Digitalisierung in der Hochschulbildung ist auch eine Frage politischer Prioritätensetzung. Ein Beitrag von Justus Henke

Digitalisierung in der Hochschulbildung ist auch eine Frage politischer Prioritätensetzung. Ein Beitrag von Justus Henke

03.09.19

"Disruption or evolution? Systemic framework conditions of digitisation in higher education".

„Die disruptive Wirkung privater Online-Plattformen wird unterschätzt“. Basierend auf seinem Paper Disruption oder Evolution? Systemische Rahmenbedingungen der Digitalisierung in der Hochschulbildung erläutert Justus Henke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Hochschulforschung Halle‐Wittenberg (HoF), inwieweit die Prioritätensetzung der Politik Digitalisierung in der Hochschulbildung beeinflusst.

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Auf dem Weg zur digitalen Hochschulbildung

Häufig ist von Digitalisierung der Hochschulen oder Digitalisierung der Hochschulbildung die Rede. Dabei verbergen sich hier zwei typische Missverständnisse. Denn erstens ist meist Digitalisierung in der Hochschulbildung gemeint – also nicht alles wird digitalisiert – und zweitens wird Digitalisierung oft verengt auf seinen technologischen Voraussetzungen. Dabei beschreibt Digitalisierung in der Hochschulbildung vor allem ein Wandel des Verhältnisses von Lehrenden und Lernenden aufgrund des Technologiewandels. Zudem geht es um die digitale Neugestaltung der organisatorischen Kontexte zur Erfüllung des Bildungsauftrags von Hochschulen.

Die Rolle der Politik für die Umsetzung dieses Wandels ist dabei nicht zu unterschätzen. Vordergründig sind insbesondere rechtliche und finanzielle Fragen hochschulübergreifend zu klären sind. Anderseits reicht die Wirkung der Wissenschaftspolitik dadurch auch in die hochschulinternen Prozesse hinein. Gerade diesen Zusammenhang fand ich bei der Untersuchung der Rahmenbedingungen von digital unterstützter Hochschulbildung besonders spannend. Während die Debatten häufig um die konkreten Bedarfe der Hochschulen kreisen, wird deutlich weniger über die wissenschaftspolitisch betrachtet erstrebenswerten Veränderungen gesprochen. Ganz konkret etwa, wie die Hochschule der Zukunft denn aussehen soll und welche Funktionen sie im künftigen Bildungssystem mit all den zusätzlichen digitalen Möglichkeiten ausüben soll.Welche politische Prioritätensetzung ist wichtig für eine erfolgreiche Implementation von Digitalisierung an Hochschulen?

Sind die Hochschulen für die digitale Transformation der Lehre hinreichend gerüstet?

In unserer Untersuchung haben wir uns in relativ kurzer Zeit durch eine schier endlose Anzahl von wissenschaftlichen, journalistischen, empirischen, konzeptionellen oder juristischen Beiträgen zur digitalen Transformation der Hochschulbildung gearbeitet. Ziel war es, die wichtigen politikrelevanten Digitalisierungsaspekte systematisch aufzuarbeiten. Dabei haben wir zahlreiche Herausforderungen identifiziert, vor denen Hochschulen derzeit stehen. Der allgemeine Eindruck war: Die Hochschulen sind auf vielfältige Weise damit beschäftigt, die hochschulische Lehre digital zu modernisieren. Das reicht von technologischen Neuerungen, wie E-Learning-Plattformen bis hin zu sozialen Prozessen wie der Anpassung von Lehr- und Lernkulturen an die neuen Formate.

Allerdings zeigte sich eben auch: die Hochschulen können das nicht aus eigener Kraft stemmen. Wichtige Fragen bedürfen der Intervention des Staates, etwa die Klärung datenschutzrechtlicher Hürden bei Learning Analytics, bundesweite Lizensierung von Online-Literaturbeständen der großen Verlage (DEAL-Verhandlungen) oder die immensen Investitionen in neue Dateninfrastrukturen. Zugleich trägt der Staat auch Verantwortung bei der Begleitung und Förderung hochschulinterner Prozessoptimierungen, die an sich von Hochschulen eigenverantwortlich zu gestalten wären, aber mittelfristig zusätzlicher Mittel bedürfen.

Hochschulen sind also nur bedingt für die große Bildungstransformation gerüstet. Der Staat muss hierbei – so stellt es sich für uns dar – aktiv mitgestaltend und vorausschauend mitwirken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Bildungsmarkt potenziell ebenso von disruptiven Entwicklungen durch globale Plattformökonomien bedroht ist wie zuvor bereits die Medienbranche, Personenbeförderung oder Finanzwirtschaft. Es stellt sich für vorausschauendes politisches Handeln die Frage, wie das öffentliche Hochschulsystem in zehn und mehr Jahren aufgestellt sein soll."Disruption oder Evolution? Systemische Rahmenbedingungen der Digitalisierung in der Hochschulbildung"

Die Politik muss wissen, was ihr besonders wichtig ist – und die Rahmenbedingungen entsprechend gestalten

Mit Blick auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen digital unterstützter Hochschulbildung haben wir überlegt, inwiefern die derzeit diagnostizierten von Bedeutung sind. Wir unterscheiden dabei zwischen der Relevanz für digitale gestützte Hochschulbildung, der Dringlichkeit von Anpassungsbedarfen und den Möglichkeiten staatlicher Mitgestaltung. Diese Kriterien bilden die Grundlage für die Bewertung besonders wichtiger Themenbereiche. Hier haben wir insgesamt zehn Schlüsselthemen identifiziert. Bei diesen ist nach unser Ansicht wissenschaftspolitisches Eingreifen dringlicher als andernorts und besonders sinnvoll.

Eine solche Bewertung ist freilich in erster Linie als Orientierungshilfe zur Unterstützung von politischen Entscheidungsprozessen gedacht. Nicht jeder Problemlage kann gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, daher ist Digitalisierung auch eine Frage der Priorisierung. Das hat auch eine föderale Perspektive, denn wir haben Themen von bundesweiter Relevanz untersucht. Gleichzeitig sind wissenschaftspolitische Entscheidungen in erster Linie von den Ländern zu treffen. Da liegt es auf der Hand, dass die Digitalisierungsagenden der Kultusministerien voneinander durchaus abweichen können. Es gibt also ein Spannungsfeld zwischen landesspezifischen Priorisierungen und bundesweiten Abstimmungsbedarfen. Das betrifft zum Beispiel die Frage, ob eine E-Learning-Plattform des Bundes eingerichtet werden soll, die partiell in Konkurrenz zu den Studienangeboten der Hochschulen der Länder stünde oder inwiefern in den Ländern Online-Lehreinheiten auf das Lehrdeputat von Professor.inn.en anrechenbar sind.

Disruption oder Evolution

Es gibt für die Politik noch genug zu tun

Ob das Hochschulsystem in naher Zukunft von kommerziellen Bildungsplattformen, die in der Wirtschaft besonders nachgefragte Nano Degrees und Badges gegen Gebühr anbieten, überrollt wird, ist mehr als fraglich. Gerade in Deutschland mit seinem gebührenfreien Erststudium müssen sich Hochschulen hier nicht höchster Bedrängnis sehen. Gleichwohl meine ich, dass derzeit eine Neigung besteht, die disruptiven Wirkungen der privaten Online-Plattformen zu unterschätzen. MOOCs und andere private Online-Formate hätten nicht den einstmals prognostizierten Erfolg gehabt, heißt es. Das mag stimmen. Vieles wird jedoch davon abhängen, welche Erwartungen junge Menschen an der Schwelle zum Studium sowie Berufstätige mit Weiterbildungsinteressen künftig an die Hochschulen haben und inwiefern attraktive Alternativen bestehen, die gegebenenfalls schneller zum Erfolg am Arbeitsmarkt führen.

Aus heutiger Sicht scheint mir weniger die Disruption als vielmehr die Evolution der Hochschulbildung das wahrscheinlichste Szenario. Der Wert unmittelbarer sozialer Kontakte als Voraussetzung für deeper learning wird weithin anerkannt. Die Hochschule entwickelt sich hier zu einem Ort, dessen besonderes Qualitätsmerkmal das blended learning ist, also die Verbindung von Präsenz‐ und Online‐Lehre.

Welchen Pfad die Hochschulen vor diesem Hintergrund einschlagen sollen ist auch durch die Wissenschaftspolitik zu entscheiden. Mit Blick auf den derzeitigen Umsetzungsstand technologischer, organisatorischer und sozialer Aspekte der Digitalisierung in der Hochschulbildung bleibt jedenfalls noch genug zu tun – für Politik und für Hochschulen.

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