Gender- & Diversitätsreflexivität in der digitalen Lehre. Gedanken zur ad-hoc-Digitalisierung während der Corona-Pandemie

Gender- & Diversitätsreflexivität in der digitalen Lehre. Gedanken zur ad-hoc-Digitalisierung während der Corona-Pandemie

29.09.20

Eine Gruppe Studierender sitzen um einen Küchentisch herum.

Wie können vielfältige Fähigkeiten, Ressourcen, Vorkenntnisse, Erfahrungen und Bedürfnisse in der digitalen Lehre berücksichtigt werden? Nicht nur im Corona-bedingten Ausnahmemodus stellt die Gestaltung von gender- & diversitätsreflektierender Lehre eine Querschnittsaufgabe dar. Gemeinsam mit dem Netzwerk für Gender und Diversity in der Lehre realisieren wir im neuen Themendossier Barrierefreiheit & Diversität eine Blogserie, die Anregungen und Unterstützung für die Digitale Lehre geben soll. In diesem Beitrag reflektieren die Autor*innen die besondere Situation für Studierende und Lehrende während des kürzlich abgeschlossenen Digitalsemesters, überprüfen, welche Maßnahmen sich für die Gestaltung des anstehenden Wintersemesters unter Pandemiebedingen als hilfreich erweisen könnten und präsentieren eine Sammlung von Reflexionsfragen zur Vorbereitung von digitalen Lehrveranstaltungen.

Einführende Gedanken

Die folgenden Überlegungen wurden durch die ad-hoc-Digitalisierung der akademischen Lehre während der Corona-Pandemie im Sommersemester 2020 ausgelöst und sind in kollaborativer Arbeit des ‚Netzwerks für Gender und Diversity in der Lehre‘ entstanden. Insofern schreiben wir mit der Perspektive, dass dies eine vorübergehende Situation ist. Wir sind uns gleichzeitig bewusst, dass nach der Rückkehr zum Präsenzbetrieb nicht alles sein wird wie davor. Digitalisierung als Anforderung an innovative Lehr-Lernformate kam nicht erst mit dem Ausbruch der Pandemie auf.

Die akute und aktuelle Notwendigkeit von digitaler Lehre macht jedoch deutlich, welche Leerstellen es in der Auseinandersetzung mit und der Anwendung von digitalen Tools bei vielen Lehrenden gibt. Und wir sehen es durchaus auch als Chance, diese Diskussionen breit zu führen und unsere Kompetenzen zu erweitern.[1] Gleichzeitig freuen wir uns auf die Zeit, wenn Präsenzlehre wieder möglich ist. Den direkten Kontakt mit den Studierenden, bereichernde und spontane Seminardiskussionen sowie das Arbeiten mit haptischen Methoden möchten wir dauerhaft nicht missen. 

Eine Gruppe Studierender sitzen um einen Küchentisch herum.

Ein Effekt der ad hoc digitalisierten Lehre, den wir mit Sorge beobachten, ist, dass Gender-/Diversitätsaspekte vernachlässigt bzw. als Luxus oder Utopie bezeichnet werden, die in einer solch krisenhaften Situation zurückstehen müssen. Gleichzeitig werden in vielerlei Hinsicht längst überwunden geglaubte Stereotype (re)produziert, beispielsweise wenn Care- und Sorgeverpflichtungen fast reflexartig in der traditionellen vergeschlechtlichten Arbeitsteilung organisiert werden. Auch die Frage der Technikaffinität wird oftmals nicht nach Fähigkeiten, sondern mit dem Geschlecht beantwortet. Sehen, lesen und hören zu können, die Feinmotorik zum Tippen zu beherrschen, stundenlange Konzentration und die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken, sich selbst und das eigene Lernen zu organisieren, sind Voraussetzungen, um diese Umstellung bewältigen zu können. Es ist also auf vielen Ebenen eine Normierung und (Re)Stereotypisierung zu beobachten. Darum ist es aus Sicht des Netzwerkes wichtiger denn je, Gender-/Diversitätsaspekte nicht als „Add on“, sondern als integrativen Bestandteil der Lehre zu denken, sowohl auf der fachlich-inhaltlichen Ebene als auch in Hinsicht auf die Studierendenschaft. 

Dies ist kein Werkzeugkasten, sondern vielmehr eine Gedankensammlung und beleuchtet unterschiedliche Facetten von Gender-/Diversitätsreflexivität in der digitalen Lehre. Unsere Vision ist nicht die komplette Umstellung auf digitale Lehre. Wir verstehen digitale Formate als eine Ergänzung zu bereits bestehenden Methoden und Angeboten. Dabei geht es uns sowohl um die gender-/diversitätsreflektierte und -reflektierende Gestaltung von digitaler Lehre als auch um die Inhalte der Geschlechterforschung, der Gender und Queer Studies, der Disability Studies, der rassimuskritischen Forschung sowie einer Dekolonisierung der Hochschulen, usw. als Querschnittsthemen der digitalen Lehre. Diese Bereiche verzahnen sich, greifen ineinander, bereichern und inspirieren sich, sind nicht ohne einander zu denken und verbinden sich im ‚Netzwerk Gender und Diversity in der Lehre’.  

Netzwerk Gender und Diversity in der Lehre 

Das Netzwerk Gender und Diversity in der Lehre ist ein autonomes Netzwerk von Personen, die strategisch, theoretisch und/oder operativ im Bereich Gender und Diversity in der Hochschullehre arbeiten und sich untereinander vernetzen und kontinuierlich zusammenarbeiten wollen. Das Netzwerk dient dem Informationsaustausch sowie der inhaltlichen und strategischen Zusammenarbeit.

Gender-/Diversitätsreflexivität

Gender-/Diversitätsreflexivität verstehen wir als Querschnittsaufgabe, als die systematische Wahrnehmung und Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenssituationen und -bedingungen von Menschen. Gender-/diversitätsreflektierend zu lehren heißt, nicht von einem vermeintlichen „Normstudenten“ auszugehen, sondern von einer Vielzahl an unterschiedlich positionierten Personen, die sehr verschiedene Fähigkeiten, Ressourcen, Vorkenntnisse, Erfahrungen und Bedürfnisse mitbringen. Das hängt auch mit Erfahrungen von Diskriminierung und Privilegierung in gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen zusammen. Diese strukturellen Ungleichheiten und individuellen Verschiedenheiten gilt es wahrzunehmen und sie in der Gestaltung der Lehre zu berücksichtigen. Es bedeutet auch, die Inhalte und Methoden der eigenen Lehre zu reflektieren und anzupassen, um allen Beteiligten die gleichen Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen.

1 Haltung und Selbstverständnis 

Die Corona-Pandemie war für Lehrende und Studierende eine absolute Ausnahmesituation und mit besonderen Belastungen verbunden. Bei vielen herrschte Verunsicherung, Überforderung und Überarbeitung. Durch das Arbeiten von zuhause statt im Büro oder in der Bibliothek vermischten sich für viele Hochschulangehörige Arbeits- und Privatleben und -räume. Durch Videokonferenzen erhielten so auch Kolleg*innen, Vorgesetzte oder Studierende einen Einblick in die eigenen Privaträume; mitunter sogar auf so intime Räume wie das eigene Schlafzimmer. Auch fand und findet sich für viele Lehrende und Studierende kein oder kaum ein zeitlicher und räumlicher Abstand zwischen (Lohn-)Arbeit und Freizeit; insbesondere, wenn sie nicht über ein Arbeitszimmer oder einen eigenen Schreibtisch zuhause verfügen. 

Mit diesen Belastungen musste ad hoc und muss nun auch längerfristig ein (nicht nur individueller) Umgang gefunden werden. Es kann hilfreich sein, sich auf Selbstfürsorge-Techniken (bspw. feste Arbeitszeiten, sportliche Aktivitäten, Psychotherapie) zu besinnen. Aber es muss auch an die Arbeitgeberinnen-Verantwortung der Hochschulen appelliert werden, strukturelle Bedingungen zu schaffen und die notwendige Infrastruktur für das digitale Lehren und Lernen sowie das Arbeiten im Home-Office bereit zu stellen. Trotz vieler Unwägbarkeiten und Belastungen ist es wichtig, einen wertschätzenden Umgang mit sich selbst, den Studierenden und den Kolleg*innen zu behalten. 

Es war utopisch, von jetzt auf gleich eine barrierefreie, gender-/ diversitätsreflektierende digitale Lehre anbieten zu wollen. Der Fokus lag bei den meisten erst einmal darauf, sich in der neuen Situation zurecht zu finden, sich in die digitalen Formate einzuarbeiten, um überhaupt Lehre anbieten zu können. So riefen mehrere Dozierende dazu auf: „Please do a bad job of putting your courses online!“ [Barrett-Fox 2020] Eine grundsätzlich fehlerfreundliche Haltung und Atmosphäre, Nachsicht mit sich selbst und Wertschätzung der eigenen Arbeit galt als erster Schritt und schaffte eine gute Basis, auch für die Selbstfürsorge [vgl. zum Prinzip der Fehlerfreundlichkeit Goel 2017].

2 Die Studierenden: Hürden und Herausforderungen begegnen

Die folgenden Aspekte, Probleme und Lösungsvorschläge sind auf der Grundlage von Befragungen der Studierenden formuliert worden. Auch für sie war und ist die Pandemie eine Ausnahme- und manchmal auch eine Notsituation. Viele klassische studentische Jobs (z.B. in der Gastronomie) fallen längerfristig weg, so dass finanzielle Nöte entstehen. Einige Studierende haben Sorgeverpflichtungen oder gehören zur Risikogruppe. Wegfallende Kinderbetreuung und Home Schooling schränkten die Freiräume zum Lernen massiv ein. Die Pandemie brachte viele Unsicherheiten mit sich, so dass auch die Bewältigung des Alltags mehr Kapazitäten erforderte.

Die ersten Wochen waren geprägt von einem erhöhten zeitlichen und administrativen Aufwand für die (Selbst-)Koordination und Technikbeherrschung. Dozierende verwendeten verschiedene Arbeitsmethoden sowie unterschiedliche Informations- und Kommunikationskanäle. Da die Kommunikation anfangs nur digital erfolgte, gab es eine Flut an E-Mails und zudem die (gefühlte) Anforderung, permanent erreichbar sein zu müssen, auch für Kommiliton*innen. Beispielsweise organisierten Arbeitsgruppen sich über WhatsApp oder ähnliche Kanäle, hielten sich an ‚Kernarbeitszeiten‘ und setzten Videokonferenzen nach 20 Uhr an. Das stellte nicht nur die Möglichkeiten der Leistungserbringung in Seminaren, sondern auch die Planbarkeit der Arbeitswoche vor große Herausforderungen. Dazu kam, dass die Dozierenden die Aufgaben oftmals kurzfristig stellten, was den Überblick über das Arbeitspensum erschwerte. 

Kaputter Telefonhörer

Nicht alle Studierenden hatten die technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Partizipation am digitalen Unterricht (beispielsweise keinen eigenen PC, kein stabiles Internet, weder Mikrofon/Headset, Kamera, oder auch keinen Arbeitsplatz). Einiges wird sich bis zum kommenden Semester verändert haben, trotzdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Studierenden bis dahin umfassend ausgestattet sind.

Die meisten waren unerfahren in der Anwendung und Bedienung der Kommunikationstools. Neue Skills mussten innerhalb kürzester Zeit erworben werden, es gab keine Routine in der technischen Anwendung von Online-Präsentationen, der Erstellung von Audio-/Videodateien, der ad-hoc-Verschriftlichung spontaner Gedanken und Argumente, etc. Immer wieder wurde vorausgesetzt, dass alle mit der Handhabung der Software vertraut sind und es gab zu Beginn der Seminare keine gemeinsame Einführung in die Anwendungsmöglichkeiten.

Einigen fiel die Selbststrukturierung ohne Präsenz-Seminarzeit sehr schwer, der persönliche Austausch mit Kommiliton*innen und Dozent*innen sowie die geregelten Anwesenheitszeiten fehlten.

Die Studierenden waren konfrontiert mit einem sehr hohen Arbeitspensum, da die Seminarpläne nicht dem digitalen Format angepasst, sondern oftmals eins zu eins übernommen wurden. Die Erfahrungen zeigen mittlerweile, dass der Workload bei digitaler Lehre um 30-50% reduziert werden sollte gegenüber der Planung in Präsenz. Es zeigte sich dadurch deutlich, wer bereits eigene Lernmethoden und Strategien, mit Überforderungen umzugehen, entwickelt hatte. Eine enge Begleitung der Studierenden erfolgte selten, so dass Studierende den Seminaren fernblieben, ohne dass darüber ins Gespräch gegangen wurde. 

Auf Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre gab es zu Beginn wenig Antworten. Um alle auf einen Wissensstand zu bringen, müssten in jedem Seminar die verwendete Software erneut besprochen werden. Es sollte im Interesse aller gewährleistet sein, dass die Privatsphäre der Studierenden geschützt ist, z.B. durch die Deaktivierung des privaten Chats, der Bildaufzeichnung und des Tonmitschnitts. Die Studierenden sollten frei entscheiden können, ob sie ihre Kamera aktivieren. Auch über Interventionsmöglichkeiten, wenn es zu übergriffigen und grenzüberschreitenden Situationen kommt, sollte vorab gesprochen und informiert werden. Dazu könnte es hilfreich sein, mit einer Netiquette zu arbeiten.

Als weitere konstruktive Möglichkeiten schlugen die Studierenden vor, vielfältige Prüfungsformate anzubieten. Mit dem Schreiben von Essays, dem Erstellen von Referaten, dem Produzieren von Audiostücken oder dem Reflektieren mit Hilfe eines Portfolios können unterschiedliche Fähigkeiten zur Anwendung kommen. Diese können zeitlich flexibel erarbeitet werden, was den Studierenden ermöglicht, das Studium mit den alltäglichen Verpflichtungen besser vereinbaren zu können. Auch die Schaffung transparenter Informationen ermöglicht es Studierenden, das Semester und die anfallenden Arbeiten besser planen zu können. Das Feedback zu Prüfungsleistungen und der Austausch über Lehr-/ Lernmethoden ist vielen auch in der digitalen Lehre wichtig.

Insgesamt war es auch für die Studierenden ein herausforderndes Semester und die Rückmeldungen sind wertvolle Hinweise für die Planung des kommenden.

3 Die Lehrenden: Erfahrungen und Reflexionen

Austausch, Vernetzung und gegenseitige Unterstützung waren im Sommersemester 2020 wertvoller den je. Oftmals standen wir vor ähnlichen Hürden, immer wieder hat uns die Situation der anderen die eigene Perspektive erweitert, die Bereitschaft, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, war hoch. Da sich die folgenden Aspekte als zentral herauskristallisiert haben, finden sie hier Erwähnung und werden teils in anderen (noch folgenden) Beiträgen ausführlicher besprochen.

Die Umsetzung von gender-/diversitätsreflektierender Lehre ist ganz grundlegend dadurch erschwert, dass die Hochschulen sowohl Lernplattformen als auch E-Conferencing-Tools vorgeben. Nicht alle Tools bzw. Voreinstellungen lassen es zu, dass der Name und das Pronomen selbständig eingetragen werden und nicht aus der Konto- oder E-mail-Kennung gezogen werden. Des Weiteren stellen sich Fragen nach Datenschutz und Datensicherheit, mit denen die Lehrenden oftmals alleine dastehen bzw. an deren Vorgaben die Nutzung bestimmter Plattformen von Hochschulseite aus entschieden wird.

Digitale Lehre und deren Anwendungstools sind oftmals unbekanntes Terrain, einige hatten vorher noch nie mit digitalen Methoden gearbeitet. Die ad-hoc-Einarbeitung bzw. die Aneignung neuer Skills erforderte viel Zeit und Expertise, die die wenigsten von uns bereits hatten. Schulungen, auch unter Berücksichtigung von gender-/diversitätsreflektierenden Fragestellungen, wären hilfreich.

Die Einschätzung, welcher Workload angemessen, ausreichend und nicht überfordernd ist, erwies sich als sehr schwierig. Als Faustregel kann gelten, dass bei digitaler Lehre der Umfang um ca. 30-50 % reduziert werden sollte, gerade bei Seminaren, in denen die Wissensvermittlung textbasiert erfolgt. Dozierende befinden sich in dem Dilemma, die einen nicht überfordern zu wollen und den anderen nicht den Eindruck zu vermitteln, dass nichts passiert. Hinsichtlich der Prüfungslast sollte darauf geachtet werden, dass die Abgabefristen entzerrt werden.

Eine Frau sitzt am Schreibtisch und spricht in ein Mikrofon, dabei wird sie von einer Kamera aufgezeichnet.

Teamteaching ist eine interessante und oftmals gute Option, um in Online-Sitzungen die dozierende Person von der gleichzeitigen Moderation zu entlasten. Auch synchrone Formate lassen sich zu zweit besser überblicken und koordinieren, weil viele verschiedene Dinge im Blick zu behalten sind und an unterschiedlichen Stellen unterschiedliche Expertisen eingebracht werden können/müssen. Dies ist jedoch häufig im Lehrdeputat nicht vorgesehen, bzw. wird nicht voll angerechnet. Eine Möglichkeit wäre es, moderierende Aufgaben an Tutor*innen oder an Studierende aus dem Seminar zu vergeben und dies evtl. sogar als Prüfungsleistung anzubieten. 

Kollegiale Beratung wäre unter den gegebenen Umständen sehr hilfreich, ist jedoch aufgrund der Termindichte schwieriger als sonst zu realisieren. Kolleg*innen könnten jedoch nach Absprache problemlos zu einer Seminarsitzung dazukommen und im Anschluss Feedback geben. Regelmäßige und anonymisierte Rückmeldungen von den Studierenden einzuholen, ist ebenfalls schwieriger als in Präsenzveranstaltungen. Aber es ist notwendig und hilfreich um 1) den Lernfortschritt der Studierenden und ihre Möglichkeiten, sich zu beteiligen und mitzukommen, abfragen zu können und 2) Einschätzungen zu den eingesetzten Lehrmethoden und deren Angemessenheit in Bezug auf die Veranstaltung zu erhalten. 

Der Status, also die unterschiedlichen Positionen im Hochschulbetrieb, sind Voraussetzung für viele Privilegien und daran machte sich zu Beginn des Semesters fest, wer welche Zugänge zu Online Tools und Lizenzen bekam. Das hat sich mittlerweile zum Glück geändert. Doch gerade die Lehrbeauftragten traf es hart, da die Honorare nur die Seminardurchführung vergüten und keine Vor- und Nachbereitungszeiten bezahlen. Zudem erwies sich das Eingebundensein in Fachbereiche und Arbeitszusammenhänge oft als ausschlaggebend für die Weitergabe von Informationen und der Stärkung des Selbstverständnisses. Auch die Ungewissheit, wie es mit den befristeten Projekt- und Qualifizierungsstellen weitergeht, brachte viele in eine sehr prekäre Situation. Mittlerweile wurde entschieden, dass die Qualifikationszeit verlängert wird und auch einige Projektfinanzierungen wurden verlängert. Allerdings gilt dies oftmals nur für das eine Semester.

In den unterschiedlichen Fachdisziplinen bleiben, zusätzlich zu der Anforderung einer gender-/diversitätsreflektierenden Seminargestaltung im digitalen Raum, inhaltliche Herausforderungen bestehen, wenn Ansätze, Perspektiven und Theorien der Gender und Diversity Studies kein Bestandteil des Curriculums sind. Für Dozierende, die diesbezüglich nach Literaturhinweisen suchen, können die Gender Curricula des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW hilfreich sein.

Die Kommunikation insgesamt steht vor neuen Herausforderungen. Die Fragen sind nicht neu, nur der Raum, in dem sie relevant werden, ist kein gewohnter. Dominantem Verhalten in Online-Seminaren, aber auch in asynchronen Formaten (z.B. Forendiskussionen) sollte begegnet werden, auch wenn die Formen der Intervention oder Regulierung noch nicht routiniert erfolgen. Darüber hinaus ist es möglich, die Studierenden einzubeziehen und die Verantwortung für einen guten und respektvollen Umgang als Aufgabe aller zu artikulieren. Hier könnte die partizipative Gestaltung einer Netiquette ein erster Ansatzpunkt sein.

Gestikulierende Hände vor einem Laptop.

Die kommende Studierendenschaft ist die der Corona-Abiturjahrgänge. Die vielfältigen Facetten von Bildungsbenachteiligung sind durch den Lockdown offensichtlicher geworden. Auch das sollten wir bei der Planung der zukünftigen Lehre berücksichtigen.

4 Reflexionsfragen zur Vorbereitung von Lehrveranstaltungen

Ziele

  • Ist meine Lehrveranstaltung digital umsetzbar?
  • Was kann/möchte ich in diesem Semester erreichen?
  • Was sind meine eigenen Ressourcen? Welchen Ansprüchen und Bedarfen der Studierenden kann ich nachkommen?
  • Welche Lehr- und Lernziele sind durch Studien- und Prüfungsordnungen oder Modulbeschreibungen vorgegeben? Gibt es weitere Vorgaben, z.B. von Vorgesetzten?
  • Welchen Handlungs-/Entscheidungsspielraum habe ich aufgrund meiner Position?
  • Welche Stellung nimmt meine Lehrveranstaltung im Curriculum ein? Ist es eine Pflicht- oder Wahlveranstaltung? Ist die Lehrveranstaltung prüfungsrelevant? Welche Gestaltungsfreiheit habe ich in Bezug auf das Prüfungsformat?

Digitale Selbstpräsentation

  • Wieviel von meinem privaten Raum (Wohnzimmereinrichtung, Haustiere, Kinder, Ablenkungen, etc.) möchte ich sichtbar machen?
  • Wie gehe ich mit (meinen) technischen Unsicherheiten um? Wie mit inhaltlichen?

Lehr-/Lernziele

  • Was sind meine Lehr-/Lernziele? 
  • Können das die gleichen sein wie in der Präsenzlehre, sowohl quantitativ als auch qualitativ? 
  • Wie entwickelt sich die Gruppendynamik?
  • Sind Reflexionsaufgaben und -fähigkeiten schwerer zu erreichen?
  • Wie viel kann ich quantitativ verlangen und wie viel qualitativ?

Zielgruppe

  • Für welche Studierenden gestalte ich meine Lehre? 
  • Woher weiß ich, mit welchen Studierenden ich es zu tun habe? 
  • Was kann ich von den Studierenden erwarten?
  • Wie divers ist die Gruppe der Studierenden zusammengesetzt? Welche Hürden könnten für die Studierenden entstehen? 
  • Vor welchen Problemen stehen auch die Studierenden in Bezug auf die Pandemie? Welche Voraussetzungen und Möglichkeiten haben meine Studierenden, sich voll in die Lehre einzubringen? 
  • Welche Voraussetzungen bringen die Studierenden in Bezug auf digitale Lehr- und Lernsettings mit? Sind meine Studierenden mit allen erforderlichen digitalen Skills und der Infrastruktur ausgestattet oder bedarf es extra Zeit, sich die neuen Formate anzueignen? 

Eigene Grenzen und Unterstützungsmöglichkeiten

  • Wie gehe ich mit meinen eigenen Grenzen um? Nehme ich sie wahr? Wo kann ich Hilfe holen? 
  • Wann plane ich für mich Freizeit und Zeiten, in denen ich nicht erreichbar bin, ein? 
  • Wie kann ich physisch, psychisch und mental gut für mich sorgen?   

5 Ausblick

Was das kommende Semester bringen wird, weiß momentan niemand so genau. Viele Hochschulen sind bestrebt, wenigstens für die Studieneingangsphase und die Masterstudiengänge Präsenzlehre anzubieten. Trotzdem bereiten sich die meisten Lehrenden auf ein erneutes Digitalsemester vor. Es bleibt abzuwarten, ob diese Zäsur, die die Covid-19-Pandemie zweifelsohne darstellt, dazu führt, dass gender-/ & diversitätsreflektierende Inhalte und Strukturen in der Hochschullehre relevanter werden.

 

[1] Für den kollegialen Austausch möchten wir uns bei Mary Shanyien und den Foren Bildung und Digitalisierung der Gesellschaft für Medienwissenschaft bedanken, deren Diskussionspapier zum universitären Betrieb unter Covid-19-Bedingungen wir als wichtige fachwissenschaftliche Perspektive auf die digitale Lehre sehr schätzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert