Ganzen zu arbeiten, an einer Folge aus Lehrveranstaltungen, die eben nicht durch den Studierenden selbst kuratiert werden, sondern durch den Lehrer. Das verlangt ein Qualitätssignal durch die Institution selbst. Oder wir Hochschullehrer werden Freelancer, liefern einem Dritten zu, der dann selber eine Marke bildet – ohne unser Zutun. Es liegt in unserer Hand.

Bild: Tekniska museet „Standard Radiofabrik„, CC-BY 2.0 via flickr.com

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