Ko-konstruktive Lehrentwicklung: partizipativ, innovativ und bedarfsorientiert

Ko-konstruktive Lehrentwicklung: partizipativ, innovativ und bedarfsorientiert

27.02.23

Wie können Lehrende für die Vielfalt und Diversität der Studierenden sensibilisiert werden? Und wie kann diese Sensibilität produktiv für die Entwicklung von Lehre genutzt werden? Diese Fragen waren Ausgangspunkt einer Reihe von Explorationen mit Formen der Einbindung studentischer Perspektiven in die Entwicklung von Lehre. Sie mündeten in einem Konzept, das Dr. Jonas Lilienthal und Dr. Ines Sonnenschein (FH Münster) als “Ko-Konstruktion” bezeichnen. In ihrem Blogbeitrag zur Reihe “Let’s Talk:Campus” schildern sie, inwieweit der Wert des Prozesses für sie über die Entwicklung konkreter Lehrkonzepte hinausging und was für sie authentische Design-Thinking-Prozesse ausmacht. Den ursprünglichen Erwartungen entgegen lag hier der besondere Mehrwert in der Ebene der Kommunikation, die durch das methodische Vorgehen entsteht und eine Begegnung von Lehrenden und Lernenden auf Augenhöhe fördert –ein Blogbeitrag zur Reihe “Let’s Talk:Campus”.

Titelbild zur Blogreihe "Let's Talk Campus": KO-KONSTRUKTIVE LEHRENTWICKLUNG: PARTIZIPATIV, INNOVATIV UND BEDARFSORIENTIERT.  Ein Gastbeitrag Dr. Jonas Lilienthal und Dr. Ines Sonnenschein (FH Münster). Logos: Lets Talk Campus, Stiftung Innovation in der Hochschullehre, Hochschulforum Digitalisierung.

Die ersten Erfahrungen mit nutzerzentrierten Methoden haben wir bei der Weiterentwicklung unserer eigenen hochschuldidaktischen Angebote gesammelt (Tosic, Lilienthal, Sandau & Mersch, 2020). Zunächst haben wir mit Methoden einer nutzerzentrierten Entwicklung experimentiert. Lehrende haben Studierenden-Personae erstellt und – darauf aufbauend – Angebots-Prototypen entwickelt und mit Studierenden getestet. Schnell haben wir festgestellt, dass diese Konzepte und Angebote wirksamer und effektiver entwickelt werden, wenn die Studierenden von Anfang an einbezogen und Personae, Prototypen und Lösungsansätze gemeinsam entwickelt werden. Positive Rückmeldungen zu den so entwickelten Workshops haben uns darin bestärkt, diese Methoden in hochschuldidaktischen Weiterbildungen selbst einzusetzen und dieses Konzept auch theoretisch weiterzuentwickeln. 

 

Unsere Entwicklung hin zur Ko-Konstruktion

Über die Innovationsforschung und das Konzept Design-Thinking wurden wir auf den Begriff der Co-Creation aufmerksam (Piller et al. 2010; Voorberg et al. 2015). Dieser unterscheidet verschiedene Paradigmen der Entwicklung von Artefakten und Prozessen und zeigte dadurch eine Entwicklungsrichtung auf (siehe Abbildung). 

Sanders und Stappers beschreiben, wie sich der Designprozess von der Entwicklung von Produkten für Nutzer*innen zunächst weiterentwickelt zum Designprozess im Austausch mit Nutzer*innen hin zur ko-konstruktiven Entwicklung durch Nutzer*innen und Designer*innen. Unter dem Schlagwort Ko-Konstruktion entwerfen Menschen mit- und füreinander vielfältige Produkte und Dienstleistungen und entwickeln diese iterativ weiter. Sie verändern dabei auch ihre Beziehungen zueinander und schaffen neue Rahmenbedingungen für ihr Handeln (Sanders & Stappers 2014, S. 31). Um diese Form der Zusammenarbeit zu erreichen, sind generative Methoden erforderlich. Diese arbeiten mit tieferliegendem und sprachlich kaum zu vermittelndem Wissen der Beteiligten, regen emotionale Einsichten an und schaffen so die Grundlage dafür, gemeinsam innovative Lösungen zu entwickeln. 

 

Für die Lehrentwicklung bedeutet dies, „dass Studierende nicht als Konsumenten und Konsumentinnen eines von den Lehrenden und Hochschulmanagerinnen und Hochschulmanagern fertig konzipierten Produkts in Form eines Hochschulumfelds, eines Studiengangs oder einer Lehrveranstaltung verstanden werden, sondern dass diese als Ko-Produzentinnen und Ko-Produzenten in den Gestaltungsprozess von vornherein miteinbezogen werden und die Produktion in Interaktion stattfindet“ (Lilienthal, Schulze & Sonnenschein, im Druck).

Es ist aufschlussreich, in die Erfahrungswelt der Studierenden einzutauchen und ihre Studienbedingungen genauer kennenzulernen. Da steckt man sonst auch einfach „nicht so drin“. Da steckt man sonst auch einfach „nicht so drin“. Ich habe dadurch nochmal gemerkt, wie wichtig es ist, die Inhalte auf des Wesentliche zu fokussieren um auch eine Überforderung der Studierenden zu vermeiden.  Dafür war es auch entscheidend, dass die Studierende sich geöffnet hat und durchaus einige Einblicke in ihre private Situation gegeben hat. (Lehrende, FH Münster, 2021).

Ich habe das erste Mal verstanden, wie viel Arbeit sich die Lehrenden bei der Vorbereitung ihrer Veranstaltungen machen (Studierende, FH Münster, 2021). 

Auf diese Art und Weise mit Lehrenden zu sprechen, ist etwas Besonderes. (Studierender, FH Münster 2021) 

Diesem Ideal folgend,  wurden ko-konstruktive Methoden in Workshops in das E-Teaching Fellowship und das Neuberufenen-Programm der FH Münster implementiert (vgl. Lilienthal, Schulze & Sonnenschein, im Druck). Auch in anderen Handlungsfeldern wie der Curriculumentwicklung wurde mit ko-konstruktiven Formaten experimentiert (Tosic & Lilienthal, 2022). Diese Formate werden fortlaufend evaluiert, reflektiert und iterativ angepasst. 

Diese Überlegungen wurden im Workshop vorgestellt und anhand einer kleinen Übung erprobt. Fragen entstanden zur Angemessenheit der Persona-Methode und den Anlehnungen an Design-Thinking. Diese werden beispielsweise im Marketing auf eine Art und Weise verwendet, die den Anspruch der Ko-Konstruktion nicht erfüllt. Die Gefahr einer Verkürzung besteht für uns dann, wenn die Persona auf Grundlage von Vorwissen oder Interviews von Lehrenden oder Hochschuldidaktiker*innen erstellt wird. Wenn sie jedoch gemeinsam mit Studierenden und in der zuvor beschrieben Haltung erarbeitet werden, verstehen wir sie als eine zulässige und hilfreiche Methode.
 

Literatur

Lilienthal, Jonas; Schulze, Katrin; Sonnenschein, Ines (im Druck): Gesundheits- und lernförderliche Lehrentwicklung durch Sensibilisierung der Lehrenden in hochschuldidaktischen Seminaren. In: M. Bonse-Rohmann, H. Burchert, K. Schulze und B. Wulfhorst (Hg.): Gesundheit im Studium.

Piller, Frank T.; Ihl, Christoph; Vossen, Alexander (2010): A Typology of Customer Co-Creation in the Innovation Process. In: SSRN Journal. DOI: 10.2139/ssrn.1732127.

Sanders, Liz; Stappers, Pieter Jan (2014): 2670616. From Designing to Co-Designing to Collective Dreaming: Three Slices in Time. In: Interactions 21 (6), S. 24–33. Online verfügbar unter https://dl.acm.org/doi/pdf/10.1145/2670616, zuletzt geprüft am 10.08.2021.

Tosic, Janina; Lilienthal, Jonas (2022): Ko-Konstruktive Entwicklungsarbeit mit Studierenden: Herausforderungen, Beispiele und Erfolgsfaktoren. In: Nora Leben, Katja Reinecke und Ulrike Sonntag (Hg.): Hochschullehre als Gemeinschaftsaufgabe: wbv Media (Blickpunkt Hochschuldidaktik, 139), S. 91–96. 

Tosic, Janina; Lilienthal, Jonas; Sandau, Susanne; Mersch, André (2020): Nutzerzentrierung in der Hochschuldidaktik. In: Marianne Merkt, Annette Spiekermann, Tobina Brinker, Astrid Werner und Birgit Stelzer (Hg.): Hochschuldidaktik als professionelle Verbindung von Forschung, Politik und Praxis: wbv Media.

Voorberg, W. H.; Bekkers, V. J. J. M.; Tummers, L. G. (2015): A Systematic Review of Co-Creation and Co-Production: Embarking on the social innovation journey. In: Public Management Review 17 (9), S. 1333–1357. DOI: 10.1080/14719037.2014.930505.

 

Dieser Artikel reiht sich ein in die Blogreihe zum Event “Let’s Talk:Campus”, das am 20. Oktober 2022 stattfand – digital und live in Berlin. Ein besonderer inhaltlicher Schwerpunkt bildeten Fragen der studentischen Partizipation und Nachhaltigkeit. Wir wollen entsprechende Diskussionen fortführen – unter anderem beim University:Future Festival 2023. Eine Anmeldung zum Festival ist hier möglich.

Das Event wurde vom Hochschulforum Digitalisierung (HFD) und in Partnerschaft mit der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) veranstaltet.

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