Hochschulen und Corona – „Wir müssen reden!“

Hochschulen und Corona – „Wir müssen reden!“

03.06.21

Junger Mann und junge Frau mit Maske begrüßen sich mit dem Ellenbogen

Befinden wir uns im letzten coronabedingten Digitalsemester? Und wenn ja, was heißt das für den „neuen normalen Lehrbetrieb“ zurück auf dem Campus? Dass wir nicht weiter lehren und lernen sollten und dürfen, wie vor der Pandemie und warum wir trotz anhaltenden Einschränkungen mit neuer Kraft zurück auf den Camous kommen können, erklärt Prof. Dr. Marco Winzker in diesem Beitrag.

 

„Im Herbst hat ein Großteil der Bevölkerung zwei Impfungen erhalten und dann ist die Pandemie überwunden.“ Vermutlich haben viele von uns Hochschulangehörigen so eine Aussage gehört und gehofft, dass ab dem Wintersemester 2021/22 wieder der „normale Lehrbetrieb“ an deutschen Hochschulen stattfinden wird.

Mittlerweile mehren sich die Stimmen, dass diese Erwartung zu optimistisch ist und Corona uns längere Zeit beschäftigen wird [1-3]. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Nicht alle Menschen können oder wollen gegen SARS-CoV-2 geimpft werden. Die Dauer der Wirksamkeit des Impfschutzes steht auf dem Prüfstand. Trotz der Impfungen gibt es weiter Ansteckungen. Und es könnten Virusmutationen auftreten, gegen die der vorhandene Impfschutz möglicherweise nicht ausreicht.

Dies alles ist laut fachkundigen Stimmen kein Grund zur Besorgnis, denn Nachimpfungen sind möglich und Krankheitsverläufe bei geimpften Personen sind oft milder. Dennoch hat Corona wohl weiterhin Auswirkungen auf unser Zusammenleben und auf den Lernort Hochschule.

Was dürfen wir?

Was genau sind die Randbedingungen für die Lehre im Wintersemester? Vorhersagen sind natürlich schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen [4]. Aber auf Sicht zu fahren und wieder „Emergency Remote Teaching“ zu betreiben, ist im vierten Semester der Pandemie auch kein akzeptabler Ansatz.

Als Grundlage für die Überlegungen zum Wintersemester gehe ich von weiterhin bestehenden Abstandsregeln und dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes innerhalb von Gebäuden aus. Momentan sind maximal 50 Personen pro Raum zugelassen und alleine aufgrund der Abstandsregeln wird es vermutlich dabei bleiben; in vielen Räumen werden es deutlich weniger Studierende sein.

Junger Mann und junge Frau mit Maske begrüßen sich mit dem Ellenbogen

Was wollen wir?

Aber ganz unabhängig von dem was wir dürfen, sollten wir auch überlegen was wir wollen. Wir Lehrende haben in den letzten Semestern eine Intensivschulung in Online-Lehre erhalten und dabei sicherlich manche Vorteile entdeckt. Welche dieser Vorteile wollen wir auch zukünftig erhalten? Diese Frage ist besonders wichtig, um den Kopf aus den täglichen Belastungen herauszuheben und sich umzuschauen. Die kurzfristigen Problemlösungen zunächst für Online-Lehre, dann für Online-Prüfungen haben sicher Kraft gekostet und den Blick auf den Nahbereich fokussiert. Dennoch ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, über eine Zukunft der Hochschullehre nachzudenken und darauf hinzuarbeiten.

Was sollen wir?

Nicht nur Hochschulbeschäftigte, auch Studierende haben in der Pandemie erfahren, welche Möglichkeiten Digitalisierung für die Lehre bietet. Von diesen Erfahrungen und den daraus folgenden Ansprüchen führt kein Weg zurück in die Vergangenheit. Erste Umfragen zeigen, dass Studierende sich zukünftig einen Teil ihres Studiums als Online-Lehre wünschen [5]. Ein Artikel aus Inside Higher Ed [6] bezieht sich auf US-amerikanische Verhältnisse, aber die Fragestelle, was sind die Wünsche an eine „Post-Pandemic Academic Experience“ passt wirklich gut.

Denken wir also realistisch. In den meisten Regionen Deutschlands haben Studierende eine Wahl, welche Hochschule sie von ihrem gewünschten Wohnort aus besuchen möchten. Digitale Formate können flexible Studienorganisation und kompetenzorientierte Prüfungsformate ermöglichen [7] und mündige Studierende werden dies bei ihrer Studienwahl berücksichtigen. Gerade für den Bereich des Master-Studiums könnten MOOCs und Online-Zertifikate eine Alternative zu einer Hochschule werden, die auf „den normalen Lehrbetrieb“ setzt. Und dies ist sicher auch die Perspektive der Gesellschaft, die erwartet, dass wissensbasierte Institutionen die Erfahrungen der Pandemie natürlich bei der Weiterentwicklung von Studiengängen berücksichtigen.

Der Wert der Präsenz

All dies bedeutet keine Abkehr von der Begegnung auf dem Campus. Die Rückkehr zu Präsenz kommt und wird von allen begrüßt!

Gerade durch die Distanz der Online-Lehre wird uns der Wert der Präsenz bewusst. Aber dies sollte nicht nur einfach Sehnsucht nach der schönen alten analogen Welt sein [8]. Die erzwungene Distanz gibt uns die Chance genau hinzusehen, was an der Präsenz wichtig ist und erhalten werden muss – und sei es auch mit Mund-Nasen-Schutz. Es gilt also: „Fragt nicht, was digital werden soll. Fragt was analog bleiben muss.“ [9]

Wir müssen reden!

Über diese Veränderungen müssen wir reden. Es sollte Schluss sein mit dem Überbrückungsmodus und dem Warten auf die „Normalität“. Es ist genügend Zeit für die Vorbereitung auf die nächsten Semester und die sollten wir nutzen und die Hochschule aktiv gestalten.

„Wir“ – das sind die wesentlichen Akteursgruppen an den Hochschulen: die Lehrenden, die Hochschuldidaktik, die Leitung, die Verwaltung und die Studierenden. Wissen wir genug voneinander und von unseren Wünschen und Bedarfen? Was ist bereits an Lösungen vorhanden und welche Rechtsfragen sind geklärt? Welche technischen und organisatorischen Lösungen werden noch benötigt?

Ich bin zumindest sicher, dass wir das gleiche Ziel haben: kompetente Absolventinnen und Absolventen. Wichtig für die Zusammenarbeit ist das Vertrauen darauf, dass jede Gruppe in ihrem Bereich ihr Bestes gibt, dieses Ziel zu erreichen.

 

An der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg beginnt dieses Gespräch am 10.6.2021 mit einer hochschulweiten Diskussionsveranstaltung.

 

Referenzen

[1] Die „neue“ Normalität, Sigrid Harendza, GMS Journal for Medical Education, 15.2.2021, https://www.egms.de/static/de/journals/zma/2021-38/zma001444.shtml

[2] Das pandemische Rumgewarte hat uns völlig zerschöpft, Eine Kolumne von Sascha Lobo, SPIEGEL, 28.4.2021, https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/leben-mit-corona-das-pandemische-rumgewarte-hat-uns-zerschoepft-kolumne-a-8c0b37bd-f4e7-46b8-83af-151b17bc40d2

[3] Wie lange noch? Martin Kessler und Wolfgang Wiedlich, General Anzeiger Bonn, Journal, 24.4.2021. https://ga.de/news/politik/deutschland/warum-ein-ende-der-pandemie-noch-nicht-absehbar-ist_aid-57503933 (€)

[4] Tragen wir im Herbst noch Maske? Der Corona Fragebogen (Folge 3), DIE ZEIT, 27.5.2021.

[5] Befragungsergebnisse „Erfolgsfaktoren digitaler Hochschullehre“ (EdiHo), Hochschulbericht der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg SoSe20, ISTAT Institut für Angewandte Statistik, April 2021 (intern)

[6] Students Want Online Learning Options Post-Pandemic, Lindsay McKenzie, 27.4.2021, https://www.insidehighered.com/news/2021/04/27/survey-reveals-positive-outlook-online-instruction-post-pandemic

[7] Hochschulforum Digitalisierung (2016). The Digital Turn – Hochschulbildung im digitalen Zeitalter. Arbeitspapier Nr. 27. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung.

[8] 3 ½ Fragen an … Prof. Dr. Doris Weßels, DIE ZEIT, Wissen Drei Newsletter, 29.4.2021.

[9] Sascha Lobo, Zur digitalen Lage der Nation. Die fünf Digitallehren aus Corona, re:publica 21, https://www.youtube.com/watch?v=950X27xLcsM

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