Digitale Transformation an Kunsthochschulen: Ein Interview mit Prof. Dr. Norbert Palz

Digitale Transformation an Kunsthochschulen: Ein Interview mit Prof. Dr. Norbert Palz

04.05.20

Besonders schwer fällt die Umstellung bei Studiengängen mit Materialbezug, wie z.B. die Malerei und Bildhauerei.

Durch COVID-19 wird es im Sommersemester 2020 keine Präsenzlehre an deutschen Univertiäten geben. Die Umstellung auf digitale Lehrformate stellt für jede Hochschule eine enorme Herausforderung dar. Doch welche speziellen Herausforderungen haben Kunsthochschulen? Wie kann man Studiengänge und Kurse zu Malerei, Tanz, Musik, Schauspiel und Bildhauerei digital abbilden? Wenn Materialität und Körper oder die Möglichkeit eines Übungsraumes oder Ateliers für die Lehre essentielle Bestandteile sind? Prof. Dr. Norbert Palz, Präsident der Universität der Künste in Berlin, gibt uns Einblicke in Herausforderungen, Problemlösungen und Chancen der aktuellen Situation. Das Interview fand vor Semesterbeginn am 6. April 2020 statt und wurde von unserer Mitarbeiterin Sophie Michel geführt.

Prof. Dr. Norbert Palz ist seit 1. April 2020 Präsident der Universität der Künste in Berlin.

 

Herausforderungen einer Kunstuniversität

Hochschulforum Digialisierung: Universitäten, die bisher hauptsächlich auf Präsenzlehre gesetzt haben, müssen jetzt wegen COVID-19 auf digitale Lehrformate umsteigen. Welche Herausforderungen sehen Sie an Ihrer Universität in dieser Situation?

Prof. Dr. Norbert Palz: Ich sehe die Herausforderungen vor allem auf struktureller Ebene: Wir haben kein richtiges Rechenzentrum, wir sind auf einer Hardware-Ebene nicht für diese Situation gerüstet und auch personell nicht gut aufgestellt, so dass wir nicht allen Anforderungen, die mit einer digitalen Lehre verbunden sind, gerecht werden können.

Zudem müssen wir sicherstellen, dass die Ausstattung mit digitalen Endgeräten auf Seiten der Studierenden gewährleistet ist und niemand von den digitalen Lehrformaten ausgeschlossen wird. Wir haben deshalb damit begonnen die Lage zu erkunden um Hilfe, z.B. in Form einer Tauschbörse für Hardware, anbieten zu können.

Wichtig ist uns auch, dass sich die Lehrenden durch die nötige Umstellung in ihrer Lehre nicht überformt fühlen. Dabei ist die größte Hürde, glaube ich, den Lehrenden und Studierenden einen Einstieg in ihr Thema auf einer Tool-Ebene zu geben. Wir versuchen das über verschiedene Arbeitsgruppen zum Thema Musik & Klang, Raum & Material, Zeit & Körper, Text & Sprache, Hybride Techniken, Infrastruktur & Kommunikation, Schulung. In diesen Bereichen sammeln wir Projekte, die anderen Lehrenden zur Inspiration dienen sollen. Denn ich glaube bei vielen Lehrenden herrscht im Moment noch eine große Unsicherheit, wie man die eigene Arbeit transferieren kann.

HFD: Welche spezifischen Herausforderungen haben Sie als Kunstuniversität? Welche Studiengänge bereiten Ihnen am meisten Sorgen und welche sind gut auf die Veränderungen vorbereitet?

Prof. Dr. Norbert Palz: Die Studiengänge, die einen starken Materialbezug haben oder die sehr stark darauf beruhen, dass Menschen sich im Raum begegnen – seien es Darstellende Künste, wie Tanz und Schauspiel oder Bildende Künste, wie Malerei und Bildhauerei – stehen vor den größten Herausforderungen. Denn in diesen Bereichen sind Strukturen und Inhalte wichtig, die sich nur begrenzt digital abbilden lassen. Die Lehrenden in diesen Bereichen müssen sich jetzt überlegen, wie sie das, was sie vermitteln möchten, im digitalen Raum umsetzen können – ohne dabei den Kernaspekt ihrer Lehre transferieren zu können. Auch im Bereich Musik ist es schwierig, weil die Studierenden darauf angewiesen sind an der Uni zu proben.

Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Studiengänge, die zum Teil schon eine digitale Lehre praktizieren. Der Studiengang “Leadership in digitaler Innovation” z.B. hat ein eigenes Online-Lehre-Programm aufgesetzt, so dass die Umstellung für sie kaum ein Problem darstellt. Aber auch andere Fächer, die um das Digitale ihr Zentrum haben, z.B. im Bereich Kunst & Medien oder in bestimmten Fachbereichen der Architektur, gelingt die Umstellung einfacher.

Besonders schwer fällt die Umstellung bei Studiengängen mit Materialbezug, wie z.B. die Malerei und Bildhauerei.

Vernetzung, Kooperation und Austausch

HFD: Vernetzung und Austausch ist in dieser Zeit besonders wichtig: Welche Synergien und Vernetzungen haben Sie seit Beginn der Corona-Krise angestoßen?

Prof. Dr. Norbert Palz: Was mich sehr glücklich gemacht hat, ist die Arbeit unserer AG Onlinelehre, die aus fast 60 Personen aller Statusgruppen besteht und in unterschiedlichen Arbeitsgruppen zusammenarbeiten. Zudem haben wir jeden Tag eine Telefonkonferenz mit den anderen Berliner Kunsthochschulen, in der wir uns über die unterschiedlichen Verfahren abstimmen, z.B. auch darüber, wie wir uns gegenüber der Senatskanzlei positionieren. Auch deutschlandweit gibt es einen Austausch unter den Hochschulen, darin geht es aber weniger um handwerkliche Fragestellungen, sondern um generelle Fragen, z.B. wie das Sommersemester zu werten ist, ob als Nicht-Semester oder flexibles Semester. Alles in allem denke ich sind wir ganz gut vernetzt, aber jede Universität befindet sich zugleich auch in einer unglaublichen Stresssituation und muss ihre eigenen Kapazitäten bündeln.

Innerhalb der Universität sehe ich die Krise auch als eine Möglichkeit neue Formen von Kooperationen und Kommunikationswegen zu etablieren, die hoffentlich über das Semester hinaus Bestand haben. Ich sehe z.B., dass sich die Kommunikation zwischen den Studiengängen, die bisher segmentiert und fragmentarisch verlief, durch das Aufsetzen neuer Strukturen, Systeme und Kommunikationswege verbessert hat und dies auch mit einer nachhaltigen Perspektive. Eine Folge davon ist beispielsweise die Realisierung einer Open-Source-Installation im Medienhaus am Kleistpark, in der versucht wird Videostreaming, Kommunikation und Online-Lehre zu bündeln. Es ist eine Struktur, die längerfristig an die spezifische Lern- und Interaktionsbedürfnisse der einzelnen Fakultäten angepasst werden soll und Open-Source-basiert ist.

Digitale Transformation und Digitale Lehre

HFD: Die Umstellungen auf die digitale Lehre an den Universitäten muss jetzt vor allem schnell gehen. Wie lässt sich dennoch gewährleisten, dass aktuelle Bemühungen die Lehre Ihrer Universität nachhaltig positiv prägen? Und wie schaffen Sie es bei all diesen Veränderungen die Identität Ihrer Universität zu erhalten?

Prof. Dr. Norbert Palz: Unser Bestreben ist es nicht alle unsere Aktivitäten als Kunsthochschule ad hoc ins Digitale zu übersetzen und das dann zu skalieren. Ein wichtiger Punkt unserer Identität als Kunsthochschule besteht darin das Analoge hochzuhalten. Bei allen Umbrüchen ist es mir als Präsident der Universität demzufolge sehr wichtig, dass die Identität der UdK bewahrt wird, sich aber auch erweitern kann. Dies kann durch einen sehr technologisch getriebenen Moment, wie diesem, geschehen. So erweitert sich innerhalb der Hochschule die Fähigkeit durch Kommunikation Teilhabe zu schaffen und Räume für neue Diskurse zu öffnen. Dieser Aspekt der Begegnung und des Dialogs, den wir im Kern künstlerischer Ausbildungspraxis finden, existert traditionell in den Ateliers und Werkstätten, kann aber durch neue digitale Schnittstellen noch erweitert werden und sich sogar global vernetzten. Dadurch entsteht längerfristig eine andere, erweiterte Identität der Kunstuniveristät und – das darf nie vergessen werden – natürlich auch ein anderes künstlerisches Verständnis, das seine Quellen weiter fasst.

Es ist eine historische Linie in der wir uns befinden, in der sich der Technologiewechsel in die Künste einschreiben wird. Ich habe vor zwei Tagen nochmal einen Text von Paul Valéry gelesen, den Walter Benjamin seinem Werk “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit” vorangestellt hat. Das ist ein Text von 1936 und darin schreibt Valéry:

“In allen Künsten gibt es einen physischen Teil, der nicht länger so betrachtet und so behandelt werden kann wie vordem; er kann sich nicht länger den Einwirkungen der modernen Wissenschaft und der modernen Praxis entziehen. Weder die Materie, noch der Raum, noch die Zeit sind seit zwanzig Jahren, was sie seit jeher gewesen sind. Man muß sich darauf gefaßt machen, daß so große Neuerungen die gesamte Technik der Künste verändern, dadurch die Invention selbst beeinflussen und schließlich vielleicht dazu gelangen werden, den Begriff der Kunst selbst auf die zauberhafteste Art zu verändern.” (Paul Valéry: Pièces sur l’art. Paris [o. J.],).

Es geht also nicht darum das Analoge komplett durch das Digitale zu ersetzen, sondern wir wollen die Möglichkeiten des Neuen herausarbeiten und als Beitrag einer modernen künstlerischer Ausbildung weiterentwickeln.

HFD: Wie schätzen Sie die technischen und mediendidaktischen Ressourcen und die digitale Infrastruktur der UdK ein? Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie im Moment um?

Prof. Dr. Norbert Palz: Wir haben eine Infrastruktur, die – ehrlicherweise – nicht auf die aktuellen Anforderungen ausgerichtet ist. Dies betrifft die Hard- und Software und auch die personelle Ausstattung. Sie ist zwar funktional, aber nicht gauf die Leistungsanforderungen des Moments ausgerichtet. Unser Ziel ist es eine technische Struktur aufzubauen, die uns individuelle Anpassungs- und Interaktionsmöglichkeiten gibt. Diese Unternehmung wird im Moment von einer Gruppe Lehrender, Studierender und Mitglieder des IT-Departments in die Realität umgesetzt und als Struktur eines fakultätsübergreifenden freien Gestaltungsprojekts genutzt.

Auch auf die Werkstätten in der Universität müssen die Studierenden im Moment verzichten: Medienlabore, Ateliers, Proberäume, Druckwerkstätten, ...

Politik und Richtungsänderung

HFD: Wie bewerten Sie die Reaktion der Politik und Wissenschaft auf die Corona-Krise in Bezug auf die Universitäten? Empfinden Sie die Maßnahmen als ausreichend? Was würden Sie sich zusätzlich noch an Unterstützung  wünschen?

Prof. Dr. Norbert Palz: Bisher haben uns die täglichen Rücksprachen mit der Senatskanzlei und mit den anderen Universitäten und Hochschulen in Berlin sehr geholfen. Besonders die finanzielle Mittel der Senatskanzlei für Digitalisierungsmaßnahmen waren eine gute Unterstützung.

Da wir aber keine überstürzte oder kurzfristig angelegte digitale Transformation anstreben, suchen wir  nach nachhaltigen Lösungen für eine Neukonzeption der digitalen Angebote der Universität. Dazu müssen wir digitale Zukunftsstrategien entwickeln, die sich aus den künstlerischen und didaktischen Bedürfnissen der Fachkulturen ableiten und dann in eigenen softwareseitigen Adaptionen und medialen Schnittstellen übersetzt werden. Diese Anforderungen gilt es strategisch, personell und ökonomisch zu kalkulieren und dann z.B. in den nächsten Hochschulvertragsverhandlungen einzubringen.

HFD: Sie sind seit 2010 im Fachbereich Architektur als Professor für „Digitales und Experimentelles Entwerfen“ an der Universität der Künste in der Lehre tätig und seit 1. April 2020 Präsident. Seit zehn Jahren haben Sie Einblicke in die Entscheidungen und Richtungsänderungen der UdK: Was hat sich in dieser Zeit im Bereich der Digitalisierung getan und wie bewerten Sie die Entscheidungen jetzt im Rückblick?

Prof. Dr. Norbert Palz: Ich glaube, dass wir in den letzten zehn Jahren schon einiges in Richtung Digitalisierung bewegt haben. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass es meistens Initiativen von Einzelpersonen oder einzelnen Studiengängen waren, die dieses Thema vorangetrieben haben. Die Bestrebungen waren nicht in eine größere Digitalisierungsstrategie eingebunden. Über die an uns herangetragene Situation gibt es jetzt die Chance das Thema noch einmal in seiner ganzen Breite an der Hochschule auszurollen und zu erleben.

Ausblick: Die Hürden und Chancen des digitalen Semesters

HFD: Wie haben die Studierenden, Lehrenden und die Verwaltung auf die Entscheidung zur Durchführung eines digitalen Semesters reagiert? Gab es auch Kritik?

Prof. Dr. Norbert Palz: Wir haben durchaus auch kritische Stimmen gehört – und das waren nicht wenige. Ich glaube letztendlich ist es eine Frage, der eigenen lehrpraktischen Handlungsweise: Wenn man sich vorstellt, dass Lehrende – vielleicht sogar über Jahrzehnte – einen ganz bestimmten Unterrichts-Modus durchgeführt haben und sie jetzt ad hoc das Medium und die Unterrichtsmethode wechseln sollen, stößt das nicht bei allen gleichermaßen auf Begeisterung. Das verstehe ich und wir wollen die Lehrenden auch nicht zu etwas zwingen.

HFD: Wie sieht der Transformationsprozess im Moment genau aus? Wo sehen Sie die größten Hürden, die noch zu nehmen sind und in welchen Bereichen sind Sie besonders optimistisch?

Prof. Dr. Norbert Palz: Ich glaube bei vielen Lehrenden herrscht im Moment noch eine große Unsicherheit, wie man die eigene Arbeit ins Digitale transferieren kann. Das ist an einer Kunsthochschule eine sehr große Hürde, die sehr nachvollziehbar ist. Die Situation ermöglicht es uns als Universität auch neue Potenziale herauszuarbeiten. Dazu braucht es auf Seite der Lehrenden und auch Studierenden den Mut zum Fragment, zum Provisorium und auch Mut Fehler zuzulassen – das kommunikativ zu vermitteln ist eine Herausforderung!

Eine andere Herausforderung ist die Tatsache, dass wir im Moment fast alle im Homeoffice arbeiten. Die Mitarbeiter*innen sind dabei in ihre jeweiligen sozialen, familären und auch räumlichen Kontexte und Verpflichtungen eingebunden, die oft herausfordernd sind und die wir berücksichtigen müssen. Gleichzeitig dürfen wir auch nie die Studierenden aus dem Blick verlieren: Was passiert mit der Teilhabe unter digitalen Rahmenbedingungen? Was passiert mit Studierenden, wenn sie nicht üben können, keine ausreichende technische Infrastruktur besitzen oder ihre Jobs wegbrechen? Das muss im Fokus bleiben.

HFD: Dazu passt meine nächste Frage. Welche Rolle spielen die Studierenden in diesem Prozess? Würden Sie sich mehr Engagement wünschen?

Prof. Dr. Norbert Palz: Unsere Studierenden bringen sich an verschiedenen Stellen ein, sei es, dass sie Atemschutzmasken für die Charité nähen, eine fakultätsübergreifende Projektinitiativen organisieren oder sich in verschiedenen Arbeitsgruppen einbringen. Beim zuletzt genannten Punkt finde ich es sehr interessant zu beobachten, wie das Medium der Videokonferenz nicht zwischen dem Status einer Person differenziert, sondern sich zwischen allen Beteiligten eine gleichberechtigtere Sprechsituation einstellt, die man in normalen Besprechungsformaten nicht findet. Ich freue mich sehr wenn Studierende – und sie machen das auch – aktiv sind und das Positive an der aktuelle Situation sehen.

HFD: Das heißt die Digitalisierung führt bei Ihnen an der Universität auch zu einer Demokratisierung und zu einer direkten Teilhabe für Studierende, z.B. auch in der Kommunikation mit Ihnen?

Prof. Dr. Norbert Palz: Das hoffe ich sehr! Wenn es um die Ideenfindung geht, interessieren mich Hierarchien nicht.

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